Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.09.2010, Az.: 12 K 478/08
Zeitlicher Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 für die Einkommensteuer 2002/ 2003
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.09.2010
- Aktenzeichen
- 12 K 478/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 28593
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0928.12K478.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 14.04.2011 - AZ: VI R 82/10
Rechtsgrundlagen
- § 46 Abs. 2 EStG
- § 52 Abs. 55j S. 1 EStG
- § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO
Fundstelle
- EFG 2011, 533-536
Hinweis
Hinweis: Verbundenes Verfahren
Verbundverfahren:
FG Niedersachsen - 28.09.2010 - AZ: 12 K 479/08
Einkommensteuer 2002 und Einkommensteuer 2003
Zeitlicher Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des JStG 2007
Tatbestand
Strittig ist, ob der Kläger für die Veranlagungszeiträume 2002 und 2003, in denen er im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. In keinem der Jahre bezog der Kläger Einkünfte und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterlagen.
Der Kläger stellte durch Abgabe der Einkommensteuererklärung 2002 am 30.12.2005 einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer 2002.
Diesen lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 18.01.2006 ab, da die zweijährige Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. nicht eingehalten worden war.
Am 06.02.2006 erging gegen den Kläger ein Feststellungsbescheid, wonach ihm Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Jahr 2002 in Höhe von EUR ./. 3.638,00 zugerechnet wurden.
Durch Abgabe der Einkommensteuererklärung 2003 am 23.03.2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer 2003. Hierbei erklärte der Kläger auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 449,10.
Am 13.06.2006 erging gegen den Kläger ein Feststellungsbescheid, wonach ihm Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Jahr 2003 in Höhe von EUR ./. 3.989,00 zugerechnet wurden.
Eine Veranlagung des Klägers für das Jahr 2003 wurde von dem Beklagten durch Bescheid vom 31.07.2006 abgelehnt, da weder die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 vorlägen, noch die zweijährige Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. eingehalten worden sei.
Gegen die Bescheide vom 18.01.2006 und vom 31.07.2006 legte der Kläger am 05.10.2006 Einspruch ein, der von dem Beklagten durch Einspruchsbescheid vom 20.02.2007 als unzulässig verworfen wurde.
Durch Schreiben vom 14.12.2007 stellte der Kläger bei dem Beklagten erneut einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer 2002 und zur Einkommensteuer 2003. Die Einkommensteuererklärungen reichte er am 22.01.2008 bei dem Beklagten ein, wobei er außer den oben genannten Einkünften keine weiteren erklärte.
Die erneuten Anträge auf Veranlagung lehnte der Beklagte durch Bescheide vom 18.08.2008 ab.
Gegen diese Bescheide legte der Kläger am 17.09.2008 Einspruch ein, der von dem Beklagten durch Einspruchsbescheide per einfachen Brief vom 10.11.2008 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Durch seine bei Gericht am 12.12.2008 eingegangenen Klagen begehrt der Kläger weiterhin seine Veranlagung zur Einkommensteuer 2002 und zur Einkommensteuer 2003.
Der Kläger ist der Auffassung, dass infolge der Grundlagenbescheide die Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO vorläge und danach eine Veranlagung durchzuführen sei.
Auch ist er der Auffassung, dass sich sein Anspruch auf Veranlagung aus der Neufassung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m.§ 52 Abs. 55j S. 2 EStG ergebe. Eine Veranlagung nach den genannten Normen sei möglich, wenn über "einen" Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer am 28.12.2007 noch nicht bestandskräftig entschieden worden sei. Die Formulierung "einen" Antrag anstelle der Formulierung "den" Antrag zeige, dass der Gesetzgeber nicht von einem einmaligen Antrag ausgegangen sei, dass vielmehr mehrfache Beantragungen der Veranlagung möglich seien.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Finanzamt zu verpflichten, unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 18. August 2008 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsbescheide vom 10. November 2008 den Kläger für die Veranlagungszeiträume 2002 und 2003 entsprechend der eingereichten Steuererklärungen zur Einkommensteuer zu veranlagen.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass eine erneute Antragstellung nicht nach der Regelung des § 52 Abs. 55j S. 2 EStG erfolgreich sein könne, wenn zuvor wegen Ablaufs der bisherigen Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 a.F. EStG ein Antrag auf Veranlagung bestandskräftig abgelehnt worden sei.
Der erneute Antrag könne die eingetretene Bestandskraft des Ablehnungsbescheides nicht gemäß §§ 172ff AO durchbrechen.
Am 06.07.2010 wurde mit den Beteiligten in öffentlicher Sitzung verhandelt. Hierbei wurden durch Beschluss die Verfahren Az. 12 K 478/08 (Einkommensteuer 2002) und Az.
12 K 479/08 (Einkommensteuer 2003) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Nach Verzicht der Beteiligten auf mündliche Verhandlung und Vertagung der Sitzung hat das Gericht am 28.09.2010 ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Entscheidungsgründe
A.
Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Der Kläger ist nicht zur Einkommensteuer 2002 und 2003 zu veranlagen.
Besteht das Einkommen - wie im Streitfall - ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird entsprechend § 25 Abs. 1 EStG eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.
I. Pflichtveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG
Eine Veranlagung ist nicht nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durchzuführen.
a. Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F.
Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. ist Voraussetzung einer Pflichtveranlagung, dass die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, mehr als 410 Euro beträgt.
Eine solche positive Summe bestimmter Einkünfte ist im Streitfall weder im Veranlagungszeitraum 2002 noch im Veranlagungszeitraum 2003 gegeben.
Im Streitjahr 2002 liegen überhaupt keine positiven Einkünfte vor mit Ausnahme solcher, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind hingegen mit Bescheid vom 06.02.2006 mit einem negativen Betrag festgestellt worden.
Im Streitjahr 2003 liegen hingegen positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 449,10 vor. Aufgrund der festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von EUR ./. 3.989,00 ergeben sich jedoch insgesamt negative Einkünfte im Sinne der betreffenden Norm, so dass § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. auch im Streitjahr 2003 nicht erfüllt ist.
b. Zeitlicher Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F.
Nach Auffassung des erkennenden Senats kommt vorliegend § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. zur Anwendung.
Zwar ist die Neufassung dieser Norm erst durch Gesetz vom 13.12.2006 in das Einkommensteuergesetz eingefügt worden, sie ist aber nach ihrer Anwendungsregelung in § 52 Abs. 55j S. 1 EStG auch schon auf die vor dem Jahre 2006 liegenden Streitzeiträume anzuwenden.
Eine verfassungswidrige Rückbewirkung von Rechtsfolgen liegt im Streitfall nicht vor.
Dabei kann offen bleiben, ob nach der Altfassung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Pflichtveranlagung hätte durchgeführt werden müssen.
Selbst wenn man die Altfassung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in dieser Weise verstehen würde, wofür die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, Urteile vom 21.09.2006, Az. VI R 47/04, VI R 52/04, BFH/NV 2009, 755 und VI R 47/05, BStBl. II 2007, 47, spricht, so wäre vorliegend die Rückbewirkung der Rechtsfolgen durch den Gesetzgeber rechtmäßig.
(1) Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.F.
Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.F. war eine Veranlagung durchzuführen, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, mehr als 410 Euro beträgt.
Der BFH hat in seinen Urteilen vom 21.09.2006 ausgeführt, dass Einkünfte im Sinne dieser Vorschrift auch dann vorliegen, wenn die Erwerbsaufwendungen die Erwerbseinnahmen übersteigen.
Damit kann nach Auffassung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, auch die im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.F. maßgebende Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, sowohl positiv als auch negativ sein.
Der BFH hat in seinen genannten Entscheidungen angenommen, dass auch negative Einkünften die Schwelle von EUR 410 überschreiten können. Dies deshalb, da nach seiner Auffassung bei einer negativen Summe der Einkünfte für den Vergleich mit der Schwelle von EUR 410 nicht auf die negative Summe selbst, sondern auf ihren betragsmäßigen Wert abzustellen sei.
Bis zum Ergehen der genannten BFH-Entscheidungen wurde in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung hingegen davon ausgegangen, dass Verluste nicht zu einer Veranlagung nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 EStG a.F. führen könnten (vgl. z.B. Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 13.11.2003, Az. 5 K 2804/03 oder FG Hamburg, Urteil vom 02.06.2005, Az. VI 260/03).
(2) Rechtfertigung der Rückbewirkung der Rechtsfolgen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. nach § 52 Abs. 55j S. 1 EStG
Zwar wäre bei einer Auslegung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.F. entsprechend der genannten BFH-Urteile bezüglich des Klägers eine Pflichtveranlagung durchzuführen gewesen.
Entgegen der Auffassung des FG Köln, Beschluss vom 23.01.2008, Az. 10 K 6227/04, EFG 2008, 872, bewegt sich die vorliegende rückwirkende Gesetzesänderung, welche eben diese Pflichtveranlagung verhindert, (noch) im Rahmen des dem Gesetzgeber zuzubilligenden Gestaltungsspielraums.
Dabei kann offen bleiben, ob tatsächlich der vorliegende Geschehensablauf unter keine der vom FG Köln aufgeführten Fallgruppen subsumiert werden kann.
Er entspricht nämlich dem vom Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 14.03.2006, Az. I R 1/04, BStBl. II 2006, 549, sowie dem Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 10.07.2009, 1 BvR 1416/06, BFH/NV 2009, 1768 und dem Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 15.10.2008, 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187, gebilligten gesetzgeberischen Vorgehen. Der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung der Bundesgerichte schließt sich der erkennende Senat an.
Der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil zur sogenannten Mehrmütterorganschaft vom 14.03.2006 Ausführungen zur Zulässigkeit der Rückbewirkung von Rechtsfolgen gemacht, welche auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden können und nach denen gemäß § 52 Abs. 55j S. 1 EStG§ 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. auf den Streitfall zur Anwendung kommt, dessen Voraussetzungen unstreitig nicht erfüllt sind.
(a)
Nach der vom Bundesverfassungsgericht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze entwickelten Systematik verletzt eine steuerbegründende oder steuererhöhende Norm in der Regel rechtsstaatliche Grundsätze, wenn sie für Veranlagungszeiträume gelten soll, die im Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossen waren ("echte" Rückwirkung, "Rückbewirkung von Rechtsfolgen", vgl. etwa BVerfG-Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78; vom 5. Februar 2002 2 BvR 305/93, BVerfGE 105, 17, 40).
(b)
Für das Steuerrecht gibt es allerdings, anders als für das Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG), kein explizites und absolutes verfassungsrechtliches Rückwirkungsverbot (vgl. BFH-Urteil vom 8. Juni 2000 IV R 37/99, BFHE 193, 85, 91, BStBl II 2001, 162, 165 , m.w.N.). Der Erlass rückwirkender belastender Steuergesetze wird vielmehr durch die allgemeinen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit weitgehend ausgeschlossen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 97, 67, 79 [BVerfG 03.12.1997 - 2 BvR 882/97], m.w.N.; vgl. hierzu auch Maurer in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts --HStR--, Bd. III, 2. Aufl., § 60 Rn. 17; Mellinghoff, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft --DStJG-- 27 [2004], S. 29).
Diese Grundsätze werden verletzt, wenn der Gesetzgeber an bereits abgeschlossene Tatbestände nachträglich ungünstigere Rechtsfolgen knüpft als diejenigen, von denen der Steuerpflichtige bei seinen Dispositionen ausgehen durfte (BVerfG-Urteil vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 271; BFH-Urteile vom 10. Juli 1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811 ; in BFHE 193, 85, [BFH 08.06.2000 - IV R 37/99] BStBl II 2001, 162). Dabei kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen der einzelnen Betroffenen und ihre individuelle Situation an, sondern allein darauf, ob die Rechtslage, auf die sich der Steuerpflichtige beruft, bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe zu begründen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 20. Oktober 1971 1 BvR 757/66, BVerfGE 32, 111, 123; ebenso Maurer, HStR III, § 60 Rn. 35). Beurteilen lässt sich dies nicht abstrakt, sondern nur unter Würdigung aller Umstände der konkreten Regelung (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 32, 111, 123 [BVerfG 20.10.1971 - 1 BvR 757/66]).
Dementsprechend haben es das BVerfG und der BFH in bestimmten Fällen für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, wenn der Steuergesetzgeber durch ein rückwirkendes Gesetz lediglich eine in der Vergangenheit herrschende Rechtspraxis kodifiziert, um so einer zwischenzeitlich erfolgten Rechtsprechungsänderung entgegenzuwirken (BVerfG-Urteil vom 23. Januar 1990 1 BvL 4-7/87, BVerfGE 81, 228, 239; BFH-Urteil vom 14. April 1986 IV R 260/84, BFHE 146, 411, 413, BStBl II 1986, 518, 519 ).
(c)
Im Streitfall werden die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit von den hier maßgeblichen Bestimmungen nicht verletzt.
Auf der Grundlage der genannten langjährigen Finanzgerichtsrechtsprechung, welche auch in der Literatur auf Zustimmung gestoßen war (vgl. z.B. Glanegger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 25. Auflage 2006, § 46 Rn. 51) entsprach es allgemeiner Auffassung zu Pflichtveranlagungen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.F. bis zum Ergehen der Senatsurteile vom 21.09.2006, dass lediglich eine positive Summe der Einkünfte die Voraussetzungen dieser Norm zu erfüllen vermochte.
Diese Rechtspraxis hat der Steuergesetzgeber zeitnah nach Ergehen der Urteile vom 21.09.2006 durch Gesetz vom 13.12.2006 (Jahressteuergesetz 2007) aufgegriffen und festgeschrieben, wobei von den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen die Rückwirkung des von ihnen erlassenen Gesetzes erkannt und ausdrücklich auch gewünscht wurde (vgl. Bundestagsdrucksache vom 19.10.2006, Drucksache 16/2712, Begründung Zu Artikel 1, Zu Nummer 36a "... Die Klarstellung ist geboten, weil in mehreren Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof die Auffassung vertreten worden ist, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der bisherigen Fassung sei nicht zu entnehmen, dass bei der Prüfung der Einkünftegrenze (800 DM/410 EUR) allein positive Einkünfte entscheidend und negative Einkünfte nicht zu berücksichtigen seien. Diese Auffassung wird entsprechend einer jahrzehntelangen Besteuerungspraxis und der nahezu einhelligen Meinung im Fachschrifttum nicht geteilt. ...").
Damit sind die Rechtsfolgen, die sich rückwirkend aus § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. für das Streitjahr ergeben, nicht ungünstiger als diejenigen, von denen bei objektiver Betrachtung alle betroffenen Steuerpflichtigen bis zum Bekanntwerden der Rechtsprechungsänderung vom 21.09.2006 bei ihren Dispositionen ausgehen mussten.
Ob der Kläger hingegen die Änderung der Rechtsprechung vorausgesehen und sich auf sie eingestellt hatte, ist nicht maßgeblich. Da er bis zum 14.12.2007 wartete, um als seine einzig erkennbare Disposition beim beklagten Finanzamt erneut eine Veranlagung zu begehren, hat er zumindest im Zeitraum von der Verkündung der Rechtsprechungsänderung (21.09.2006) bis zur hier gegenständlichen Gesetzesänderung (13.12.2006) keine Disposition getroffen.
Da die Anordnung der Rückwirkung der Rechtsfolgen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. vorliegend gegenüber dem Kläger gerechtfertigt ist, bedarf es keiner einschränkenden, verfassungskonformen Auslegung der genannten Norm (so wohl auch Urteil des 7. Senats des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 25.04.2007, Az. 7 K 102/05, DStRE 2008, 752, 753 a.E.).
II. Pflichtveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 2-7 EStG
Auch das Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 2-7 EStG kann der erkennende Senat nicht feststellen.
III. Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG
Vorliegend kommt auch eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (Antragsveranlagung) nicht in Betracht.
a. Voraussetzungen einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F.
Eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 a.F. EStG scheitert bereits daran, dass der Antrag auf Veranlagung vom Kläger erst durch Schreiben vom 14.12.2007 für die Veranlagungszeiträume 2002 und 2003 und damit erst nach Ablauf der Zweijahresfrist vom Kläger bei dem Beklagten gestellt wurde.
b. Zeitlicher Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist auf den von ihm gestellten Antrag auch § 46 Abs. 2 Nr. 8 a.F. EStG und nicht § 46 Abs. 2 Nr. 8 n.F. EStG anzuwenden, welcher auf die hier entscheidende Antragsfrist verzichtet.
Dies ergibt sich aus der Anwendungsregelung des § 52 Abs. 55j S. 2 EStG.
Gemäß § 52 Abs. 55j S. 2 EStG ist § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und --hier einschlägig-- in Fällen, in denen am 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist.
Letzteres trifft hier nicht zu. Bestandskräftige Ablehnungen der Anträge des Klägers auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung 2002 und 2003 liegen mit den am 18.01.2006 bzw. 31.07.2006 von dem Beklagten erlassenen Bescheiden vor.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 52 Abs. 55j S. 2 EStG auf die diesen Bescheiden zu Grunde liegenden Anträge des Klägers vom 30.12.2005 bzw. 23.03.2006 abzustellen und nicht auf die (erneuten) Anträge vom 14.12.2007.
Zwar ist es zutreffend, dass über die zuletzt gestellten Anträge des Klägers am 28.12.2007 noch nicht bestandskräftig entschieden war. Richtig ist jedoch auch, dass über die zuerst gestellten Anträge bereits bestandskräftig entschieden war.
Würde man der Auffassung des Klägers folgen, wäre in allen Fällen, in denen bis zum 28.12.2007 eine erneute Antragstellung nach vorheriger bestandskräftiger Ablehnung erfolgt ist, eine Antragsveranlagung durchzuführen.
Nach der Rechtsprechung des Bundsfinanzhofs, vgl. Urteil vom 12.11.2009, Az. VI R 1/09, BStBl. II 2010, 406, ist § 52 Abs. 55j S. 2 EStG aber ebenfalls anwendbar, wenn ein (erstmaliger) Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 nach dem 28.12.2007 gestellt wird.
Die Auffassung des Klägers zu Grunde gelegt ergäbe, dass auch eine erneute Antragstellung nach dem 28.12.2007 nach vorheriger bestandskräftiger Ablehnung einer solchen zu einer Antragsveranlagung führen würde. Ein solches Verständnis würde dazu führen, dass nach § 52 Abs. 55j S. 2 EStG in allen Fällen auf Antrag eines Steuerpflichtigen eine Antragsveranlagung auch für Veranlagungszeiträume vor 2005 durchzuführen wäre, womit das vom Gesetzgeber als zusätzliche Voraussetzung für diese Veranlagungszeiträume vorgesehene Tatbestandsmerkmal "in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist" keine Bedeutung mehr zukäme.
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist jedoch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber zusätzliche Tatbestandsmerkmale nur dann in ein Gesetz aufnimmt, wenn er ihnen auch einen Anwendungsbereich zumisst. Die zuvor dargestellte Auslegung des betreffenden Tatbestandsmerkmals würde jedoch dazu führen, dass ebendies nicht der Fall ist. Daher ist sie abzulehnen.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 52 Abs. 55j S. 2 EStG eine erneute Antragstellung durch Steuerpflichtige nach vorangegangener bestandskräftiger Ablehnung nicht vorhergesehen hat.
Nach Auffassung des Bundsfinanzhofs, vgl. Urteil vom 15.01.2009, Az. VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755, wollte der Gesetzgeber mit der genannten Überleitungsvorschrift alle noch offenen - zahlenmäßig offenbar nur wenige - Fälle ohne zusätzliche Prüfung weiterer Fragen einer umfassenden Erledigung zuführen.
Bei einer erneuten Antragstellung nach vorheriger bestandskräftiger Ablehnung liegt aber gerade kein noch offener Fall vor. Mithin widerspräche es der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung festgestellten Absicht des Gesetzgebers, wenn auch der Kläger von der Überleitungsvorschrift profitieren würde, zumal dann auch nicht mehr nur von zahlenmäßig wenigen Verfahren ausgegangen werden könnte.
IV. Veranlagung gemäß der Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO
Gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit Grundlagenbescheide, denen Bindungswirkung für diese Steuerbescheide zukommt, erlassen werden.
Um solche Grundlagenbescheide handelt es sich bei den einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheiden vom 06.02.2006 und vom 13.06.2006 in Bezug auf die Einkommensteuer 2002 bzw. 2003.
§ 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 kann nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 8.April 1986 IX R 214/84, BFH/NV 1987, 157) jedoch nicht dahin verstanden werden, dass andere Hindernisse als die formelle Bestandskraft durchbrochen werden.
Damit überwindet die Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO lediglich die Bestandskraft der Ablehnungsbescheide vom 18.01.2006 (2002) und vom 31.07.2006 (2003).
Hingegen stehen einer Veranlagung des Klägers vorliegend auch die Regelungen des §§ 25, 46 Abs. 2 Nr. 1 - 8 EStG entgegen. Damit führen auch die Grundlagenbescheide nicht über die Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu einer Veranlagung des Klägers in den Streitjahren.
V. Festsetzungsverjährung
Da nach dem zuvor ausgeführtem schon keine Norm ersichtlich ist, welche vorliegend dem Kläger einen Anspruch auf Veranlagung zur Einkommensteuer 2002 und 2003 gewährt, kann es offen bleiben, ob einer solchen Veranlagung, wie von der Beklagten vorgebracht, der Eintritt der Festsetzungsverjährung gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegenstünde.
B.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
C.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO.
Der Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu, als es um die Zulässigkeit rückwirkender Gesetzesbeschlüsse geht.
Insoweit, als diese im Hinblick auf § 52 Abs. 55j S. 1 EStG in dem vorliegenden Urteil abweichend von dem Beschluss des FG Köln vom 23.01.2008 beurteilt wird, dient die Revision auch der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.