Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.12.2003, Az.: 1 K 361/03

Voraussetzungen für das Vorliegen der Änderung einer Steuerfestsetzung; Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift ; Anforderungen an die Festsetzung von Nachzahlungszinsen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.12.2003
Aktenzeichen
1 K 361/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 26710
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:1215.1K361.03.0A

Fundstellen

  • DStR 2004, XII Heft 51-52 (Kurzinformation)
  • DStRE 2005, 62-63 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2004, 1659-1660

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die bisherige Zinsfestsetzung ist nach zu ändern, wenn die Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird. Eine Änderung der Steuerfestsetzung liegt nur vor, wenn die Höhe des festgesetzten Steuerbetrags geändert wird.

  2. 2.

    Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu beurteilen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233 a der Abgabenordnung (AO).

2

Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Steuerfestsetzung wurde mehrfach geändert. Durch Bescheid vom 18. Juni 2001 setzte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuer aufgrund geänderter Verlustrückträge aus den Jahren 19.. und 19.. auf 0,00 DM fest. Unter Berücksichtigung anrechenbarer Steuerabzugsbeträge und anrechenbarer Körperschaftsteuer verblieb ein Betrag von ./. 277.047,00 DM. Zugleich setzte das FA Zinsen nach § 233 a AO in Höhe von ./. 45.635,00 DM fest. Wegen der Ermittlung dieses Betrages wird auf Blatt 3 des Bescheides vom 18. Juni 2001 (Bl. 221 der Einkommensteuerakte zu Steuernummer ...) Bezug genommen.

3

Aufgrund eines nochmals geänderten Verlustrücktrages aus dem Jahr 1994 wurde die Einkommensteuer durch Bescheid vom 16. Oktober 2001 auf 61.476,00 festgesetzt, so dass unter Berücksichtigung einbehaltener Steuerabzugsbeträge ein Betrag von ./. 215.571,00 DM verblieb. Die zuvor festgesetzten Zinsen wurden auf ./. 30.899 DM herabgesetzt. Dem lag folgende Berechnung zugrunde:

Verbleibender Betrag laut Bescheid vom 16.10.2001- 215.571,00 DM
Verbleibender Betrag laut Bescheid vom 18.6.2001- 277.047,00 DM
Unterschiedsbetrag zu Ungunsten der Kläger61.476,00 DM
zu verzinsen (abgerundet) 61.400 DM vom 1.4.1994 bis 31.3.1998 (48 volle Monate zu 0,5 v.H. = 24,0 v.H.)14.736,00 DM
bisher festgesetzte Zinsen- 45.635,00 DM
festzusetzende Zinsen (Erstattungszinsen)- 30.899,00 DM.
4

Durch Bescheid vom 25. Oktober 2001 wurde die Steuerfestsetzung nochmals geändert und die Einkommensteuer wieder auf 0,00 DM herabgesetzt. Die Zinsfestsetzung blieb unverändert. Die nochmalige Änderung der Einkommensteuerfestsetzung beruhte darauf, dass die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte des Klägers aus einer Kommanditbeteiligung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert worden war (Mitteilung vom 21. Mai 2001 - Bl. 229 der Einkommensteuerakte -).

5

Mit dem gegen die Zinsfestsetzung vom 16. Oktober 2001 eingelegten Einspruch vom 16. November 2001 machten die Kläger geltend, dass eine Steuerfestsetzung, die lediglich neun Tage wirksam gewesen sei, nicht zu einer Kürzung zuvor erstatteter Zinsen von 14.376 DM führen könne, und zwar um so weniger, als bei einer Zusammenfassung der in den Bescheiden vom 16. und vom 25. Oktober 2001 vorgenommenen Änderungen die Steuerfestsetzung bei 0,00 DM verblieben und ein - nach § 233 a Abs. 7 AO in Teilunterschiedsbeträge aufzuteilender - Unterschiedsbetrag gar nicht entstanden wäre (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. November 2002 V R 75/01, BStBl. II 2003, 115).

6

Durch Einspruchsbescheid vom 10. September 2003 wies das FA diesen Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus:

7

Dass die durch die Bescheide vom 16. bzw. vom 25. Oktober 2001 vorgenommenen Änderungen der Steuerfestsetzung bei der Festsetzung der Nachzahlungszinsen unterschiedlich behandelt würden, liege daran, dass für sie unterschiedliche Verzinsungszeiträume gälten. Soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder auf einem Verlustabzug nach § 10 d EStG beruhe, beginne der Zinsablauf nach § 233 a Abs. 2 a AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust entstanden sei. Dies gelte aber nur insoweit, als der danach maßgebende Zeitpunkt in die Zeit nach dem 31. Dezember 1995 falle. Da die Steuerfestsetzung vom 16. Dezember 2001 auf der Berücksichtigung eines bereits im Jahr 1994 entstandenen Verlusts beruhe, sei der Zinslauf insoweit noch nach § 233 a Abs. 2 AO zu bestimmen, so dass der Zinszeitraum am 1. April 1994 beginne und am 31. März 1998 ende. Demgegenüber gehe die Steuerfestsetzung vom 25. Oktober 2001 auf ein rückwirkendes Ereignis zurück, das im Jahr 1996 eingetreten sei, so dass der Zinslauf insoweit erst mit dem 1. April 1998 begonnen habe. Da sich die Verzinsungszeiträume nach § 233 a Abs. 2 und Abs. 2 a AO nicht entsprächen oder überschnitten, komme auch keine Minderung der auf die Steuerfestsetzung vom 16. Oktober 2001 entfallenden Zinsen nach § 233 a Abs. 5 AO in Betracht. Ebenso wenig sei der aufgrund der Steuerfestsetzung vom 25. Oktober 2001 zu erstattende Betrag zu verzinsen, weil der Verzinsungszeitraum insoweit weniger als einen Monat betrage. Die sich aus dem Steuerbescheid vom 16. Oktober 2001 ergebende Abschlusszahlung sei durch Umbuchung am 5. Oktober 2001 geleistet, die Steuerfestsetzung vom 25. Oktober 2001 aber bereits am 28. Oktober 2001 wirksam geworden.

8

Entgegen der Ansicht der Kläger könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich eine andere Zinsfestsetzung ergeben hätte, wenn die durch die Steuerbescheide vom 16. und vom 25. Oktober 2001 vorgenommenen Änderungen in einem Steuerbescheid zusammengefasst worden wären. Die in § 233 a Abs. 7 AO vorgesehene Aufteilung in Teilunterschiedsbeträge sei auch dann vorzunehmen, wenn sich die Summe der Änderungen gegenseitig aufhebe. Anderenfalls ergebe sich eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber solchen Fällen, in denen geringfügige Unterschiedsbeträge verblieben. Aus dem BFH-Urteil in BStBl. II 2003, 115 könnten keine gegenteiligen Schlüsse gezogen werden, weil es einen sachlich nicht vergleichbaren Fall - nämlich das Vorliegen lediglich eines Änderungsgrundes - zum Gegenstand gehabt habe.

9

Hiergegen richtet sich die am 9. Oktober 2003 erhobene Klage. Die Kläger halten an ihrer Auffassung fest, dass im Fall einer Zusammenfassung der durch die beiden Änderungsbescheide vom 16. und 25. Oktober 2001 vorgenommenen Änderungen kein Raum für eine Änderung der Zinsfestsetzung gewesen wäre. Abgesehen davon, dass in diesem Fall wegen der fehlenden Auswirkung auf die Höhe der Steuerfestsetzung möglicherweise gar kein geänderter Bescheid hätte ergehen dürfen, hätte sich jedenfalls kein Unterschiedsbetrag im Sinne des § 233 a Abs. 3 AO ergeben, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Zinsfestsetzung nach § 233 a Abs. 5 AO nicht erfüllt gewesen wären. Offenbar sei die Änderung des Steuerbescheides vom 18. Juni 2001 in zwei Teilschritten nur deshalb erfolgt, um formal die Voraussetzungen für eine Änderung der Zinsfestsetzung zu schaffen.

10

Die Kläger beantragen,

den Bescheid über Zinsen zur Einkommensteuer 1992 vom 16. Oktober 2002 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 10. September 2003 aufzuheben,

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Er hält an der seiner Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Auffassung fest.

13

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Kläger vom 10. November 2003 - Bl. 29 der FG-Akte - und des FA vom 28. November 2003 - Bl. 31 der FG-Akte -).

Gründe

14

Die Klage ist begründet. Durch den angefochtenen Bescheid hat das FA die am 18. Juni 2001 erfolgte Zinsfestsetzung zur Einkommensteuer 1992 zu Unrecht geändert.

15

1.

Nach der - hier allein in Betracht kommenden - Änderungsvorschrift des § 233 a Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz AO ist eine bisherige Zinsfestsetzung zu ändern, wenn die Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird. Eine Änderung der Steuerfestsetzung liegt nur vor, wenn die Höhe des festgesetzten Steuerbetrags geändert wird. Denn nur diese Festsetzung ist Gegenstand der mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen versehenen Regelung, die der Steuerbescheid gegenüber dem Steuerpflichtigen trifft (§ 118 Satz 1, § 157 Abs. 1 Satz 1 AO). Demgegenüber bildet die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen - soweit diese nicht gesondert festgestellt werden - einen mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids (§ 157 Abs. 2 AO).

16

Mit dem - nach § 10 d Abs. 1 Satz 2 EStG geänderten - Einkommensteuerbescheid vom 16. Oktober 2001 war eine Änderung der Steuerfestsetzung in diesem Sinne verbunden, weil die zuvor auf 0,00 DM festgesetzte Einkommensteuer 1992 durch ihn auf 61.476,00 DM heraufgesetzt worden war. Damit lag im Zeitpunkt der Erteilung des angefochtenen Zinsbescheides die Voraussetzung für eine Änderung der Zinsfestsetzung nach § 233 a Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz AO vor. Bei Erteilung der Einspruchsentscheidung war diese aber bereits entfallen, weil die Steuer durch den Änderungsbescheid vom 25. Oktober 2001 wieder auf 0,00 DM und damit auf den Betrag festgesetzt worden war, der auch der bisherigen Zinsfestsetzung zugrunde gelegen hatte.

17

Welchen Zeitpunkt das Gericht der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts zugrunde zu legen hat, wird in § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht ausdrücklich geregelt. Diese Frage stellt sich im Steuerprozess auch nur ausnahmsweise, weil die meisten Steuerverwaltungsakte an in der Vergangenheit liegende und unabänderlich feststehende Sachverhalte anknüpfen (Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 100 FGO Tz. 7; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 100 Rz. 11). Im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht ist jedoch anerkannt, dass im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung eines Verwaltungsaktes jedenfalls solche Umstände zu berücksichtigen sind, die bis zum Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage, § 113 Rdnr. 29 ff. m.w.N.).

18

Für den Steuerprozess kann keine andere Beurteilung gelten. Soweit gegen einen Verwaltungsakt gemäß § 347 AO der Einspruch statthaft ist, hat das Gericht bei der nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO anzustellenden Prüfung daher jedenfalls alle bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung eingetretenen Umstände zu berücksichtigen (ebenso Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 100 FGO Rz. 39; Tipke a.a.0). Denn Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren ist gemäß § 44 Abs. 2 FGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Mit dieser Begründung vertritt der BFH seit seinem Urteil vom 8. Juli 1982 IV R 20/78, BFHE 136, 252, BStBl II 1982, 700) in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass Bekanntgabemängel eines Verwaltungsaktes durch die wirksame Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt werden (vgl. BFH, Beschluss vom 12. November 1992 XI B 69/92, BFHE 170, 106, BStBl II 1993, 263; Urteil vom 15. September 1992 VIII R 20/89, BFH/NV 1993, 576, jeweils mit weiteren Nachweisen). Für die Beurteilung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Änderung einer Zinsfestsetzung vorliegen, können keine anderen Grundsätze gelten.

19

Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Änderungsvorschrift nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu beurteilen ist im Streitfall um so mehr geboten, als der Einkommensteueränderungsbescheid vom 16. Oktober 2001 von Anfang an rechtswidrig war. Denn er berücksichtigte nur die Änderung des Verlustrücktrages aus 1994, nicht aber die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls längst erfolgte Änderung der gesonderten Feststellung der Einkünfte aus der Kommanditbeteiligung. Eine darauf gestützte Anfechtung des Steuerbescheids vom 16. Oktober 2001 war den Klägern bei Einlegung des Einspruchs gegen die Änderung der Zinsfestsetzung aber nicht mehr möglich, weil der Bescheid vom 16. Oktober 2001 zu diesem Zeitpunkt bereits durch den Bescheid vom 25. Oktober 2001 ersetzt worden war und ihnen gegenüber keine Rechtswirkungen mehr entfaltete.

20

2.

Die von dem FA zur Verteidigung des angefochtenen Zinsbescheides geltend gemachten Gründe können zu keiner anderen Beurteilung führen. Es trifft zwar zu, dass die damit vorgenommene Änderung der Zinsfestsetzung materiell-rechtlich den Wertungen des § 233 a Abs. 2 a und 7 AO entspricht. Denn bei Anwendung des Abs. 2 a gilt Abs. 5 AO mit der Maßgabe, dass der Unterschiedsbetrag - zwischen der festgesetzten und der vorher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und die anzurechnende Körperschaftsteuer (Abs. 5 Satz 2) - in Teil-Unterschiedsbeträge mit jeweils gleichem Zinsbeginn aufzuteilen ist (§ 233 a Abs. 7 Satz 1 AO). Für eine solche Aufteilung ist aber nur dann Raum, wenn die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Zinsfestsetzung nach § 233 a Abs. 5 Satz 1 AO vorliegen. Diese Bedingung ist im Streitfall nicht erfüllt. Dass Fälle, in denen sich verschiedene Änderungsgründe in ihren Auswirkungen auf die Steuerfestsetzung gegenseitig aufheben, damit anders behandelt werden als solche, in denen sich eine geringfügige Differenz ergibt, mag zwar als unbefriedigend empfunden werden, ist aber eine Konsequenz der gesetzlichen Regelung, die - auch bei Anwendung des § 233 a Abs. 2 a AO - die Befugnis zur Änderung der Zinsfestsetzung von einer Änderung der - betragsmäßigen - Steuerfestsetzung abhängig macht.

21

3.

Da der angefochtene Bescheid hiernach rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, ist er mitsamt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die sonstigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 151 Abs. 1 und 3 FGO.