Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.03.1989, Az.: 3 Sa 362/88
Rückzahlung von Gehaltsteilen; Voraussetzungen des Annahmeverzuges im Arbeitsrecht; Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf einer Kündigungsfrist; Erheblicher Nachteil bei Nichtweiterbeschäftigung; Vorliegen eines faktischen Arbeitsverhältnisses; Begründetheit einer Beschäftigungsklage
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 10.03.1989
- Aktenzeichen
- 3 Sa 362/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1989, 10549
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1989:0310.3SA362.88.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Göttingen - 22.01.1988 - AZ: 3 Ca 731/87
- nachfolgend
- BAG - 17.01.1991 - AZ: 8 AZR 483/89
Rechtsgrundlagen
- § 717 Abs. 2 ZPO
- § 611 BGB
- § 615 BGB
- § 62 ArbGG
- § 940 ZPO
- § 102 Abs. 5 BetrVG
Fundstelle
- DB 1989, 2234-2236 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
...
Prozessgegner
den Verkäufer ...
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 1989
durch
die Richter Frohner,
Höppner und
Rosendahl
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 22. Januar 1988 - 3 Ca 731/87 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.956,74 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren hinsichtlich der Widerklage der Beklagten über die Rückzahlung von Gehaltsteilen, die der Kläger für Juli und August 1987 erhalten hat, ohne in diesem Zeitraum eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht zu haben.
Der Kläger war bei der Beklagten als Verkäufer in deren ... seit 1981 beschäftigt, das Bruttomonatsgehalt betrug 1.548,00 DM. Dem Kläger wurde am 21. August 1986 außerordentlich wegen einer Auseinandersetzung vom 15. August 1986, deren Verlauf zwischen den Parteien im einzelnen streitig geblieben ist, gekündigt. Auf die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht Göttingen durch Urteil vom 13. Februar 1987 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. August 1986 nicht aufgelöst worden ist, es hat weiterhin die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb insoweit ohne Erfolg, als auch das Berufungsgericht davon ausging, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Zugleich gab aber das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit dem Urteil vom 22. September 1987 - 13 Sa 765/87 - dem hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten statt und löste das Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9, 10 KSchG gegen Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung zum 30. September 1986 auf.
Die Beklagte hatte dem Kläger für die Monate Mai bis August 1987 die Gehälter weitergezahlt, für Juli und August 1987 in Höhe von 1.595,00 DM. In dieser Zeit hatte der Kläger, abgesehen von einem halben Tag am 30. Mai 1987, keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht. Er war vielmehr von der Beklagten von der Arbeitsleistung freigestellt worden.
Mit den für Mai bis August 1987 erbrachten Gehaltszahlungen über insgesamt 7.069,00 DM hat die Beklagte gegen die klageweise erhobenen Zahlungsansprüche des Klägers für die Zeit bis zum 30. September 1986 aufgerechnet, den darüber hinausgehenden Teil in Höhe von 1.956,74 DM. der sich auf die Monate Juli (teilweise) sowie August 1987 bezieht, hat sie widerklagenderweise geltend gemacht.
Durch das angefochtene Urteil vom 22. Januar 1988 hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Göttingen sowohl Klage als auch Widerklage abgewiesen, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt sowie den Streitwert auf 6.456,74 DM festgesetzt.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte insoweit gegen dieses Urteil, als die Widerklage abgewiesen worden ist. Sie meint, ihr Rückzahlungsanspruch ergebe sich aus § 717 Abs. 2 ZPO.
Die Beklagte beantragt nunmehr sinngemäß,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Kläger auf die Widerklage zu verurteilen, an sie 1.956,74 DM brutto nebst 4% Zinsen seit Zustellung der Widerklage zu zahlen.
Der Kläger beantragt demgegenüber.
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger meint weiterhin, daß sich der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO nicht herleiten lasse.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Ihr Rückzahlungsbegehren läßt sich weder aus § 717 Abs. 2 ZPO noch aus den Vorschriften über eine ungerechtfertigte Bereicherung herleiten. Denn dem Kläger stand die von der Beklagten erbrachte Vergütung in dem fraglichen Zeitraum gemäß §§ 611, 615 BGB unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zu. In diesem Zeitraum bestand nämlich zwischen den Parteien bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts im Vorprozeß am 22. September 1987, mit der ihr Arbeitsverhältnis rückwirkend zum 30. September 1986 aufgelöst worden ist, aufgrund der Weiterbeschäftigungsentscheidung des Arbeitsgerichts vom 13. Februar 1987 in Fortführung des ursprünglich begründeten Arbeitsverhältnisses ein wirksames Arbeitsverhältnis, lediglich auflösend bedingt für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung durch ein Kündigungsschutzurteil bzw., wie hier, durch die rechtsgestaltende Auflösungsentscheidung des Berufungsgerichts. Zudem ist die vom Kläger ordnungsgemäß angebotene Arbeitsleistung von der Beklagten nicht angenommen worden, sie hat ihn vielmehr von der Arbeit freigestellt, so daß insgesamt die Voraussetzungen des Annahmeverzuges gegeben sind.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß es sich bei der aufgrund einer Weiterbeschäftigungsentscheidung entstandenen "Arbeitsbeziehung" um das Fortführen des ursprünglich vertraglich begründeten Arbeitsverhältnisses mit einem Fortbestehen arbeitsvertraglicher Ansprüche handelt, daß es ... hierbei nicht einfach um eine "tatsächliche" Arbeitsbeziehung geht, beruht auf folgenden Überlegungen:
A.
1.
Nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 hat der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb gesetzlicher Regelungen einen "arbeitsvertragsrechtlichen" Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegend schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Dieses schutzwerte Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers überwiegt nach dieser Auffassung in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsschutzprozeß ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht (BAG Besch. v. 27.02.1985 - GS 1/84 - DB 1985 S. 2197 = NJW 1985 S. 2968; Urt. v. 02.04.1987 - 2 AZR 418/86 - SAE 1988 S. 119 m.Anm. Coester; zur Kritik vgl. nur: Mayer - Maly JZ 1986 S. 557, 559; v. Hoyningen-Huene BB 1986 S. 2133, 2138; Wank Anm. LAG E § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 17).
2.
Dem Großen Senat sind die Landesarbeitsgerichte Niedersachsen (Urt. v. 07.02.1986 LAG E § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14 = DB 1986 S. 1126; v. 04.07.1986 - 4 Sa 196/88; v. 11.07.1986 - 3 Sa 117/85; v. 22.05.1987 Der Betriebsrat 1987 S. 779 m.Anm. Heilmann = LAG E § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 21; v. 06.08.1987 - 3 Sa 218/87; vgl. auch LAG Berlin Beschluß v. 06.06.1986 - 9 Ta 6/86) und Köln (Urt. v. 26.09.1986 ZIP 1987 S. 49 = LAG E § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 17) nicht gefolgt. Nach der Auffassung des LAG Niedersachsen ist ein gekündigter Arbeitnehmer (ohne die bei der Lösung des BAG praktisch nicht vermeidbare zeitweilige Ausgliederung aus dem Betrieb!) vom Arbeitgeber bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses zu den bis zur Kündigung geltenden Arbeitsbedingungen tatsächlich weiterzubeschäftigen, wenn ein Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozeß wahrscheinlich ist und dem Arbeitnehmer ohne die Weiterbeschäftigung ein erheblicher Nachteil droht. Diese tatsächliche Weiterbeschäftigung kann nur im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Es bedarf hierzu keiner Schaffung einer "neuen Verfahrensart nach Art eines vorläufigen Rechtsbesitzes" durch die "vorläufige Vollstreckbarkeit eines Feststellungsurteils (!)" (Bötticher, Schr. an den Vors. v. 21.10.1986; vgl. v. Hoyningen-Huene BB 1988 S. 264, 269).
B.
Kommt es bei der Übernahme der vom Großen Senat aufgestellten Grundsätze zu einem gemäß § 62 ArbGG vorläufig vollstreckbaren Weiterbeschäftigungsurteil, so stellt sich die vom Großen Senat nicht weiter behandelte Frage, wie die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber während des Weiterbeschäftigungszeitraumes zu beurteilen sind. Die Frage nach der Rechtsqualität einer solchen Arbeitsbeziehung stellt sich auch dann, wenn die durchgeführte tatsächliche Weiterbeschäftigung auf einer Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO beruht. Sie wird kontrovers beantwortet (BAG Urt.v. 04.09.1986 BB 1987 S. 1109 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; v. 10.03.1987 BB 1987 S. 1110 = EzA § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 28; Dänzer-Vanotti DB 1985 S. 2610; Eich DB 1986 S. 692; Lieb Anm. SAE 1985 S. 48, 50; Thieme NZA 1986 Beil. 3, S. 24; Kempff AiB 1988 S. 137, 139; v. Hoyningen-Huene BB 1988 S. 264 m.w.N.).
1.
Zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage liegt es nahe, sich zunächst zwei parallele Probleme vor Augen zu führen.
a)
Für § 102 Abs. 5 BetrVG 1972 nimmt ein großer
Teil der Literatur (vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, Komm. z. BetrVG, 3. Aufl. 1986, § 102 Rnr. 152) mit unterschiedlichen Formulierungen im einzelnen letztlich an, daß das "Weiterbeschäftigungsverhältnis" ein durch Gesetz begründetes besonderes Schuldverhältnis eigener Art sei, auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage. Ein anderer Teil der Literatur und wohl auch der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinen Entscheidungen vom 26. Mai 1977 sowie vom 12. September 1985 gehen davon aus (vgl. Dietz-Richardi, BetrVG. 2 Bd. 6. Aufl. 1982, § 102 Rnr. 206; BAG Urt. v. 26.05.1977 BAG E 29, 195, 209 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Urt. v. 12.09.1985 Bb 1986 S. 802), daß es sich um dasselbe, durch den Arbeitsvertrag begründete, über die Kündigung hinaus mit dem bisherigen Vertragsinhalt fortgesetzte Arbeitsverhältnis handele, das, insoweit besteht Übereinstimmung mit der zuerst genannten Meinung, durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage auflösend bedingt sei. Die Begriffe "Weiterbeschäftigungsverhältnis" oder "gesetzliches Schuldverhältnis" treffen freilich nicht genau. Vielmehr verleiht § 102 Abs. 5 BetrVG dem Arbeitnehmer das Recht, die Weiterbeschäftigung zu verlangen und damit einseitig, nicht aufgrund eines Vertrages, sondern eines durch Rechtsgeschäft auszuübenden Gestaltungsrechts das Arbeitsverhältnis vorläufig aufrechtzuerhalten, falls es nicht wegen der Unwirksamkeit der Kündigung ohnehin fortbesteht, ohne damit zu einer gar nicht möglichen Verdoppelung von Arbeitsverhältnissen zwischen zwei Personen zu führen. Die Norm schafft damit einen zusätzlichen, von der Wirksamkeit der Kündigung zunächst abstrahierenden Rechtsgrund, der mit Eintritt der Rechtskraft ex nunc wegfällt (Otto NJW 1975 S. 68; LAG Nds. Urt. v. 20.11.1987 - 3 Sa 2063/86).
Ist die Rechtsmacht des Kündigungsempfängers zunächst darauf beschränkt, sich gegen die Wirkungen mit der Kündigungsschutzklage zur Wehr zu setzen, wobei die gestaltende Wirkung der Kündigung erst mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils entfällt, so wird mit § 102 Abs. 5 BetrVG gesetzlich ein weiteres Gestaltungsrecht eingeräumt.
b)
Ein anderer Parallelfall ist der, auf den Ohlendorf (AuR 1981 S. 109; vgl. auch Berkoswky DB 1981 S. 1569) vor Jahren hingewiesen hat, daß nämlich der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist auffordert, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über eine Kündigungsschutzklage fortzuführen. Hierzu hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 15.01.1986 DB 1986 S. 1393 = SAE 1986 S. 258 = EzA § 1 LohnFG Nr. 79; v. 15.01.1986 - 5 AZR 213/84) die Auffassung vertreten, daß in einem solchen Falle in der Regel davon auszugehen sei, daß das ursprüngliche Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden solle, bis Klarheit darüber bestehe, ob die Kündigung wirksam sei oder nicht. Stelle sich heraus, daß die Kündigung das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis beendet habe, so sei bei der Abrede über die Weiterbeschäftigung die vertragliche Grundlage des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses bereits entfallen, in diesem Falle seien die Rechtsbeziehungen der Parteien nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses abzuwickeln. Dem Arbeitnehmer verblieben die für seine Arbeitsleistung gezahlten Vergütungen einschließlich der Ansprüche auf Krankenbezüge bei Arbeitsunfähigkeit. Dem kann in der Begründung nicht gefolgt werden (vgl. auch Löwisch DB 1986 S. 2433; Schäfer JuS 1988 S. 265; BAG Urt. v. 14.11.1985 NZA 1986 S. 637 = DB 1986 S. 1878; Urt. v. 17.04.1986 - 2 AZR 308/85; Urt. v. 21.05.1981 ZIP 1981 S. 1368). Im hergebrachten Sinne handelt es sich bei dem sogenannten faktischen Arbeitsverhältnis um ein auf eine fehlerhaften Arbeitsvertrag beruhendes, jederzeit beendbares Arbeitsverhältnis, das aber für die Zeit seines Bestehens als voll rechtswirksames behandelt wird. Liegt nun der Tätigkeit eines gekündigten Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Entscheidung über eine Kündigungsschutzklage eine Abrede zugrunde, wonach das ursprüngliche Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden solle, bis eben Klarheit darüber bestehe, ob die Kündigung wirksam sei oder nicht, ist nicht zu sehen, unter welchen Gesichtspunkten diese vertragliche Abrede fehlerhaft sein soll. Auch kann von einem ursprünglichen Fehlen der Geschäftsgrundlage nicht gesprochen werden, weil die Parteien gerade eine vorläufige Regelung treffen wollten, bis über die Wirksamkeit der Kündigung Klarheit besteht. Schließlich kann als vertragliche Grundlage für die weitere Beschäftigung nicht ausschließlich "das gekündigte Arbeitsverhältnis" in Betracht gezogen werden, weil die Parteien in Kenntnis der Kündigung und ihres Streites über die Wirksamkeit der Kündigung zusätzlich eine vorläufige Fortsetzung dieses gekündigten Arbeitsverhältnisses vereinbart haben. Bei einer solchen Vereinbarung über die Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses handelt es sich somit um ein ambivalentes Rechtsgeschäft:
zum einen um einen Vertrag, gerichtet auf die Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses unter der "Voraussetzung" im Sinne von Tuhrs (v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. II 2, Hälfte. Berlin 1957, unveränd. Nachdruck der 1. Aufl. 1918, S. 279 ff.; "Unterstellung" bei Henle, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. I. Allg.Teil, Berlin 1926, S. 305; ders., Unterstellung und Versicherung, Berlin-Mannheim-Leipzig 1922, S. 22 ff.), daß das Arbeitsverhältnis durch die streitige Kündigung wirksam beendet worden ist, für diesen Fall zugleich unter der auflösenden Bedingug der rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage; zum anderen zugleich um einen Vertrag, gerichtet auf die tatsächliche Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Rahmen des bisherigen Arbeitsverhältnisses, unter der "Voraussetzung", daß dieses Arbeitsverhältnis durch die ausgesprochene Kündigung nicht wirksam beendet worden ist. Eine solche Abrede hat somit eine doppelte Funktion, nämlich einmal einen vertraglichen Rahmen für die Weiterbeschäftigung zu schaffen für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung, der aber andererseits für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung der vollzogenen Weiterbeschäftigung im Rahmen des bisherigen Arbeitsverhältnisses nicht im Wege steht (so auch LAG Nds. Urt. v. 18.09.1981 - 3 Sa 88/81; vgl. im übr. Klebe/Schumann, Das Recht auf Beschäftigung im Kündigungsschutzprozeß, Köln 1981 S. 355 ff.).
2.
Betrachtet man nunmehr die Situation aufgrund einer vollzogenen Weiterbeschäftigungsentscheidung, so liegt in beiden eingangs geschilderten Situationen (zum einen Leistungsurteil, zum anderen Regelungsverfügung) das Gebrauchmachen von einer prozessual eingeräumten richterlichen Gestaltungsbefugnis vor.
Nach Auffassung des Großen Senats legitimiert ein im Kündigungsprozeß die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil in der Regel zugleich dazu, der Beschäftigungsklage stattzugeben. Im Falle einer Regelungsverfügung handelt es sich ohnehin lediglich um das Gebrauchmachen vom gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsermessen des § 938 ZPO. Die §§ 940, 938 ZPO erhalten damit eine rechtsähnliche Funktion wie § 721 ZPO für den Mietprozeß (vgl. Brase/Heilmann Der Betriebsrat 1987 S. 671, 682; LAG Nds. Urt. v. 10.09.1982 - 3 Sa 65/82). Beiden Fällen gemeinsam ist hingegen (ähnlich der Erweiterung der Rechtsmacht des gekündigten Arbeitnehmers durch Einräumung eines durch Rechtsgeschäft auszuübenden Gestaltungsrechtes nach § 102 Abs. 5 BetrVG 1972), daß ein zusätzlich von der Wirksamkeit der Kündigung abstrahierender Rechtsgrund geschaffen wird, der (wiederum wie in § 102 Abs. 5 BetrVG) mit der Rechtskraft des Kündigungsschutzurteils ex nunc (d.h. für die Zukunft) entfällt. Ist dem aber so, liegt eben lediglich ein zusätzlicher, von der Wirksamkeit der Kündigung abstrahierender Rechtsgrund vor, so handelt es sich auch bei der aufgrund einer Weiterbeschäftigungsentscheidung entstandenen "Arbeitsbeziehung" um nichts anderes als um das Fortführen des ursprünglich vertraglich begründeten Arbeitsverhältnisses, das, hierin zeigt sich die Ambivalenz dieser Arbeitsbeziehung, für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung durch das Kündigungsschutzurteil auflösend bedingt ist, für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung sich dagegen eben im Rahmen dieses ursprünglichen Arbeitsverhältnisses vollzogen hat. Gleiches gilt dann auch für den hier gegebenen Fall einer nachträglichen Auflösung durch gerichtliche Entscheidung.
C.
1.
Die Konsequenz hieraus ist, daß der Arbeitnehmer, stellt sich später die Wirksamkeit der Kündigung heraus, entgegen der Auffassung von Manfred Lieb (SAE 1986 S. 48, 50; anders auch die "vollstreckungsrechtliche Lösung" bei Hoyningen-Huene BB 1988 S. 264, 268) nicht generell nur die tarifliche Vergütung (offenbar gemäß § 812 BGB) verlangen kann. Vielmehr verbleibt es bei den Vergütungsansprüchen, wie sie sich nach dem Inhalt des ursprünglich begründeten Arbeitsverhältnisses ergeben. Dieses bedeutet zugleich, daß mit dem mit allen bisherigen Rechten und Pflichten fortgeführten Arbeitsverhältnis eine hinreichend Grundlage für auch auf den Weiterbeschäftigungszeitraum bezogene Urlaubs-, Gratifikations- und Lohnfortzahlungsansprüche vorliegt. Zutreffend hat daher der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 04.09.1986 (a.a.O.); einen Urlaubsanspruch verneinend: Urt. v. 10.03.1987 (a.a.O.) neuerdings die Auffassung vertreten, daß ein Arbeitnehmer, der nach ordentlicher Kündigung dennoch bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses weiter beschäftigt wird, dann aber doch seinen Arbeitsplatz verliert, die anteilige Gewährung einer tariflich vereinbarten Jahressonderzahlung mit Entgeltcharakter fordern kann.
2.
Hier ist allerdings eine nicht unwesentliche Einschränkung vorzunehmen für den Fall, daß im Kündigungsschutzprozeß die Wirksamkeit der Kündigung bestätigt wird. Zwar ist das Bundesarbeitsgericht in mehreren Entscheidungen (vgl. Urt. v. 29.11.1984 - BAG E 47, 268, 273 f.; auch LAG Nds. Urt. v. 24.02.1984 - 3 Sa 126/83) zu Recht davon ausgegangen, daß die inhaltliche Änderung der Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses nicht gleichgesetzt werden kann, so daß die arbeitsrechtlichen Beziehungen der Parteien vor und nach einer inhaltlichen Änderung ihres Arbeitsverhältnisses eine rechtliche Einheit, ein einziges einheitliches Dauerschuldverhältnis bilden. Aus der Vorläufigkeit der durch richterliche Gestaltungskompetenz geschaffenen Arbeitsbeziehungen sowie unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich prinzipiell gewährleisteten Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers (Scholz ZfA 1981 S. 265 ff.; LAG Nds. Urt. v. 11.07.1986 - 3 Sa 117/85) folgt freilich, daß im Falle der Wirksamkeit der Kündigung das vorläufig weitergeführte Arbeitsverhältnis der bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zurückgelegten Betriebszugehörigkeit nicht anspruchsbegründend hinzugerechnet werden kann. Hieraus können somit dem Arbeitnehmer keine neuen Rechte und Ansprüche erwachsen, beispielsweise hinsichtlich der Unverfallbarkeit einer Betriebsrentenanwartschaft oder unter Umständen auch bei einem Gratifikationsanspruch.
3.
Die aufgrund einer Weiterbeschäftigungsentscheidung entstandene Arbeitsbeziehung kann, wie bei § 102 Abs. 5 BetrVG auch während des Kündigungsschutzprozesses erneut ordentlich oder außerordentlich nach allgemeinen Regeln gekündigt werden. Wird eine solche Kündigung nicht ihrerseits vom Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage angefochten, so findet damit gemäß §§ 4, 7, 13 KSchG. das nach wie vor anwendbar bleibt, nicht nur irgendein "Weiterbeschäftigungsverhältnis" sein Ende, sondern, weil es sich hierbei um das weitergeführte ursprüngliche Arbeitsverhältnis handelt, eben dieses. Seitens des Arbeitgebers ist eine neuerliche Kündigung gegenüber der titulierten Weiterbeschäftigungsverpflichtung im Wege der §§ 767, 769 bzw. 927 ZPO geltend zu machen (Frohner BB 1980 S. 161, 163). Die Weiterbeschäftigungsverpflichtung ist nicht durch den Anspruch einer neuen Kündigung begrenzt (vgl. aber BAG Urt. v. 19.12.1985 AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Blanke KJ 1986 S. 52). Der vermeintliche Untergang eines ausgeurteilten Anspruch ist nach allgemeinen Grundsätzen im Wege eines Angriffs auf den Titel selbst geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Der Kostenstreitwert für das Berufungsverfahren ist gemäß § 3 ZPO neu festgesetzt worden, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 ArbGG.