Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.09.2010, Az.: 3 K 12136/06
Möglichkeit der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 Abgabenordnung (AO) durch einen negativen Feststellungsbescheid; Voraussetzungen der Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO; Wirksamkeit eines "kombinierten positiv-negativen Feststellungsbescheides"
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.09.2010
- Aktenzeichen
- 3 K 12136/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 26395
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0908.3K12136.06.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 19.01.2011 - AZ: X B 204/10
Rechtsgrundlagen
- § 122 Abs. 1 AO
- § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO
- § 171 Abs. 10 AO
- § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO
- § 180 AO
- § 182 Abs. 1 AO
- § 183 Abs. 1 S. 5 AO
Fundstellen
- DStR 2011, 8
- DStRE 2011, 838-842
- EFG 2011, 15-18
Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO durch negativen Feststellungsbescheid
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Festsetzungsfrist bereits vor Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1977 bis 1982 (Streitjahre) abgelaufen war.
Die Kläger bilden eine Erbengemeinschaft, die sich aus den Rechtsnachfolgern der am 28.8.1998 verstorbenen Erblasserin zusammensetzt. Der Kläger zu 3) ist gleichzeitig Testamentsvollstrecker.
Die Erblasserin war bis 31.5.1973 als Gesellschafterin an einer Vermögens- und Grundstücksverwaltungs-Kommanditgesellschaft (im Folgenden: dieKG ) mit Sitz in Hamburg beteiligt. Mit ihrem Ausscheiden traten die Kläger als Kommanditisten in die KG ein. Als persönlich haftende Gesellschafterin der KG wurde die V. GmbH tätig, deren Geschäftsführer der Kläger zu 3) war. Die Erblasserin hatte dem Kläger zu 3) ferner eine notariell beurkundete Generalvollmacht erteilt.
In den Jahren 1969 und 1971 brachte die Erblasserin mehrere Grundstücke unter Vorbehalt eines lebenslangen Nießbrauchs in die KG ein. Der Nießbrauch wurde später wegen der Belastung eines Grundstücks mit einem Erbbaurecht auf Beteiligungserträge, Erbbauzinsen und andere Surrogate erweitert. Aufgrund dieser vertraglichen Regelungen erhielt die Erblasserin Zahlungen von der KG, die Grundstücks-, Kapital- und Beteiligungserträge enthielten. Die KG erfasste diese Nießbrauchszahlungen in den Jahresabschlüssen, buchte sie auf einem Verrechnungskonto als Verbindlichkeiten und behandelte sie steuerlich als Betriebsausgaben.
In den Jahren bis 1973 erklärte die Erblasserin die Einkünfte aus der KG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Dabei setzte sie ausdrücklich als vorläufig bezeichnete Beträge an oder vermerkte "von Amts wegen berücksichtigen". Im Übrigen verwies sie unter Angabe der dortigen Steuernummer auf das für die KG zuständige Betriebs-Finanzamt in Hamburg.
In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1974 gab die Erblasserin Beteiligungseinkünfte in Höhe von ca 86.000 DM bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb an; diese Summe umfasste den Betrag von etwa 50.000 DM, den die Erblasserin (zusätzlich zu den in den Vorjahren gemachten Angaben) mit dem Hinweis "Nießbrauch" versah. Für das Jahr 1975 erklärte sie unter Angabe der gleichen Informationen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Anteil am Gewinn der "(...) KG (Nießbrauch)" in Höhe von etwa 40.000 DM.
Im Jahr 1976 wurden die Einkünfte in gleicher Weise mit dem Hinweis "von Amts wegen berücksichtigen" wieder als Einkünfte aus Gewerbebetrieb angesetzt. Auf eine Anfrage des Beklagten teilte das Betriebs-Finanzamt der KG mit, dass bei dieser derzeit eine Betriebsprüfung durchgeführt werde. In den Erläuterungen zum Einkommensteuer-Bescheid teilte der Beklagte mit, dass die Beteiligungseinkünfte in Ermangelung einer Mitteilung über die anteiligen Einkünfte an der KG mit 50.000 DM geschätzt würden.
Für die Streitjahre (1977 bis 1982) reichte die Erblasserin Einkommensteuererklärungen bei dem Beklagten ein, und zwar für das Jahr 1977 am 11.12.1978, für das Jahr 1978 am 15.10.1979, für das Jahr 1979 am 19.12.1980, für das Jahr 1980 am 23.10.1981, für das Jahr 1981 am 6.12.1982 und für das Jahr 1982 am 2.4.1984. Hierin wurden die Einkünfte als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit dem Vermerk "von Amts wegen berücksichtigen" und dem Hinweis auf das Betriebs-Finanzamt von der Erblasserin erklärt.
Der Festsetzung der Einkommensteuer durch die Bescheide für das Jahr 1977 vom 6.11.1979, für das Jahr 1978 vom 5.12.1980, für das Jahr 1979 vom 12.3.1981 und für das Jahr 1980 vom 13.10.1983 legte der Beklagte bei den Einkünften der Erblasserin aus Vermietung und Verpachtung jeweils im Schätzungswege ermittelte Nießbrauchseinkünfte in Höhe von 50.000 DM zugrunde. Mitteilungen des Betriebsfinanzamts über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte lagen dem Beklagten nicht vor.
Auf der jeweiligen Anlage V der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1981 bis 1982 gab die Erblasserin an, die Einkünfte wegen "Nießbrauch an diversen Grundstücken (...) KG, Hamburg" seien von Amts wegen zu berücksichtigen. Anders als in den Vorjahren wurden von dem Beklagten bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens jedoch keine entsprechenden Einkünfte in Ansatz gebracht.
Am 3.10.1979 erließ das Betriebs-Finanzamt infolge einer - auch bei der KG durchgeführten - Außenprüfung für die Jahre 1969 bis 1972 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO ) geänderten Feststellungsbescheid mit der Erläuterung, dass der Bescheid hinsichtlich der Einkünfte der KG teilweise vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO ergehe, da die Höhe der Einkünfte noch nicht endgültig festgestellt wurden". In der Folge änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid der Erblasserin und erklärte diesen "hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung" für teilweise vorläufig, da "die Art und Höhe der Beteiligungen noch nicht festgestellt wurden".
Mit Schreiben vom 2.5.1984 wandte sich der Kläger zu 3) als Vertreter der Erblasserin wegen der Nießbrauchseinkünfte an den Beklagten und teilte u.a. mit:
"Mit Anlage zu den Steuerbescheiden 1969 bis 1978 vom 2.12.1981 haben Sie die Nießbrauchsbeträge der Steuerpflichtigen für die Jahre 1969 bis 1973 in der vom Finanzamt Hamburg-(...) Ihnen mitgeteilten Höhe berücksichtigt und diese Erträge für die Jahre 1974 bis 1978 mit DM 50.000,-- p.a. geschätzt. Offenbar sind Ihnen bisher die entsprechenden endgültigen Beträge aus Hamburg noch nicht mitgeteilt worden. Sie betragen für
1974 DM 193.980,-- 1975 DM 75.629,-- 1976 DM 382.831,--. Die Erträge ab 1977 werden sich u.U. noch verändern durch eine inzwischen begonnene weitere Betriebsprüfung des Finanzamts Hamburg-(...), deren Ergebnisse Ihnen anschließend mitgeteilt werden.
Bitte berücksichtigen Sie bei den Berichtigungsveranlagungen für 1974 ff. sowohl die bisher geschätzten je 50.000,-- p.a. als auch den Verlustvortrag aus den Jahren 1972 und 1973."
Eine Anfrage des Beklagten vom 4.12.1984 nach der Höhe der Einkünfte für die Jahre 1978 bis 1983 beantwortete das Betriebs-Finanzamt in Hamburg mit Schreiben vom 7.12.1984 wie folgt: "Der Steuerfall befindet sich zur Zeit in der Betriebsprüfung. Nach Beendigung wird Ihnen eine ESt 4 B-Mitteilung zugesandt."
Für die Jahre 1977 bis 1982 wurden für die KG beim Betriebs-Finanzamt in Hamburg in den Jahren 1982 und 1983 vom Kläger zu 3) unterzeichnete Feststellungserklärungen eingereicht. Dabei wurde die Erblasserin nicht als Feststellungsbeteiligte benannt. Die KG machte die an die Erblasserin geleisteten Nießbrauchszahlungen als Betriebsausgaben geltend und verteilte das verbleibende Betriebsergebnis auf die Gesellschafter. Das Betriebs-Finanzamt in Hamburg erteilte im Wesentlichen erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Gewinnfeststellungsbescheide, und zwar am 31.3.1983 für die Jahre 1977 bis 1979, am 27.9.1983 für das Jahr 1980 und am 4.2.1987 für die Jahre 1981 und 1982. Die Erblasserin erhielt keinen Bescheid. Eine Anfechtung der Bescheide erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 14.4.1989 teilte das Betriebs-Finanzamt in Hamburg dem Beklagten mit, im Rahmen der bei der KG für die Jahre 1976 bis 1983 durchgeführten steuerlichen Außenprüfung festgestellt zu haben, dass der Erblasserin die ihr im Rahmen eines Nießbrauchsrechts bisher originär zugerechneten Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen sowie Vermietung und Verpachtung nicht originär zuzurechnen seien, weil die Erblasserin die Einkünfte nicht selbst erwirtschafte. Bei den Nießbrauchserträgen handele es sich vielmehr um eine private Versorgungsrente in Form einer dauernden Last, die die Erblasserin zu 100 v. H. nach § 22 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG ) zu versteuern habe. Bei den Gesellschaftern der KG seien die entsprechenden Beträge gemäß § 10 EStG als Sonderausgaben abzugsfähig. Auf einen dem Schreiben als Anlage beigefügten Auszug aus dem Prüfungsbericht wurde verwiesen.
Nach der dem Schreiben beigefügten Kontrollmitteilung hatte die Erblasserin in den Streitjahren folgende Einnahmen im Sinne des§ 22 Nr. 1 EStG erzielt:
Jahr | Einkünfte |
---|---|
1976 | 382.831 DM |
1977 | 493.238 DM |
1978 | 181.510 DM |
1979 | 383.577 DM |
1980 | 531.343 DM |
1981 | 551.689 DM |
1982 | 573.168 DM |
Das Betriebs-Finanzamt in Hamburg erteilte für die KG am 15.6.1989 für die Jahre 1976 bis 1982 jeweils unter Hinweis auf § 164 Abs. 2 AO einen geänderten Feststellungsbescheid; der Vorbehalt der Nachprüfung wurde hierdurch aufgehoben. Als Feststellungsbeteiligte wurden die Kläger und die V. GmbH genannt. Die Bekanntgabe des Bescheides erfolgte an den Kläger zu 3) für die KG. Die Erblasserin gehörte nicht zu den Feststellungsbeteiligten, sie wurde im Feststellungsbescheid nicht genannt.
Am 11.9.1989 erteilte der Beklagte unter Hinweis auf § 164 Abs. 2 AO für die Jahre 1976 bis 1982 geänderte Einkommensteuerbescheide, durch die die dem Beklagten mitgeteilten sonstigen Einkünfte (Einnahmen abzüglich Werbungskosten-Pauschbetrag) - statt der bisher von der Erblasserin erklärten Einkünfte - angesetzt wurden. Hiergegen legte die Erblasserin am 20.9.1989 Einspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, der Beklagte sei aus Verjährungsgründen daran gehindert gewesen, geänderte Einkommensteuerbescheide zu erlassen. Insbesondere sei der Ablauf der Verjährungsfrist nicht nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt worden.
Im Zuge der Bearbeitung der gegen die geänderten Bescheide vom 11.9.1989 eingelegten Einsprüche regte der Beklagte bei dem Betriebs-Finanzamt in Hamburg an, einen entsprechenden negativen Feststellungsbescheid hinsichtlich der Nicht-Beteiligung der Erblasserin an der KG zu erteilen. Dieser negative Feststellungsbescheid wurde daraufhin am 30.11.1993 durch das Betriebs-Finanzamt in Hamburg mit der Aussage erlassen, dass eine Aufteilung von Besteuerungsgrundlagen im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1976 bis 1982 auf die Erblasserin nicht stattfinde. Die Erblasserin sei in diesen Jahren nicht Mitunternehmerin der KG gewesen.
Am 28.12.1993 erteilte der Beklagte für die Jahre 1977 bis 1982 unter Hinweis auf die Korrekturnorm des § 175 Abs. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide. Die jeweils festgesetzte Einkommensteuer wurde nicht geändert.
Sowohl gegen den negativen Feststellungsbescheid als auch gegen die Änderungsbescheide vom 28.12.1993 legte die Erblasserin Einsprüche ein.
Mit Einspruchsbescheid vom 9.4.2003 wies das Betriebs-Finanzamt den gegen den negativen Feststellungsbescheid eingelegten Rechtsbehelf als unbegründet zurück. Die hiergegen bei dem Finanzgericht Hamburg erhobene Klage wurde durch Urteil vom 29.6.2004 (V 95/03, [...]) mit der Begründung abgewiesen, der Erlass des negativen Feststellungsbescheides sei rechtmäßig und insbesondere innerhalb der Feststellungsfrist erfolgt. Die gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 3.6.2005 (VIII B 203/04, nicht veröffentlicht) als unzulässig verworfen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 17.2.2006 wies der Beklagte im Hinblick auf die Jahre 1977 bis 1982 die Einsprüche als unbegründet zurück.
Die Kläger haben am 17.3.2006 Klage erhoben.
Sie machen geltend, der Hinweis auf eine Mitunternehmerschaft in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1976 habe auf einem Versehen des damaligen Steuerberaters beruht. Mit dem Schreiben vom 2.5.1984 habe der Kläger zu 3) dem Beklagten mitgeteilt, der für das Jahr 1976 zu berücksichtigende Nießbrauchsbetrag belaufe sich auf 382.831 DM. Dem Beklagten sei bei Erlass der geänderten Bescheide vom 11.9.1989 bekannt gewesen, dass die Erblasserin nicht Gesellschafterin der KG gewesen sei. Die Festsetzungsfrist sei bereits vor Erlass der Bescheide abgelaufen gewesen.
Der negative Feststellungsbescheid vom 30.11.1993 sei ein "nullum". Dieser Bescheid führe nicht dazu, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt werde, und er dürfe von dem Beklagten nicht ausgewertet werden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Bescheid rechtmäßig sei, berechtige er den Beklagten nicht zur Änderung der Folgebescheide, weil er lediglich die Regelung des Feststellungsbescheides vom 15.6.1989 wiederhole. Der Feststellungsbescheid sei ihm als Bevollmächtigten der KG, aber auch als Bevollmächtigten der Erblasserin zugegangen.
Für den Erlass des negativen Feststellungsbescheides habe - auch und gerade für das Betriebs-Finanzamt in Hamburg - kein Feststellungsinteresse vorgelegen. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Erblasserin im Jahre 1973 aus der Gesellschaft ausgeschieden sei. Es habe kein Anlass für die Annahme bestanden, dass die Erblasserin nach ihrem Ausscheiden an der Gesellschaft noch beteiligt gewesen sei. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang auf die Einkommensteuererklärungen und die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, die Schreiben des Betriebs-Finanzamts in Hamburg vom 14.9.1989 und vom 19.10.1989. Auch in den geänderten Bescheiden vom 11.9.1989 sei von "wiederkehrenden Bezügen", nicht aber von Beteiligungseinkünften die Rede. In den für die KG erstellten Feststellungserklärungen für die Jahre 1973 bis 1998 sei die Erblasserin nicht als Mitunternehmerin benannt worden.
Der Erlass des Bescheides vom 30.11.1993 beruhe allein auf der Anregung des Beklagten und auf der Sorge, dass die Festsetzungsfrist bereits vor Erteilung der angefochtenen Bescheide vom 11.9.1989 abgelaufen sei. Dies gehe aus dem entsprechenden Schriftwechsel zwischen beiden beteiligten Finanzämtern hervor.
Die Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.02.2006 (betreffend 1977 bis 1982) die Einkommensteuerbescheide 1977 bis 1982 vom 11.09.1989 in der Fassung der Änderungsbescheide 1977 bis 1982 vom 28.12.1993 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre wegen des wirksam ergangenen negativen Feststellungsbescheides nicht verjährt waren. Dem Feststellungsbescheid komme Bindungswirkung für den Beklagten zu. Er führe nach§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu einer Änderungspflicht, da er nicht lediglich eine wiederholende, sondern eine erstmalige Feststellung dahingehend treffe, dass die Erblasserin keine Mitunternehmerin der KG ist.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.
Der Beklagte konnte die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre 1977 bis 1982 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern und die rechtlichen Folgen daraus ziehen, dass die Erblasserin nicht als Mitunternehmerin der KG zu qualifizieren ist. Die Festsetzungsfrist stand dem nicht entgegen.
Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
a.
Der negative Feststellungsbescheid des Betriebs-Finanzamts in Hamburg vom 30.11.1998 ist ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für den Einkommensteuerbescheid der Erblasserin zukommt.
Ist ein bestimmter steuerlich relevanter Sachverhalt zunächst Gegenstand eines Feststellungsverfahrens, so ist das für den Folgebescheid zuständige Finanzamt durch die Bindung an den Feststellungsbescheid gehindert, abschließend eigene Ermittlungen vorzunehmen. Erst die Aufhebung des Feststellungsbescheides erlaubt es dem Finanzamt, das den Folgebescheid zu erlassen hat, den Sachverhalt selbständig zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, um aufgrund dessen den Folgebescheid entsprechend zu erlassen oder zu ändern (BFH v. 11.5.1993 - IX R 27/90, BStBl. II 1993, 820). Dieser verfahrensrechtlichen Konsequenz hat die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dadurch Rechnung getragen, dass sie im Falle der ersatzlosen Aufhebung eines Grundlagenbescheides eine Änderung des Folgebescheides nach§ 175 Abs. 1 Nr.1 AO zugelassen hat (vgl. BFH v. 30.10.1986 - IV R 175/84, BStBl II 1987, 89).
Dieselben verfahrensrechtlichen Folgerungen ergeben sich auch in den Fällen, in denen ein zunächst eingeleitetes Feststellungsverfahren im Sinne von § 180 AO zu einem negativen Feststellungsbescheid führt. Unter Berücksichtigung der von der Bindungswirkung ausgehenden Kompetenzverteilung im Verwaltungsverfahren sieht die für den Folgebescheid zuständige Finanzbehörde regelmäßig von einer selbständigen Ermittlung des Sachverhalts und dessen steuerrechtlichen Beurteilung solange ab, bis ein - ggf. negativer - Feststellungsbescheid ergeht. Erst der negative Feststellungsbescheid eröffnet dem für den Folgebescheid zuständigen Finanzamt die Möglichkeit, den Sachverhalt, der bisher Gegenstand des Feststellungsverfahrens war, in eigener Zuständigkeit zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen. Über diese verfahrensrechtliche Konsequenz hinaus kommt dem negativen Feststellungsbescheid auch Bindungswirkung insoweit zu, als die verfahrensrechtliche Frage der Notwendigkeit einer gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäߧ 180 AO selbständig und abschließend entschieden wird. Dementsprechend sind negative Feststellungsbescheide auch als Grundlagenbescheide mit Bindungswirkung im Sinne der §§ 175 Abs. 1 Nr. 1, 171 Abs. 10 AO zu beurteilen (BFH v. 11.5.1993 - IX R 27/90, BStBl. II 1993, 820; v. 13.12.1985 - III B 84/85, BFH/NV 1986, 476; v. 27.3.1991 - I B 187/90, BStBl II 1991, 643).
Sowohl die Erblasserin als auch der Beklagte sind im Streitfall ersichtlich von dieser Kompetenzverteilung zwischen der Beklagten und dem Betriebs-Finanzamt ausgegangen, nach der das Betriebs-Finanzamt die Einkünfte der Erblasserin aus der KG gesondert und einheitlich festzustellen und der Beklagte eine selbständige Ermittlung dieser Einkünfte nicht durchzuführen hatte. In sämtlichen Einkommensteuererklärungen der Streitjahre hat die Erblasserin daher ausdrücklich unter Angabe der Steuernummer auf das Betriebs-Finanzamt der KG verwiesen und angemerkt, die Höhe der Beträge sei "von Amts wegen" zu berücksichtigen. Der Beklagte ist sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach den Angaben der Erblasserin gefolgt und hat in den Anmerkungen zu den Steuerbescheiden der Streitjahre auf die Vorläufigkeit des Ansatzes hingewiesen. Gleichzeitig hat er regelmäßig beim Betriebs-Finanzamt Erkundigungen über den Verfahrensstand eingeholt und wurde auf die nach Abschluss der Betriebsprüfung bei der KG ergehende "ESt 4B-Mitteilung", also die Gewinnfeststellungsbescheide hingewiesen. Zuletzt hat der Kläger zu 3) mit seinem Schreiben vom 2.5.1984 für die Höhe der Nießbrauchseinkünfte der Erblasserin auf die ausstehenden Feststellungen des Betriebs-Finanzamts verwiesen. Eine eigenständige Ermittlung von Art und Höhe der Einkünfte der Erblasserin durch den Beklagten war auch nicht durch die von der Erblasserin in ihre Steuererklärungen aufgenommenen Hinweise auf den Nießbrauch geboten. Das Vorliegen eines Nießbrauchs schließt das Erfordernis einer einheitlichen und gesonderten Feststellung nicht aus, denn auch ein Nießbrauchsbesteller kann weiterhin als Mitunternehmer zu qualifizieren sein (vgl. z.B. BFH v. 23.5.1996 - IV R 87/93, BStBl. II 1996, 523; v. 1.3.1994 - VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241). Ebenfalls unerheblich war, welcher Einkunftsart die Einkünfte der Erblasserin zugeordnet wurden, da die zu treffende Zuordnung aufgrund des erwarteten Feststellungsbescheides erfolgen sollte und auch insoweit eine Bindungswirkung bestand.
Der Beklagte hat somit offensichtlich im Hinblick auf die von allen Beteiligten angenommene Notwendigkeit einer einheitlichen und gesonderten Feststellung und die sich daraus ergebende Zuständigkeitsverteilung jegliche eigene Untersuchung des zugrunde liegenden Sachverhaltes unterlassen. Erst durch den negativen Feststellungsbescheid vom 30.11.1993 wurde mit Bindungswirkung festgestellt, dass eine einheitliche und gesonderte Feststellung mit Wirkung für und gegen die Erblasserin nicht stattfindet.
b.
Mit dem negativen Feststellungsbescheid vom 30.11.1993 wurde ein Grundlagenbescheid (erstmalig) erlassen.
Die Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass der Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Im Umfang der in § 182 Abs. 1 AO festgelegten Bindungswirkung muss es also entweder zu einer erstmaligen Regelung oder zu einer inhaltlichen Veränderung des bisherigen Regelungszustands kommen (vgl. BFH v. 13.12.2000 - X R 42/96, BStBl II 2001, 471). Ein Grundlagenbescheid, der den Regelungsgehalt des Folgebescheids unberührt lässt, löst keine Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO aus (vgl. BFH v. 12.1.1995 - IV R 83/92, BStBl. II 1995, 488). Infolgedessen bietet ein Grundlagenbescheid, soweit er, bezogen auf seinen verbindlichen Inhalt, für einen Folgebescheid nur als Wiederholung zu werten ist, für dessen Korrektur keine Rechtsgrundlage (vgl. BFH v. 13.12.2000 - X R 42/96, BStBl II 2001, 471).
Dem negativen Feststellungsbescheid des Betriebs-Finanzamts in Hamburg vom 30.11.1993 kommt nicht lediglich wiederholender Charakter zu. Er enthält vielmehr die erstmalige (bindende) Feststellung, dass die Erblasserin keine Mitunternehmerin der KG ist.
Diese (negative) Feststellung ist dem Feststellungsbescheid vom 15.6.1989 nicht zu entnehmen. Dieser Feststellungsbescheid enthält ausdrücklich vielmehr nur die (positiven) Feststellungen über die Zuordnung des Gewinns der KG an die an ihr beteiligten Mitunternehmer. Die Erblasserin war aber gerade keine Mitunternehmerin. Grundsätzlich schließt zwar jede positive Feststellung bei einer einheitlichen Gewinnfeststellung darüber, wer Mitunternehmer ist, denkgesetzlich die stillschweigende Feststellung ein, dass andere Steuerpflichtige hinsichtlich des Betriebs, auf den sich die Gewinnfeststellung bezieht, keine Mitunternehmer sind. Allerdings kann ein Bescheid, der keine ausdrückliche negative Feststellung hinsichtlich der Mitunternehmerschaft einer Person trifft, ein solcher Regelungsinhalt auch nur dann mit bindender Wirkung zugewiesen werden, wenn dieser sich aus dem Gesamtinhalt des Bescheides erkennbar entnehmen lässt (vgl. z.B. BFH v. 16.12.1997 - VIII R 32/90, BStBl. II 1998, 480; v. 7.4.1987 - VIII R 259/84, BStBl. II 1987, 766; v. 26.3.1991 - VIII R 20/91, BFH/NV 1991, 793; vgl. dazu auch Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung. Kommentar, § 179 AO Rz. 121 [Stand: November 2004]). Im Streitfall kann dieser Regelungsgehalt des Feststellungsbescheides angenommen werden, denn er bezieht sich auf die Betriebsprüfung bei der KG. In Tz. 18 des Betriebsprüfungsberichtes wird ausdrücklich festgestellt, dass die Erblasserin nicht Mitunternehmerin der KG geworden ist.
Die Wirksamkeit eines solchen "kombinierten positiv-negativen Feststellungsbescheides" setzt aber - wie die jedes Steuerverwaltungsaktes - nach § 122 Abs. 1 AO die Bekanntgabe an alle von ihm Betroffenen voraus, also auch an die von der negativen Feststellung Betroffenen (BFH v. 7.4.1987 - VIII R 259/84, BStBl. II 1987, 766). Eine Bekanntgabe des Feststellungsbescheides vom 15.6.1989 an die Erblasserin ist jedoch nicht erfolgt. Er ist lediglich an den Kläger zu 3) für die KG ergangen, nicht aber auch für die Erblasserin. Dass der Kläger zu 3) letztlich auch Generalbevollmächtigter der Erblasserin war, spielt keine Rolle, weil der Bescheid an ihn nicht auch mit Wirkung für die Erblasserin ergangen ist. Da die Erblasserin gerade nicht Mitunternehmerin der KG ist, ist sie im Bescheid verwendeten Sammelbezeichnung "KG" nicht erfasst. Darüber hinaus wäre die erleichterte Bekanntgabe nach § 183 Abs. 1 Satz 5 AO für Zwecke der negativen Feststellung nicht zulässig (BFH v. 26.3.1991 - VIII R 20/91, BFH/NV 1991, 793).
Ginge man allerdings davon aus, dass der Feststellungsbescheid auch der Erblasserin gegenüber bekannt gegeben worden wäre, hätte der Beklagte die Feststellung, dass die Erblasserin keine Mitunternehmerin der KG ist, bereits aufgrund dessen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO im Rahmen der Einkommensbesteuerung der Erblasserin berücksichtigen müssen, was dann zutreffend durch die Änderungs-Bescheide vom 11.9.1989 erfolgt wäre.
Mangels einer wirksamen und bindenden (negativen) Feststellung über die Mitunternehmerstellung der Erblasserin erfolgte diese somit erstmalig durch den - wie das Finanzgericht Hamburg zutreffend festgestellt hat - zulässigen negativen Feststellungsbescheid.
c.
Der Beklagte durfte und musste nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO die Folgerungen aus dem negativen Feststellungsbescheid hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre ziehen.
Nach dem Erlass eines negativen Feststellungsbescheides hat das für den Folgebescheid zuständige Finanzamt den Sachverhalt in eigener Zuständigkeit zu ermitteln, steuerlich zu beurteilen und die entsprechende Folgeentscheidung zu treffen bzw. einen vorhandenen Folgebescheid entsprechend zu ändern (BFH v. 11.5.1993 - IX R 27/90, BStBl. II 1993, 820; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung. Kommentar, § 182 AO Rz. 46 [Stand: November 2004]).
Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte die entsprechenden Änderungen bereits vor Erlass des negativen Feststellungsbescheides am 11.9.1989 vorgenommen hat, denn nach § 155 Abs. 2 AO besteht die Möglichkeit, einen Folgebescheid schon vor Erlass des Grundlagenbescheides zu erteilen. Mit den Bescheiden vom 28.12.1993, durch die die festgesetzte Einkommensteuer unverändert geblieben ist, wurde inhaltlich lediglich die Begründung der Bescheide an den ergangenen Grundlagenbescheid angepasst.
d.
Der Änderung stand auch nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen.
Die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) war bei Erlass der geänderten Bescheide vom 11.9.1989 und vom 28.12.1993 zwar bereits abgelaufen; für das Jahr 1982 endete diese Frist am 31.12.1988. Das Ende der Frist wurde jedoch nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt. Danach endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides, soweit für die Festsetzung der Steuer ein Grundlagenbescheid bindend ist.
Der negative Feststellungsbescheid wurde am 30.11.1993 erlassen, so dass die zweijährige Ablaufhemmung und damit die Festsetzungsfrist bei der Bekanntgabe der geänderten Einkommensteuerbescheide am 28.12.1993 noch nicht abgelaufen war.
2.
Die von den Klägern beantragte Vorlage der Feststellungs- und Betriebsprüfungsakten der Finanzverwaltung Hamburg und die Vorlage des Schriftwechsels zwischen dem Finanzamt Göttingen und der Strafsachenstelle Braunschweig war für die Entscheidung des Gerichts mangels Erheblichkeit der Unterlagen für die rechtliche Würdigung des Falles nicht erforderlich.
II.
Gründe, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, bestehen nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.