Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.10.2002, Az.: 11 K 316/00
Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein Arbeitszimmer als Betriebsausgaben; Anfordeungen an den "anderen Arbeitsplatz"
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 31.10.2002
- Aktenzeichen
- 11 K 316/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 25431
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:1031.11K316.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 14.01.2004 - AZ: VI R 100/02
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 5 EStG
- § 4 Abs. 5 Nr. 6 Buchst. b EStG
Fundstellen
- DStR 2003, VI Heft 40 (Kurzinformation)
- DStRE 2003, 1138-1139 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2003, 298
- INF 2003, 163
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Durch das Gesetz ist nicht definiert, wann ein "anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht".
- 2.
Als "anderer Arbeitsplatz" kommt nur ein solcher in Betracht, der dem Stpfl. dauerhaft zur Verfügung steht.
- 3.
Hält ein Arbeitgeber Arbeitsplätze für seine Außendienst-Mitarbeiter im Büro nicht vor und ist ein Stpfl. nicht verpflichtet, Tätigkeiten im Büro des Arbeitgebers zu verrichten und sind Kundenbesuche der Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit, so dass objektiv nachvollziehbare Gründe vorliegen, dieses Büro gar nicht aufzusuchen, ist die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer zu bejahen.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger ein Arbeitsplatz bei seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht und deshalb Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht - beschränkt - abzugsfähig sind.
Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger erzielt als Außendienstmitarbeiter im Stahlhandel Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er nutzt ein häusliches Arbeitszimmer im eigenen Einfamilienhaus zur Anfertigung seiner Tagesberichte, gegebenenfalls Aufnahme von Bestellungen, Pflege kundenspezifischer Daten wie etwa Bedarfseinschätzungen, Erstellung von Verkaufsstatistiken und Lagerung von betrieblichen Unterlagen, Prospekten, Warenmustern und Warengeschenken. Der Kläger benötigt hierfür etwa 30 Stunden monatlich. Etwa 190 Stunden pro Monat nehmen die Kundenbesuche in Anspruch. Üblicherweise beginnt der Kläger seine Reisen um 7 bis 7.30 Uhr und kehrt um 17 bis 17.30 Uhr nach ca. 200 Fahrkilometern zurück. Der Arbeitgeber erwartet durchschnittlich 10 Kundenbesuche pro Tag.
Der Kläger suchte die ca. 13 km von seiner Wohnung entfernte Niederlassung des Arbeitgebers an etwa 3 bis 4 Freitagen monatlich zur Berichterstattung oder zur Teilnahme an Sitzungen mit den Abteilungsleitern auf, insgesamt 1996 und 1997 an 35 Tagen und 1998 an 24 Tagen. An diesen Tagen kann er in dem Großraumbüro einen Schreibtisch mit Telefon nutzen, der sonst einem Auszubildenden zur Verfügung steht. Im Anschluss an die Sitzungen plant der Kläger dort die Besuche der nächsten Woche. Die hierfür benötigten Unterlagen bringt der Kläger aus seinem häuslichen Arbeitszimmer mit. In dem Büro des Arbeitgebers verwahrt der Kläger keine Arbeitsunterlagen. In dem Büro gelten feste Arbeitszeiten von 7.45 bis 16.15 Uhr, freitags bis 14.15 Uhr.
Der Arbeitgeber hat dem Kläger eine Telefonanlage mit Telefax und Anrufbeantworter gestellt. Die vom Kläger zu bearbeitenden Posteingänge leitet der Arbeitgeber an die Wohnungsanschrift weiter. Eilige Sachen werden gefaxt.
Der Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden keine Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer zum Abzug zugelassen, weil das Arbeitszimmer nicht der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Klägers bilde und ihm in der Niederlassung ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG wurde dabei nicht um den Flächenanteil des Arbeitszimmers (8,35 v. H.) gekürzt. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.
Die Kläger teilen zwar nunmehr die Ansicht des Beklagten, das Arbeitszimmer sei nicht der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Klägers. Sie meinen aber, von den (höheren) Kosten des Arbeitszimmers seien 2.400 DM als Werbungskosten abzugsfähig, weil dem Kläger kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Der an Berichtstagen genutzte Schreibtisch sei einem Auszubildenden zugewiesen und stehe daher nicht laufend zur Verfügung. Selbst die an diesen Tagen benötigten Unterlagen müsse der Kläger in seinem Arbeitszimmer zusammenstellen und zur Niederlassung mitbringen. Zwar sei es ihm natürlich möglich, die Niederlassung des Arbeitgebers täglich aufzusuchen. Eine arbeitsvertragliche Verpflichtung dazu gebe es aber nicht. Seine tägliche Reisetätigkeit beginne vor und ende nach den Bürozeiten der Niederlassung. so dass es für den Kläger an Reisetagen keinen Sinn mache, dort tätig zu werden. Die Visitenkarte, die der Kläger den Kunden überreiche, weise nur die private Telefonnummer aus.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuerbescheide 1996, 1997 und 1998 vom 09.06.1997, vom 15.04.1998 und vom 29.03.1999, jeweils in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom 04.05.2000, zu ändern und die Einkommensteuer unter Erhöhung der Werbungskosten um jeweils 2.400 DM (je Jahr) unter Berücksichtigung der Auswirkungen für die Steuervergünstigung nach § 10 e des Einkommensteuergesetzes niedriger festzusetzen.
Der Beklagte hält an der im Einspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung fest und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Dem Kläger sind Aufwendungen für ein - unstreitig - steuerlich anzuerkennendes, nahezu ausschließlich beruflich genutztes häusliches Arbeitszimmer in der eigenen Wohnung entstanden. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind allerdings grundsätzlich nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) abzugsfähig. Dieses Abzugsverbot gilt aber bis zu einem Höchstbetrag von 2.400 DM u.a. dann nicht, wenn für die berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 9 Abs. 5 in Verbindung mit§ 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG). Diese im Streitfall auch nach Auffassung der Beteiligten allein in Betracht kommende Ausnahme vom Abzugsverbot ist hier gegeben.
Wann ein "anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht", ist gesetzlich nicht definiert. Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt dazu noch nicht vor. Die Finanzverwaltung will diese Frage nach objektiven Gesichtspunkten beurteilen. Subjektive Erwägungen des Steuerpflichtigen zur Annehmbarkeit des Arbeitsplatzes sind danach unbeachtlich. Auch ein Schreibtisch in einem Großraumbüro könne deshalb ein anderer Arbeitsplatz sein (BMF-Schreiben vom 18.02.1998 IV B 2 - S 2144 - 40/98, BStBl I 1998, 212, Tz. 12). Der Senat hält diese Auslegung zwar für zutreffend. Dem Kläger steht aber anders als der Beklagte meint, auch bei dieser Auslegung kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung.
Als anderer Arbeitsplatz des Klägers kommt hier allein ein Schreibtisch im Großraumbüro seines Arbeitgebers in Betracht. Dort steht dem Kläger aber kein Arbeitsplatz zur Verfügung. Bei dem Schreibtisch nebst Telefon, den der Kläger freitags vor und nach den Sitzungen bzw. der Berichterstattung nutzen kann, handelt es sich um einen Arbeitsplatz, der einem Auszubildenden zugewiesen ist und dem Kläger nur an den wenigen Tagen seiner Anwesenheit im Büro der Niederlassung zeitweise überlassen wird. Ein "anderer Arbeitsplatz", worunter auch nach der Auffassung des Beklagten ein "dauerhaft" verfügbarer Arbeitsplatz außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers zu verstehen ist, ist dies nicht. Arbeitsplätze für die - jetzt drei, früher fünf - Außendienstmitarbeiter hält der Arbeitgeber in dem Büro gar nicht vor. Sein Arbeitsvertrag verpflichtet den Kläger nicht, Tätigkeiten in dem Büro zu verrichten. Sämtliche Arbeitsunterlagen bewahrt der Kläger in seinem häuslichen Arbeitszimmer auf. Den Teil, den er für seine Wochenplanung vom Büro aus braucht, muss er dorthin mitbringen.
Der Streitfall unterscheidet sich daher von Formen moderner Büroorganisation, in denen der Arbeitgeber aus Kostengründen mit Rücksicht auf den Ausfall durch Krankheit, Urlaub usw. weniger Büroarbeitsplätze vorhält als Beschäftigte vorhanden sind. Dabei steht zwar keinem Beschäftigten ein bestimmter Schreibtisch zu. Für alle Beschäftigten ist jedoch jederzeit ein Schreibtisch vorhanden. Die persönlichen Arbeitsunterlagen sind in Rollcontainern gelagert, die der Beschäftigte an den Schreibtisch mitnimmt.
Der Schreibtisch steht dem Kläger an den Reisetagen auch wegen der festen Bürozeiten seines Arbeitgebers nicht zur Verfügung. Der Kläger nimmt seine Reisetätigkeit vor Öffnung des Büros auf und kommt erst nach Schließung des Büros nach Hause. Vor- und Nachbereitung der Kundenbesuche erfolgen außerhalb derÖffnungszeiten des Büros. Diese Tätigkeiten kann er zu den gleichen Zeiten nicht in dem Büro ausüben. Dass der Kläger das Büro bei späterer Abreise morgens, bei früherer Rückkehr abends oder bei anderer Routenplanung tagsüber nutzen könnte, ist nicht entscheidungserheblich. Dem Kläger geht es, wie er im außergerichtlichen Vorverfahren ausgeführt hat, darum, die Geschäftszeiten der Kunden möglichst auszunutzen. Diesem wirtschaftlich vernünftigen Anliegen würde es widersprechen, das Büro während der Öffnungszeiten aufzusuchen und dort Bürotätigkeiten zu verrichten. Solche Bürozeiten gingen zu Lasten der für Kundenbesuche zur Verfügung stehenden Zeit. Die Kundenbesuche sind aber der Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit des Klägers. Es liegen damit objektiv nachvollziehbare, in der Tätigkeit des Klägers selbst liegende Gründe dafür vor, das Büro nicht aufzusuchen.
Die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer kann nicht mit der Begründung verweigert werden, der Kläger könne sich anders verhalten, wenn das Alternativverhalten wirtschaftlich unsinnig ist. Die subjektive Annehmbarkeit eines - hier nicht vorhandenen - Arbeitsplatzes in dem Büro des Arbeitgebers stellt der Kläger nicht in Abrede.
Die Aufwendungen des Klägers für das häusliche Arbeitszimmer übersteigen die Kappungsgrenze von 2.400 DM, sodass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers statt des Arbeitnehmerpauschbetrags die tatsächlichen Werbungskosten anzusetzen und für das Arbeitszimmer weitere Werbungskosten in Höhe von 2.400 DM zu berücksichtigen sind. Da das Arbeitszimmer nicht eigenen Wohnzwecken dient, ist die bislang ungekürzte Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag des § 10 e Abs. 1 EStG um den Flächenanteil des Arbeitszimmers in Höhe von 8,35 v. H. zu mindern und der Abzugsbetrag herabzusetzen. Die Ausrechnung der festzusetzenden Steuern wird dem Finanzamt übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf§§ 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit§§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).