Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.09.2010, Az.: 11 K 279/09
Festsetzung von Aussetzungszinsen bzgl. der Aussetzung der Vollziehung bei erfolgloser Anfechtung eines Lohnsteuerhaftungsbescheides
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.09.2010
- Aktenzeichen
- 11 K 279/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 28197
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0930.11K279.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 37 Abs. 1 AO
- § 233 S. 1 AO
- § 237 Abs. 1 S. 1 AO
- § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG
Fundstellen
- AO-StB 2011, 83
- AuA 2011, 481
- DStR 2011, 10
- DStRE 2011, 836-838
- EFG 2011, 504-506
Keine Aussetzungszinsen bei Lohnsteuerhaftungsbescheid
Tatbestand
Streitig ist die Festsetzung von Aussetzungszinsen.
Der Beklagte (das Finanzamt - FA) erließ im Jahre 1997 gegen die Klägerin im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung einen auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützten Lohnsteuerhaftungsbescheid. Die hiergegen nach nur teilweisem Erfolg des Einspruchs erhobene Klage 11 K 479/07 wies das Niedersächsische Finanzgericht mit Urteil vom 24. Juli 2008 ab. Das Urteil ist seit dem 5. September 2008 rechtskräftig.
Bereits mit Erhebung des Einspruchs hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids beantragt. Der Beklagte setzte auf diesen Antrag hin die streitigen Beträge bis zur Entscheidung über den Einspruch von der Vollziehung aus. Auch die mit der Einspruchsentscheidung herabgesetzten Beträge setzte das FA auf Antrag von der Vollziehung aus.
Nach Rechtskraft des Urteils in der gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid gerichteten Klage 11 K 479/09 setzte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 2009 Aussetzungszinsen in Höhe von 18.832 EUR fest und verwies dabei auf "Streitsache: Lohnsteuer für den Zeitraum 1. Januar 1993 bis 31. März 1996".
Hiergegen richtet sich nach Erfolglosigkeit des Einspruchs die Klage.
Die Klägerin ist der Ansicht, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis seien nur dann zu verzinsen, wenn dies im Gesetz so vorgeschrieben sei. Haftungsschulden seien danach nicht zu verzinsen. Dies ergebe sich bspw. aus den Urteilen des Bundesfinanzhofes vom 25. Juli 1989 VII R 39/86, vom 25. Februar 1997 VII R 15/96 und vom 5. Oktober 2004 VII R 76/03.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 6. Januar 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung geäußerten Ansicht fest, nach der die Festsetzung der Aussetzungszinsen ausnahmsweise zur Recht erfolgt sei.
Danach sei zwar die Aussetzung der Vollziehung bei erfolgloser Anfechtung eines Haftungsbescheids grundsätzlich nicht nach§ 237 der Abgabenordnung (AO) zinspflichtig. Anders sei dies jedoch aufgrund der Besonderheiten im Lohnsteueranmeldungsverfahren bei erfolglosen Rechtsbehelfen gegen Lohnsteuerhaftungsbescheide nach § 42d EStG.
Dies ergebe sich aus dem BFH-Urteil vom 15. Mai 1992 VI R 106/88. Der BFH führe dort aus:
"Indem das FA ... gegen die Klägerin nach § 42d EStG den angefochtenen Lohnsteuer-Haftungsbescheid wegen nicht vollständig einbehaltener Lohnsteuer ... erließ, änderte es incidenter die in den Lohnsteuer-Anmeldungen dieser Jahre liegenden Steuerbescheide in Gestalt des Aufhebungsbescheids vom ... ab. Denn die Lohnsteuer-Anmeldung hat nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG alle Sachverhalte zu erfassen, die im jeweiligen Anmeldungszeitraum (§ 41a Abs. 2 EStG) zu einem Lohnzufluss (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) beim Arbeitnehmer geführt haben. Wird ein bislang zu Unrecht nicht erfasster Sachverhalt erstmals in einem Haftungsbescheid geregelt, so liegt darin eine Berichtigung der Lohnsteuer-Anmeldung. Dem steht nicht entgegen, dass das FA den Lohnsteuer-Haftungsbescheid nicht ausdrücklich als Änderungsbescheid bezeichnet hat, da es hierauf nicht ankommt. Andernfalls könnte das FA die Änderungsvorschriften dadurch unterlaufen, dass es einen Änderungsbescheid nicht auch als solchen benennt. ...
Die Annahme einer Änderung der in den Lohnsteuer-Anmeldungen liegenden Steuerbescheide in Gestalt des Steuerbescheids vom ... durch den angefochtenen Lohnsteuer-Haftungsbescheid wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Haftungsbescheide nach § 191 AO grundsätzlich nicht Steuerbescheide nach § 155 Abs.1 Satz 1 AO und Steuerbescheide umgekehrt grundsätzlich nicht Haftungsbescheide ändern können. Das ist zwar im Allgemeinen wegen des unterschiedlichen Regelungsinhalts solcher Bescheide nicht möglich. Bei Lohnsteuer-Anmeldungen bestehen jedoch Besonderheiten. Sie zeigen sich darin, dass bei solchen Anmeldungen nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kraft Gesetzes Steuerfestsetzungen auch bezüglich solcher Beträge erfolgen, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer lediglich abzuführen hat, für die er also nicht Steuerschuldner, sondern nur Haftungsschuldner nach § 42d EStG sein kann, wenn er seine Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer nicht oder nicht vollständig erfüllt. Können aber Haftungsschulden ausnahmsweise durch Steuerbescheide festgesetzt werden, so kann eine Änderung von Steuerbescheiden solchen Inhalts auch durch Bescheide erfolgen, die sonst für die Festsetzung von Haftungsschulden nach § 191 AO vorgesehen sind, nämlich durch Erlass der dort genannten Haftungsbescheide."
Indem also das FA nach erfolgter Lohnsteueraußenprüfung nach § 42d EStG den angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheid wegen nicht vollständig einbehaltener Lohnsteuer für die Jahre 1993 bis 1996 erlassen habe, habe es die - in Gestalt der Lohnsteuer-Anmeldungen dieser Jahre vorliegenden - Steuerbescheide abgeändert. Der bislang zu Unrecht nicht erfasste Sachverhalt "unversteuerte Löhne" werde erstmals in diesem Haftungsbescheid geregelt, so dass dieser Haftungsbescheid die Berichtigung der Lohnsteuer-Anmeldungen der Zeiträume Januar 1993 bis März 1996 darstelle und damit einer geänderten Steuerfestsetzung (einem geänderten Steuerbescheid) entspreche.
Aus der (inzident) geänderten Lohnsteuerfestsetzung ergebe sich nach erfolgloser Klage für den Arbeitgeber die Pflicht, die Steuernachzahlungen zu entrichten. Aufgrund der Versäumnisse der Klägerin als Arbeitgeberin habe das FA als Steuergläubiger seine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur noch von ihr, nicht mehr aber von den Arbeitnehmern als Steuerschuldnern, einfordern können. Mangels Rückgriffsmöglichkeiten habe die Klägerin die Nachzahlung letztlich aus ihrem eigenen Vermögen tragen müssen, so dass sie in diesem besonderen Fall nicht die Position eines Entrichtungsschuldners innehabe. Der Anspruch des Steuergläubigers aus dem Steuerschuldverhältnis (Lohnsteuer) richte sich somit nicht auf Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer für Rechnung eines anderen, sondern richte sich unmittelbar gegen den Arbeitgeber, der hier faktisch an die Stelle des Steuerschuldners trete.
Das von der Klägerin zitierte Urteil VII R 39/86 sei nicht einschlägig, da es dort um die Haftung des gesetzlichen Vertreters für Haftungsschulden eines Vereins (Haftung für Haftungsschulden), nicht aber um die Haftung für Lohnsteuer gehe.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist begründet.
Der Bescheid über die Festsetzung von - der Höhe nach unstreitigen - Aussetzungszinsen vom 6. Januar 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1.
Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert, oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen.
§ 237 AO ist das Gegenstück zu § 236 AO und soll verhindern, dass außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren und Steuerprozesse ohne ernsthafte Erfolgschancen geführt werden, nur um die Fälligkeit der Schuld zinslos hinauszuschieben (z.B. BFH-Urteil vom 22. Mai 2007 X R 26/05, BFH/NV 2007, 1817). Die Aussetzungszinsen sind somit das laufzeitabhängige Entgelt für die durch die Aussetzung gewährte Kapitalnutzung. Zinsen sind akzessorisch, d.h. sie setzen das Bestehen einer Hauptschuld - im Steuerrecht eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis - voraus, § 233 Satz 1 AO (Loose in Tipke/Kruse, § 233 AO Rz. 1).
Sinn und Zweck der in § 237 AO enthaltenen gesetzlichen Regelung der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht "an sich" dem Steuergläubiger zusteht (zuletzt BFH-Urteil vom 31. März 2010 II R 2/09, BFH/NV 2010, 1602 m.w.N.).
Nach der Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 25. Juli 1989 VII R 39/86, BStBl II 1989, 821) und der herrschenden Ansicht in der Literatur (Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl. 2010, § 237 Rz. 3; Loose in Tipke/Kruse, § 237 AO Rz. 3 u. 4; Kögel in Beermann/Gosch, § 237 AO Rz. 10; Schwarz, § 237 AO Rz. 6; Diebold, BB 1992, 470; kritisch Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 237 AO Rz. 12) ist§ 237 AO - entsprechend der korrespondierenden Zinsvorschrift des § 236 Abs. 1 AO - indes auf Haftungsansprüche nicht anwendbar. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO erfasst von seinem Wortlaut her nur Steuerbescheide, Steueranmeldungen oder Steuervergütungsbescheide. Ausdrücklich nicht aufgeführt sind Haftungsbescheide, so dass eine Verzinsung in letzterem Fall nicht in Betracht kommt (BFH-Urteil vom 25. Juli 1989 VII R 39/86, BStBl II 1989, 821). Es liegt auch kein Fall einer Gesetzeslücke vor, der durch eine analoge bzw. erweiternde Anwendung geschlossen werden könnte (BFH-Urteil vom 25. Juli 1989 VII R 39/86, BStBl II 1989, 821 zu § 236 AO).
2.
Nach Ansicht des erkennenden Senats vermögen hieran auch die von dem Beklagten herangezogenen Besonderheiten des Lohnsteueranmeldungsverfahrens nichts zu ändern.
a)
Eine Verzinsung der von der Klägerin als Haftungsschuldnerin angeforderten und vom Beklagten von der Vollziehung ausgesetzten Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags kommt im Hinblick auf den Wortlaut des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO nicht in Betracht.
Gegenstand der erfolglosen Klage 11 K 479/07 war der gegen die Klägerin erlassene Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 21. Februar 1997, weil diese ihre Pflichten als Arbeitgeberin nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG verletzt hatte. Gegen diesen Bescheid hatte die Klägerin Einspruch eingelegt und zugleich Aussetzung der Vollziehung beantragt sowie später Klage erhoben.
Der Haftungsbescheid ist jedoch kein Steuerbescheid und steht diesem auch nicht gleich, so dass bei der Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids keine Aussetzungszinsen entstehen können. Dies gilt nach Ansicht des erkennenden Senats uneingeschränkt auch im Fall eines Lohnsteuerhaftungsbescheids gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Die von dem Beklagten angeführten Besonderheiten des Lohnsteueranmeldungsverfahrens ändern nichts daran, dass die Klägerin als Haftungsschuldnerin zur Zahlung der von ihr pflichtwidrig nicht einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer und Lohnabzugsbeträge herangezogen wurde.
b)
Soweit der Beklagte der Ansicht ist, die Festsetzung der Aussetzungszinsen sei im Hinblick auf die nach der Rechtsprechung des 6. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) mit dem Haftungsbescheid inzidenter geänderten Lohnsteuer-Anmeldungen von § 237 Abs. 1 Satz 1 AO erfasst, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen.
Das von dem Beklagten als Stütze für seine Rechtsauffassung herangezogene BFH-Urteil vom 15. Mai 1992 (VI R 106/88, BStBl II 1993, 840) ist zunächst zu der Frage ergangen, inwieweit dem FA die Möglichkeit offen steht, nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung später für denselben Zeitraum einen Lohnsteuerhaftungsbescheid nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO wegen neuer Tatsachen zu erlassen. In diesem Zusammenhang hat der BFH ausgeführt, dass die Bestandskraft von aufgrund einer Lohnsteuer-Außenprüfung ergangenen Steuerbescheiden nicht einfach durch Erlass eines Lohnsteuerhaftungsbescheids umgangen werden kann, falls sich später herausstellt, dass ein lohnsteuerlich relevanter Sachverhalt bislang "übersehen" wurde. In diesem Fall kann die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 Satz 1 AO dem Erlass eines Lohnsteuerhaftungsbescheids entgegenstehen.
Zur Begründung hat der 6. Senat seinerzeit die bei Lohnsteuer-Anmeldungen bestehenden Besonderheiten angeführt, die sich darin zeigen, dass bei diesen nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Steuerfestsetzungen kraft Gesetzes auch bezüglich solcher Beträge erfolgen, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer lediglich abzuführen hat, für die er also nicht Steuerschuldner, sondern nur Haftungsschuldner nach § 42d EStG sein kann, wenn er seine Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer nicht oder nicht vollständig erfüllt.
Insoweit hat der BFH geurteilt, dass die in einer Lohnsteuer-Anmeldung liegende Steuerfestsetzung inzident geändert wird, falls ein bislang zu Unrecht nicht erfasster Sachverhalt erstmals in einem Lohnsteuerhaftungsbescheid geregelt wird.
Aus den Ausführungen des 6. Senats ist nach Ansicht des erkennenden Senats jedoch nicht zu schließen, dass nun aufgrund der bei Lohnsteuer-Anmeldungen "bestehenden Besonderheiten" ein erfolgloses Rechtsmittel gegen einen Lohnsteuerhaftungsbescheid - ausnahmsweise - zur Entstehung von Aussetzungszinsen führt. Insbesondere differenziert auch der 6. Senat in dem von dem Beklagten angeführten Urteil zwischen der Haftungsschuld, für die der Arbeitgeber herangezogen werden kann, falls er seiner Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer nicht oder nicht vollständig nachkommt, und der Entrichtungsschuld des Arbeitgebers bzw. der Steuerschuld des Arbeitnehmers.
Auch für den Fall, dass man die nach dem Urteil VI R 106/88 inzident geänderten Lohnsteuer-Anmeldungen als erfolglos angefochtene Verwaltungsakte ansieht, ist der Anwendungsbereich des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO nämlich nicht eröffnet.
Zwar nennt der Wortlaut des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO gerade Steuerbescheide (§ 155 Abs. 1 AO) und Steueranmeldungen (§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO). Allerdings bestimmt der Grundsatz des § 233 Satz 1 AO, dass (nur) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 AO verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist.
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind nach § 37 Abs. 1 AO der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.
Nicht von der abschließenden Aufzählung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 Abs. 1 AO erfasst wird indes die Entrichtungsschuld (Klein/Brockmeyer/Ratschow, AO, 10. Aufl. 2010, § 37 Rz. 2; Koenig in Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 37 Rz. 5 u. 6; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 37 AO Rz. 10; Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 4 u. § 33 AO Rz. 8). Demgemäß kann bspw. die Verpflichtung des Schuldners von Kapitalerträgen, die Steuer für Rechnung der Gläubiger der Kapitalerträge zu entrichten, einzubehalten und abzuführen, nicht nach § 222 AO gestundet werden (BFH-Urteil vom 24. März 1998 I R 120/97, BStBl II 1999, 3).
Im Hinblick auf die mit dem Erlass des Lohnsteuerhaftungsbescheids zugleich inzident geänderten Lohnsteuer-Anmeldungen (Lohnsteuerfestsetzungen) hat das FA gegenüber der Klägerin als Arbeitgeberin ausschließlich einen Anspruch auf Entrichtung der einbehaltenen Lohnsteuer (Entrichtungsschuld). Zwischen dem Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner und dem FA als Gläubiger des Lohnsteueranspruchs besteht gerade kein Steuerschuldverhältnis. Den Arbeitgeber trifft nach § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG zwar die Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung und zur Abführung der Lohnsteuer, er ist jedoch nicht Schuldner der Lohnsteuer. Dies ist und bleibt der Arbeitnehmer, § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG.
Soweit in Rechtsprechung und Literatur teilweise der Begriff der "Entrichtungssteuerschuld" herangezogen wird (BFH-Urteile vom 30. Oktober 2008 VI R 10/05, BStBl II 2009, 354 und vom 7. Juli 2004 VI R 168/01, BFH/NV 2005, 357; Schmidt-Drenseck, EStG, 29. Aufl. 2010, § 41a Rz. 6; Heuermann, StuW 2006, 332; BFH-Beschluss vom 14. Juli 1999 I B 151/98, BStBl II 2001, 556) vermag dies an dem Vorgesagten nach Ansicht des Gerichts nichts zu ändern. Hierdurch soll nach dem Verständnis des Senats vielmehr hervorgehoben werden, dass auch die Entrichtungsschuld gleichsam als "eigene Steuerschuld" - und anders als die Haftungsschuld - den §§ 155 ff. AO unterfällt.
c)
Schließlich gibt es auch weder eine Pflicht noch einen Anspruch, Ansprüche aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu verzinsen. Eine solche Pflicht bzw. ein solcher Anspruch besteht vielmehr nur, soweit dies im Gesetz bestimmt ist. Insoweit ist § 233 Satz 1 AO Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens. Im öffentlichen Recht gibt es gerade keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass Geldschulden zu verzinsen sind, es bedarf vielmehr stets einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung (Loose in Tipke/Kruse, § 233 AO Rz. 1).
Bei den Verzinsungstatbeständen der AO handelt es sich durchweg um Spezialregelungen, die der Gesetzgeber bewusst eng gefasst hat, und aus denen kein allgemeiner Rechtsgrundsatz für andere öffentlich-rechtliche Geldforderungen abgeleitet werden kann (BFH-Urteil vom 25. Juli 1989 VII R 39/86, BStBl II 1989, 821).
Da eine solche gesetzliche Grundlage im Streitfall nicht gegeben ist - der Haftungsanspruch des Beklagten gegen die Klägerin ist zwar ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO, wird aber von der Zinsvorschrift des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO nicht erfasst, der Anspruch des FA gegen die Klägerin auf Entrichtung der inzident geänderten Lohnsteuer ist bereits kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis,§§ 233 Satz 1, 37 Abs. 1 AO - war der Klage stattzugeben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
III.
Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zugelassen.