Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.12.2003, Az.: 12 K 262/99

Voraussetzungen für die Erteilung eines Ergänzungsbescheides; Unterbleiben einer notwendigen Feststellung in einem Feststellungsbescheid; Tarifbegünstigung nach § 32 c Einkommensteuergesetz (EStG) als notwendige Feststellung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
03.12.2003
Aktenzeichen
12 K 262/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 25877
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:1203.12K262.99.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 28.06.2005 - AZ: X R 54/04

Fundstellen

  • DStR 2004, XII Heft 20-21 (Kurzinformation)
  • DStRE 2004, 659-660 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2004, 785-786
  • KÖSDI 2004, 14289 (Kurzinformation)
  • WPg 2004, 877

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die fehlende Feststellung gewerblicher Einkünfte i.S.d. § 32c Abs. 2 EStG kann in einem Ergänzungsbescheid gem. § 179 Abs. 3 AO getroffen werden, sofern der ursprüngliche Feststellungsbescheid unvollständig bzw. lückenhaft war.

  2. 2.

    Ergänzungsbescheide dürfen einen lückenhaften Feststellungsbescheid vervollständigen, nicht aber Unrichtigkeiten eines Feststellungsbescheides korrigieren oder die im ursprünglichen Feststellungsbescheid getroffenen Feststellungen ändern.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob das Finanzamt den Antrag auf Erteilung eines Ergänzungsbescheides gem. § 179 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) zu Recht abgelehnt hat.

2

Die Klägerin, die in B ihren Wohnsitz hat, betreibt in H einen Gewerbebetrieb. In der Feststellungserklärung für das Streitjahr erklärte sie einen laufenden Gewinn in Höhe von 400.000 DM und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 200.000 DM (Zeile 16 der Anlage GSE). In der von der Klägerin darüber hinaus abgegebenen Anlage ESt 1, 2, 3 B zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung hatte sie u.a. diese Beträge als Anteile an den gewerbesteuerpflichtigen Einkünften, die der Tarifbegrenzung nach § 32 c Einkommensteuergesetz (EStG) unterliegen, ebenfalls angegeben. Mit Feststellungsbescheid vom 31.07.1997 stellte das Finanzamt die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 600.000 DM gesondert fest. Den ermittelten Übernahmegewinn nach §§ 4 ff. Umwandlungsteuergesetz (UmwStG) rechnete es dem laufenden Gewinn zu.

3

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte, nach § 10 UmwStG die anzurechnende Körperschaftsteuer in Höhe von XXXXX DM bei Vermögensübertragung der GmbH in das Einzelunternehmen am 01.01.1996 festzustellen. Mit Änderungsbescheid vom 23.09.1997 wurde dem Antrag entsprochen. In dem bestandskräftig gewordenen Feststellungsbescheid wurden von dem Bearbeiter des Finanzamtes handschriftlich die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 600.000 DM und die anzurechnende Körperschaftsteuer in Höhe von XXXXX DM in die hierfür im Vordruck vorgesehenen Felder eingetragen. Weitere Eintragungen hat der Bearbeiter in die dafür vorgesehenen freien Felder der Vorderseite des Vordrucks nicht vorgenommen. Vielmehr hat er durch diese einen senkrechten durchgehenden Strich gezogen.

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Nachdem ein Antrag der Klägerin auf Berichtigung des Feststellungsbescheides gem. § 129 AO hinsichtlich der Feststellung der gewerblichen Einkünfte im Sinne des § 32 c EStG in Höhe von 400.000 DM bestandskräftig zurückgewiesen worden war, beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 08.10.1998 den Erlass eines Ergänzungsbescheides gem. § 179 Abs. 3 AO, in dem die tarifbegünstigten gewerblichen Einkünfte im Sinne von § 32 c EStG gesondert festzustellen seien. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos. Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führte das Finanzamt aus, in dem Feststellungsbescheid sei die - falsche - Entscheidung getroffen worden, dass keine gem. § 32 c Abs. 2 EStG tarifbegünstigten gewerblichen Einkünfte vorliegen. Der Vordruck über die gesonderte Feststellung des Gewinns sehe nur die Angabe über eventuell gegebene Tarifbegünstigungen vor. Eine Feststellung über das Nichtvorliegen einer Tarifbegünstigung sei weder vorgesehen noch erforderlich. Damit sei der Feststellungsbescheid nicht unvollständig im Sinne des § 179 Abs. 3 AO.

5

Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung führt die Klägerin aus: In Fällen der gesonderten sowie der gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien gem. R 185 a Abs. 4 Einkommensteuerrichtlinien (EStR) auch die tarifbegünstigten gewerblichen Einkünfte im Sinne von § 32 c EStG gesondert festzustellen. Diese Feststellung sei in dem Gewinnfeststellungsbescheid vom 23.09.1997 nicht getroffen worden. Der Gewinnfeststellungsbescheid sei somit nicht fehlerhaft, sondern lückenhaft. Hätte der Beklagte die gesonderte Feststellung tarifbegünstigter gewerblicher Einkünfte im Sinne von § 32 c EStG tatsächlich abgelehnt, so wäre die Ablehnung gem. § 121 Abs. 1 AO schriftlich zu begründen gewesen. Entsprechende Erläuterungen fehlten aber in dem Bescheid.

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Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, einen Ergänzungsbescheid gem. §179 Abs. 3 AO zu dem Gewinnfeststellungsbescheid 1996 vom 23.09.1997 zu erlassen und die tarifbegünstigten gewerblichen Einkünfte im Sinne des § 32 c Einkommensteuergesetz in Höhe von 400.000 DM ergänzend festzustellen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er verweist auf seine im Einspruchsbescheid vertretene Rechtsauffassung und trägt ergänzend vor: Der Hinweis der Klägerin auf § 121 Abs. 1 AO greife nicht, da das Finanzamt nicht von der zu bearbeitenden maßgebenden Steuererklärung mit der Anlage GSE abgewichen sei. Die Anlage ESt 1, 2, 3 B sei unbearbeitet zu den Akten genommen worden, da diese lediglich bei einheitlich und gesonderten Feststellungen abzugeben und bei gesonderten Feststellungen irrelevant sei. Der Ergänzungsbescheid könne eine Feststellung des Feststellungsbescheides nicht ändern; er könne nur insoweit ergehen, als die Finanzbehörde in dem Feststellungsbescheid keine sachliche Entscheidung getroffen habe. Der Ergänzungsbescheid ermögliche nicht die Durchbrechung der Bestandskraft des Feststellungsbescheides, sondern schließe eine Lücke des Feststellungsbescheides, treffe also die Entscheidung hinsichtlich eines Gegenstandes, über den der Feststellungsbescheid noch nicht entschieden habe. Das Institut des Ergänzungsbescheides könne nicht dazu dienen, unrichtige Feststellungen zu berichtigen.

Gründe

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Die Klage ist begründet.

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Zu Unrecht hat das Finanzamt den Antrag auf Erlass eines Ergänzungsbescheides abgelehnt. Die fehlende Feststellung der gewerblichen Einkünfte i.S.d. § 32 c Abs. 2 EStG kann in einem Ergänzungsbescheid gem. § 179 Abs. 3 AO getroffen werden.

11

1.

Gem. § 179 Abs. 3 AO ist eine notwendige Feststellung in einem Ergänzungsbescheid nachzuholen, soweit in einem vorangegangenen Feststellungsbescheid eine notwendige Feststellung unterblieben ist. Voraussetzung ist demnach, dass der ursprüngliche Feststellungsbescheid unvollständig bzw. lückenhaft ist. Dies ist immer dann der Fall, wenn Feststellungen hätten getroffen werden müssen, aber nicht getroffen worden sind (BFH-Urteil vom 11.05.1999 IX R 72/96, BFH/NV 1999,1446). Ergänzungsbescheide dürfen einen lückenhaften Feststellungsbescheid vervollständigen, nicht aber Unrichtigkeiten eines Feststellungsbescheides korrigieren oder die in dem ursprünglichen Feststellungsbescheid getroffenen Feststellungen ändern; denn in einem solchen Fall ist die ursprüngliche Feststellung nicht lückenhaft, sondern inhaltlich falsch (BFH-Urteil vom 15.06.1994 II R 120/91 BStBl II 1994,819; vom 04.08.1988 IV R 78/86, BFH/NV 1989,281).

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a)

Ob eine notwendige Feststellung in einem Feststellungsbescheid enthalten ist, ist durch Auslegung dieses Feststellungsbescheides zu ermitteln. Bei der Auslegung eines Verwaltungsaktes kommt es nicht darauf an, was die Finanzbehörde mit ihrer Erklärung gewollt hat. Entscheidend ist vielmehr, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Unklarheiten gehen dabei zu Lasten der Behörde (BFH-Urteil vom 11. Mai 1999 IX R 72/96, BFH/NV 1999, 1446).

13

b)

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kann z.B. durch Ergänzungsbescheid festgestellt werden, ob der Gewinn auf Grund einer ordnungsgemäßen Buchführung ermittelt worden ist oder nicht (BFH-Urteile vom 12.12.1978 VIII R 10/76, BStBl II 1979,440; vom 28.10.1981 I R 115/78, BStBl II 1982,485), wie hoch die Anteile der Gesellschafter am Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG bei einem als solchen bereits festgestellten Veräußerungsgewinn sind (BFH-Beschluss vom 28.03.1974 IV B 58/ 73, BStBl II 1974,459), wie ein festgestellter und der Höhe nach unstreitiger, aber bisher noch nicht aufgeteilter Gewinn auf die Gesellschafter zu verteilen ist (BFH-Urteil vom 13.12.1983 VIII R 90/81, BStBl II 1984, 474), ob und in welcher Höhe eine Personengesellschaft ihren Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen gewährt hat (BFH-Urteil vom 13.04.1978 IV R 91/74, BStBl II 1978,479), dass ein festgestellter Gewinn die Berlinvergünstigung des § 21 Abs. 1 Berlinhilfegesetz bzw. Berlinförderungsgesetz genießt (BFH-Urteil vom 14.01.1982 IV R 32/81, BStBl II 1982, 531). Durch Ergänzungsbescheid wird in diesen Fällen nicht ein Fehler im Sinne einer materiellen Unrichtigkeit des bisherigen Feststellungsbescheides berichtigt, sondern der bereits vorhandene Bescheid lediglich um eine bisher unterbliebene Feststellung ergänzt.

14

2.

Im Streitfall liegt nach Auffassung des erkennenden Senats ein diesen Beispielsfällen vergleichbarer Fall vor. In dem Feststellungsbescheid vom 23.09.1997 fehlt es an einer Feststellung dazu, in welchem Umfang die festgestellten Einkünfte zu den gewerblichen Einkünften gehören, die der Tarifbegrenzung nach § 32 c EStG unterliegen.

15

a)

Bei der Frage der Tarifbegünstigung nach § 32 c EStG handelt es sich um eine notwendige Feststellung im Sinne des § 179 Abs. 3 AO. Das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit besagt nur, dass über diese Feststellung im Feststellungsverfahren und nicht erst bei der Einkommensteuerveranlagung zu befinden ist, nicht hingegen, dass die Feststellung für einen Feststellungsbescheid begriffsnotwendig ist, also jedem Feststellungsbescheid wesenseigen ist (BFH-Urteil vom 20.04.1978 IV R 92/76, BStBl II 1978, 479). Werden gewerbliche Einkünfte im Rahmen einer gesonderten Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 b AO festgestellt, weil das Unternehmen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Wohnsitzfinanzamtes des Einzelunternehmens betrieben wird, so ist im Rahmen des Feststellungsverfahrens über die Frage, ob und mit welchem Betrag die gewerblichen Einkünfte nach § 32 c EStG begünstigt sind, zu entscheiden (vgl. Hörger in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 c Rz. 37; R 185 a Abs. 4 EStR).

16

b)

Die Auffassung des Bekl., im Feststellungsbescheid vom 23.09.1997 sei bereits die Entscheidung getroffen worden, dass gem. § 32 c Abs. 2 EStG tarifbegünstigte gewerbliche Einkünfte nicht vorliegen, vermag nicht zu überzeugen. Die Spalte "gewerbliche Einkünfte im Sinne des § 32 c Abs. 2 EstG" in Teil A..Feststellungen des Bescheides ist vom Bearbeiter nicht ausgefüllt geworden. Dies konnte von der Kl. nur dahingehend verstanden werden, dass das Finanzamt eine entsprechende Feststellung nicht getroffen hat. Auch umfasst die Feststellung der laufenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 600.000 DM nicht gleichzeitig die hier streitige Feststellung, da beide Feststellungen sich nicht gegenseitig ausschließen, wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn nachträglich festgestellt werden soll, es handele sich die bei einem Teil des festgestellten Gewinns nicht um einen laufenden, sondern um einen tarifbegünstigten Gewinn im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 26.11.1975 I R 44/74 BStBl II 1976,304).

17

Der vom Bearbeiter des Finanzamtes durch die nicht ausgefüllten Felder senkrecht gezogene Strich ist nicht dahingehend zu verstehen, dass zu den einzelnen möglichen Feststellungen auch tatsächlich jeweils - negative - Entscheidungen getroffen worden sind. Vielmehr wird hierin nur die Absicht des Bearbeiters, den handschriftlich ausgefüllten Bescheid vor weiteren, unberechtigten Eintragungen zu schützen, deutlich. Hätte der Bearbeiter des Finanzamtes tatsächlich die - unstreitig falsche - Feststellung getroffen, es lägen keine tarifbegünstigten Einkünfte im Sinne des § 32 c Abs. 2 EStG vor, so wäre nach Auffassung des Senats die Eintragung von 0 DM oder zumindest eines Querstrichs oder eines Minuszeichens in das entsprechende Feld erforderlich gewesen. Die Nichtfeststellung kann nicht mit einer "Nullfeststellung" gleichgesetzt werden.

18

Die fehlende Feststellung der der Höhe nach unstreitigen gewerblichen Einkünfte i.S.d § 32 c EStG ist damit vom Beklagten in einem Ergänzungsbescheid nachzuholen.

19

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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4.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).