Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.10.2002, Az.: 5 K 509/99
Vorsteueraufteilung nach Maßgabe eines Umsatzschlüssels
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 02.10.2002
- Aktenzeichen
- 5 K 509/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14037
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:1002.5K509.99.0A
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bezieht ein Unternehmer Leistungen für ein Gebäude mit Wohn- und Gewerbeflächen, ist die Aufteilung der Vorsteuerbeträge durch den Unternehmer nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze als sachgerechte Schätzung i.S.v. § 15 Abs. 4 UStG anzuerkennen.
- 2.
Der Unternehmer kann eine sachgerechte Schätzung der nichtabziehbaren Vorsteuer-Teilbeträge vornehmen. Es ist seine Sache, welche Schätzungsmethode er wählt.
- 3.
Der Umsatzschlüssel ist eine vom Wortlaut des Gesetzes gedeckte Schätzungsmethode. Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Art. 19 der 6. EG-Richtlinie schreibt für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen in Fällen gemischter (d. h. zum Vorsteuerabzug berechtigender und nicht berechtigender) Umsätze ausdrücklich als Regel-Aufteilungsmaßstab den Umsatzschlüssel (Pro-rata-Regel) vor.
Tatbestand
Streitig ist, ob Vorsteuern aus den Herstellungskosten eines Wohn- und Geschäftshauses nach dem Verhältnis der erzielten Vermietungsumsätze aufgeteilt werden können.
Der Kläger ließ im Streitjahr 1997 ein Wohn- und Geschäftshaus errichten. Soweit sich Handwerkerleistungen sowohl auf die steuerfrei (Wohnungen) als auch auf die steuerpflichtig (Ladenlokal) genutzten Gebäudeteile erstreckten, nahm der Beklagte nach einer auf der Basis der Umsatzsteuer-Voranmeldungen durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die hiervon betroffenen Vorsteuern eine Aufteilung nach dem Verhältnis der Nutzflächen (Laden 55 %, Wohnungen 45 %) vor und ließ insoweit Vorsteuern in Höhe von...DM (= 55 %) zum Abzug zu.
Entsprechend dieser Berechnung der Umsatzsteuer-Sonderprüfung machte der Kläger in der am 16.07.1998 beim Beklagten eingereichten Umsatzsteuererklärung für 1997 abzugsfähige Vorsteuern in Höhe von...DM geltend. Mit Schreiben vom 29.07.1998 legte der Kläger gegen den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 4. Quartal 1997 vom 20.07.1998 Einspruch ein und erklärte zugleich, in der Umsatzsteuererklärung für 1997 müssten Vorsteuern in Höhe von...DM berücksichtigt werden. Zur Begründung führte der Kläger aus, aufgrund des BFH-Urteils vom 05.02.1998 V R 101/96 würden Vorsteuern nunmehr auf der Basis eines Umsatzschlüssels geltend gemacht. Da die Mieten zu 74,52 % umsatzsteuerpflichtig und zu 25,48 % umsatzsteuerfrei seien, ergebe sich unter Einbeziehung der direkt dem Laden zuzurechnenden Vorsteuern ein Vorsteuerabzug in Höhe von insgesamt...DM.
Anschließend stimmte der Beklagte am 10.08.1998 der (ursprünglichen) Umsatzsteuererklärung des Klägers für 1997 zu und behandelte diese Umsatzsteuerfestsetzung als Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Der Einspruch wurde sodann durch Einspruchsentscheidung vom 24.08.1999 als unbegründet abgewiesen.
Mit der hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger weiter geltend, auf der Basis eines Umsatzschlüssels seien Vorsteuern in Höhe von...DM abzugsfähig.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuer auf ./....DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, die neuere BFH-Rechtsprechung, nach der das Verhältnis der Ausgangsumsätze bei gemischt-genutzten Gebäuden generell als sachgerechter Aufteilungsmaßstab anerkannt wird (BFH-Urteile vom 17.08.2001 V R 1/01, BFH/NV 2001, 1685, V R 52/00, BFH/NV 2002, 227 u.a.) beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung der 6. EG-Richtlinie. Der auf das Gebäude entfallende Bauaufwand verteile sich - soweit keine direkte Zuordnung zu den einzelnen Räumen möglich ist - im Allgemeinen gleichmäßig auf das gesamte Gebäude. Deshalb genüge bei der Errichtung von Gebäuden nur eine Vorsteueraufteilung nach dem Verhältnis der Nutzflächen bzw. Raumvolumina den Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie.
So resultiere im Streitfall der im Vergleich zu den Wohnungsmieten (Obergeschoss, 25,48 % der Gesamtmiete) hohe Mietzins für das Erdgeschoss (= Ladenlokal, 74,52 % der Gesamtmiete) nicht aus entsprechend hohen Baukosten, sondern aus der für ein Ladenlokal äußerst attraktiven Innenstadtlage. Zumindest in derartigen Fällen, in denen die Mieten nicht durch unterschiedlich hohe Baukosten, sondern durch die Lage bestimmt seien, sei allein eine Aufteilung nach einem Flächenschlüssel sachgerecht. Das vorliegende Missverhältnis zwischen Baukosten (55 % Ladenlokal, 45 % Wohnungen) und Miete (74,52 % Ladenlokal, 25,48 % Wohnungen) übersteige jeden Toleranzbereich einer Schätzung.
Bestätigt werde dieses Ergebnis auch dadurch, dass ertragsteuerlich die Herstellungskosten eines Gebäudes zur Ermittlung der AfA-Bemessungsgrundlage grundsätzlich nach dem Verhältnis der Nutzflächen aufgeteilt werde (R 13 Abs. 6 EStR). Ein hiervon abweichender Aufteilungsmaßstab bei der Umsatzsteuer führe nur zu einer unnötigen Komplikation des Steuerrechts.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Kläger hat die nicht direkt den einzelnen Gebäudeteilen zuzurechnenden Vorsteuerbeträge zutreffend nach Maßgabe eines Umsatzschlüssels aufgeteilt.
1.
Bezieht ein Unternehmer Leistungen für ein Gebäude mit Wohn- und Gewerbeflächen, ist die Aufteilung der Vorsteuerbeträge durch den Unternehmer nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze als sachgerechte Schätzung i.S. von § 15 Abs. 4 UStG anzuerkennen.
Da der Kläger das erworbene Gebäude teilweise zur Ausführung steuerpflichtiger Vermietungsumsätze (Ladenlokal) und teilweise zur Ausführung steuerfreier Vermietungsumsätze (Wohnung) verwendet, ist gemäß § 15 Abs. 4 UStG der Teil der Vorsteuerbeträge auf die Gebäudeherstellung nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Wohnungsvermietungsumsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.
a)
Aus § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG folgt, dass"der Unternehmer" eine sachgerechte Schätzung der nicht abziehbaren Vorsteuer-Teilbeträge vorzunehmen hat. Es ist also Sache des Unternehmers, welche Schätzungsmethode er wählt. Das FA kann nachprüfen, ob die Schätzung sachgerecht ist (BFH-Urteile vom 12. März 1998 V R 50/97, BStBl II 1998, 525; vom 17. August 2001 V R 1/01, BFH/NV 2001, 1685).
Kriterien für eine "sachgerechte Schätzung" im Sinne der Vorschrift umschreibt das Umsatzsteuergesetz nicht ausdrücklich. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG stellt lediglich das Erfordernis einer"wirtschaftlichen Zurechnung" von Vorsteuerbeträgen zu den mit der bezogenen Leistung ausgeführten Umsätzen auf.
Diese Methode "wirtschaftlicher Zurechnung" ist seit 1990 die im Umsatzsteuergesetz allein vorgesehene Zurechnungsmethode. Aufteilungsmethoden nach einem Umsatzschlüssel (allgemeine Aufteilungsmethode nach § 15 Abs. 3 UStG 1967/1973, eingeschränkt gemäß § 15 Abs. 5 und 6 UStG 1980) wurden aufgehoben (letztere mit der Begründung, eine sachgerechte Zuordnung der - nicht schon ausschließlich zurechenbaren Umsätze - lasse sich zutreffender und einfacher im Weg der nach Absatz 4 allgemein zugelassenen Schätzung erzielen, vgl. BT-Drucks. 11/2157, 191, Zu Nr. 6, § 15 UStG). Aus der Entwicklung der Regelungen zur Vorsteueraufteilung in § 15 UStG lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber die Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel nicht allgemein als sachgerechte Methode der "wirtschaftlichen Zurechnung" ansah.
b)
Demgegenüber schreibt Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Art. 19 der 6. EG-Richtlinie für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen in Fällen gemischter (d.h. zum Vorsteuerabzug berechtigender und nicht berechtigender) Umsätze ausdrücklich als Regel-Aufteilungsmaßstab den Umsatzschlüssel (Pro-rata-Regel) vor. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist als "sachgerecht" i.S. des § 15 Abs. 4 UStG deshalb ein den Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie entsprechendes Aufteilungsverfahren anzuerkennen, das - objektiv nachprüfbar - nach einheitlicher Methode die beiden "Nutzungsteile" eines gemischt verwendeten Gegenstandes bzw. einer sonstigen Leistung den damit ausgeführten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen zurechnet (BFH-Urteil vom 17. August 2001 V R 1/01, BFH/ NV 2001, 1685). Der vom Kläger angewandte Umsatzschlüssel ist EG-rechtlich präferiert und deshalb als sachgerecht i.S.d. § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG anzusehen.
Dass die allgemeine Pro-rata-Regel Ungleichmäßigkeiten hervorbringt und Abzüge ermöglicht, die niedriger oder höher liegen als sie aufgrund der tatsächlichen Zuordnung zulässig wären, war bekannt, als Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie geschaffen wurde (vgl. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 11/1973, S. 20 - zu Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie). Vor diesem Hintergrund vermag der Einwand des Beklagten, dass der Umsatzschlüssel zum Teil erheblich von dem Flächenschlüssel abweiche, nicht zu überzeugen. Im Übrigen sind die Abweichungen der abzugsfähigen Vorsteuern im Streitfall mit 74,52 % (Umsatzschlüssel) im Vergleich zu 55 % (Nutzflächenschlüssel) geringer als in dem vom BFH entschiedenen Sachverhalt (V R 1/01, a.a.O.), in dem der BFH trotz größerer Abweichungen (abzugsfähige Vorsteuern bei einer Aufteilung nach Raumvolumina 42 %, bei einem Mietschlüssel dagegen 87 %) einen Umsatzschlüssel als sachgerechten Aufteilungsmaßstab anerkannte.
c)
Die Regelung des Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie berechtigt die Mitgliedstaaten zwar zum Ausschluss des EG-rechtlich vorgesehenen Regel-Aufteilungsmaßstabs. Ein solch ausdrücklicher Ausschluss des Umsatzschlüssels ist der gesetzlichen Regelung in § 15 Abs. 4 UStG jedoch nicht zu entnehmen.
Der Wortlaut des § 15 Abs. 4 UStG schließt die Anwendung des Umsatzschlüssels nicht eindeutig aus. Das in Satz 1 genannte Kriterium der "wirtschaftlichen Zurechnung" stellt darauf ab, inwieweit die betreffenden Vorbezüge in die steuerpflichtige Ausgangsumsätze gegenständlich oder wertmäßig eingeflossen sind. Die Ermittlung der nichtabziehbaren Teilbeträge kann dabei nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG im Wege einer sachgerechten Schätzung erfolgen. Damit eröffnet Satz 2 dem Unternehmer einen gewissen Spielraum; Satz 2 relativiert den Grundsatz der in Satz 1 vorgesehenen"wirtschaftlichen Zurechnung" insofern als der Aufteilungsmaßstab nicht ausschließlich anhand geeigneter Abrechnungsunterlagen wie z.B. Betriebsauswertungsbögen oder Kostenträgerrechnungen zu führen ist, sondern auch mittels einer"vergröbernder" bzw. pauschalierender Schätzung geführt werden darf (vgl. Heidner, UR 2002, 193, 195).
Der Umsatzschlüssel ist demnach eine - vom Wortlaut des Gesetzes gedeckte - Schätzungsmethode. Die Finanzverwaltung erkennt den Umsatzschlüssel bei der Aufteilung sonstiger gemischter Ausgangsumsätze auch an (z.B. Zahnarzt mit eigenem Labor). Der Ausschluss dieser Schätzungsmethode bei der Vermietung gemischt genutzter Gebäudeteile (Abschn. 208 Abs. 2 Satz 8 und 11 UStR) ist in § 15 Abs. 4 UStG nicht zwingend angelegt.
2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
3.
Der Senat ist der Anregung des Beklagten, die Revision zuzulassen, nicht gefolgt, da er sich der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung anschließt, die der BFH mit den vom Beklagten zutreffend zitierten Urteilen V R 1/01, 52/00, 28/01, 32/01 und 75/00 vom 17.08.2001 entwickelt hat. Damit liegt nach Auffassung des Senats weder ein Grund für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 noch nach Nr. 2 FGO vor.