Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.10.2002, Az.: 13 V 269/02

Steuerpflicht von Zinsen aus Anlagen bei der türkischen Zentralbank

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
07.10.2002
Aktenzeichen
13 V 269/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 14045
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:1007.13V269.02.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Zu den Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollziehung.

  2. 2.

    Es bestehen keine ernstlichen Zweifel, dass Zinseinnahmen deutscher Staatsangehöriger aus Anlagen bei der türkischen Zentralbank in Deutschland steuerpflichtig sind. Aus § 1 Abs. 1 EStG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 Buchst. b bb DBA-Türkei folgt, dass Zinseinkünfte aus der Republik Türkei in Deutschland unter Anrechnung der Quellensteuer zu versteuern sind.

  3. 3.

    Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Erfassung von ausländischen Zinseinnahmen keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellt.

  4. 4.

    Erscheint eine spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der Aussetzung der Vollziehung gefährdet oder erschwert, weil die Vollstreckung möglicherweise im Ausland erfolgen müsste, ist es gerechtfertigt, Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung zu bewilligen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren, über die nachträgliche Erfassung von Einnahmen aus Kapitalvermögen in den Jahren 1990 bis 2000.

2

Die Antragsteller sind deutsche Staatsangehörige türkischer Abstammung. In den ursprünglichen Einkommensteuerveranlagungen sind keine Einnahmen aus Kapitalvermögen aus der Türkei erfasst worden. Die Einkommensteuererklärungen 1990 bis 1994 sind wegen Ablauf der Aufbewahrungsvorschriften bereits vernichtet worden. In den Einkommensteuererklärungen seit 1995 sind die streitigen Einnahmen nicht erklärt worden.

3

Das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen beschlagnahmte 15 Kreditbriefe der türkischen Zentralbank, die auf den Namen des Antragstellers ausgestellt waren. Auf dieser Grundlage schätzte der Antragsgegner die Zinserträge mit Bescheiden vom xx.xx 2001 (1990) und xx.xx 2002 (1991 - 2000) wie folgt:

1990 DM   2x.xxx
1991 DM   6x.xxx
1992 DM   2x.xxx
1993 DM   7x.xxx
1994 DM   3x.xxx
1995 DM   8x.xxx
1996 DM   3x.xxx
1997 DM   9x.xxx
1998 DM   4x.xxx
1999 DM 11x.xxx
2000 DM   4x.xxx 
4

Türkische Quellensteuer wurde erst ab 1997 angerechnet, da die Antragsteller trotz Aufforderung keine weiteren Unterlagen über die Zinserträge und einbehaltenen Steuern vorgelegt haben.

5

Im Einspruchsverfahren beantragten die Antragsteller Aussetzung der Vollziehung, die mit Bescheid vom xx. xx 2002 abgelehnt wurde. Die Ablehnung wurde mit Einspruchsbescheid vom xx. xx 2002 bestätigt.

6

Im gerichtlichen Aussetzungsverfahren wird von den Antragstellern vorgetragen, dass sie die ausländischen Kapitaleinkünfte in den Jahren 1990 bis 1994 erklärt hätten. Sie hätten die Einkommensteuererklärungen in diesem Zeitraum von einem im Ruhestand befindlichen Steuerberater ausfüllen lassen. Der Steuerberater sei verstorben. Unterlagen seien nicht mehr vorhanden.

7

Erst seit 1995 seien keine Kapitaleinkünfte mehr erklärt worden. Seit diesem Zeitraum seien die Erklärungen durch einen neuen "Hobbysteuerberater" ausgefüllt worden, der den Antragstellern nur gezeigt habe, wo sie zu unterschreiben hätten.

8

Zudem seien die Zinsen von der türkischen Zentralbank nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Türkei und Deutschland in Deutschland steuerfrei.

9

Die Erhebung von ausländischen Kapitaleinkünften leide an strukturellen Mängeln und verstoße daher gegen den Gleichheitsgrundsatz.

10

Der für die Verlängerung der Festsetzungsfrist erforderliche Vorsatz für die Steuerhinterziehung sei nicht gegeben. Die türkische Zentralbank habe Ende 1989 in türkischen Zeitungen mehrfach inseriert, dass Personen, die in Deutschland leben würden und ihre Ersparnisse bei der türkischen Zentralbank einzahlen würden, von der Steuer in Deutschland befreit seien.

11

Die Antragsteller beantragen,

  1. 1.

    die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1990 bis 2000 auszusetzen

  2. 2.

    die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben.

12

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Gründe

13

Der Antrag ist nur teilweise begründet.

14

1.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durchüberwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

15

a)

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nur teilweise gegeben.

16

b)

Hinsichtlich der Einkommensteuerveranlagungen 1995 bis 2000 ist der Antrag unbegründet.

17

aa)

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel, dass die Zinseinnahmen der Antragsteller aus den Anlagen bei der türkischen Zentralbank in Deutschland steuerpflichtig sind. Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 1 EStG in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 Buchstaben b bb des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei (DBA - Türkei). Danach sind die Zinseinkünfte aus der Republik Türkei in Deutschland unter Anrechnung der Quellensteuer zu versteuern (vgl. Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Loseblattkommentar, Band IV, DBA-Türkei, Art. 11 Rz. 2 und 4, Art. 23 Rz. 32 und 33). Aus Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a des DBA - Türkei ergibt sich nichts anderes. Die dortige Regelung behandelt Zinsen, die aus der Bundesrepublik stammen und an die türkische Zentralbank gezahlt werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich um Zinsen, die von der türkischen Zentralbank gezahlt worden sind. Zudem bezieht sich die Regelung nur auf die Befreiung von der Quellensteuer (Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 11 Rz. 21).

18

Es ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Erfassung von ausländischen Zinseinnahmen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (-GG-) verstößt. Mit der Anrechnungsmethode hat die Bundesrepublik die international allgemein übliche Methode für die Behandlung ausländischer Zinseinnahmen vereinbart (vgl. Art. 11 Abs. 1 und 2 OECD-Musterabkommen in Verbindung mit Art. 23 A Abs. 2 OECD-Musterabkommen). Die Antragsteller haben weder dargelegt, gegenüber welcher Vergleichsgruppe die behauptete Ungleichbehandlung vorliegen soll, noch welche Kontrollmaßnahmen fehlen, deren Einsatz für die gleichmäßige Erhebung ausländischer Zinseinnahmen zwingend erforderlich wären.

19

Gegen die Steuerpflicht dem Grunde nach haben die Antragsteller keine weiteren Einwände erhoben. Die Antragsteller haben selbst eingeräumt, dass sie ab 1995 Kapitaleinkünfte aus der Türkei nicht erklärt haben. Die Höhe der Schätzungen wurde von den Antragstellern nicht beanstandet.

20

Da für die Jahre 1996 bis 2000 die allgemeine Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO anzuwenden ist, kommt es insoweit auf die Frage einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung nicht an. Dies gilt bei der für das Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung auch für das Jahr 1996. Da die Steuererklärung am xx.xx 1997 eingereicht worden ist, begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 1997 zu laufen. Sie endete regulär am 31. Dezember 2001. Da jedoch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen bereits im Jahr 2001 mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen begonnen hatte, lief die Festsetzungsfrist für das Jahr 1996 nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht ab (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 2002 I R 25/01 BStBl II 2002, 586 m.w.N.; Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, § 171 Rz. 68 und 69).

21

Für das Jahr 1995 ist es nicht ernstlich zweifelhaft, dass eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, so dass die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO fünf Jahre beträgt und danach die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO eingreift. Gemäß § 378 Abs. 1 Satz 1 AO handelt ordnungswidrig, wer eine Tat im Sinne des § 370 Abs. 1 AO leichtfertig begeht. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist nach dem eigenen Vorbringen der Antragsteller im Jahr 1995 verwirklicht worden. Leichtfertig handelt, wer diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Steuergesetzen verpflichtet und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten imstande ist. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Antragsteller leichtfertig handelten, als sie die Einkommensteuererklärung 1995 einreichten, in denen die Zinseinnahmen aus der Türkei nicht enthalten waren. Selbst unter Berücksichtigung des Vortrag der Antragsteller, dass in Inseraten in türkischen Zeitungen mit der Steuerfreiheit der Anlagen in Deutschland geworben worden sei, hätten sich die Antragsteller auf diese Information nicht verlassen dürfen, sondern hätten den Sachverhalt gegenüber dem Antragsgegner offen legen müssen.

22

bb)

Die Aussetzung der Einkommensteuerbescheide 1995 bis 2000 ist auch nicht geboten, weil die Vollziehung der angefochtenen Bescheide für die Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines - noch nicht bestandskräftigen - Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (vgl. Beschluss des BFH vom 24. März 1994 IV S 1/94, BStBl II 1994, 398). Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch haben sie die Antragsteller substantiiert vorgetragen.

23

b)

Hinsichtlich der Einkommensteuerveranlagungen 1990 bis 1994 ist der Antrag begründet. Es bestehen in Bezug auf die entscheidungserheblichen Tatsachen Unklarheiten, die anhand der Steuerakten und der präsenten Beweismittel nicht beseitigt werden können.

24

Eine Änderung der Steuerbescheide 1990 bis 1994 ist nur dann möglich, wenn eine zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen einer Steuerhinterziehung anzunehmen ist (§ 370 Abs. 1 AO).

25

Es ist für das Aussetzungsverfahren hinreichend zweifelhaft, ob der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist. Da die Steuererklärungen 1990 bis 1994 von dem Antragsgegner vernichtet worden sind, kann nicht mehr überprüft werden, welche Angaben die Antragsteller für die Jahre 1990 - 1994 gemacht haben. Es ist zwar nicht nachvollziehbar, weshalb der Sachbearbeiter des Antragsgegners in den Jahren 1990 bis 1994 die angeblich erklärten Einnahmen nicht erfasst haben sollte. Auch haben die Antragsteller nicht erklärt, weshalb sie nach ihrem Vortrag ab dem Jahr 1995 keine Einkünfte aus Kapitalvermögen mehr angegeben haben. Dieses wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

26

Der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist ebenfalls für das Aussetzungsverfahren hinreichend zweifelhaft. Die Antragsteller haben behauptet, dass die türkische Zentralbank in Inseraten mit der Steuerfreiheit der Anlagen geworben habe. Mit diesem Vortrag hat sich der Antragsgegner bislang nicht ausreichend auseinandergesetzt. Sollte sich dieser Vortrag im Hauptsacheverfahren bestätigen, müsste die Frage des Vorsatzes neu beurteilt werden. Zur Substantiierung ihrer Behauptung sollten die Antragsteller im Hauptsacheverfahren die Inserate mit einer deutschenÜbersetzung vorlegen.

27

c)

Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Veranlagungen für die Jahre 1990 bis 1994 liegen seit der Einspruchsbegründung vom xx.xx 2002 vor. Daher ist es gerechtfertigt, die Vollziehung mit Wirkung ab diesem Datum aufzuheben, so dass insoweit keine Säumniszuschläge verwirkt werden. Denn es ist kein Grund erkennbar, wonach der Steuerpflichtige den Rechtsnachteil aus der zeitlich verspäteten Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung tragen soll (BFH-Beschluss vom 10. Dezember 1986 I B 121/86, BStBl II 1987, 390).

28

d)

Die Aufhebung der Vollziehung für die Jahre 1990 bis 1994 erfolgt aber nur gegen Sicherheitsleistung (§§ 69 Abs. 3 Satz 1, 69 Abs. 2 Satz 3 FGO). Das Gericht ist insoweit nicht an die Anträge der Beteiligten gebunden, sondern kann gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach freiem Ermessen bestimmen, in welcher Art und Höhe die Sicherheit zu leisten ist. Die Sicherheitsleistung soll Steuerausfälle nach einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Prozessausgang vermeiden (BFH-Beschluss vom 22. Dezember 1969 V B 115-116/69, BStBl II 1970, 127; BFH-Beschluss vom 26. Mai 1988 V B 27/86, BFH/NV 1989, 329). Sie ist angebracht, wenn eine spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der Aussetzung gefährdet oder erschwert erscheint (BFH-Beschluss vom 29. November 1995 X B 328/94, BStBl II 1996, 322). Dies ist der Fall, wenn die Vollstreckung möglicherweise im Ausland erfolgen müsste (BFH-Urteil vom 27. August 1970 V R 102/67, BStBl II 1971, 1). Da sich das wesentliche Vermögen der Antragsteller in der Türkei befindet, ist von einer Erschwerung der Vollstreckung durch die Aussetzung auszugehen.

29

Von einer Sicherheitsleistung kann auch nicht Abstand genommen werden, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide bejaht worden sind. Die von den Antragstellern geltend gemachten Gesichtspunkte wurden wegen des Bestehens einer noch nicht ausreichend geklärten Tatsachenlage berücksichtigt. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass die Bescheide für 1990 bis 1994 mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sind.

30

Die Antragsteller sind auch in der Lage, Sicherheit zu leisten, da die Antragsteller nach den Ermittlungen des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen in der Türkei über ein Vermögen von über 5xx.xxx verfügen.

31

Bei der Höhe der Sicherheitsleistung ist die Höhe des möglichen Nachteils des Gegners zu berücksichtigen. Die Höhe ergibt sich aus dem durch die Aufhebung der Vollziehung entstehenden Betrags zuzüglich geschätzter Zinsen gemäß § 237 AO.

32

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.