Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.04.1999, Az.: II 528/98

Bindung des Finanzamts an den Grundsatz von Treu und Glauben trotz Vorbehalts der Nachprüfung bei Entscheidung über Investitionszulage

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.04.1999
Aktenzeichen
II 528/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 18008
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0421.II528.98.0A

Fundstelle

  • EFG 2001, 333 (red. Leitsatz mit Anm.)

Tenor:

Der Bescheid vom 6. April 1998 über die Aufhebung des Bescheides über eine Investitionszulage für das Kalenderjahr 1993 in Gestalt des Ein-spruchsbescheides wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird Vollstreckungsnachlaß gegen Sicherheitsleistung gewährt.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Beklagte (das beklagte Finanzamt - FA -) eine bereits gewährte Investitionszulage für das Jahr 1993 von der Klägerin (- Kl'in -) zurückfordern durfte, weil die Klägerin bei der Antragstellung den Vordruck für die Investitionszulage 1991 (IZ ) verwandt hatte.Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die ... (im folgenden P-GmbH), unterhielt im Streitjahr 1993 in M (Brandenburg) einen Produktionsbetrieb.

2

Die P-GmbH beantragte für das Streitjahr 1993 fristgerecht die Investitionszulage. Wie im Vorjahr benutzte die P-GmbH dazu den Vordruck IZ (91) und änderte im Kopf des Antrags jeweils die Jahreszahl "91" in "93". Vor einer Entscheidung über den Antrag veranlaßte das - damals zuständige - FA eine Investitionszulagen-Sonderprüfung. Nach der Prüfung vertrat der Prüfer die Ansicht, die Investitionszulage sei nicht wirksam beantragt, da der Antrag nicht auf dem Formular IZ (93) gestellt worden sei. Daraufhin lehnte das - damals zuständige - FA den Antrag mit der bereits vom Prüfer angekündigten Begründung ab.

3

Im anschließenden Einspruchsverfahren empfahl das - damals zuständige - FA der P-GmbH zunächst noch, den Einspruch zurückzunehmen, da er keinen Erfolg verspreche, weil der Antrag nicht auf dem Vordruck IZ (93) gestellt worden sei (vgl. Bl. 27 der Heftung 1993 der InvZul-Akte). Nachdem der Beklagte örtlich zuständig geworden war, gelangte die Rechtsbehelfsstelle des Beklagten zu der Auffassung, dass die Antragstellung auf dem Vordruck für ein anderes Jahr im Streitfall unschädlich sei, weil - anders als im Fall des Thüringer FG (Urteil vom 15. November 1995 I 136/95, EFG 1996, 338) - die Abweichungen ganz offensichtlich nicht relevant seien. Daraufhin gewährte das FA im Mai 1996 die beantragte Investitionszulage. Im Bescheid hieß es weiter (vgl. Bl. 42 der Heftung 1993 der InvZul-Akte):

"Begründung und Nebenbestimmungen:

Dieser Bescheid ergeht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Abgabenordnung)

Die Belege bleiben bis zum Abschluß einer Investitionszulagen-Sonderprüfung bei den Steuerakten. Hiermit erledigt sich Ihr Einspruch vom 4.1.96."

4

Im Rahmen der angekündigten Investitionszulagen-Sonderprüfung wurde dem FA sodann das Urteil des Bundesfinanzhofes (- BFH -) vom 16. Juli 1997 bekannt (III R 266/94, BStBl II 1998, 31), in dem der BFH einen Antrag auf Investitionszulage nach der Investitionszulagenverordnung der DDR (InvZulVO) als unwirksam angesehen hatte, weil er auf dem Vordruck des Investitionszulagengesetzes (InvZulG 1991) gestellt worden war. Das FA folgerte daraus, dass auch der Antrag der P-GmbH für die Investitionszulage 1993 nicht wirksam gestellt worden sei.

5

Im April 1998 - rund 23 Monate nach der Festsetzung der Investitionszulage - hob das FA den Bescheid über die Investitionszulage 1993 wieder auf. Zur Begründung verwies es auf den Vorbehalt der Nachprüfung und die oben angeführte neue Rechtsprechung des BFH. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.

6

Die Klägerin ist der Ansicht, aus dem Urteil des BFH vom 16. Juli 1997 (aaO.), das zur InvZulVO und einem anderen Gesetzeswortlaut ergangen sei, lasse sich die Rechtsansicht des FA nicht begründen. Der BFH habe nicht entschieden, ob Anträge nach dem InvZulG unwirksam seien, wenn ein früherer Vordruck unter Änderung der Jahreszahl verwendet werde. Außerdem habe sie nach der Abhilfeentscheidung des FA und Gewährung der beantragten Investitionszulage auf den Bestand des Bescheides vertraut. Damals sei es im Einspruchsverfahren einzig um die Frage der formell richtigen Antragstellung gegangen. Diese Frage sei vom FA geprüft worden und habe zur Abhilfeentscheidung geführt. Sie habe diesen Punkt damit als endgültig erledigt betrachtet. Dies sei insbesondere der Begründung des Abhilfebescheides deutlich zu entnehmen gewesen. Nach annähernd zwei Jahren könne das FA diesen Punkt nicht erneut aufgreifen und anders entscheiden.

7

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 6. April 1998 über die Aufhebung des Bescheides über eine Investitionszulage für das Kalenderjahr 1993 in Gestalt des Einspruchsbescheides aufzuheben.

8

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Das FA hält daran fest, dass der Antrag nicht wirksam gestellt worden sei, weil nicht der Vordruck IZ (93) verwendet worden sei. Der Bescheid habe unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) gestanden. Daher sei das FA berechtigt gewesen, den Bescheid in jedem Punkt zu überprüfen und auch diese Rechtsfrage erneut aufzugreifen. Bei Bescheiden, die gemäß § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stünden, komme zudem ein Vertrauensschutz gemäß § 176 AO oder aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben generell nicht in Betracht.

Gründe

10

Die Klage ist begründet.

11

Das FA durfte den Investitionszulagenbescheid für das Kalenderjahr 1993 wegen des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben - nämlich des Verbots widersprüchlichen Tuns (venire contra factum proprium) - nicht mehr bezüglich der bereits im Einspruchsverfahren des Jahres 1996 zugunsten der Klägerin entschiedenen Rechtsfrage der wirksamen Antragstellung ändern und die Festsetzung der Investitionszulage aus diesem Grunde aufheben.

12

Erläßt das FA auf einen Einspruch nach abschließender Prüfung des Sachverhaltes einen Abhilfebescheid, so ist es, auch wenn dieser gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, grundsätzlich bei der endgültigen Entscheidung gehindert, auf der Grundlage desselben Sachverhalts die streitig gewesene Rechtsfrage nunmehr zuungunsten des Antragstellers anders zu beurteilen (ebenso Finanzgericht Köln, Urteil vom 2. Juli 1980 VIII 227/77 E, EFG 1980, 474; so auch FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 9. Juli 1996 3 K 1364/95 I, juris, zur widerspruchslosen Bearbeitung eines auf einem nicht amtlichen Vordruck gestellten Antrags auf Investitionszulage).

13

1.)

Allerdings ist der Zulagenantrag gemäß § 6 Abs. 3 InvZulG "nach amtlichem Vordruck" zu stellen. Dahingestellt bleiben kann, ob das von der Klägerin benutzte Formular dieser Anforderung genügt. Dem FA ist es nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich hierauf zu berufen. Unbeschadet des in dem Bescheid über die Festsetzung einer Investitionszulage nach dem Investitionszulagengesetz 1993 für das Kalenderjahr 1993 vom 28. Mai 1998 enthaltenen uneingeschränkten Vorbehalts der Nachprüfung war das FA nämlich nicht berechtigt, die Investitionszulage auf der Grundlage desselben Sachverhalts lediglich wegen Änderung seines Rechtsstandpunktes zu versagen, nachdem das FA diese Streitfrage bereits im Einspruchsverfahren zugunsten der Klägerin entschieden hatte.

14

Dem FA ist nach vorangegangener Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung die Überprüfung des gesamten Steuerfalls im Tatsächlichen und Rechtlichen grundsätzlich neu eröffnet, so dass ohne Einschränkung ein wirklicher oder vermeintlicher Fehler im Tatsächlichen oder Rechtlichen auch unter Abweichung von der im unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vertretenen Rechtsauffassung berichtigt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 1. April 1966 VI 122/64, BFHE 85, 437, BStBl III 1966, 519; vom 7. April 1967 VI R 285/66, BFHE 89, 215, BStBl III 1967, 616).

15

Im allgemeinen kann sich der Steuerpflichtige gegenüber Steuerfestsetzungen nicht mit der Begründung auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, er habe auf die Richtigkeit der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Veranlagung vertraut, weil er bei solchen Bescheiden gemäß § 164 Abs. 1 AO eben immer mit einer Änderung rechnen muß. Diese nach § 164 AO eröffnete Möglichkeit einer unbegrenzt nachprüfbaren Veranlagung auch aufgrund einer geänderten rechtlicher Beurteilung des Falles gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Sie ist insbesondere dann ausgeschlossen, wenn das FA dem Steuerpflichtigen gegenüber eindeutig zu verstehen gegeben hat, dass eine streitige Rechtsfrage in der einen oder anderen Richtung endgültig geklärt sei (Vertrauenstatbestand). Dies muß auch dann gelten, wenn das FA in einem Antragsverfahren nach dem Investitionszulagengesetz nach erkennbar geäußerter Rechtsauffassung die Festsetzung - aus anderen Gründen - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchführt. Die Berufung auf den formal uneingeschränkten Vorbehalt der Nachprüfung auch hinsichtlich der vorher verbindlich geklärten Rechtsfrage kann dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1966 V 181/63, BFHE 87, 469, BStBl III 1967, 212; FG Köln, Urteil vom 2. Juli 1980, aaO.).

16

Der BFH hat unter Berücksichtigung des Wesens und der besonderen Bedeutung des Einspruchsverfahrens in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, wenn das FA nach Prüfung des Steuerfalles auf einen Rechtsbehelf des Steuerpflichtigen hin, eine für den Steuerpflichtigen günstige Einspruchsentscheidung erlassen habe, sei es bei einer späteren Bearbeitung des Steuerfalles grundsätzlich an seine im vorausgegangenen Rechtsbehelfsverfahren vertretene Rechtsauffassung gebunden. Denn die Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren, das für eine umfassende erneute Prüfung der angefochtenen Entscheidung eigens vorgesehen sei, hebe den Steuerfall aus der Masse der routinemäßig zu erledigenden Verfahren heraus. Hierdurch erhalte die den Einspruch erledigende Verfügung des FA eine erhöhte Bestandsgarantie; der Steuerpflichtige müsse sich darauf verlassen können, daß es bei der einmal getroffenen Entscheidung verbleibe (vgl. BFH-Urteile vom 16. März 1965 I 54/64 S, BFHE 82, 387, BStBl III 1965, 388; vom 25. September 1969 IV 297/64, BFHE 97, 101, BStBl II 1970, 2 jeweils zu §§ 222, 223 RAO). Diese zur Reichsabgabenordnung (RAO) entwickelten Grundsätze sind auch auf den Streitfall anzuwenden, obwohl es sich hier nicht um den Fall einer Berichtigung nach den entsprechenden Vorschriften der AO 1977 (§ 173 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO) handelt. Aber ebenso wie bei einem Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO durfte nach den früheren Bestimmungen der §§ 222, 223 RAO der gesamte Steuerfall wegen neuer Tatsachen ebenfalls in vollem Umfang wieder aufgerollt werden.

17

Im Streitfall ist dem FA daher die Möglichkeit der Rückforderung der Investitionszulage 1993 wegen des früheren Streitpunktes der wirksamen Antragstellung gemäß § 6 Abs. 3 InvZulG genommen. Das FA hat die im ersten Einspruchsverfahren einzig streitige Frage der wirksamen Antragstellung durch die P-GmbH damals intensiv durch die Rechtsbehelfsstelle geprüft. In zwei Vermerken vom 6. und 17. Mai 1996 vertrat das FA die Ansicht, dass die Abweichungen bei den Vordrucken zwar deutlich, aber nach den Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage im Streitfall nicht relevant gewesen seien. Dabei wurden insbesondere die Urteile des FG Berlin (Urteil vom 18. Dezember 1992 II 179/92, EFG 1993, 684) und des Thüringer FG (Urteil vom 15. November 1995 I 136/95, EFG 1996, 338), das eine Antragstellung nur auf dem jeweils aktuell gültigen Vordruck zugelassen hatte, auf ihre Anwendbarkeit untersucht. Außerdem zog das FA die Gesetzestexte der InvZulVO und des InvZulG 1993 sowie die Vordrucke IZ (91) und IZ (93) vergleichend heran. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Investitionszulagenakte Bezug genommen (Bl. 32 - 41 der Heftung 1993 der InvZul-Akte). Das FA stellte sich mit dieser Rechtsansicht in deutlichen Widerspruch zu der von dem früher zuständigen FA vertretenen Rechtsauffassung. Dieses hatte unter Bezugnahme auf das entsprechende BMF-Schreiben die Notwendigkeit der Antragstellung auf dem Vordruck für das entsprechende Jahr schriftlich hingewiesen. Außerdem hatte es die Unterschiede bei den Vordrucken im einzelnen dargestellt und dem Steuerberater der P-GmbH noch zu Beginn des gleichen Einspruchsverfahrens im Schreiben vom 12. Januar 1996 nahegelegt, den Einspruch für die P-GmbH zurückzunehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens Bezug genommen (Bl. 27 der Heftung 1993 der InvZul-Akte).

18

Diese - gegenüber der Ausgangsbehörde - geänderte Rechtsansicht hat das FA dann mit dem Festsetzungsbescheid vom Mai 1996 für die Klägerin unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Im Teil "Begründung" des Festsetzungsbescheides wies es auf die damit erfolgte Erledigung des Einspruchs hin. Dies stand im deutlichen Gegensatz zu der noch Monate vorher übersandten Rücknahmeempfehlung durch das damals zuständige Finanzamt. Die Klägerin konnte mithin davon ausgehen, dass das FA diese im Einspruchsverfahren einzig streitige Frage abschließend zu ihren Gunsten entschieden hat. Dies wurde noch durch den Hinweis auf das Verbleiben der eingereichten Belege bei den Akten verstärkt. Damit brachte das FA nämlich vor allem eine Prüfungsbedürftigkeit des Falles nur noch zu der Frage der Höhe der Investitionszulage zum Ausdruck. Bei dieser Sachlage durfte die Klägerin annehmen, dass lediglich die Höhe der Investitionszulage noch weiter in der Schwebe war und geprüft werden sollte.

19

2.)

Die P-GmbH und nunmehr die Klägerin durften sich wegen dieser Umstände des Einzelfalles nach dem Abschluß des ersten Einspruchsverfahrens darauf einrichten, die gewährte Investitionszulage für die angeschafften Wirtschaftsgüter endgültig einsetzen zu können und damit zukünftig wirtschaften zu können (Vertrauensfolge).

20

3.)

Dahinstehen kann sodann die in zwei Revisionsverfahren beim BFH anhängige Frage, ob ein Antrag auf Investitionszulage nach dem Investitionszulagengesetz unter Verwendung des Vorjahresvordrucks generell oder ggf. unter welchen besonderen Umständen wirksam ist (BFH, III R 54/97 und III R 60/97). Selbst wenn nach dem Ausgang dieser beiden Revisionsverfahren der Antrag der P-GmbH als unwirksam betrachtet werden müßte, wäre das FA aus den vorstehenden Gründen gehindert, dies zum Anlaß einer Aufhebung der Festsetzung der Investitionszulagen zu machen. Ebenso kann dahinstehen, ob der Klägerin wegen ihres weiteren Antrags auf Investitionszulage für das Kalenderjahr 1993, den sie zwar verspätet jedoch auf dem Vordruck IZ (93) gestellt hatte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO zu gewähren wäre.

21

5.)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.