Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.05.2016, Az.: 1 LB 7/16

bauliche Anlage; gebäudegleiche Wirkung; Grenzabstand; Stacheldraht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.05.2016
Aktenzeichen
1 LB 7/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43560
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.03.2009 - AZ: 2 A 344/08

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine aus Sperrwiderhakendraht (Stacheldraht) gebildete Sperranlage auf einer Gefängnismauer ist hinsichtlich der Frage, ob von ihr gebäudegleiche Wirkungen i.S.d. § 12a Abs. 1 NBauO 2003 ausgehen, getrennt von der eigentlichen Mauer zu beurteilen.

Gebäudegleiche Wirkungen entfaltet eine Anlage, wenn sie insbesondere aufgrund ihrer Ausführung die Belichtung, Besonnung und Belüftung des Nachbargrundstücks beeinträchtigt. Der Umkehrschluss aus § 12a Abs. 2 Nr. 1 NBauO 2003 ergibt nicht, dass das bei Einfriedungen stets der Fall ist.

Psychische Beeinträchtigungen, wie sie von Stacheldrahtrollen ausgehen mögen, sind keine gebäudegleiche Wirkung.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer - vom 19. März 2009 teilweise geändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Entfernung einer Sperranlage aus Stacheldrahtrollen auf der Außenmauer der ihrem Wohngrundstück unmittelbar benachbarten Justizvollzugsanstalt (JVA) A-Stadt, da sie sich durch diese optisch beeinträchtigt fühlen.

Die Kläger sind Eigentümer des wohl seit Ende des 19. Jahrhunderts mit einem geräumigen Wohnhaus bebauten Grundstücks A-Straße in A-Stadt, das mit seiner 25 m langen Nordseite unmittelbar an das im Landeseigentum stehenden Gefängnisgrundstück angrenzt. Das Grundstück ist durch Bebauungsplan aus dem Jahr 2002 als Mischgebiet, die benachbarten Grundstücke sind als „Sondergebiet Justizvollzugsanstalt“ festgesetzt.

Ende der 1970er Jahre plante das beklagte Land Umbauten auf dem Gelände der JVA, die u.a. die Errichtung der Gefängnismauer an ihrer heutigen Stelle und, von dem streitigen Drahtbesatz abgesehen, in ihrer heutigen Form beinhaltete. Im Nachgang zu einer Verfügung vom 22. Mai 1978 erteilte die Bezirksregierung Lüneburg am 11. Juli 1978 ihre bauaufsichtliche Zustimmung zur teilweise geänderten Stellung der Baumaßnahmen auf dem Grundstück. Gleichzeitig erteilte sie nach Maßgabe der Bauvorlagen Befreiung u.a. von § 7 Abs. 1 NBauO hinsichtlich der teilweisen Grenzbebauung mit der Gefängnismauer unter dem Vorbehalt, dass „der Grundstückstausch in der beantragten Form zustande komme.“ Tags darauf schloss das beklagte Land mit einem der Rechtsvorgänger der Kläger den angesprochenen notariellen Flächentauschvertrag. Das Grundstück A-Straße umfasste damals das (noch bestehende) Flurstück H. und das Flurstück I., das in das jetzige Gelände der JVA hineinreichte. Letzteres wurde aufgeteilt in das (ebenfalls noch bestehende) Flurstück J. mit dem Wohnhaus und ein Flurstück K.. Im Tauschwege erhielten das beklagte Land das Flurstück K. und der Rechtsvorgänger der Kläger das westlich angrenzende Flurstück L.. In § 7 des Vertrages ließ sich das beklagte Land gegen Zahlung eines Betrages von 14.500 DM das Recht einräumen, an der Nordseite des Grundstücks A-Straße eine bis zu 5 m hohe Umwehrungsmauer zu errichten und zu unterhalten. In einer Anlage zum Protokoll des Vertragsabschlusses ist insoweit die Nordgrenze der Flurstücke L. und J. markiert. Zugleich bewilligte der Rechtsvorgänger der Kläger die Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit im Grundbuch, die am 8. November 1978 ohne Angabe der Höhenbegrenzung, aber unter Bezugnahme auf eine „Bewilligung vom 12. Juli 1978“ eingetragen wurde. Als „betroffenes Grundstück“ ist darin – durch Verweisung auf die laufende Nummer 4 – das Flurstück L. bezeichnet. Die Umwehrungsmauer wurde bis 1980 in einem Abstand von einem Meter zur Grundstücksgrenze errichtet. Dabei wurde die zugelassene Höhe von 5 m offenbar als Mindesthöhe behandelt; infolge von Geländeunebenheiten liegt die Maueroberkante vor dem Grundstück der Kläger teilweise darüber.

Die Kläger erwarben das Grundstück A-Straße im Jahr 2002; im Jahr 2005 erwarben sie ein schmales westlich angrenzendes Flurstück hinzu; dieses ist ebenfalls mit einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (u.a. Recht zur Errichtung und Unterhaltung einer Umwehrungsmauer) belastet.

Ebenfalls im Jahr 2005 begann die Beklagte unter Änderung bisher schon vorhandener Sicherungseinrichtungen mit der Montage zusätzlicher Sicherungen auf der schräg nach innen geneigten Mauerkrone, u.a. zwei Rollen aus Sperrwiderhakendraht (S-Draht), so dass die Gesamthöhe der Anlage nunmehr ca. 6,70 m beträgt. Auf Einwendungen der Kläger fanden vergebliche Einigungsgespräche zwischen den Beteiligten statt. Mit Schreiben vom 4. April 2007 forderten die Kläger das beklagte Land auf, die Sperranlage zu entfernen. Dieses teilte mit Schreiben vom 18. Mai 2007 mit, dass es keine Möglichkeit für den Rückbau gebe.

Am 22. November 2007 haben die Kläger zunächst vor dem Landgericht Lüneburg Klage erhoben. Dieses hat das Verfahren mit Beschluss vom 8. Mai 2008 an das Verwaltungsgericht Lüneburg verwiesen. Zur Begründung ihrer Klage haben die Kläger vorgetragen, die Drahtrollen beeinträchtigten das äußere Erscheinungsbild des Gartens sowie des gesamten Grundstücks extrem und vermittelten den optischen Eindruck einer militärischen Sperranlage, wie sie seinerzeit an der ehemaligen innerdeutschen Grenze bestanden habe. Sie seien weder mit dem Inhalt der Dienstbarkeit noch mit den Vorschriften der NBauO über Grenzabstände zu vereinbaren. Dem beklagten Land sei es möglich und zumutbar, die Sicherheit der JVA durch andere Maßnahmen zu gewährleisten. Vor der Montage der Rollen im Jahr 2005 habe sich auf der Mauer jedenfalls kein von ihrem Grundstück aus sichtbarer Draht befunden. Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Störung zu beseitigen, die sich daraus ergibt, dass die auf ihrem Grundstück errichtete Umwehrungsmauer der JVA A-Stadt, soweit sie an der Grundstücksgrenze des klägerischen Grundstücks A-Straße, Bl. 8702 des Grundbuches von A-Stadt, errichtet worden ist, eine Höhe von 5 m überschreitet und als Sperranlage mit zwei über die Mauerkrone hinweggehenden zusätzlichen Lagen S-Draht ausgestaltet ist.

Das Verwaltungsgericht hat das beklagte Land mit dem angegriffenen Urteil vom 19. März 2009 verpflichtet, die Sperranlage an der Mauer der Grenze zum Grundstück der Kläger, die mit zwei über die Mauerkrone hinweggehenden zusätzlichen Lagen S-Draht ausgestaltet sei, zu beseitigen, und die Klage im Übrigen unter hälftiger Teilung der Kosten abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die von den Klägern begehrten Veränderungen komme als Anspruchsgrundlage nur ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Er sei mit der (einfachen) Leistungsklage zu verfolgen. Ein Anspruch auf Folgenbeseitigung komme in Betracht, wenn durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden sei. Der Anspruch sei auf die Wiederherstellung des Zustandes gerichtet, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestanden habe; er sei ausgeschlossen, wenn die Wiederherstellung des früheren Zustandes durch Beseitigung der unmittelbaren Folgen tatsächlich oder rechtlich nicht möglich oder dem Hoheitsträger nicht zumutbar sei. Die Anbringung der S-Drahtrollen in einer Höhe von mehr als 5 m verstoße gegen § 12a NBauO. Eine Ausnahme nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 NBauO komme nicht in Betracht. Die Kläger seien nicht aufgrund der bestehenden Grunddienstbarkeit zugunsten der Beklagten zur Duldung des Drahtaufbaus auf der Gefängnismauer verpflichtet. Der Folgenbeseitigungsanspruch sei auch nicht verwirkt. Anderes gelte für das Begehren, den eine Höhe von 5 m übersteigenden Teil der Gefängnismauer zu beseitigen; insoweit sei Verwirkung eingetreten.

Mit Beschluss vom 16.2.2010 – 1 LA 77/09 – hat der Senat die Berufung zugelassen. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Senat am 16.1.2012 und in A-Stadt am 14.3.2013 mündlich verhandelt; die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden. Am 15.1.2013 hat das Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration (nachfolgend: Nds. Sozialministerium) gem. § 82 NBauO die Zustimmung zu der strittigen Baumaßnahme und gleichzeitig eine Befreiung gemäß § 86 Abs. 2 NBauO a.F. von den Abstandsvorschriften erteilt. Gegen diese Entscheidung haben die Kläger unter dem 13.2.2013 vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Das beklagte Land trägt vor:

Ein Verstoß gegen Abstandsbestimmungen liege nicht vor. Von den S-Drahtrollen, die aufgrund ihrer abweichenden Wirkungsweise getrennt von der Mauer betrachtet werden könnten, gehe keine gebäudegleiche Wirkung aus. Mit Erteilung der Zustimmungserklärung vom 15.1.2013, die nicht aufgehoben worden sei, sei ein Folgenbeseitigungsanspruch zudem ausgeschlossen. Das Land habe einen Anspruch auf Anpassung der 1978 vereinbarten Dienstbarkeit an die heutigen Gefängnisverhältnisse. Ein Rückbau sei zudem unzumutbar. Der nunmehr angebrachte Aufsatz sei zur Sicherung der Anstalt zwingend erforderlich. In ihr seien Schwerverbrecher mit hoher krimineller Energie untergebracht. Wegen der beengten Verhältnisse sei es nicht möglich, die Gefangenen von der Mauer fernzuhalten. Alternative Sicherungsmöglichkeiten seien geprüft worden, jedoch nicht gleichwertig; die streitgegenständliche Sicherungsmaßnahme sei bundesweiter Standard. Um dies zu erkennen, bedürfe es einer Vorlage seines Sicherheitskonzepts nicht. Die Rückbaukosten seien erheblich und könnten mit Folgeaufwendungen in die Millionen gehen.

Das beklagte Land beantragt,

das angegriffene Urteil teilweise zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Errichtung der Sperranlagen auf der Mauer der JVA an der Grenze zum Grundstück des Klägers, die mit zwei über die Mauerkrone hinweggehenden zusätzlichen Lagen S-Draht ausgestaltet ist, rechtswidrig war und bis heute rechtswidrig ist,

hierzu hilfsweise,

festzustellen, dass die Errichtung der Sperranlage auf der Mauer der JVA an der Grenze zum Grundstück des Klägers, die mit zwei über die Mauerkrone hinweggehenden zusätzlichen Lagen S-Draht ausgestaltet ist, rechtswidrig war.

Sie machen geltend, die Anbringung der Drahtrollen verletze § 12a NBauO a.F.. Von ihnen gehe gebäudegleiche Wirkung aus; sie seien aufgrund ihrer massiven Tragvorrichtungen und ihrer Rollenform keineswegs einem Maschendraht vergleichbar; sie versperrten die Sicht und behinderten teilweise den Lichteinfall. Im Übrigen handele es sich um Einfriedungen, die nach § 12a Abs. 2 Nr. 1 NBauO a.F. nur bis zur Höhe von maximal 2 m keinen Abstand zu halten brauchten. Aus der dortigen Berücksichtigung auch durchsichtiger Einfriedungen ergebe sich im Umkehrschluss, dass Einfriedungen stets gebäudegleiche Wirkung entfalteten. Anders als Stützmauer und Zaun im dem Senatsbeschluss vom 3.9.2015 – 1 LA 58/15 – zugrunde liegenden Fall seien Gefängnismauer und S-Drahtrollen auch keiner getrennten Beurteilung zugänglich, da sie einer einheitlichen Funktion dienten und die Drahtrollen nicht ohne die Mauer hätte montiert werden können. Auf die Verletzung der nachbarrechtlichen Vorschriften komme es aber in letzter Konsequenz nicht an, da für die Umwehrungsmauer selbst nur eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit zur Errichtung der Mauer bestehe. Die Ergänzung der Drahtrollen sei von dieser Dienstbarkeit nicht gedeckt; die Kläger müssten sie also schon zivilrechtlich nicht hinnehmen.

Die zwischenzeitlich erteilte Befreiung stehe ihrem Folgenbeseitigungsanspruch nicht entgegen, denn sie sei rechtswidrig. Das Ministerium habe seine Entscheidung in Unkenntnis der Bauakten und des Sicherheitskonzepts und ohne Anhörung der übrigen Nachbarn der Maueranlage getroffen. Auf dieser Grundlage habe es keine sachgerechte Abwägung zwischen dem Wohl der Allgemeinheit und Nachbarinteressen treffen können. Vorsorglich – falls der Senat meine, eine Folgenbeseitigung käme nicht in Betracht, solange noch eine rechtmäßige Befreiungsentscheidung denkbar sei – werde hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperranlage beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist insgesamt abzuweisen, da den Klägern der geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch nicht zusteht (1.). Über die hilfsweise gestellten Feststellungsanträge muss nicht entschieden werden (2.).

1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Beseitigung der Sperranlagen.

Aus den insoweit zutreffenden Gründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils, von deren Wiederholung gemäß § 130b Satz 2 VwGO abgesehen wird, käme ein auf dieses Ziel gerichteter öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch der Kläger in Betracht, wenn die Montage der S-Drahtrollen auf der Gefängnismauer § 12a NBauO 2003 verletzte. Das ist indes nicht der Fall.

Nach § 12a Abs. 1 NBauO 2003 müssen bauliche Anlagen, die wie die hier in Rede stehende Gefängnismauer nebst Sperranlage keine Gebäude sind, wie Gebäude Abstand nach den §§ 7 bis 10 NBauO (nur) halten, soweit sie höher als 1 m über der Geländeoberfläche sind und soweit von ihnen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen.

Die Prüfung auf gebäudegleiche Wirkungen ist hier auf die Sperranlage zu beschränken. Es spricht einiges dafür, dass dies bereits deshalb der Fall ist, weil die Sperranlage insgesamt einer von der Mauer unabhängigen baurechtlichen Prüfung zuzuführen ist. Eine solche hat der Senat für Änderungen bestehender Anlagen regelmäßig dann ausreichen lassen, wenn die Änderung keine Neuberechnung der Statik der Altanlage erforderlich macht und diese auch nicht optisch oder funktionell ihrer Identität beraubt (Senatsurt. v. 10.11.2009 - 1 LC 236/05 -, BauR 2010, 210 = juris Rn. 36 ff.; Beschl. v. 31.1.2002 - 1 MA 4216/01 -, NVwZ-RR 2002, 822 = BauR 2002, 772 = ZfBR 2002, 373 = juris Rn. 8; v. 5.9.2002 - 1 ME 183/02 -, BauR 2003, 77 = juris Rn. 6; Beschl. v. 21.7.2011 - 1 ME 57/11 -, NdsVBl. 2011, 320 = juris Rn. 15; Beschl. v. 28.9.1999 - 1 M 3416/99 -, juris Rn. 4). Dass die Errichtung der vergleichsweise filigranen Sperranlage eine Neuberechnung der Statik der Mauer erforderlich machte, ist eher fernliegend; auch erfüllt die Mauer weiterhin ihren ursprünglichen Zweck und bleibt äußerlich praktisch unverändert.

Jedenfalls ist die Prüfung auf gebäudegleiche Wirkungen aber deshalb auf die Sperranlage zu beschränken, weil § 12a Abs. 1 NBauO auch von ansonsten einheitlich zu beurteilenden Anlagen die Einhaltung des Abstandsrechts nur fordert, soweit von ihnen solche Wirkungen ausgehen. Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 3.9.2015 – 1 LA 58/15 –, NVwZ-RR 2015, 924 = BauR 2016, 232 = juris Rn. 10 ausgeführt:

„Die Grenzabstandsvorschriften finden demzufolge nur in dem Umfang Anwendung, in dem die zwei vorgenannten Voraussetzungen gegeben sind. Besteht eine bauliche Anlage aus mehreren Teilen, die für sich beurteilt werden können, beschränkt der Begriff „soweit“ die Abstandsanforderungen auf die Teile, die eine Höhe von 1 m überschreiten und von denen eine gebäudegleiche Wirkung ausgeht (vgl. Lindorf, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 12a Rn. 9). Anders als das Verwaltungsgericht offenbar meint, bedarf es einer Gesamtbetrachtung im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Grenzabstandsrechts nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut mithin nur dann, wenn eine bauliche Anlage nicht in Einzelteilen separat beurteilt werden kann. Andernfalls sind alle Teile einer baulichen Anlage, die kein Gebäude darstellt, eigenständig daraufhin zu überprüfen, ob von ihnen jeweils eine gebäudegleiche Wirkung ausgeht.“

Eine solche separate Beurteilung ist hinsichtlich der auf der Mauerkrone montierten Sperranlage möglich. Diese ist von der darunterliegenden Betonmauer, wie schon der unterschiedliche Errichtungszeitpunkt zeigt, klar abzugrenzen und entfaltet nach Material und Bauweise eine gänzlich andersgeartete optische Wirkung. Das sind die nach Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 NBauO a.F. entscheidenden Kriterien für die Teilbarkeit. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 3.9.2015 (a.a.O. juris Rn. 11) zusätzlich zur Begründung einer Teilbarkeit angeführt hatte, die zwei Teile der dort zu beurteilenden Anlage erfüllten je eigenständige Funktionen, kam dem lediglich ein unterstützendes argumentatives Gewicht zu; es lässt sich daraus nicht der Umkehrschluss ziehen, Anlagenteile, die einem einheitlichen Zweck dienten, seien grundsätzlich nicht teilbar. Gleiches gilt für die Überlegung, ob beide Anlagenteile unabhängig voneinander bestehen könnten. Im Übrigen wäre auch dies hinsichtlich Betonmauer einerseits und Sperranlage andererseits der Fall.

Die Sperranlage entfaltet keine gebäudegleiche Wirkung. Solche Wirkungen treten ein, wenn eine bauliche Anlage insbesondere aufgrund ihrer Ausführung die Belichtung, Besonnung und Belüftung des Nachbargrundstücks beeinträchtigt (vgl. Senat, a.a.O., juris Rn. 13; ferner Urt. v. 10.11.2009 - 1 LC 236/05 -, BauR 2010, 210 = juris Rn. 41; Urt. v. 18.2.1999 - 1 L 4263/96 -, NVwZ-RR 1999, 560 = BRS 62 Nr. 158 = juris Rn. 3; Beschl. v. 12.7.1999 - 1 L 4258/98 -, juris Rn. 3). Anders als die Kläger meinen, ergibt der Umkehrschluss aus § 12a Abs. 2 Nr. 1 NBauO a.F. nicht, dass Einfriedungen, unabhängig von ihrer Bauart, stets gebäudegleiche Wirkung entfalteten. Nach dieser Vorschrift brauchen Einfriedungen bis 2 m Höhe keinen Abstand zu halten; für Einfriedungen, die oberhalb von 1,80 m undurchsichtig sind, gilt dies jedoch nur, wenn der Nachbar zugestimmt hat. Im Umkehrschluss folgt daraus lediglich, dass es auch Einfriedungen geben muss, die, obwohl sie oberhalb von 1,80 m durchsichtig sind, gebäudegleiche Wirkung entfalten. Das können beispielsweise Trennwände aus Plexiglas oder Glas sein, die zwar Licht durchlassen, jedoch keine Frischluft. Denkbar sind auch Trennwände, die zwar Lücken aufweisen und daher nicht als undurchsichtig bezeichnet werden können, deren Gesamtkonstruktion jedoch so massiv ist, dass sie Belichtung und Besonnung stark beeinträchtigen, z.B. bestimmte Lattenzäune. In derartigen Fällen verbleibt § 12a Abs. 2 Nr. 1 NBauO a.F. ein Anwendungsbereich, d.h. derartige Zäune können zwar ohne Zustimmung des Nachbarn 1,80 m Höhe überschreiten, nicht jedoch 2 m. Die auf der Mauer der JVA A-Stadt angebrachten Stacheldrahtrollen sind mit diesen Fällen indes nicht vergleichbar. Weder Belichtung, noch Besonnung oder Belüftung werden durch sie beeinträchtigt; der gegenteilige Vortrag der Kläger ist anhand der in der Akte befindlichen Lichtbilder nicht nachvollziehbar. Selbst wenn man, wie auf Bl. 384 d.A. dargestellt, schräg auf den Zaun schaut – der Blick fiele dann freilich nicht auf den streitgegenständlichen, an das Klägergrundstück, sondern auf einen an ein Nachbargrundstück angrenzenden Zaunabschnitt – fällt die „Baumasse“ der Stacheldrahtrollen nicht nennenswert ins Gewicht. Die Kläger, die vortragen, sie fühlten sich durch die Drahtrollen an die ehemalige innerdeutsche Grenze erinnert und es wäre ihnen lieber, auf eine höhere Betonmauer als auf den S-Draht zu blicken, wenden sich denn auch weniger gegen die mit der Sperranlage einhergehenden physischen Beeinträchtigungen ihres Grundstücks als gegen die mit einem Stacheldrahtzaun verbundenen Assoziationen. Diese sind freilich keine „gebäudegleichen“ Wirkungen, da Gebäude solche Assoziationen regelmäßig nicht hervorrufen.

Auch andere nachbarschützende Vorschriften, die durch die Anlage verletzt sein könnten, sind nicht ersichtlich. Das gilt insbesondere für das in überplanten Bereichen in § 15 BauNVO verankerte bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. In den meisten Fällen indiziert die Einhaltung der Grenzabstandsvorschriften, dass ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht vorliegt (Nds. OVG v. 26.1.1998 – 6 L 5342/95 -, NdsVBl. 1998, 214 = juris Rn. 32 f.). Gründe, die hier eine andere Sichtweise rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Das Klägergrundstück liegt in einem Mischgebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Sondergebiet JVA. In einer solchen Lage sind Stacheldrahtrollen ein hinzunehmender Anblick.

Entgegen der Ansicht der Kläger lässt sich die Rechtswidrigkeit des Handelns des beklagten Landes auch nicht aus dem Inhalt der auf ihrem Grundstück lastenden Dienstbarkeit ableiten. Zwar mag diese nur die Errichtung der Gefängnismauer, nicht die der Sperranlage abdecken. Da letztere aber, wie dargelegt, nachbarschützende Vorschriften nicht verletzt, bedarf es keiner Dienstbarkeit zu deren Überwindung. Hätte zivilrechtlich Sorge dafür getragen werden sollen, dass auch vom Grenzabstandsrecht nicht berührte Anlagen eine Höhe von 5 m nicht überstiegen, so hätte das Gefängnis-, nicht das Klägergrundstück mit einer entsprechenden Dienstbarkeit belastet werden müssen. Sollten die Kläger mit ihrem Vortrag die Auffassung vertreten, die Dienstbarkeit sei so auszulegen, dass auf die Einhaltung des Grenzabstandsrechts hinsichtlich der Errichtung einer 5 m hohen Mauer nur unter der Bedingung verzichtet werde, dass dieser keinerlei dem Grenzabstandsregime nicht unterliegende Anlagen hinzugefügt werden, so geben weder der Wortlaut noch der Kontext ihrer Bewilligung hierfür etwas her - ob eine solcherart bedingte Dienstbarkeit zivilrechtlich zulässig wäre, muss daher hier nicht erörtert werden.

2. Auf die weitere Frage, ob die Sperranlage bereits deshalb (gegenwärtig) rechtmäßig ist, weil das Nds. Sozialministerium eine auf die Anfechtungsklage der Kläger bislang noch nicht aufgehobene Befreiung von den Abstandsvorschriften erteilt hat, kommt es mithin nicht an. Es erübrigt sich deshalb auch, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg über diese Anfechtungsklage auszusetzen oder zum Ruhen zu bringen. Darüber hinaus erübrigt sich auch eine Entscheidung über die Hilfsanträge der Kläger. Aus den Ausführungen der Kläger in ihrem Schriftsatz vom 29.1.2016 ergibt sich, dass diese Anträge lediglich für den Fall gestellt worden sind, dass (allein) die Befreiungsentscheidung des Nds. Sozialministeriums bzw. das Vorliegen einer materiellen Befreiungslage dem mit dem Hauptantrag verfolgten Folgenbeseitigungsanspruch (noch) entgegenstehen. Diese Bedingung ist, wie dargelegt, nicht erfüllt.

Nur vorsorglich merkt der Senat daher an, dass die Hilfsanträge, wäre über sie zu entscheiden gewesen, unzulässig wären. Soweit die Kläger mit beiden Hilfsanträgen die Feststellung begehren, dass die Errichtung der Sperranlage bis zur Erteilung der Zustimmung/Befreiung vom 15.1.2013 durch das Nds. Sozialministerium rechtswidrig war, ist schon fraglich, ob ein „gegenwärtiges“ Rechtsverhältnis vorliegt. Jedenfalls haben die Kläger ein Feststellungsinteresse nicht dargetan. Ein solches ist auch nicht ersichtlich. Für den von den Klägern in erster Linie verfolgten Folgenbeseitigungsanspruch ist allein die gegenwärtige/künftige Legalität der Baumaßnahme relevant. Dass sie für die Vergangenheit Entschädigungsansprüche geltend machen wollen, haben die Kläger nicht dargelegt; solche Ansprüche müssten auch aus den unter 1. genannten Gründen erfolglos bleiben. Soweit die Kläger mit dem ersten Hilfsantrag zusätzlich die Feststellung begehren, dass die Errichtung der Sperranlage bis heute rechtswidrig ist - was nach ihrer Auffassung die Feststellung beinhaltet, dass die Befreiungsentscheidung des Nds. Sozialministeriums rechtswidrig ist - steht dem die Subsidiarität der Feststellungsklage, § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Die Kläger können die Befreiung vor dem Verwaltungsgericht mit der Anfechtungsklage angreifen und haben dies getan.

Käme es auf den Bestand der Befreiungsentscheidung an, so wäre allenfalls eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens in Betracht zu ziehen gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1, 2 VwGO, 100 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.