Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.04.2023, Az.: 1 E 142/23

Abschiebung; Dritter; Durchsuchung; Antrag auf richterliche Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung eines Dritten zur Sicherung der Abschiebung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
27.04.2023
Aktenzeichen
1 E 142/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 18804
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0427.1E142.23.00

[Gründe]

Der sinngemäß ausgelegte Antrag vom 24.04.2023,

auf Erteilung einer richterlichen Anordnung zur Durchsuchung der Wohnung des E. F., G. in H. I. zwecks Ergreifens der C. D., geb. am XX.XX.XXXX in L. M. in Serbien zur Durchführung ihrer Abschiebung am XX.XX.XX,

hat Erfolg. Er ist zulässig (hierzu unter 1.) und begründet (hierzu unter 2.).

1.

Zunächst ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.10.2022 - 1 B 65.22 -, juris Rn. 3 ff.; Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 2). Weiter ist die Antragstellerin auch die für die Durchführung der beabsichtigten Abschiebung der betroffenen Ausländerin zuständige Behörde (vgl. Beschlüsse d. Kammer v. 25.08.2022 - 1 E 189/22 -, juris Rn. 2; v. 19.10.2022 - 1 E 230/22 -, juris Rn. 2; Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 14) und somit antragsberechtigt, § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG.

Darüber hinaus ist der Antrag auch statthaft, da für die von der Antragstellerin beabsichtigte Maßnahme eine richterliche Anordnung notwendig ist.

Rechtsgrundlage der beantragten Anordnung ist § 58 Abs. 6, Abs. 5 Satz 2 sowie Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Gemäß § 58 Abs. 6 AufenthG kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert (Satz 1). Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet (Satz 2). Die Wohnung umfasst dabei die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum (Satz 3 i. V. m. Abs. 5 Satz 2). Gemäß § 58 Abs. 8 Satz 1 AufethG dürfen Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG nur durch den Richter, bei Gefahr in Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden.

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der von der Antragstellerin beabsichtigten Maßnahme um eine Wohnungsdurchsuchung bei einem Dritten im Sinne des § 58 Abs. 6 Satz 2 AufenthG. Eine Abgrenzung zwischen dem Betreten der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers, das in § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG geregelt ist und das keiner richterlichen Anordnung nach § 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG bedarf, und der in § 58 Abs. 6 Sätze 1 und 2 AufenthG geregelten Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Abschiebung ist vorliegend entbehrlich. Denn die abzuschiebende Ausländerin hält sich vorliegend nicht in einer eigenen Wohnung auf, sondern in der Wohnung eines Dritten. Somit scheidet ein Betreten im Sinne des § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG von vornherein aus.

Der Antrag der Antragstellerin ist auch formgerecht. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf führt in seinem Beschluss vom 16.11.2020 (- 7 I 32/20 -; juris, Rn. 20 ff.) zu den Anforderungen eines Antrags auf eine richterliche Durchsuchungsanordnung nach § 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG folgendes aus:

"Bei Wohnungsdurchsuchungen, die ihren Zweck nicht erfüllen könnten, wenn der potentielle Betroffene vorher davon erführe und sich darauf einstellen könnte, werden vollendete Tatsachen geschaffen, ohne dass der betroffene Grundrechtsträger sich gerichtlich rechtzeitig zur Wehr setzen kann. Dieser Situation hat der Verfassungsgeber durch die Normierung des präventiven Richtervorbehalts in Art. 13 Abs. 2 GG Rechnung getragen. Demgemäß verlangt Art. 13 Abs. 1 GG eine umfassende richterliche Prüfung, bevor in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden darf. Die richterliche Durchsuchungsanordnung darf keine bloße Formsache sein. Der Richter muss vielmehr dafür Sorge tragen, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung genau beachtet werden (vgl. BVerfGE 9, 89 [BVerfG 08.01.1959 - 1 BvR 396/55] <97>; 57, 346 <355 f.>; BVerfGK 2, 310 <314>).

Zum Vorstehenden vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.06.2015, - 2 BvR 2718/10 u.a. - ,juris Rn. 55ff.

Dieser Aufgabe können die Gerichte im Rahmen des § 58 Abs. 8 AufenthG nur gerecht werden, wenn die antragstellenden Ausländerbehörden diese Anträge schriftlich stellen und die zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme notwendigen Angaben enthalten sind.

Vgl. insoweit die damit korrelierenden Dokumentationspflichten nach § 58 Abs. 9 Satz 4 AufenthG.

Bloße Bezugnahmen auf mit eingereichte Verwaltungsvorgänge (sog. Ausländerakten) oder Aktenteile genügen hierzu nicht. Vielmehr sind die betroffenen Personen, nicht nur die zu Ergreifenden, sondern auch die gegebenenfalls nicht personenidentischen Wohnungsinhaber oder Mitinhaber, soweit die Ausländerbehörde diese unter Nutzung des Melderegisters ermitteln konnte, konkret und vollständig zu benennen. Für die zu ergreifenden Personen müssen die Voraussetzungen der vollziehbaren Ausreisepflicht dargelegt sein, der von Amts wegen zu beachtende zwingende Duldungsgründe nicht entgegenstehen. Die Erforderlichkeit der Durchsuchung der Wohnung zum Zweck der Abschiebung ist durch über das Verstreichenlassen der Ausreisefrist hinausgehende Tatsachen - etwa die Willensbekundung nicht freiwillig ausreisen zu wollen - darzutun. Ferner muss sich dem Antrag entnehmen lassen, welche gegebenenfalls auch über die Wohn- und Nebenräume hinausgehenden Räume (§ 58 Abs. 5 Satz 2 AufenthG) von der Durchsuchungsanordnung umfasst sein sollen. Soll die Durchsuchung bei Dritten ("anderen Personen") vorgenommen werden, müssen die Tatsachen konkret benannt werden, aus denen zu schließen ist, dass der zu ergreifende Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Soll die Wohnung zur Nachtzeit betreten oder durchsucht werden, sind die Tatsachen zu benennen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung anderenfalls vereitelt wird.

Vgl. insoweit auch die Anforderungen an einen Antrag in Freiheitsentziehungssachen nach § 417Abs. 2 FamFG."

Diesen Anforderungen an die Antragsschrift schließt sich die Kammer an. Der Antrag der Antragstellerin vom 24.04.2023 wird den in den dargestellten Ausführungen aufgestellten Anforderungen jedenfalls nach der von der Kammer im zeitlich noch möglichen Rahmen erforderten ergänzenden Stellungnahme der Antragstellerin vom 26.04.2023 gerecht. Denn es wird hinreichend deutlich, aus welchen Gründen die Antragstellerin vollziehbar ausreisepflichtig ist und sich zum Zeitpunkt ihres geplanten Ergreifens in der Wohnung des Drittbetroffenen F. aufhalten wird (dazu sogleich unter 2.a) und b)).

2.

Der Antrag ist auch in den aus dem Tenor hervorgehenden Maßgaben begründet.

Voraussetzungen für den Erlass der begehrten richterlichen Durchsuchungsanordnung nach § 58 Abs. 6 Satz 2 AufenthG sind, dass die Antragstellerin berechtigt ist, die betroffene Ausländerin abzuschieben (hierzu unter a.), das Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich die betroffene Ausländerin auch tatsächlich in der zu durchsuchenden Wohnung des Dritten aufhält (hierzu unter b.) und dass die beabsichtigte Maßnahme verhältnismäßig ist (hierzu unter c.).

a. Die betroffene Ausländerin ist abzuschieben, § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Sie ist vollziehbar ausreisepflichtig, weil sie nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt, § 58 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Die Ausreisefrist aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28.05.2020 ist zudem bereits seit fast drei Jahren abgelaufen, ohne dass die Betroffene D. freiwillig ausgereist wäre. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sie in Zukunft freiwillig aus der Bundesrepublik Deutschland ausreise wird. Dies folgt daraus, dass die betroffene Ausländerin trotz Belehrungen immer wieder gegen die ihr gemachte Wohnsitzauflage, in der Erstaufnahmeeinrichtung der Landesaufnahmebehörde am Standort N. O. zu wohnen, verstoßen hat. Vielmehr hält sie sich nach Aktenlage in I. auf. Aufgrund dieses Verhaltens ist zu schließen, dass die betroffene Ausländerin nicht gewillt ist, sich der Rechtsordnung zu unterwerfen.

Darüber hinaus sind dem Vortrag der Antragstellerin und dem Verwaltungsvorgang keine zwingenden Duldungsgründe zu entnehmen, die einer Abschiebung der betroffenen Ausländerin entgegenstünden. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist eine Abschiebung auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Im Falle der betroffenen Ausländerin käme hier aufgrund der dem Gericht vorliegenden Unterlagen allenfalls ein auf Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beruhendes (inlandsbezogenes) rechtliches Abschiebungshindernis in Betracht, weil sie Mutter von drei minderjährigen Kindern im Alter von 2 bis 9 Jahren, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, ist. Ihr ist zwar durch Beschlüsse des Amtsgerichts P. vom 17.12.2020 (Az.: XX F XX/XX SO) und vom 02.02.2022 (Az.: 48 F 168/21 SO) und durch Beschluss des Amtsgerichts Q. (Az.: X F XX/XX SO) für alle ihre Kinder das Sorgerecht entzogen und auf das Jugendamt übertragen worden. Daraus folgt aber noch nicht für sich genommen, dass sie sich nicht auf eine dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK unterfallende familiäre Lebensgemeinschaft berufen könnte.

Zu den Voraussetzungen für die Annahme einer schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft eines Elternteils mit einem Kind bei fehlendem Sorgerecht führt das Bundesverfassungsgericht in seinem stattgebenden Kammerbeschluss vom 09.01.2009 (- 2 BvR 1064/08-; juris Rn. 14. ff.) folgendes aus:

"Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 <42 f.>). Bei der Bewertung der familiären Beziehungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfGE 80, 81 [BVerfG 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84] <95>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 1996 - 2 BvR 1119/96 -, FamRZ 1996, S. 1266; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 -, juris). Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.).

Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (BVerfGK 7, 49 <58>, vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 -, Umdr. S. 10-14).

Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>). [...]

[...] Bei Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-Beziehung typischerweise deutlich von dem Verhältnis des Kindes zur täglichen Betreuungsperson. Dass der Umgangsberechtigte nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 -, Umdr. S. 15)."

Unter Berücksichtigung des aufgezeigten Maßstabs besteht zwischen der betroffenen Ausländerin und ihren drei minderjährigen Kindern keine familiäre Lebensgemeinschaft. Ihr steht zwar nach dem Vortrag der Antragstellerin ein Umgangsrecht nach § 1684 BGB zu. Dieses Umgangsrecht übt die betroffene Ausländerin allerding nicht derart aus, das vorliegend das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft angenommen werden kann. Nach Angaben der Antragstellerin habe ihr eine Mitarbeiterin des Jungendamtes P. am 26.04.2023 die Auskunft gegeben, dass die betroffene Ausländerin ihr Umgangsrecht lediglich unregelmäßig ausübe. Der letzte Kontakt habe vor ca. zwei Monaten zu ihrer ältesten Tochter stattgefunden. Diese Schilderung ist vor den aus dem Verwaltungsvorgang hervorgehenden Informationen über das Verhältnis der betroffenen Ausländerin zu ihren Kindern stimmig. So zeichnet sich aus den Beschlüssen des Amtsgerichts P. und das Amtsgerichts Q. das Bild einer Mutter, die - auch aufgrund von Drogenkonsum - nicht in der Lage bzw. gewillt ist, regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern zu halten. Die unregelmäßige Ausübung des Umgangsrechts weist vorliegend nicht daraufhin, dass die Antragstellerin an dem Leben und Aufwachsen ihrer Kinder aktiv teilnimmt. Darüber hinaus entspricht dieser sporadische Kontakt auch nicht dem, was im vorliegenden Fall als "üblich" zu erwarten ist. Denn hier ist - auch vor dem Hintergrund, dass sämtliche Kinder keinen Kontakt zu ihren Vätern haben und die Mutter aus diesem Grund einen noch größeren Stellenwert einnimmt - zu erwarten, dass die betroffene Ausländerin regelmäßig und nicht nur alle paar Monate zumindest den telefonischen Kontakt zu ihren Kindern sucht.

b. Die Antragstellerin hat zudem glaubhaft gemacht, dass Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich die betroffene Ausländerin auch tatsächlich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Denn sie wurde ausweislich einer Antwort auf ein Auskunftsersuchen des Polizeikommissariats I. vom 16.12.2022 (Bl. 253 der Beiakte 001) in der Wohnung des betroffenen Dritten angetroffen. Dabei habe sie angegeben, dass sie seit ca. 5 Wochen in der Wohnung des Dritten wohne. Darüber hinaus haben Beamte des Polizeikommissariats I. am 18.04.2023 den ehemaligen Lebensgefährten der betroffenen Ausländerin nach ihrem aktuellen Aufenthalt befragt. Dieser vermute ebenfalls, dass sie sich nach wie vor in der Wohnung des Dritten aufhalte.

c. Weiter stellt sich die begehrte Durchsuchungsanordnung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch als verhältnismäßig dar. Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält und damit eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz vorsieht; der Richter darf die Wohnungsdurchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Prüfung der Ermittlungen davon überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.07.2016 - 2 BvR 2474/14 -, juris Rn. 18 m. w. N.). Dem Rechnung tragend erlaubt § 58 Abs. 6 AufenthG eine Durchsuchung auch nur, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert. Eine Maßnahme ist nur dann erforderlich, wenn sie das relativ mildeste, jedoch gleich effektive Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks ist (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 12.01.2016 - 1 BvR 3102/13 -, juris Rn. 54). Weiter sind bei einer Durchsuchungsanordnung, die die Wohnung eines nichtbeteiligten Dritten betrifft, erhöhte Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen (BVerfG, Beschl. v. 03.07.2006 - 2 BvR 299/06 -, juris, zu § 103 StPO).

Dies berücksichtigt sind im konkreten Einzelfall die Grenzen der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Insbesondere die Erforderlichkeit der beantragten Durchsuchung ist hinreichend glaubhaft gemacht. Denn vorliegend ist kein milderes gleichwirksames Mittel, um die betroffene Ausländerin zu ergreifen, ersichtlich. Die betroffene Ausländerin hat bisher keine Anstalten gemacht, freiwillig auszureisen. Zudem hat sie durch das Nichtbefolgen der Wohnsitzauflage und den häufigen Wohnsitzwechsel der Antragstellerin ihr Auffinden erheblich erschwert, sodass der Antragstellerin kein milderes gleichwirksames Mittel - wie etwa der Erlass einer Auflage oder Beschränkung - zur Verfügung steht. Denn das Verhalten der betroffenen Ausländerin in der Vergangenheit legt nahe, dass sie auch in Zukunft weder einer Auflage noch einer Beschränkung Folge leisten wird. Sie kann auch nicht bei einem zufälligen Antreffen durch Polizeibeamte im öffentlichen Straßenraum spontan festgenommen werden, weil sich die Organisation der Abschiebung dann erst anschließen und der Vorlauf ihre ihrerseits im Ergebnis unverhältnismäßige Inhaftierung erfordern würde.

Auch kann die Antragstellerin nicht darauf verwiesen werden, zunächst erfolglos einen Abschiebungsversuch ohne die Vornahme einer Wohnungsdurchsuchung durchzuführen (so aber wohl VG Oldenburg, Beschl. v. 06.03.2023 - 11 B 438/23 -, n.V.). Denn die Auffassung, wonach sogenannte "prophylaktische" Anordnungen der Durchsuchung nicht zulässig wären, verkennt, dass bereits im Durchsuchungsbeschluss Maßgaben zum Ablauf der geplanten Durchsuchung gemacht werden können, die insbesondere die Erforderlichkeit der Durchsuchung rechtlich absichern (so auch VG Cottbus, Beschl. v. 19.04.2021 - 9 I 6/21 -, juris Rn. 9 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 05.08.2019 - 2 F 211/19 -, juris Rn. 14). Vorliegend wird die Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme insbesondere dadurch sichergestellt, dass dem Drittbetroffenen F. vor der Durchsuchung seiner Wohnung Gelegenheit gegeben werden muss, durch sein Mitwirken eine Wohnungsdurchsuchung entbehrlich zu machen.

In entsprechender Anwendung des § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO ist die vorstehende Entscheidung ohne vorherige Anhörung der betroffenen Personen zu treffen, weil eine Anhörung im vorliegenden Fall den Zweck der ergangenen richterlichen Anordnung gefährden würde (zu den Voraussetzungen eines Absehens von der Anhörung vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 8). Es ist hier davon auszugehen, dass die als nicht rechtstreu bekannte betroffene Ausländerin sich im Fall der vorherigen Anhörung ihrer Ergreifung entziehen würde. Er ist auf die nachträgliche Anhörung zu verweisen.

Die Anordnung der Zustellung durch die Antragstellerin im Wege der Amtshilfe erfolgt nach § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 168 Abs. 2 ZPO

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 10). Gerichtskosten fallen nicht an, da es an einem einschlägigen Gebührentatbestand fehlt. Die Auslagen der Antragstellerin sind nicht erstattungsfähig. Das gilt auch für allfällige Auslagen des betroffenen Ausländers, da es sich angesichts seiner fehlenden Beteiligung nicht um ein kontradiktatorisches Verfahren handelt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschl. v. 30.09.2019 - 2 S 262/19 -, juris Rn. 24).