Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 04.02.2002, Az.: 1 B 61/01

Abordnung; dienstliches Bedürfnis; Ermessen; Versetzung; Vollzugsinteresse

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
04.02.2002
Aktenzeichen
1 B 61/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 42859
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Dienstliches Bedürfnis für BGS-Versetzung trotz neuer Stellenausschreibung im BGS noch gegeben

Gründe

1

Anders als § 123 Abs. 1 VwGO normiert § 80 Abs. 5 VwGO keinerlei materielle Kriterien für eine Sachentscheidung, so dass die Rechtsprechung diese in der Regel im Wege einer Interessenabwägung sucht, bei der aufgrund einer summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache mitberücksichtigt werden, soweit sie sich schon übersehen lassen (Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Band I, Loseblattsammlung / Stand: Januar 2000, § 80 Rdn. 252 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 12. Aufl., § 80 Rdn. 158 unter Verweis auf § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO ).

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In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO jedoch, zu denen gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG auch der Widerspruch gegen eine Abordnung zählt, zieht die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften 12, 4. Aufl. 1998, Rdn. 849 / 851 m.w.N.; Schoch/ Schmidt-Aßmann-Pietzner, aaO., Rdn. 125, 204, 262 / 264 m.w.N.; differenzierend Kopp/ Schenke, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116, a.A. in der 12. Aufl. 2000) als Entscheidungsmaßstab § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO (analog) heran. Das bedeutet, dass ein öffentliches Vollzugsinteresse dann fehlt, wenn bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Auch nach Kopp/Schenke, aaO., 12. Auflage, § 80 Rdn. 158 iVm Rdn. 116, 101) kommt es in dem Fall, dass ein Widerspruchsbescheid fehlt, nicht etwa auf eine "offensichtliche" Rechtswidrigkeit an, sondern nur noch darauf, ob bei der dem Gericht abverlangten Interessenabwägung "gewichtige Gründe für die Rechtswidrigkeit" sprechen (aaO. Rdn. 101). Hierbei gilt, dass der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) "nicht etwa eine gesteigerte Rechtmäßigkeitsvermutung zugunsten des Verwaltungsakts" begründet (Schoch u.a., aaO., Rdn. 261), sondern nur ein überschießendes Beschleunigungsinteresse. Dieses ist im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit je nach Fallgestaltung - orientiert am materiellen Recht (u.a. am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, VGH München, NVwZ 1991, 1002 [VGH Bayern 14.01.1991 - 14 CS 90/3166]) - durch das Gericht ggf. wieder auf ein normales Maß zurückzuführen (Schoch u.a., aaO, Rdn. 197).

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Solche ernstlichen Zweifel, die dann vorliegen, wenn bei summarischer Prüfung "Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage" bestehen (Schoch u.a., aaO., Rdn. 194), so dass ein Erfolg im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg (Schoch u.a., aaO., Rdn. 195 m.w.N.; so ausdrücklich auch für das Zulassungsverfahren iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nds. OVG, Beschl. v. 11.12.2001 - 2 MA 3519/01 - ; Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116), sind hier zur Zeit nicht ersichtlich. Auch hinreichend gewichtige Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Versetzungsverfügung fehlen für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gem. § 80 Abs. 5 VwGO.

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1. Die materiell-rechtlich auf § 26 BBG gestützte Versetzungsverfügung ist nicht deshalb insgesamt rechtswidrig, weil sie z.T. auch rückwirkend ausgesprochen worden ist. Denn sie lässt sich in eine rückwirkende und eine für die Zukunft geltende Regelung teilen, so dass die Verfügung - wenn überhaupt - nur hinsichtlich des rückwirkenden Teils rechtsfehlerhaft wäre. Insoweit jedoch fehlt dem Antragsteller für seinen Antrag das Rechtsschutzinteresse, da er bis zur Aushändigung der Versetzungsverfügung seinen Dienst am bisherigen Standort verrichtet hat und seinen Dienst bei der neuen Dienststelle erst am 20. August ("Reisetag zgl. Dienstantritt") antreten sollte.

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2. Eine Rechtswidrigkeit ergibt sich inzwischen - unter Zugrundelegung des maßgeblichen Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (VGH Kassel NVwZ 1992, 393) - auch nicht aus dem zunächst zu konstatierenden Mangel einer Begründung. Denn die Antragsgegnerin hat eine entsprechende schriftliche Begründung nachgereicht (vgl. die gegen Empfangsbekenntnis v. 25.9.01 ausgehändigte Verfügung vom 30.8.2001 - SB 42.2 - 16 04 02 -), so dass von einer zwischenzeitlich eingetretenen Heilung des zuvor gegebenen Begründungsmangels auszugehen ist. Diese Heilung ist bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheides noch möglich (BVerwG, Beschluss v. 27.11.2000 - 2 B 42/00 -). Es kann daher dahinstehen, ob die Informationen über die BGS-Reform und die Beteiligung des Antragstellers an den einzelnen Verfahrensschritten der Strukturreform dazu geführt haben, dass dem Antragsteller iSv § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG hinlänglich bekannt gewesen ist, welche dienstlichen Gründe zu seiner Versetzung geführt haben (vgl. BVerfGE 6, 32 [BVerfG 16.01.1957 - 1 BvR 253/56] f./44 unten; Kopp/Ramsauer, VwVfG - Komm. 7.Aufl. Rdn. 41).

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3. Das in vorangehenden Beschlüssen (vgl. u.a. Beschlüsse v. 17. Und 23. Oktober 2001 - 1 B 46 u. 1 B 49/01 - ) von der Kammer noch konstatierte dienstliche Bedürfnis für eine Versetzung iSv § 26 BBG - einem unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum (Battis, BBG 2. Aufl., § 26 Rdn. 11) - ist derzeit jedoch nicht mehr mit der Deutlichkeit gegeben, wie das noch im Herbst 2001 von der Kammer angenommen worden war.

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Denn das Bundesministerium des Innern hat mit Erlass vom 12. Oktober 2001 zum 2. Januar 2002 die Einstellung von bundesweit 300 Laufbahnbewerberinnen/-bewerber in den Vorbereitungsdienst des mittleren Polizeivollzugsdienstes im BGS angekündigt und zugleich darauf hingewiesen, dass im Laufe des Jahres 2002 eine Gesamtzahl von "deutlich über 300" Bewerber neu eingestellt werden solle, wozu noch ein gesonderter Erlass ergehen werde. Damit werden die Darlegungen der Antragsgegnerin dazu, bei ihr bestehe ein "Personalüberhang", so dass eine Versetzung in das Grenzschutzpräsidium Ost in einer Größenordnung von 170 Beamten erforderlich sei (S. 3 des Schr. v. 26.9.2001), deutlich in Frage gestellt. Denn nach dem gen. Erlass sollen die Polizeimeisteranwärterinnen/-anwärter "grundsätzlich" ja auch im jeweiligen BGSP eingestellt werden, was auf eine Aufnahmebereitschaft auch des GSP Nord hindeutet, so dass ein Bedürfnis für Versetzungen entfallen sein könnte. Die im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung vorzunehmende Bewertung der gegensätzlichen Standpunkte lässt den vorliegenden Fall daher im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Antragsbegehren als Grenzfall erscheinen, bei dem letztlich ausschlaggebend ist, dass die Neueinstellung von zunächst 60 Beamten im Bereich des GSP Nord noch nicht unmittelbar auf die Stellensituation bei der Antragsgegnerin durchschlägt, die neu eingestellten Beamten vielmehr sich zunächst noch in einer Ausbildungsphase befinden, nach deren Ende es z.Z. als jedenfalls noch offen angesehen werden muss, ob und wie viele - wie im Erlass vom 12. Oktober 2001 angekündigt - "grundsätzlich im jeweiligen BGSP (wieder-) eingestellt" werden können. Die Antragsgegnerin betont in diesem Zusammenhang (S. 4 d. Schr. v. 7.11. 2001), dass es "nicht sicher" sei, dass diejenigen Beamten, die vom GSP Nord eingestellt und ausgebildet werden, auch nach Abschluss ihrer Laufbahnprüfung "im Bereich des Grenzschutzpräsidiums Nord verbleiben" - auch wenn der gen. Erlass von einem solchen Verbleib spreche. Es lässt sich daher noch nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen, ob das dienstliche Bedürfnis für eine Versetzung des Antragstellers durch die offenbar neuere Personalsituation und die beabsichtigten Neueinstellungen (vgl. den gen. Erlass v. 12. Okt. 2001) tatsächlich entfallen ist.

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Wenn der Präsident des BGSP West Seeger sich insoweit im Behördenspiegel v. Juni  2001 dahingehend geäußert hat, dass der "Druck an der deutsch-polnischen Grenze" stark "nachgelassen" habe und ein "signifikanter Rückgang des Migrationsdruckes" zu erleben sei, ein solcher vielmehr in den alten Bundesländern zu verzeichnen sei, so ändert diese Äußerung nach Auffassung der Kammer ebenfalls noch nichts am derzeit wohl noch anzunehmenden Personalüberhang des GSP Nord und am Bestehen des dienstlichen Bedürfnisses, so wie es von der Antragsgegnerin dargelegt worden ist.

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4. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versetzungsverfügung ergeben sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, dass der Dienstherr nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung berechtigte Belange des Beamten aus dessen persönlichen Bereich in seine Ermessensentscheidung einzustellen hat (Günther, ZBR 1979, 79; OVG Münster NWVBl. 1993, 465; OVG Lüneburg, ZBR 1959, 393; VGH München, BayVBl. 1959, 351) und der Dienstherr bei einem Auswahlermessen das Verhältnismäßigkeitsgebot zu beachten hat (BVerwG, DÖD 1965, 177; Schnellenbach,NJW-Schriften 40, 4. Aufl. 1998, Rdn. 103), was hier durch den Erlass vom 16. Febr. 1998 und die Dienstvereinbarung bestätigt und unterstrichen wird. Im Beschluss des VG Köln v. 11. September 2001 (15 L 1677/01) heißt es insoweit:

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"Bei allen horizontalen Personalveränderungen wurde dem Gesichtspunkt der Sozialverträglichkeit besondere Bedeutung beigemessen. Die persönlichen und sozialen Umstände der Betroffenen wurden dabei in Form eines einvernehmlich zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesgrenzschutz-Hauptpersonalrat entwickelten "Sozialkriterienkatalog" berücksichtigt. Das Gewicht der bei Personalveränderungen zu berücksichtigenden persönlichen/ familiären Umstände ergibt sich dabei aus der dem einzelnen Bediensteten jeweils zuerkannten Sozialgesamtpunktezahl. Unabhängig von diesem Sozialkriterienkatalog wurden besonders schwerwiegende persönliche/gesundheitliche Umstände durch ein besonderes Verfahren des "Härtefall-Anerkenntnisverfahren" ergänzt."

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Hierbei mag dahinstehen, ob es rechtlich möglich gewesen ist, im letzten Verfahrensschritt (2.5 der Dienstvereinbarung) eine Standortbindung und Sozialbelange des betroffenen Beamten weitgehend auszublenden (vgl. dazu schon Beschl. der Kammer v. 23.10. 2001 - 1 B 49/01 - S. 5 d. Abdr.), obgleich doch die maßgebliche Rechtsentscheidung über die Versetzung, in deren Rahmen nach der Rechtsprechung zum behördlichen Verwaltungsermessen persönliche Belange des Beamten und seine Sozialbelange zu berücksichtigen waren, erst mit der angegriffenen Verfügung vom 9. August 2001 getroffen worden ist. Durch ihre Verfahrensweise hat sich die Antragsgegnerin den Zugang zu - u.U. gravierenden - Veränderungen des Jahres 2001 im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen zur Versetzungsverfügung möglicherweise versperrt, was sich dann als Ermessensdefizit darstellte. Aber auch bei Annahme einer Pflicht, alle im Zeitpunkt der Versetzungsverfügung (9. August 2001) ersichtlichen Belange des Beamten - auch erst im Jahre 2001 entstandene Sozialbelange - entsprechend ihrem Gewicht in die Ermessensentscheidung einzustellen und sie unter Berücksichtigung des dienstlichen Bedürfnisses abzuwägen, ergeben sich jedenfalls im vorliegenden Fall für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine "ernstlichen Zweifel" an der bzw. "gewichtigen Gründe" gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung.