Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.10.2003, Az.: 11 B 3755/03
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 21.10.2003
- Aktenzeichen
- 11 B 3755/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 40741
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2003:1021.11B3755.03.0A
Amtlicher Leitsatz
- 1.
1.
Vorläufiger Rechtsschutz gegen das versagte Wiederaufgreifen des Asylverfahrens zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG
- 2.
2.
Ein rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber aus Algerien, der unter diabetes mellitus Typ I leidet, kann trotz behaupteter Mittellosigkeit jedenfalls dann nicht ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Feststellung eines zielstaatsbezogenen krankheitsbedingten Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG verlangen, wenn die Ausländerbehörde ihm einen Kühlkoffer mit einem Insulinvorrat für fünf Jahre zur Verfügung stellt.
Tenor:
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Tatbestand:
Der Antragsteller, ein algerischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit, wendet sich im vorläufigen Rechtsschutz gegen das versagte Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Nach erfolglosem Asylverfahren (Urteil des VG Braunschweig vom 11. April 2002 - 4 A 73/02 -, bestätigt durch Nds. OVG, Beschluss vom 23. Mai 2002 - 4 LA 200/02 -) beantragte er am 6. September 2002 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) das Wiederaufgreifen seines Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen darauf, er leide - wie erst jetzt festgestellt - unter Diabetes Mellitus Typ I (ärztliches Attest von Dr. S. vom 30. August 2002), den er infolge der eigenen wirtschaftlichen Situation und derjenigen seiner Angehörigen in Algerien nicht angemessen behandeln könne. Im Falle einer Abschiebung nach Algerien würde er wegen des Verdachts auf Desertion oder Wehrdienstentziehung in Polizeigewahrsam genommen, verhört und mehrere Tage lang festgehalten (vgl. Gutachten von amnesty international - ai - vom 28. September 2001 an VG Schwerin). Die Haftdauer werde sich verlängern, da er - wie im Erstverfahren angegeben - keinen Wehrdienst abgeleistet habe. Angesichts der katastrophalen Haftbedingungen und der psychischen Belastung, der er hierbei ausgesetzt wäre, drohe ihm ohne regelmäßige Insulingaben der Tod. Mit am 23. April 2003 zugestelltem Bescheid vom 15. April 2003 lehnte das Bundesamt eine Abänderung seines Asylerstbescheides vom 7. Februar 2002 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ab. Zugleich wies es darauf hin, dass es keiner erneuten Abschiebungsandrohung bedürfe. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Antragstellers erfülle nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für ein Wiederaufgreifen. Diabetes Mellitus sei eine häufig auftretende Erkrankung, die in Algerien behandelbar sei. Das Fehlen von finanziellen Mitteln zur Weiterbehandlung der Erkrankung sei nicht von ihm im Rahmen des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zu berücksichtigen, sondern von der Ausländerbehörde bei der Abschiebung zu prüfen. Die Gefahr, bei einer Abschiebung in Polizeigewahrsam zu geraten, sei bereits Gegenstand des Asylerstverfahrens gewesen. Auch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen komme aus diesen Gründen nicht in Betracht.
Der Antragsteller hat am 7. Mai 2003 Klage (11 A 1675/03) erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zwischenzeitlich hat die Ausländerbehörde der Stadt D. mitgeteilt, dass sie ihm einen Kühlkoffer mit Insulin für fünf Jahre zur Verfügung stelle und Abschiebungsmaßnahmen einleite, falls er nicht freiwillig ausreise. Daraufhin hat er am 13. Oktober 2003 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Trotz des Angebots der Ausländerbehörde liege ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vor. Er könne in Algerien nicht die vor jeder Injektion des lebensnotwendigen Insulins erforderliche Ermittlung des Blutzuckerwerts durchführen, was zu schwerwiegenden Schädigungen führe (Ärztliche Atteste von Dr. S. vom 20. Mai und 28. April 2003). Auch die Haltbarkeit des Insulinsvorrats sei problematisch. Außerdem sei nach Verbrauch des Vorrats sein Leben bedroht, weil er wegen seiner Mittellosigkeit und der zu erwartenden Arbeitslosigkeit in Algerien die Behandlungs- und Medikationskosten nicht aufbringen könne. Schließlich drohten ihm der sichere Tod oder schwerwiegende Verletzungen während der zu erwartenden Inhaftierung nach einer zwangsweisen Rückführung.
Gründe
Nach verständiger Würdigung seines Begehrens (§§ 88, 122 VwGO) begehrt der Antragsteller, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, der Stadt D. als zuständiger Ausländerbehörde mitzuteilen, dass seine Abschiebung aufgrund des Bescheides des Bundesamtes vom 7. Februar 2002 vorläufig nicht vollzogen werden darf. Sein derart verstandener Antrag - über den wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG die Kammer befunden hat - ist zulässig (vgl. etwa VG Karlsruhe, Beschluss vom 14. September 2001 - A 11 K 11043/01 - InfAuslR 2002, 215, allerdings zu einem Erstantrag und mit abweichender Tenorierung), aber unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn sowohl ein Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung) als auch ein Anordnungsanspruch (der materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte Regelung) hinreichend glaubhaft gemacht worden sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Der erforderliche Anordnungsgrund liegt angesichts der demnächst vorgesehenen Abschiebung des Antragstellers vor. Er hat jedoch den erforderlichen Anordnungsanspruch auf die begehrte Regelung nicht glaubhaft machen können.
Ein Anordnungsanspruch wäre im Hinblick auf die am 7. Mai 2003 fristgerecht erhobene Klage (11 A 1675/03) nur dann gegeben, wenn der Antragsteller einen Anspruch auf (teilweises) Wiederaufgreifen seines Asylerstverfahrens und ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 AuslG hinreichend glaubhaft gemacht hätte. Für den gerichtlichen Prüfungsmaßstab gilt, dass in entsprechender Anwendung der Vorschriften und Grundsätze für vorläufigen Rechtsschutz bei Asylfolgeanträgen (§ 36 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 71 Abs. 4 AsylVfG) einstweiliger Rechtsschutz nur gewährt werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Bundesamtes bestehen. Wegen der weitreichenden Folgen für den Betroffenen hat das Gericht aber die Frage des (teilweisen) Wiederaufgreifens des Verfahrens erschöpfend zu klären und insoweit über eine lediglich summarische Prüfung hinauszugehen; das dabei erforderliche Maß an Richtigkeit und Gewissheit darf nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben, die von Verfassungs wegen an die Abweisung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet zu stellen sind. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat danach nur dann nicht zu erfolgen, wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen kein Zweifel bestehen kann und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) sich die Versagung des Wiederaufgreifens des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG geradezu aufdrängt. Hiervon ausgehend bestehen im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an der Versagung des begehrten Wiederaufgreifens, so dass der Antragsteller ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 AuslG nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat.
Zwar scheitert der Wiederaufnahmeantrag des Antragstellers entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht bereits an den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG. Beschränkt ein im Asylerstverfahren unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber - wie hier - seinen erneuten Antrag beim Bundesamt auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG, setzt die Bescheidung dieses Antrags nicht voraus, dass sich die Rechtslage in einer § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG genügenden Weise geändert hat (Nds. OVG, Urteil vom 1. März 2001 - 1 L 593/02 - AuAS 2001, 140 und Beschluss vom 28. August 2002 - 1 LA 167/02 - unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77). Vielmehr hat das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung über (das Fehlen der) Abschiebungshindernisse für die Zukunft Bestand haben kann. Dem korrespondiert ein Anspruch des Ausländers auf fehlerfreie Ermessensausübung. Seine Begünstigung hierdurch rechtfertigt sich daraus, dass hier "nur" die Feststellung von Abschiebungshindernissen in Rede steht, welche die Vollziehbarkeit der Ausreiseaufforderung unangetastet lassen und nach der Rechts- (u.U. anders als nach der Tatsachen-) lage lediglich einen zeitlich begrenzten Aufschub gewähren (Nds. OVG, a.a.O.). Die gegenteilige Entscheidung des Bundesamtes ist hier aber unbeachtlich, weil es auch inhaltliche Aussagen zum Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG getroffen und seine Versagung des Wiederaufgreifens zusätzlich auch auf Ermessenserwägungen gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG gestützt hat. Im Ergebnis lassen sich keine bedeutsamen Rechts- oder Ermessensfehler feststellen. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im gerichtlichen Verfahren ist nicht hinreichend glaubhaft, dass der Antragsteller ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und gegebenenfalls die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG verlangen kann.
Ein Wiederaufgreifen (selbst bei präkludiertem Vorbringen) und gegebenenfalls die Feststellung des begehrten Abschiebungshindernisses kommen in Betracht, wenn der Ausländer anderenfalls einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben, insbesondere einer extremen Gefahrensituation im Sinne der Rechtsprechung zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG ausgesetzt wäre und die geltend gemachte Gefahr zuvor behördlich oder gerichtlich noch nicht geprüft worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 1999 - 1 C 6.99 - NVwZ 2000, 204). Eine extreme Gefahrenlage in diesem Sinne ist etwa dann anzunehmen, wenn die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat so gravierend ist, dass der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, stetige Rechtsprechung, z.B. Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 - InfAuslR 1998, 409; Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249, 258 und Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 m.w.N.). Zwar bedeutet dies nicht, dass der Ausländer im Falle einer Rückführung gleichsam am Tag der Rückkehr dem Tode ausgesetzt sein muss, vielmehr besteht eine berücksichtigungsfähige Gefahr auch dann, wenn ihm mangels jeglicher Lebensgrundlage der baldige sichere Tod droht (BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, InfAuslR 1999, 265). Dies gilt sowohl für die Fälle, in denen eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat - etwa wegen des geringen Versorgungsstandards - generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Steht etwa eine notwendige Behandlung und Medikation zwar allgemein zur Verfügung, ist sie dem betroffenen Ausländer aber individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich, liegt eine unter § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG fallende zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben vor (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 - DVBl. 2003, 463). Allerdings tritt die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann ein, wenn die Nichterreichbarkeit der medizinischen Versorgung den einzelnen Ausländer betrifft, weil er einer Bevölkerungsgruppe angehört, die den sich aus einer eingeschränkten medizinischen Versorgungslage ergebenden Gefahren ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1998 - 9 C 36.97 - und Beschluss vom 29. April 2002 - 1 B 59.02 - juris).
Hiervon ausgehend lässt sich unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine derartige extreme Gefahrensituation infolge der Diabetes-Mellitus-Erkrankung des Antragstellers und seiner Behandlungsbedürftigkeit nicht annehmen. Den ärztlichen Attesten von Dr. S. vom 20. Mai und 28. April 2003 sowie vom 30. August 2002 lässt sich zwar entnehmen, dass der Antragsteller unter einem Diabetes Mellitus Typ I leidet und auf regelmäßige Insulingaben (derzeit 3 bis 5 mal täglich zu den Mahlzeiten: Actrapi HM und 2 mal täglich als Basisinsulin: Protaphan HM) angewiesen ist, ohne die er ins diabetische Koma geriete und versterben würde. Ferner wird bescheinigt, dass sich der erst Anfang letzten Jahres festgestellte Krankheitszustand seit Sommer 2002 verschlechtert habe, die körpereigene Insulinproduktion nachlasse, die Medikation erhöht worden und die Stoffwechseleinstellung noch nicht optimal gelungen sei. Der Antragsteller bestimme vor jeder Mahlzeit die Menge an Kohlehydraten, messe seinen aktuellen Blutzuckerspiegel und lege dann selber die zu injizierende Menge Insulin fest. Diese Methode habe gegenüber einer monatlichen Überprüfung des Blutzuckerspiegels und Festlegung der zu injizierenden Insulinmenge durch den behandelnden Arzt - wie beispielsweise in Algerien praktiziert - den Vorteil, dass etwaige Blutzuckerentgleisungen frühzeitig vom Patienten selbst festgestellt und korrigiert werden könnten und u.a. lebensbedrohliche Folgeschäden in späteren Jahren vermindert würden.
Trotz der derart attestierten Erkrankung und Behandlungsbedürftigkeit ist der Antragsteller nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr des baldigen sicheren Todes oder schwerster Verletzungen im Falle einer Rückkehr nach Algerien ausgesetzt. Die notwendige Behandlung der Krankheit auf landestypischem Niveau ist - was der Antragsteller selbst nicht ernsthaft bezweifelt - in Algerien möglich. Sie ist ihm entgegen seiner Auffassung auch unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse zugänglich. Nach der Erkenntnislage (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. September 2002, S. 12; Stellungnahme der deutschen Botschaft in Algier vom 14. Mai 2002 an VG Köln) ist in Algerien eine kostenlose medizinische Behandlung in staatlichen Krankenhäusern aufgrund einer allgemeinen Sozialversicherung möglich. Diese Sozialversicherung ermöglicht sogar Kostenrückerstattung bei Behandlung in privaten Einrichtungen. Häufig auftretende chronische Erkrankungen (u.a. Diabetes) werden in aller Regel auch in öffentlichen medizinischen Einrichtungen ständig und ggf. langfristig behandelt. Der Antragsteller ist jung, verfügt über eine Schulbildung (Mittelschule und Vorbereitung auf das Abitur), eine Berufsausbildung zum Floristen/Gärtner und ist auch nach eigenem Vorbringen nicht in der Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt. Trotz der allgemeinen Schwierigkeiten auf dem algerischen Arbeitsmarkt dürfte es ihm - wie vor seiner Ausreise - möglich sein, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Er kehrt auch in einen Familienverband (Eltern und Brüder) zurück, der ihm Unterstützung bieten kann. Die behauptete Mittellosigkeit seiner Angehörigen ist nicht ansatzweise belegt und angesichts seiner früheren Angaben im Asylerstverfahren wenig glaubhaft. Die grundsätzliche Versorgung mit dem lebensnotwendigen Insulin wird hier auch für die erste Zeit nach der Rückkehr (mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung und Arbeitssuche) dadurch sichergestellt, dass die Stadt D. ihm einen Kühlkoffer mit Insulin für fünf Jahre aushändigen wird. Jedenfalls in einer derartigen Zeitspanne dürfte es ihm möglich sein, wirtschaftlich in seinem Heimatland wieder Fuß zu fassen und insbesondere eine Krankenversicherung zu erlangen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers lässt sich aus der Insulinbereitstellung der Stadt D. kein negativer Rückschluss auf die dargestellte medizinisch Versorgungssituation in Algerien ziehen. Der Stellungnahme der deutschen Botschaft in Algier vom 19. Februar 2003 an die Stadt D. lässt sich zwar entnehmen, dass der Antragsteller die Kosten für das benötigte Insulin nicht von staatlichen Kassen bezahlt oder erstattet bekommt, sondern allenfalls von karitativen Stiftungen, wobei allerdings Engpässe auftreten könnten. Diese Einschätzung bezieht sich aber ersichtlich auf die Prämisse in der Anfrage der Stadt D., dass der zurückkehrende Diabetiker noch nicht krankenversichert ist. Die Einschätzung in o.g. Erkenntnismitteln wird dadurch nicht in Frage gestellt.
Das Gericht geht weiter davon aus, dass der Antragsteller entsprechend den allgemeinen algerischen Verhältnissen die notwendigen Mittel zur Injektion des Insulins sowie eine regelmäßig Kontrolle des Blutzuckerwerts erlangen kann. Sowohl in den Abteilungen der Diabetologie der Krankenhäuser als auch in algerischen Labors können regelmäßig Blutwerte kontrolliert werden (Stellungnahme der deutschen Botschaft in Algier vom 14. Mai 2002 an VG Köln). Selbst wenn - wie vom Antragsteller behauptet - Testgeräte oder Teststreifen in Algerien nicht oder nur mit hohem Kostenaufwand zu erlangen wären, könnte der Antragsteller seinen Blutzuckerwert jedenfalls in regelmäßigen Abständen in den genannten Einrichtungen untersuchen lassen, ohne dass ihm eine extreme Gefahr i.S. von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG droht. Auch der behandelnde Arzt Dr. S. hält in seinem Attest vom 20. Mai 2003 eine Kontrolle derart für möglich, dass der behandelnde Arzt die zu injizierende Insulinmenge festlegt und den Blutzuckerspiegel monatlich überprüft. Er empfiehlt aber die im Bundesgebiet zurzeit übliche individuelle Blutzuckerwert-Bestimmung vor jeder Mahlzeit, um u.U. lebensbedrohliche Folgeerkrankungen in späteren Jahren (Herzerkrankung, Erblindung) besser zu vermeiden. Folglich attestiert er gerade nicht, dass ohne eine individuelle Blutzuckerwert-Bestimmung vor jeder Mahlzeit dem Antragsteller der baldige sichere Tod oder eine schwerste Verletzung drohte. Vielmehr würde der Antragsteller dem gleichen Risiko von langfristig auftretenden Folgeerkrankungen unterliegen, wie dies bei einer Vielzahl anderer algerischer Diabetiker der Fall ist.
Damit wird zugleich deutlich, dass sich selbst bei gegenteiliger Einschätzung der extremen Gefahrenlage die die Gruppe (der Diabetiker mit geringem oder keinem Einkommen) insgesamt treffende schlechte medizinische Versorgungslage konkret in der Person des betroffenen Antragstellers realisieren würde, so dass nach den oben genanten Grundsätzen ohnehin die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG einträte. Es würde sich nämlich nicht um ihn allein treffende und allein in seiner Person liegende Gründe handeln, sondern vielmehr in erster Linie um typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage, die in der Person und in den - unterstellten - Lebensverhältnissen der Gruppe begründet wären. Nach der gesetzlichen Regelung des § 53 Abs. 6 AuslG entscheidet in diesen Fällen nicht das Bundesamt und damit auch nicht das Verwaltungsgericht über ein Vorliegen von Abschiebungshindernissen. Maßgeblich ist allein die politische Entscheidung des Innenministeriums, da - nach den hiesigen Feststellungen - auch die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat diese Aufgaben- und Verantwortungszuweisung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bis zur Grenze des Eintritts verfassungswidriger Verhältnisse - die hier nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind - zu respektieren.
Selbst unter Berücksichtigung von Rückkehrerkontrollen lässt sich eine extreme Gefahr i.S. von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG für den diabetes-mellitus-erkrankten Antragsteller nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit annehmen. Zwar muss der Antragsteller auch nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. September 2002, S. 12 damit rechnen, im Falle seiner Abschiebung nach Eintreffen auf dem Flughafen Algier in vorrübergehenden Polizeigewahrsam genommen zu werden. Zweck ist die Feststellung der Identität und die Prüfung, ob der Abgeschobene einer Straftat (Terrorismus) verdächtig ist. Bei Verdacht auf Desertion kann sich die Dauer des Gewahrsams wegen der Prüfung der Frage eines möglichen Geheimnisverrats auf über zwei Wochen ausdehnen. Anders als in der Stellungnahme von ai (vom 28. September 2001 an VG Schwerin, Seite 3) findet sich jedoch keine Bestätigung dafür, dass die gesetzlich zulässige Frist einer Inhaftnahme von 12 Tagen routinemäßig überschritten wird. Das dort behauptete häufige Verschwinden-Lassen bzw. längerfristige geheime Inhaftieren wird nur an einem einzigen Fall belegt, in dem eine strafrechtliche Verurteilung des Betroffenen als Anhänger der FIS erfolgt war, also - anders als hier - Anhaltspunkte für eine gegen den algerischen Staat gerichtete Tätigkeit des Abgeschobenen gegeben waren. Mangels einer gesichert festgestellten Häufung von längerfristigen Inhaftierungen kann schon nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jedem abgeschobenen Rückkehrer in Algerien eine längerfristige Inhaftierung droht. Außerdem sprechen hier verschiedene Umstände jedenfalls gegen eine derartige längerfristige Inhaftierung des Antragstellers, wenn nicht sogar gegen jegliche Festnahme. Er hat sich nur relativ kurze Zeit im Ausland aufgehalten und nach eigenem Vorbringen weder hier noch in seinem Heimatland politische Aktivitäten entfaltet. Unter Berücksichtigung der Feststellungen im rechtskräftig abgeschlossenen Asylerstverfahren ist nicht wahrscheinlich, dass er von der algerischen Polizei der Desertion oder Wehrdienstentziehung verdächtigt wird. Dies ergibt sich nicht nur aus seinem unglaubhaften Vorbringen im Asylerstverfahren (vg. Urteil des VG Braunschweig vom 11. April 2002 - 4 A 73/02 -), sondern auch aus dem behaupteten Besitz eines Reisepasses. Denn nach der Erkenntnislage (vgl. Deutsches Orient-Institut - DOI -, Gutachten vom 29. April 1992 an VG Ansbach) wird Wehrdienstpflichtigen in Algerien vor Ableistung des Wehrdienstes regelmäßig kein Pass ausgestellt.
Während einer demnach allenfalls drohenden kurzfristigen polizeilichen Festnahme dürfte es dem Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach möglich sein, eine krankheitsadäquate Medikation zu erlangen, zumal er über einen eigenen Insulinvorrat sowie über hier erworbene Kenntnisse der gesundheitsförderlichen Ernährungs- und Verhaltensweisen verfügt. Vor allem kann er durch seine freiwillige Ausreise eine Festnahme ganz vermeiden, die nach der o.g. Erkenntnismitteln lediglich den abgeschobenen Rückkehren droht.
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