Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 01.09.2004, Az.: 1 B 55/04
Abbruch; Abbruch des Auswahlverfahrens; Ausschreibung; Ausschreibungspflicht; Auswahlermessen; beamtenrechtliche Fürsorgepflicht; Beförderungsbewerber; Bestenauslese; Bewerbungsverfahren; Bewerbungsverfahrensanspruch; Dienstposten; Ermessensentscheidung; Fürsorgepflicht; Lehramt; Verfahrensgestaltung; Versetzungsbewerber
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 01.09.2004
- Aktenzeichen
- 1 B 55/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50725
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 123 VwGO
- Art 33 Abs 2 GG
- § 8 Abs 1 BG ND
- § 8 Abs 2 S 1 SchulG ND
- § 45 Abs 1 S 1 SchulG ND
- § 109 Abs 1 BG ND
- § 32 BG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Verfahrensgestaltung kommt bei der Besetzung von Schulleiterstellen im Lichte des Art. 33 Abs. 2 GG hohe Bedeutung zu.
2. Das Stellenbesetzungsverfahren kann nach einmal erfolgter Ausschreibung der Schulleiterstelle angesichts des Prinzips der Bestenauslese nur aus tragfähigen Sachgründen abgebrochen werden.
3. Bei Konkurrenz von Versetzungs- und Beförderungsbewerbern bedarf die Auswahl des Beförderungsbewerbers einer auch Art. 33 Abs. 2 GG standhaltenden Begründung.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, sie - die Antragstellerin - vorläufig mit der Wahrnehmung der Aufgaben der Rektorin der Haupt- und Realschule (HRS) ... zu beauftragen und sie zugleich mit Wirkung vom 1. August 2004 an diese Schule abzuordnen. Hilfsweise soll der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt werden, den Beigeladenen kommissarisch mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Rektors der HRS ... zu beauftragen.
Die Antragstellerin war seit dem 1. August 1991 bis zur Auflösung der Orientierungsstufen (OS) zum Ende des Schuljahres 2003/2004 Rektorin der Orientierungsstufe (OS) ... (Besoldungsgruppe A 14 plus Amtszulage BBesO). Der Beigeladene ist seit dem 1. August 2000 Rektor an der Hauptschule ... (Besoldungsgruppe A 13 BBesO) gewesen. Beide haben sich auf die zunächst ausgeschriebene Stelle einer Rektorin/eines Rektors der zum 1. August 2004 neu eingerichteten Haupt- und Realschule (HRS) ... beworben, die je nach Lehramtsbefähigung der Besoldungsgruppe A 13 plus Amtszulage oder A 14 BBesO zugeordnet werden soll. Da die Antragsgegnerin den Beigeladenen als Schulleiter der HRS ... für geeignet hielt, brach sie in Anlehnung an den Erlass des Nds. Kultusministeriums vom 17. Mai 2004 das Auswahlverfahren für die ausgeschriebene Stelle ab und teilte der Antragstellerin mit, dass sie beabsichtige, den Beigeladenen kommissarisch mit den Aufgaben des Rektors zu betrauen und ihm später bei Vorliegen der Planstelle das entsprechende Amt zu übertragen. Mit Verfügung vom 22. Juli 2004 versetzte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 109 Abs. 1 i. V. m. § 32 NBG mit Wirkung vom 1. August 2004 in das Amt einer Lehrerin am ...-Gymnasium in ... und wies sie in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 BBesO ein, wobei sie ihr zugleich eine ruhegehaltsfähige Ausgleichszulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen ihren bisherigen und den ihr nunmehr zustehenden Bezügen gewährte.
Die Antragstellerin legte sowohl gegen diese Verfügung als auch gegen die Entscheidung, ihre Bewerbung um die Stelle der Rektorin der HRS ... abzulehnen, Widerspruch ein. Am 30. Juli 2004 hat sie um die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Diesem Begehren treten die Antragsgegnerin und der Beigeladene mit jeweils einem eigenen Antrag entgegen.
II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO - Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn die Regelung - insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen - zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - Regelungsanordnung). Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen voraus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 123 Rdnr. 6). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
1. Soweit die Antragstellerin mit dem Hauptantrag im Wege der einstweiligen Anordnung erreichen will, dass sie vorläufig mit der Wahrnehmung der Aufgaben der Rektorin der HRS ... beauftragt und zugleich an diese Schule abgeordnet wird, weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach allgemeinen Grundsätzen nur die vorläufige Untersagung der Besetzung des Dienstpostens mit dem Beigeladenen im Wege der Sicherungsanordnung und damit das vorläufige Freihalten eines Dienstpostens erreichen kann, nicht aber die vorläufige Besetzung des umstrittenen Dienstpostens im Wege der Regelungsanordnung. Bereits aus diesem Grund ist der Hauptantrag abzulehnen.
2. Der Hilfsantrag hat allerdings Erfolg. Es liegt insoweit sowohl ein Anordnungsgrund (dazu a) als auch ein Anordnungsanspruch (dazu b) vor.
a) Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund, die Dringlichkeit einer Eilentscheidung, ist gegeben. Denn durch die Übertragung des zunächst ausgeschriebenen Dienstpostens an den Beigeladenen würde der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch auf fehlerfreie Auswahlentscheidung vereitelt oder zumindest erschwert werden.
b) Die Antragstellerin hat des Weiteren auch den erforderlichen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin und des Beigeladenen greift auch im vorliegenden Fall der sog. Bestenauslesegrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG/§ 8 Abs. 1 Satz 1 NBG. Dass dies die Antragsgegnerin zunächst ebenso gesehen hat, zeigt sich bereits daran, dass sie den streitigen Dienstposten der Rektorin/des Rektors der Haupt- und Realschule Hambühren entsprechend dem Erfordernis der §§ 45 Abs. 1 Satz 1 NSchG, 8 Abs. 2 Satz 1 NBG ausgeschrieben hat. Im Übrigen folgt auch die Antragsgegnerin in zutreffender Weise ersichtlich nicht der Ansicht des Beigeladenen, dass es sich bei der Einrichtung der zusammengefassten Haupt- und Realschule ... lediglich um die bloße Erweiterung der bereits vorhandenen und auch weiterhin fortbestehenden Hauptschule Hambühren, an der der Beigeladene Rektor war und bleibt, handelt.
Die der Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens vorausgehende Auswahlentscheidung des Dienstherrn unterliegt als Ermessensentscheidung einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung erstreckt sich lediglich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschrift oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.8.2001, 2 A 3.00 -, DVBl. 2002, 131; Nds. OVG, Beschl. v. 26.8.2003 - 5 ME 162/03 -, NVwZ-RR 2004, 197 m. w. N.). Allerdings hat der Dienstherr den Bewerbungsverfahrensanspruch des Beamten zu beachten, der das Recht auf eine faire und chancengleiche Behandlung umfasst (VGH Kassel, Beschl. v. 18.2.1991 - 1 TH 85/91 -, NVwZ-RR 1992, 34, 35).
Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin dadurch, dass sie die im Streit befindliche Stelle zunächst ausgeschrieben, anschließend aber ohne nähere sachliche Begründung das durch die Ausschreibung in Gang gesetzte Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen und eine Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen als Beförderungsbewerber ohne Beachtung der Grundsätze der Bestenauslese getroffen hat, den gesetzlichen Rahmen der Art. 33 Abs. 2/§ 8 Abs. 1 Satz 1 NBG verkannt und damit den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin in gerichtlich zu beanstandender Weise verletzt. Hierbei bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass durch die Gestaltung des Verfahrens „unmittelbar Einfluss auf die Konkurrenzsituation und damit auf das Ergebnis der Auswahlentscheidung genommen (wird)“ (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 20.9.2002 - 1 BvR 819/01 u. a. -). Gerade auch durch den Abbruch einer Ausschreibung lässt sich die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern (BVerfGE 73, 280/296 = NJW 1987, 887 [BVerfG 18.06.1986 - 1 BvR 787/80]), so dass der Verfahrensgestaltung im Lichte des Art. 33 Abs. 2 GG - Prinzip der Bestenauslese - hohe Bedeutung zukommt. Haben sich auf eine Ausschreibung hin, die als Hilfsmittel zur Gewinnung geeigneter Bewerber dient, geeignete bzw. gut geeignete Bewerber gemeldet, so wie das hier der Fall war, dann bedarf es einer ganz besonders nachvollziehbaren Begründung dafür, dass das Stellenbesetzungsverfahren trotz des Verfassungsprinzips der Bestenauslese wieder abgebrochen und das Gestaltungsermessen in Form einer Reduzierung und Einengung auf nur einen einzigen Bewerber ausgeübt wird. Dieses Erfordernis einer auch verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung wird hier dadurch gesteigert, dass sich mit der Antragstellerin eine Versetzungsbewerberin der Besoldungsgruppe A 14 plus Amtszulage BBesO am Besetzungsverfahren beteiligen konnte und wollte, deren Qualifikation auf den ersten Blick außer Frage steht. Hinzu kommt, dass ihr gegenüber - wegen der Auflösung der Orientierungsstufen - Fürsorgepflichten bestehen, die als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums Verfassungsrang genießen (BVerfGE 44, 249; 58, 76; 83, 89/98; Schnellenbach, ZBR 1981, 301). Bei Ermessensentscheidungen wie hier wird die Fürsorgepflicht zum Auslegungsprinzip (Battis, BBG-Kommentar, 2. Aufl., § 79 Rdn. 6 m. w. N.), so dass gerecht und wohlwollend zu verfahren ist. Im Hinblick hierauf und auf das niedrigere Statusamt des Beigeladenen (A 13 BBesO), der durch den Abbruch des Besetzungsverfahrens in eine vorteilhaftere Situation gebracht wird, fehlt es an nachvollziehbar sachlichen Gründen für den Abbruch, die Art. 33 Abs. 2 GG und seinem Sinn und Zweck standhalten. Einer Effektuierung oder auch nur Beachtung des Prinzips der Bestenauslese diente der Abbruch unter diesen Umständen jedenfalls nicht.
Wenn - wie hier - ein Versetzungsbewerber (die Antragstellerin) und ein Beförderungsbewerber (der Beigeladene) um ein Amt konkurrieren, darf der Dienstherr eine Beförderungsstelle zwar nach pflichtgemäßem Ermessen mit einem Versetzungsbewerber besetzen, ohne einem Beförderungsbewerber gegenüber dazu verpflichtet zu sein, die Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. In diesem Fall bindet die Stellenausschreibung den Dienstherrn nicht in der Weise, dass er nunmehr zwingend unter allen Bewerbern ein Auswahlverfahren mit dem Ziel der Bestenauslese durchzuführen hätte (Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2001, Rdnr. 68 m. w. N.). Etwas anderes gilt aber in dem hier vorliegenden Fall, dass er nicht den Versetzungsbewerber, sondern den Beförderungsbewerber auswählt. In diesem Fall muss der ausgewählte Beförderungsbewerber im Vergleich zum Versetzungsbewerber der leistungsstärkere sein.
Im vorliegenden Fall kann nicht hinreichend festgestellt werden, dass diesem Erfordernis Genüge getan ist. Denn die Antragsgegnerin hat ausweislich der überreichten Verwaltungsvorgänge über den Beigeladenen lediglich einen kurzen Leistungsbericht vom 29. Juni 2004 erstellt, und infolgedessen das Stellenbesetzungsverfahren aus diesem Grund abgebrochen, ohne einen dezidierten, den Erfordernissen des Art. 33 Abs. 2/§ 8 Abs. 1 Satz 1 NBG genügenden Leistungsvergleich zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen anzustellen. Dies wird die Antragsgegnerin nachzuholen haben.
Der von der Antragsgegnerin genannte Erlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 17. Mai 2004 rechtfertigt keine andere Entscheidung. Durch einen Erlass können die Grundsätze der Bestenauslese nicht außer Kraft gesetzt werden. Im Übrigen ist auch nach diesem Erlass an organisatorisch zusammengefassten Haupt- und Realschulen die Funktion der Schulleiterin oder des Schulleiters grundsätzlich mit einer Lehrkraft zu besetzen, die durch Prüfung die Befähigung für das Lehramt an Realschulen erworben hat. Hiervon kann aufgrund der schulstrukturellen Veränderungen zum 1. August 2004 an neuen zusammengefassten Schulen abgesehen werden, wenn der Inhaber eines Funktionsamtes an der bis zum 31. Juli 2004 bestehenden Schule für ein Funktionsamt an der neuen zusammengefassten Schule geeignet ist. Dass die Antragsgegnerin in rechtsfehlerfreier Weise von ihrem hiernach eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und aus welchen Ermessenserwägungen im Einzelnen sie gerade den Beigeladenen und nicht die Antragstellerin ausgewählt hat, ist bisher jedoch nicht ersichtlich.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin in dem erneuten Auswahlverfahren ohne jede Chance wäre, den erstrebten Dienstposten zu erlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 1996 (NVwZ 1996, 563 unter Ziffer II.8.3 aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.