Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 09.09.2004, Az.: 1 B 53/04
Vereinbarkeit einer Abschiebung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Vorliegen eines Abschiebungshindernisses durch Eheschließung und Gründung von Familie; Vereinbarkeit einer Abschiebung mit dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie; Wiederaufgreifen des Asylverfahrens wegen Veränderungen der politischen Lage im Heimatland des Betroffenen
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 09.09.2004
- Aktenzeichen
- 1 B 53/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 32073
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2004:0909.1B53.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 53 AuslG
- § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO
- § 17 Abs. 2 Nr. 1 AuslG
- Art. 6 GG
- § 17 Abs. 3 AuslG
- § 26 Abs. 2 S. 2 AsylVfG
- § 21 Abs. 1 S. 1 AuslG
- Art. 8 EMRK
- Art. 19 Abs. 4 GG
- § 51 Abs. 1 Nr. 1, 2 VwVfG
- Art. 3 EMRK
Verfahrensgegenstand
Asylrecht
Im hier zu entscheidenden Fall war der Antragsteller vietnamesischer Staatsangehöriger, der nach Ablehnung seines Asylantrages eine vietnamesische Staatsangehörige mit befristeter Aufenthaltserlaubnis geheiratet hatte. Aus der Ehe ging ein Kind hervor. Kurz vor der Geburt des Kindes stellte der Antragsteller wegen der jüngesten Veränderungen in Vietnam einen Asylverfolgungsantrag, der jedoch erneut abgelehnt wurde. Hiergegen richtete sich sein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, dem stattgegeben wurde. Zwar könne sich der Antragsteller nicht auf Familienasyl berufen, da seine Ehe nicht schon im Verfolgerstaat bestanden habe, sondern erst im Bundesgebiet geschlossen worden sei. Jedoch sei es bezüglich des iKindes so, dass ein Asylantrag innerhalb eines Jahres nach der Geburt gestellt werden könne, wofür hier noch Zeit bliebe. Unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Familieneinheit könne es daher zur Zeit unverhältnismäßig sein, den Antragsteller von Frau und Kind zu trennen. Auch hätten sich die Umstände in Vietnam drastisch geändert.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg -1. Kammer - hat
am 9. September 2004
durch
den Einzelrichter ...
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 A 285/04 wird angeordnet.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
Der 1975 geborene Antragsteller vietnamesischer Staatsangehörigkeit kam im Dezember 2001 in das Bundesgebiet und stellte hier erstmals am 28.12.2001 einen Asylantrag, der durch Bescheid vom 10. Januar 2002 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Seit dem 24. Januar 2002 war sein Aufenthalt unbekannt. Er ist inzwischen verheiratet mit der am 28. Februar 1977 geborenen Frau K. - ebenfalls vietnamesischer Staatsangehörigkeit -, die im Besitz einer am 26. August 2003 erteilten und bis zum 9. September 2005 befristeten Aufenthaltserlaubnis ist (wg. Personensorge für ein deutsches Kind). Aus der Ehe mit Frau B. ist ein am 28. Juni 2004 in Leipzig geborenes Kind hervorgegangen. Am 8. Juli 2004 wurde dem Antragsteller daher antragsgemäß erlaubt, den Bereich der Aufenthaltsgestattung bis zum 8. August 2004 zu verlassen und sich nach L. zu Ehefrau und Kind zu begeben.
Am 13. April 2004 stellte der Antragsteller mit der Begründung einen Asylfolgeantrag, die jüngsten Veränderungen in Vietnam, über die in der Leipziger Volkszeitung und im Jahresbericht 2003 von amnesty international - ai - berichtet worden sei, belegten Abschiebungshindernisse. Mit dem durch Klage angefochtenen Bescheid vom 6. Juli 2004 - per Übergabe-Einschreiben an den Prozessbevollmächtigten zugestellt (13.7.04) - lehnte die Antragsgegnerin sowohl die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als auch ein Wiederaufgreifen zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ab; zugleich wurde der Antragsteller aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, wobei ihm die Abschiebung nach Vietnam (oder einen anderen Staat) für den Fall angedroht wurde, dass er die Frist nicht einhalte.
Gegen den Bescheid hat der Antragsteller am 21. Juli 2004 per Fax bei der erkennenden Kammer Klage -1 A 258/04 - erhoben und daneben zugleich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Der fristgerecht (§§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 1, 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylVfG) bei der Kammer gestellte und auch sonst zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
1.
Im vorliegenden Verfahren ist analog § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu entscheiden (stdg. Rechtsprechung der Kammer, vgl. VG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 217 [VG Lüneburg 06.10.2003 - 1 B 45/03] m.w.N.). Das gilt jauch angesichts des § 36 Abs. 4 AsylVfG, weil durch ihn der gen. Maßstab des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO nicht verändert worden ist. Auch hiernach hat - als "Ausgleich" für den gesetzlichen Ausschluss - gerichtlich eine Aussetzung bei ernstlichen Zweifeln schon im Regelfall zu erfolgen (VGH München, BayVBI. 1993, 691; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 2B7; OVG Lüneburg, NJW 1978, 672; Renck, NVwZ 1992, 339; Czermak, BayVBI. 1976, 106; Schoch, a.a.O.. Rdn. 204; Sodan/Ziekow, Nomos-Komm. zur VwGO, Losebl., Bearb. Puttler, Rz 109; a.A. Kopp, a.a.O., § 80 Rdn. 116). Solche ernstlichen Zweifel liegen hier vor.
Auf diese Weise wird - auf der Grundlage einer prognostischen Risikoeinschätzung - zugleich auch Art. 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 7.12. 2000 (Amtsblatt 2000/C 364/01 d. Europ. Gemeinsch.) und damit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK Rechnung getragen, demzufolge niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen werden darf, in dem für ihn das "ernsthafte Risiko" u.a. einer unmenschlichen oder auch nur erniedrigenden Behandlung besteht. Ein solches Risiko besteht hier jedoch.
2.
Die Erfolgsaussichten des Antrages und zugleich die genannten Zweifel sind hier deshalb gegeben, weil eine von der Ehefrau des Antragstellers bzw. eine vom gemeinsamen Kind abgeleitete Rechtsstellung des Antragstellers unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG hier nicht von der Hand zu weisen ist, sodass der Bescheid v. 6.7.2004 insoweit rechtswidrig sein dürfte.
2.1
Zwar kann sich der Antragsteller nicht auf § 26 AsylVfG (Familienasyl) berufen, da eine Ehe nicht schon im Verfolgerstaat bestanden hat, sondern erst im Bundesgebiet geschlossen wurde. Jedoch ist es bezüglich des im Juni geborenen Kindes so, dass ein Asylantrag innerhalb eines Jahres nach der Geburt gestellt werden kann (§ 26 Abs. 2 S. 2 AsylVfG), wofür hier noch bis zum Juni 2005 Zeit bliebe. Unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Familieneinheit (vgl. Empfehlungen des UNHCR, dazu OVG Münster, B. v. 19.9.1991 -16 A 495/91.A -) kann es daher z.Z. unverhältnismäßig sein, den Antragsteller von Frau und Kind zu trennen (vgl. die Nachweise bei Marx, Kommentar zum AsylVfG, 3. Aufl. § 26 Rdn. 3 und Rdn. 30).
2.2
Hiervon abgesehen besteht die Möglichkeit, dass der Antragsteller gem. § 17 AuslG im Hinblick darauf eine Aufenthaltserlaubnis erhält, dass seine Ehefrau bereits eine solche besitzt (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) und die Ehe als familiäre Lebensgemeinschaft gem. Art. 6 GG gewahrt werden soll, wofür dem Antragsteller Gelegenheit zu geben wäre. Auch § 17 Abs. 3 AuslG böte ggf. die Möglichkeit, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Seine (angedrohte) Abschiebung wäre unverhältnismäßig.
2.3
Gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 AuslG ist dem Kind des Antragstellers ohnehin von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, da die Mutter - die Ehefrau des Antragstellers - derzeit eine bis zum 9.9.2005 gültige Aufenthaltserlaubnis besitzt. Zwecks Bewahrung und Herstellung der Familieneinheit auch mit dem Antragsteller als Vater des Kindes dürfte es nicht möglich sein, den Antragsteller derzeit von seiner Familie zu trennen und ihn - wie angedroht - mehr oder weniger endgültig nach Vietnam abzuschieben. Die Durchsetzung einer Abschiebungsandrohung gegenüber dem Antragsteller kann gegen Art. 8 EMRK verstoßen, sodass insoweit zumindest ein Abschiebungshindernis entsteht (VG Düsseldorf, B. v. 29.5.1991 - 7 L 603/91 -). Die Notwendigkeit eines Eingriffs in das Recht auf Familieneinheit (vgl. Anhang I der Schlussakte der Bevollmächtigtenkonferenz der Vereinten Nationen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen und Staatenlosen; Marx, paO.) ist derzeit nicht ersichtlich. Vielmehr spricht Vieles für die Herstellung der vom Antragsteller ausdrücklich gewünschten Familieneinheit (vgl. seinen Antrag v. 29.6.2004).
2.4
Für ein Wiederaufgreifen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VwVfG genügt es im Übrigen, dass im mehrstufigen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. dazu BayVGH, InfAusIR 1997, 47o m.w.N.; VG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, S. 217 [VG Lüneburg 06.10.2003 - 1 B 45/03], VG Lüneburg, InfAusIR 2000, S. 47) eine nachträgliche Änderung der Sachlage (oder Rechtslage) fristgerecht vorgetragen und die vorgetragenen Gründe es - analog § 42 Abs. 2 VwGO - möglich erscheinen lassen, dass ein günstigeres Ergebnis erzielt werden kann (h.M. vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 2, Std: Sept. 2000, § 71 Rdn. 85 m.w.N.; Renner, a.a.O.. § 71 AsylVfG Rn. 24; VG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 217 [VG Lüneburg 06.10.2003 - 1 B 45/03]; VG Braunschweig, Beschl. v. 14.5. 2004 - 5 B 79/04 -). Im Vorprüfungsverfahren kann daher nicht verlangt werden, dass die Verfolgungsfurcht in der Sache selbst geprüft wird (BVerfG, NVwZ 2000, Beilage Nr. 7 S. 78 f.). Das Bundesverfassungsgericht (1. Kammer des Zweiten Senats v. 11.05.1993 - 2 BvR 2245/92 - in AuAS 1993, 189 /190) hat insoweit ausgeführt:
"Lediglich wenn das Vorbringen zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung zu verhelfen, kann der Folgeantrag als unbeachtlich angesehen werden (vgl. die Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22.09.1988 - 2 BvR 991/87 - InfAusIR 1989, 28 (30f.), vom 17.01.1991 - 2 BvR 1243/90 - InfAusIR 1991, 133 (135) und vom 13.03.1993 - 2 BvR 1988/92 -; vgl. auch BverwGE 77, 323 (327))."
Ein Wiederaufgreifen hat danach
"nur dann nicht zu erfolgen, wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen kein Zweifel bestehen kann und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) sich die Versagung des Wiederaufgreifens des Verfahrens ... geradezu aufdrängt."
Ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens ist somit nur abweisbar, wenn ein hinreichend substantiiertes Vorbringen nach jeder nur denkbaren Betrachtung für einen Erfolg im Folgeverfahren völlig ungeeignet ist, wobei verfassungsrechtlich die erforderliche "Richtigkeitsgewissheit" vorliegen muss (BVerfG, InfAusIR 1995, 342 und InfAusIR 1995, 19; VG Oldenburg, a.a.O..). Das folgt aus dem Individualanspruch auf Asyl, Art. 16 a Abs. 1 GG. Ist das nicht der Fall, so ist erst in der eröffneten 2. Stufe des Folgeverfahrens (vgl. Funkekaiser, a.a.O., Rdn. 77.2) aufzuklären, ob die vorgetragenen Asylgründe tatsächlich tragen und eine asylrelevante Verfolgung oder aber die Voraussetzungen für Abschiebungsverbote oder -hindernisse vorliegen (BayVGH, a.a.O. m.w.N.; 1. Kamm, des 2. Senats des ÖVerfG, AuAS 1993, 189/190; Funke-Kaiser, a.a.O., Rdn. 77.2, 84, 89.1). An die Substantiierungspflicht sind schon aus verfassungsrechtlichen Gründen selbstverständlich "keine überspannten Anforderungen" zu stellen (Funke-Kaiser, a.a.O., Rdn. 89.1; VG Braunschweig, a.a.O..).
Nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ist der unter Bezug auf den Jahresbericht ai 2003 abgegebene Vortrag, mit dem auf eine Verschlechterung der Menschenrechtslage in Vietnam verwiesen wird (S. 623), nicht von vorneherein ungeeignet, zu einem Abschiebungsverbot iSv § 51 AuslG zu verhelfen. Denn die Verhältnisse in Vietnam haben sich, wie von vielen Seiten inzwischen betont wird, deutlich verändert und verschlechtert.
Das konkrete Verfolgungsrisiko in Vietnam speziell für den Antragsteller ist derzeit schwer einzuschätzen, weil die Reaktionsweise vietnamesischer Behörden "ständigen, zum Teil sehr irrationalen Veränderungen unterworfen" ist (so Dr. G. Will, Hamburg, 14.9.2000, S. 3). So kann Rückkehrern "im Einzelfall eine Bestrafung wegen Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung nach dem StGB drohen" (Lagebericht des a.A. v. 9.7.2001, S. 7). In Vietnam geht es inzwischen um eine nachhaltige Gesinnungskontrolle, nicht nur um die Eignung einer Tätigkeit, den Staat "öffentlich herabzuwürdigen". Daher
"müssen all diejenigen vietnamesischen Staatsbürger, die im Ausland öffentliche Kritik an dem Regierungssystem ihres Landes bzw. an der Politik ihrer Regierung geübt haben, bei ihrer Rückkehr nach Vietnam mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen"
(so Dr. G. Will in seiner gutachterl. Stellungn. v. 14.9.2000, S. 1).
Schon der bloße Besitz antikommunistischer Flugblätter kann für eine Verurteilung ausreichen, Kritiker der regierungsamtlichen Politik werden schikaniert (ai-Jahresbericht 2002, S. 604). Nach der Stellungnahme des "Arbeitskreises für Gerechtigkeit und Frieden an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt vom Juni 2004 liegen die Verhältnisse in Vietnam inzwischen so, dass
"Menschenrechtsverletzungen an Andersdenkenden und Intellektuellen sowie die Unterdrückung von ethnischen und religiösen Minderheiten ... an der Tagesordnung sind".
Dr. G. Will hat sich dementsprechend wie folgt geäußert (Stellungn. v. 14.9.2000 an Bay. VG München, S. 3):
"Berücksichtigt man all diese Faktoren, so wird zumindest erklärbar, warum manche auch gegenüber ausländischen Medien geäußerten Auffassungen prominenter Oppositioneller ohne nennenswerte Sanktionen und Repressionen hingenommen werden, während kritische Anmerkungen eines
unbekannten Bürgers sehr schwer wiegende Bestrafungen nach sich ziehen können."
Aktivitäten unbekannter Bürger, die mit Oppositionsgruppen in Zusammenhang gebracht werden können, werden "meist mit Landesverrat gleichgesetzt" (so Dr. G. Will, a.a.O..). Oppositionelles Verhalten wird "schlicht als Unbotmäßigkeit bzw. Frechheit angesehen, der mit körperlicher Gewalt und massiver Einschüchterung zu begegnen" ist (Dr. G. Will, a&O.). "Anklagen erfolgen häufig wegen Spionage oder Unterminierung der Gesellschaft" (Iflein, a.a.O.., S. 5). Nach der Einschätzung der IGFM (Pressemitteilung v. 18.10. 2001) "Entpuppt sich Vietnam als ein 'rechtsbeugender Staat'". Gerichtsverfahren verlaufen in aller Regel - abweichend von europäischen Standards (Art. 47 Abs. 2 Grundrechtscharta der EU v. 7.12.2000) - sehr unfair (ai-Jahresbericht 2002, S. 603; Klein, a.a.O.., S. 5):
"Faire Gerichtsverhandlungen sind in Vietnam keine Option, in den meisten Fällen existiert nicht einmal eine formale Anklage" (Klein, S. 5).
Unabhängigen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise verweigert (Jahresbericht, a.a.O.., S. 603 und S. 605). Vereinbarungen zwischen dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und den Regierungen von Vietnam und Kambodscha wurden nicht eingehalten (ai-Jahresbericht 2003 S. 623). Vier Journalisten sind im Juli 2002 verhaftet Worden und wurden allein wegen der Unterzeichnung eines Protestbriefes - nach eintägigem Verhör durch den vietn. Staatssicherheitsdienst - an unbekannten Orten gefangen gehalten, u.zw. ohne jedes rechtsstaatlich-justizielle Verfahren (so IGFM v. 25.7.2002). Daher üben viele Journalisten "Selbstzensur" (Lagebericht des a.A. v. 1.4. 2003), was erklärt, weshalb keine Referenzfälle bekannt geworden sind bzw. werden. Denn
"Journalisten, die sich dem Regime gegenüber kritisch äußern, drohen drastische Gefängnisstrafen" (Klein, a.a.O.., S. 5).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass
"formaldemokratische Strukturen oder Institutionen... noch keine Garantie dafür sind, dass das Handeln von Staat und Regierung auch dem Recht folgt"
(so D. Klein, Aus Politik und Zeitgeschehen, S. 3). Denn
"Vietnam erwies sich auch 2003 als eines der repressivsten Regime in Asien...; offene Gewalt auf der Straße, Telefonterror und willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Vietnam gehört zweifellos zu den schlimmsten Feinden der Menschenrechte und Unterdrückern der Pressefreiheit in Südostasien" (Klein, a.a.O.., S. 5)
Der Sachverständige Dr. Weggels geht inzwischen davon aus, dass die
"Vietnamesische Regierung der Rückführung jedes nur mögliche Hindernis in den Weg" gelegt habe (so seine Stellgn. v. 10.8.2003 an VG Darmstadt),
wohl um in Europa mit dem europäischen Gedankengut "infizierte" Staatsbürger, die für
Unruhe sorgen könnten, nicht zurücknehmen zu müssen.
Die Gesamtverhältnisse" in Vietnam dürften sich angesichts dieser Nachrichtenlage deutlich verschärft haben (vgl. den ai-Jahresbericht 2003, S. 625, "Drangsalierung von Regierungskritikern"; Dr. Will, Gutachten v. 11.2.2003,: "drakonische Strafen" für regimekritische Auftritte im Internet; Klein, a.a.O.., S. 5).
2.5
Anknüpfungspunkt für Maßnahmen gegen den Antragsteller könnte heute zudem auch die Tatsache sein, dass es in Vietnam sog. "administrative Haftstrafen" auf der Grundlage der Regierungsverordnung Nr. 31-CP v. 14. April 1997 (Lagebericht d. Ausw. Zimtes v. 26.2. 1999) gibt, für deren Verbüßung mittlerweile in nahezu jeder vietnamesischen Provinz ein zentrales Lager eingerichtet worden ist. (vgl. Der Einzelentscheider-Brief v. Febr. 1999). Ein Dekret v. 23.8.2001 (Nr. 53/2001 /ND-CP) sieht zudem die Möglichkeit eines 5-Jährigen Hausarrestes im Anschluss an eine Haftstrafe vor (Lagebericht des a.A. v. 1.4. 2003). Das Instrument administrativer Haft entstammt der französischen Kolonialzeit und diente schon damals der "Ausschaltung unliebsamer * Konterrevolutionärer Gegner'" (so der Lagebericht des a.A. v. 26.2. 1999). Es greift in Bürgergrundrechte wie z.B. Art. 72 ein und widerspricht dem Int. Pakt über bürgerliche u. politische Rechte (N v. 26.2.1999, S. 3). Entsprechende Strafmaßnahmen tragen deutliche Anzeichen einer Willkür (Dr. G. Will, S. 3 der Stellgn. v. 14.9.2000). Der Sachverständige Dr. G. Will hat sich dazu wie folgt geäußert:
"Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine Maßnahme handelt, derer sich die vietnamesischen Behörden vor allem in den etwas abgelegeneren Provinzen gerne bedienen, um missliebige Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen und einzuschüchtern."
(Dr. G. Will, Stellung, v. 14:9.2000, a.a.O.. S. 5).
3.
Schließlich stehen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht ausnahmsweise besonders gewichtige Gründe entgegen, die es erlaubten, schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die angedrohte Abschiebung durchzuführen. Denn der Rechtschutzanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG ist umso stärker, je gewichtiger die abverlangte Belastung st (BVerfGE 35, 382 / 4o2; BVerfGE, NVwZ 1985, 4o9; BVerfG (3. K. des 2. Senats) NVwZ-Beilage 1996, 19 m.w.N.). Deshalb ist ein Antrag auf Gewährung vorläufigen (Rechtsschutzes nur im Falle eindeutiger und unumstößlicher Richtigkeit (BVerfG, InfAusIR 1995, 19) abweisbar, die regelmäßig erst im Hauptsacheverfahren zu erlangen ist.
An solcher unumstößlichen Richtigkeit fehlt es hier (s.o. Pkt. 2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
[Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.