Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.10.1989, Az.: 3 Sa 1610/88

Wirksamkeit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses; Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung der Dauer einer Befristung; Bedeutung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes; Bestehen eines Rechts auf Arbeit

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
20.10.1989
Aktenzeichen
3 Sa 1610/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 14332
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1989:1020.3SA1610.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Göttingen 04.08.1988 - 1 Ca 61/88
nachfolgend
LAG Hannover 20.10.1989 - 3 Sa 1610/88
BAG - 11.12.1991 - AZ: 7 AZR 431/90

Fundstellen

  • DB 1990, 2174 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZTR 1990, 484 (amtl. Leitsatz)

Prozessführer

des ...

Prozessgegner

den ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der befristete Arbeitsvertrag darf immer nur dann in zulässiger Weise als Vertragstypus angewählt darf, wenn die als geschuldeter Arbeitsinhalt zu erfüllende Aufgabe ihre zeitliche Begrenzung von vornherein in sich trägt und deshalb tätigkeitsbezogen das Arbeitsverhältnis eo ipso nicht als auf Dauer angelegte Lebensgrundlage in Betracht kommt.

  2. 2.

    Es bedarf nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung eines konkreten Sachgrundes, der - bezogen auf die geschuldete Arbeitsaufgabe - die jeweilige Befristung nach Anlaß und Dauer trägt. Ist eine konkrete Dauer zu diesem Zeitpunkt nicht prognostizierbar, kommt ein befristeter Arbeitsvertrag nicht in Betracht. Dies bedeutet weiter, daß z.B. haushaltsrechtliche oder Drittmittelfinanzierungs-Gesichtspunkte oder ein nicht konkret zuordnungsfähiger beurlaubungsbedingter Gesamtvertretungsbedarf eine Befristung nicht rechtfertigen können.

In dem Rechsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 1989
durch
die Richter Frohner, Mathmann und Schuchert
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 4. Aug. 1988 - 1 Ca 61/88 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der vereinbarten Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.

2

Der 1943 geborene Kläger ist seit dem 1. September 1979 bei der Staats- und Universitätsbibliothek in ... als Bibliotheksangestellter beschäftigt. Der Beschäftigung liegen die jeweils befristeten Arbeitsverträge vom 26. Juni 1980 (Bl. 6 d. A.), vom 8. Juli 1981 (Bl. 7 d. A.), vom 12. März 1982 (Bl. 8 d. A.), vom 14. November 1983 (Bl. 9 d. A.), vom 20. August/26. September 1985 (Bl. 10 d. A.) sowie vom 29. August/6. November 1986 (Bl. 5 d. A.) zugrunde.

3

Der Kläger arbeitete anfangs mit bei der Erstellung eines Katalogs englischsprachiger Druckwerke vor 1800. Seit 1982 erfolgte die Befristung der Verträge jeweils für die Dauer der Beurlaubung der Bibliotheksangestellten ... D.. Diese hatte nach der Geburt ihres Kindes mehrfach ihre Beurlaubung beantragt. Den Anträgen ist seitens des beklagten Landes Jeweils entsprochen worden. Auf ihren Antrag vom 18. Juni 1986 (Bl. 22 d. A.) wurde die Angestellte D. gemäß § 50 Abs. 2 BAT weiterhin bis zum 24. Januar 1988 unter Fortfall der Vergütung beurlaubt. Der danach vom beklagten Land mit dem Kläger abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 29. August/6. November 1986 mit einer Befristungsabrede bis zum 24. Januar 1988 enthält folgende Bestimmung: "Letztmalige Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Beurlaubung der Bibliotheksangestellten D., längstens bis zum 24.01.1988." Die Beurlaubung der Angestellten Diederich ist alsdann aufgrund ihres Antrags vom 18. August 1987 über den 25. Januar 1988 hinaus bis zum 24. Januar 1989 verlängert worden. Auf ihren weiteren Antrag vom 10. Februar 1988 hat Frau D. ihre Beurlaubung vorzeitig beendet und den Dienst zum 1. März 1988 wieder angetreten. Seit dem 2. Mai 1988 wird die Angestellte D. lediglich mit 10 Stunden wöchentlich beschäftigt.

4

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

5

Durch dieses Urteil vom 4. August 1988 hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Göttingen festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien zu den bisherigen Bedingungen unbefristet über den 24. Januar 1988 hinaus fortbesteht. Es hat die Kosten des Rechtsstreits dem beklagten Land auferlegt sowie den Streitwert auf 7.200,00 DM festgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe wiederum verwiesen.

6

Mit der Berufung verfolgt das beklagte Land sein erstinstanzliches Klagabweisungsbegehren nach näherer Maßgabe seiner Berufungsbegründung vom 14. November 1988 weiter.

7

Das beklagte Land beantragt nunmehr,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 16. Dezember 1988.

10

Wegen des Vorbringens der Parteien im übrigen wird zudem noch auf den ebenfalls zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Schriftsatz des beklagten Landes vom 15. März 1989 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die Berufung des beklagten Landes ist unbegründet.

12

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit der Parteien zutreffend entschieden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht aufgrund der zwischen ihnen vereinbarten Befristung mit dem 24. Januar 1988 beendet worden. Es besteht zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 29. August/6. November 1986 über diesen Zeitpunkt hinaus fort. Die Befristungsabrede ist unwirksam. Damit besteht zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.

13

1.

Zwar wird in der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 26. August 1988 - 7 AZR 101/88) die Auffassung vertreten, daß es zur wirksamen Befristung eines Arbeitsvertrages unter dem Gesichtspunkt der Umgehung zwingender Kündigungsschutzvorschriften außer einem sachlichen Grund für die Befristung nicht noch zusätzlich einer eigenen sachlichen Rechtfertigung auch der gewählten Dauer der Befristung bedürfe, was die Rechtsprechung zuvor, so war sie jedenfalls verstanden worden, verlangt hatte. "Die im Einzelfall vereinbarte Vertragsdauer hat nur Bedeutung im Rahmen der Prüfung des sachlichen Befristungsgrundes selbst. Sie muß sich am Sachgrund der Befristung orientieren und so mit ihm im Einklang stehen, daß sie nicht gegen das Vorliegen des Sachgrundes spricht. Aus der vereinbarten Vertragsdauer darf sich nicht ergeben, daß der Sachgrund tatsächlich nicht besteht oder nur vorgeschoben ist." Gemessen an diesen Maßstäben wäre die von den Parteien vereinbarte Befristungsabrede, die sich an der Beurlaubung der Angestellten D. orientiert, nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht vermag freilich nicht der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zu folgen. Die neuere diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt nach der Auffassung des Berufungsgerichts eine evidente Aushöhlung jeder Befristungskontrolle dar, die mit den von Artikel 12, 20 und 28 GG geprägten Wertvorstellungen der Verfassung (vgl. BAG Beschluß vom 12. Oktober 1989 - 8 AZR 741/87) nicht zu vereinbaren ist. Der Schutz des historisch gewachsenen Dauerarbeitsverhältnisses gehört zum normativen Kerngehalt der Berufsfreiheit in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. Er verbietet Regelungen, die zur partiellen Ersetzung unbefristeter durch befristete Arbeitsverhältnisse in einem erheblichen Umfange führen können. Hierzu trägt die genannte Entscheidung vom 26. August 1988 ebenso bei wie eine Reihe früherer Entscheidungen, die insgesamt die Befristungskontrolle drastisch ausgehöhlt und praktisch bewirkt haben, daß der befristete Arbeitsvertrag als zweiter Regeltatbestand neben den unbefristeten Arbeitsvertrag getreten ist. Hierzu zählen Entscheidungen, wonach bei der Befristungskontrolle lediglich auf den zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrag abzustellen sei (Urteile vom 8. Mai 1985 - 7 AZR 191/84; vom 11. Dezember 1985 - 7 AZR 329/84; vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 115/87), wonach es zur sachlichen Rechtfertigung der Befristung nicht einer konkreten Zuordnung zu einem bestimmten Urlaubsfall bedürfe, sondern ein "beurlaubungsbedingter Gesamtvertretungsbedarf" ausreiche (Urteil vom 3. Dezember 1986 - 7 AZR 354/85), wonach bestimmte haushaltsrechtliche Erwägungen denn doch eine Befristung ermöglichen könnten (Urteile vom 27. Februar 1987 - 7 AZR 376/85 - und vom 28. September 1988 - 7 AZR 451/87), wonach die "Drittmittelfinanzierungs-Entscheidung" im Zuge einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach §§ 91 ff. AFG als solche, ohne Rücksicht auf die tatsächlich konkret auszuführende Arbeitsaufgabe, einen sachlichen Grund bilden könne, das Arbeitsverhältnis auf die Dauer der Finanzierungszuweisung zu befristen (Urteil vom 12. Juni 1987 - 7 AZR 389/86).

14

2.

a)

Noch die Begründung des Regierungsentwurfs zu einem Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 (Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode, Drucks. 10/2102 vom 11.10.1984) geht von folgendem aus: "Der unbefristete Arbeitsvertrag mit seinem gesetzlichen Kündigungsschutz ist und bleibt die sozialpolitisch wünschenswerte Regelung. Er hat sich bewährt und entspricht dem Zweck unseres Arbeitsrechts, dem Arbeitnehmer, der zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes auf die Einkünfte aus dem Arbeitsverhältnis angewiesen ist, einen Dauerarbeitsplatz zu schaffen und ihn im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zu schützen. Das unbefristete Arbeitsverhältnis dient im allgemeinen auch den Interessen des Arbeitgebers an qualifizierten und erfahrenen Arbeitnehmern und ermöglicht ihm die erforderlichen Mittel und langfristigen Dispositionen." (vgl. jetzt aber auch zur vermeintlich mehrmaligen! "einmaligen Befristung" nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz innerhalb des Geltungszeitraums des Gesetzes: BAG Urteil vom 6. Dezember 1989 - 7 AZR 441/89). Dieser arbeitsrechtliche Bestandsschutz wird vom Sozialstaatsprinzip der Verfassung nicht nur legitimiert, sondern dem Grunde nach gefordert. Er enthält nicht lediglich einen rechtlich substanzlosen Programmsatz, sondern begründet normativ verbindliche Direktiven für das gesamte staatliche Handeln. Diese Staatszielbestimmung hängt auch nicht von einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum strukturell ab. Sie ist keine variable Größe, die hinter ökonomische Daten ganz oder zeitweilig zurückzutreten hat. Auch Artikel 12 GG ist kein Grundrecht unter "Konjunktur- und Finanzierungsvorbehalt".

15

b)

In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die Bundesrepublik Deutschland bindende völkerrechtliche Abkommen, die innerstaatlich zumindest als Auslegungsmaßstab Bedeutung haben, sowie auf einschlägiges Landesverfassungsrecht hinzuweisen. So ist für die Bundesrepublik Deutschland seit Januar 1976 der "Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" der Vereinten Nationen vom 19. Dezember 1966 (BGBl. II 197: S. 1570, 1976 S. 428) verbindlich, der in seinem Artikel 6 bestimmt:"Die Vertragsparteien erkennen das Recht auf Arbeit an, welches das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, umfaßt, und unternehmen geeignete Schritte zum Schütze dieses Rechts." Teil II Artikel 1 der Europäischen Sozialcharta, die von der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls ratifiziert worden ist (BGBl. II 1965 S. 1122) legt fest:

"Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Arbeit zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien.

- zwecks Verwirklichung der Vollbeschäftigung die Erreichung und Aufrechterhaltung eines möglichst hohen und stabilen Beschäftigungsstandes zu einer ihrer wichtigsten Zielsetzungen und Aufgaben zu machen;

- das Recht des Arbeitnehmers wirksam zu schützen, seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen..."

16

Dabei kann der Streit um die innerstaatliche Verbindlichkeit dieser Europäischen Sozialcharta dahingestellt bleiben. Jedenfalls verlangt die gebotene völkerrechtsfreundliche Handhabung der eigenen Rechtsordnung, wie bereits angeführt, die Berücksichtigung des Inhalts der ESC bei der Gesetzesanwendung und -auslegung.

17

c)

Erwähnenswert sind auch Bestimmungen in den nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs neu geschaffenen Landesverfassungen, es sei denn, daß man, wie in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, auf einen Grundrechtskatalog verzichtet hat. So sagt Artikel 12 Abs. 1 der Berliner Verfassung vom 1. September 1950: "Jedermann hat das Recht auf Arbeit. Dieses Recht ist durch eine Politik der Vollbeschäftigung und Wirtschaftslenkung zu verwirklichen." Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 bestimmt in Artikel 49 Abs. 2: "Der Staat ist verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, daß jeder, der auf Arbeit angewiesen ist, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt erwerben kann." Vergleichbare Bestimmungen enthalten zum Beispiel auch die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 1950 (Artikel 24 Abs. 1) sowie die Verfassung Bayerns vom 2. Dezember 1946 (Artikel 166 Abs. 2). Von rechtlicher Bedeutung sind diese Bestimmungen insofern, als Artikel 142 GG den Bestand der Grundrechte des Landesverfassungsrechts sichert, soweit diese mit den Grundrechten des Grundgesetzesübereinstimmen. Diese Verfassungsvorschrift enthält somit eine Ausnahme von der Kollisionsnorm des Artikels 31 GG. "Übereinstimmung" im Sinne von Artikel 142 GG ist nicht nur dann gegeben, wenn ein und dasselbe Grundrecht inhaltsgleich sowohl im Grundgesetz als auch in einer Landesverfassung garantiert ist. Übereinstimmung besteht auch dann, wenn das Landesverfassungsrecht ohne Widerspruch zum Grundgesetz einen weitergehenden Grundrechtsschutz gewährleistet, also zum Beispiel Grundrechte verbürgt, die im Grundgesetz gar nicht enthalten sind. Daher lassen sich die zitierten Landesverfassungsbestimmungen entgegen der Auffassung von Teilen der Rechtsprechung und der Literatur nicht als reine Programmsätze qualifizieren.

18

d)

Ganz wesentlich ist auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung des Artikels 12 GG abzustellen. Gerade auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung Artikel 12 GG begriffen als ein Stück "Grundrecht der Arbeit" abhängig Beschäftigter (Häberle. Arbeit als Verfassungsproblem, JZ 1984, Seite 345 ff.; Badura, Grundfreiheiten der Arbeit, Festschrift Berber 1973, Seite 11 ff.; derselbe. Arbeit als Beruf <Artikel 12 Abs. 1 GG>. Festschrift Herschel 1982, Seite 21 ff.; Hoffmann-Riem, Die grundrechtliche Freiheit der arbeitsteiligen Berufsausübung, Festschrift Ipsen 1977, Seite 385 ff.; Hans-Peter Schneider, Artikel 12 GG - Freiheit des Berufs- und Grundrechts der Arbeit, VVDStRL 43, Seite 7 ff.; Scholz, die Berufsfreiheit als Grundlage und Grenze arbeitsrechtlicher Regelungssysteme. ZfA 1981, Seite 265 ff.). Artikel 12 Abs. 1 GG unterscheidet nicht zwischen dem selbständig und dem unselbständig ausgeübten Beruf. Er kann nicht als eine ausschließliche Garantie der Gewerbefreiheit wie in Artikel 151 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung verstanden werden. Auch abhängige Arbeit kann als Beruf gewählt werden und wird es in der modernen Gesellschaft tatsächlich immer mehr. Die Berufsfreiheit des Grundgesetzes schützt also sowohl die selbständige Erwerbstätigkeit als auch die abhängige Arbeit. Bereits in seiner Apothekenentscheidung vom 11. Juni 1958 (BVerfGE 7, 377, 397) [BVerfG 11.06.1958 - 1 BvR 596/56] führt das Bundesverfassungsgericht aus: "Artikel 12 schützt die Freiheit des Bürgers in einem für die moderne arbeitsteilige Gesellschaft besonders wichtigen Bereich. Er gewährleistet dem einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, d.h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen... Wohl zielt das Grundrecht auf den Schutz der wirtschaftlich sinnvollen Arbeit, aber es sieht sie als Beruf, d.h. in ihrer Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im Ganzen, die sich erst darin voll ausformt und vollendet, daß der einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Das Grundrecht gewinnt so Bedeutung für alle sozialen Schichten; die Arbeit als Beruf hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde." (vgl. Max Scheler. "Arbeit und Ethik". Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre Bd. 3, II. Halbband, Christentum und Gesellschaft. 2. Aufl. Leipzig 1924, S. 26 ff.; Max Pietsch. "Von Wert und Würde menschlicher Arbeit". Frankfurt/Main 1952; K.E. Boulding, "Economics as a Moral Science", in: The American Economic Review, LIX, 1969; zur antiken (Aristoteles!) Geringschätzung der Arbeit vgl. Otto Neurath, "Beiträge zur Geschichte der Opera Servilia" in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. XLI, Nr. 2 (1915) S. 436 - 465; Chr. Wolff. Vernünfftige Gedancken Von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen Und insonderheit Dem gemeinen Wesen zur Beförderung der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechtes, Halle/Magdeburg, 1721, S. 76 ff.). Diese Formulierungen sind vom Bundesverfassungsgericht in einer Reihe späterer Entscheidungen, vor allem auch in der Mitbestimmungsentscheidung vom 1. März 1976, (BVerfG E 50, 290), ausdrücklich wiederholt worden. Vorausgegangen war dem bereits früher (BVerfG E 5, 85, 206) der Satz: "Sie (gemeint ist die freiheitliche Demokratie) sieht es aber als ihre Aufgabe an, wirkliche Ausbeutung, nämlich Ausnutzung der Arbeitskraft zu unwürdigen Bedingungen und unzureichendem Lohn, zu unterbinden", dem dann folgt (BVerfG E 21, 245, 251): "Mit der modernen Industriegesellschaft ist der Beruf des Arbeitnehmers entstanden, der regelmäßig kein ausreichendes Vermögen besitzt und damit auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen ist.", fast ähnlich einer Aussage in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG E 30, 163, 175): "wie für alle in abhängiger Arbeit Beschäftigten ist die Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft zur Sicherung ihrer Existenz der wichtigste Teil ihres Vermögens, wenn sie überhaupt über Vermögen außerhalb ihrer Arbeitskraft verfügen." Weiter heißt es in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG E 53, 257, 290): "In der heutigen Gesellschaft erlangt die große Mehrzahl der Staatsbürger ihre wirtschaftliche Existenzsicherung weniger durch privates Sachvermögen als durch den Arbeitsvertrag und die solidarisch getragene Daseinsvorsorge, die historisch von jeher eng mit dem Eigentumsgedanken verknüpft war." In der Rundfunkentscheidung vom 13. Januar 1982 wird vom Bundesverfassungsgericht alsdann der arbeitsrechtliche Bestandsschutz ausdrücklich als Sicherung der Arbeitnehmer in ihrer beruflichen Position und damit in ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit aufgefaßt (BVerfG E 59, 231; das Verständnis des Bundesverfassungsgerichts von Art. 14 GG als Fortsetzung des Art. 12 GG - E 30, 292.334; 31, 299; 49, 382; Günter Dürig. Festschrift für Apelt. 1958, S. 13, 31: Eigentum als "geronnene Arbeit" - taucht übrigens bereits bei John Locke auf, der das Eigentum durch die Arbeit zu legitimieren suchte: "Denn es ist in der Tat die Arbeit, welche die Verschiedenheit des Wertes aller Dinge setzt, und jeder ... wird finden, daß die Anreicherung durch Arbeit den weitaus größten Teil des Wertes ausmacht.", Two Treatises of Government. 1690, Ed. Peter Laslett. Cambridge 1960, S. 314; vgl. auch Adam Smith. An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. 1776, erster Satz).

19

Und 1848 spricht sich Franz Fischer für Maßnahmen des Staates aus, damit "alle Arbeitsfähigen soviel Arbeit finden, daß sie ausreichenden Verdienst haben", unter Beibehaltung des Privateigentums, soweit es sich um "Erzeugnisse menschlichen Fleisses" handelt (Naturrecht und natürliche Staatslehre. Gießen 1848, S. 260).

20

In dieser Rechtsprechung erscheint das Grundrecht der Berufsfreiheit in erster Linie persönlichkeitsbezogen. Der eigentliche Kern der Gewährleistung aus Artikel 12 GG wird in einem personalen Grundzug gesehen, wenn es heißt, daß Artikel 12 die menschliche Persönlichkeit, die nach der Ordnung des Grundgesetzes der oberste Rechtswert ist, in einem für ihre Selbstbestimmung in der arbeitsteiligen Industriegesellschaft besonders wichtigen Bereich schützt. Diese personenbezogene, inhaltlich auf Dauerbeschäftigung als Grundlage der individuellen Lebensplanung angelegte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers schließt als soziales Grundrecht auch Teilhabe- und Gestaltungsrechte ein.

21

Grundrechten kommt heute nämlich eine Mehrdimensionalität zu, die auch für das Grundrecht der Arbeit in Artikel 12 GG verbürgt ist. Zum einen ist nach dem tradierten, historisch überkommenen Grundrechtsverständnis darauf zu verweisen, daß natürlich auch dieses Grundrecht Abwehrrecht ist. Zum zweiten kommt den Grundrechten eine objektiv-rechtliche institutionelle Bedeutung zu, sie stellen Wertentscheidungen der Verfassung dar. Zum dritten sind aber in diesem Grundrecht der abhängigen Arbeit auch subjektive Teilhabeaspekte auszumachen (Badura, Festschrift Berber, a.a.O., S. 14; Häberle, a.a.O., S. 352; AK - GG - Rittstieg Art. 12 Rdnr. 87; Zöllner. Arbeitsrecht. 3. Aufl. 1983, S. 85), wie sie das Bundesverfassungsgericht in seinen Numerus-clausus-Entscheidungen als materielle Teilhaberechte gerade im Hinblick auf Artikel 12 Abs. 1 S. 1 GG zugrunde gelegt hat und wie sie als soziales Grundrecht im "Recht am Arbeitsplatz" im Sinne Peter Baduras auftauchen (vgl. auch Dichgans, Festschrift für Martin Hirsch. Baden-Baden 1981, S. 553 ff.).

22

Diese vielfach freiheitsverbürgende Wirkung des Artikels 12 GG verpflichtet Staat und Gesellschaft allgemein, die effektive Möglichkeit seiner Inanspruchnahme für jedermann und alle Berufe zu sichern und zu verstärken. Befristete Arbeitsverhältnisse, die strukturell durch Anpassungsdruck und vorauseilenden Gehorsam gekennzeichnet sind (vgl. BAG Urteil vom 15. März 1978 - 5 AZR 831/76: "Diese Unsicherheit belastet den Arbeitnehmer, weil er bei Ablauf der Befristung keinen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen kann. Der Arbeitgeber braucht - anders als bei der Kündigung nach Ablauf der Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG - keine Gründe anzugeben, die eine Beendigung der Zusammenarbeit rechtfertigen sollen; der Arbeitnehmer kann keine gerichtliche Nachprüfung dieser Gründe erreichen."), schaffen per se keine auf Dauer angelegte Lebensgrundlage und sind daher in der Regel nicht geeignet. Berufsfreiheit zu verwirklichen. Sie bedürfen deshalb im Ausnahmefall einer besonderen Rechtfertigung. Hierbei geht es mithin nicht nur um die Sicherung des zwingenden Kündigungsschutzrechtes und damit um die Abwehr objektiver Umgehungsgeschäfte. Entscheidend ist die effektive Teilhabe am Arbeitsleben ("Arbeit" kommt von 'arvum, arva' = 'gepflegter Acker', geht aber auch auf das germanische 'arba' = 'Knecht' zurück. "In fast allen Sprachen seufzt und stöhnt ja förmlich dieses Wort schon vom letzten Sprachstamm her.", Frdr. v. Gottl-Ottlilienfeld, Arbeit als Tatbestand des Wirtschaftslebens, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 50, 1923, S. 296), Arbeit verstanden als Mittel zur Verwirklichung gleicher gesellschaftlicher Chancen - Lebensführungs- und Arbeitskraftverwertungschancen. Chancen zur Selbst- und Fremdeinschätzung, zur Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung (H.A. Hesse. ArchöR 95 (1970) S. 448 ff.) - unter den real existierenden Bedingungen einer sozialen Ordnung, in der die scheinbar ökonomische Kategorie Arbeit im Grunde eine gesellschaftliche Wertlehre konstituiert, die ihre Werte in einen ökonomischen Begründungszusammenhang stellt. Dann muß auch rechtlich zum Ausdruck gebracht werden, daß "Arbeit als personales Problem und anthropologisches Bedürfnis des Menschen unseres Kulturzustandes und Arbeit als soziales Phänomen und gesellschaftliches Problem an der Basis allen Verfassens" (Häberle JZ 1984 S. 355 FN 87) steht. Die "Berufsfreiheit als ein wesentliches Stück der Persönlichkeitsentfaltung" mit einem besonders hohen Rang "im Rahmen der individuellen Lebensgestaltung des einzelnen" (BVerfG E 32, 54, 71) wird verkannt, wenn die Rechtsprechung nach und nach die Befristungskontrolle so weit zurücknimmt, daß sie praktisch bedeutungslos wird, weil befristete Arbeitsverträge strukturell nicht geeignet sind, die sozialstaatlich gebotene Effektivität der Möglichkeiten zur Teilhabe an einem rechtlichen Arbeitsleben zu gewährleisten. Die "gewandelte Wertvorstellung, die ein moderner Mensch vom Grundrecht der Berufsfreiheit" (BVerfG E 22, 125, 136) hat, verlangt in aller Regel im Rahmen der ökonomischen Ressourcen die Verschaffung und Sicherung eines Arbeitsplatzes auf unbestimmte Dauer (vgl. auch die zitierte Regierungsbegründung zum BeschFG 1985).

23

Die befristeten Verträge haben zwar den "Vorteil", daß ihre Beendigung letztlich doch einfacher handhabbar und von den mitunter schon aufwendigen Notwendigkeiten einer Rechtfertigung im Kündigungsschutzprozeß befreit. Die Rechtsprechung hat sich im übrigen solchen "Belastungen" nicht immer völlig verschlossen: Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in einem Urteil vom 5. Mai 1961 (AP Nr. 17 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag) eine Befristungsabrede für gerechtfertigt gehalten, weil für den Behördenleiter (!) die Möglichkeit bestanden habe, daß der neue Haushaltsplan ohne Rücksicht auf anwachsenden Arbeitsanfall die für die Bezahlung der in Frage stehenden Arbeitskräfte notwendigen Mittel nicht zubilligen werde. Dieser "Vorteil" legitimiert freilich nicht dazu, den befristeten Arbeitsvertrag als durchgängiges Strukturmerkmal des Arbeitsverhältnisrechts zu kreieren.

24

Das Gesinderecht des preußischen Allgemeinen Landrechts 1794 ging vom befristeten Vertrag aus (5. Titel 2. Teil "Von den Rechten und Pflichten der Herrschaften und des Gesindes"§ 1).

25

e)

Vielmehr folgt nach der Auffassung des Berufungsgerichts aus den dargelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben, daß der befristete Arbeitsvertrag immer nur dann in zulässiger Weise als Vertragstypus angewählt werden darf, wenn die als geschuldeter Arbeitsinhalt zu erfüllende Aufgabe ihre zeitliche Begrenzung von vornherein in sich trägt und deshalb tätigkeitsbezogen das Arbeitsverhältnis eo ipso nicht als auf Dauer angelegte Lebensgrundlage in Betracht kommt. Dies ist beispielsweise gegeben in Fällen der Erprobung, eines vorübergehenden (kurzfristigen) Arbeitsanfalls oder von Saisonarbeit, in Fällen der vorübergehenden (kurzfristigen) Aushilfe oder Vertretung, einer bestimmten und zeitlich überschaubaren Arbeitsaufgabe, in Fällen spezieller beruflicher Fort- und Weiterbildung, bei einem gerichtlichen und außergerichtlichen Vergleich nach einem Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es bedarf somit nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung eines konkreten Sachgrundes, der - bezogen auf die geschuldete Arbeitsaufgabe - die jeweilige Befristung nach Anlaß und Dauer trägt. Ist eine konkrete Dauer zu diesem Zeitpunkt nicht prognostizierbar, kommt ein befristeter Arbeitsvertrag nicht in Betracht. Dies bedeutet weiter, daß z.B. haushaltsrechtliche oder Drittmittelfinanzierungs-Gesichtspunkte oder ein nicht konkret zuordnungsfähiger "beurlaubungsbedingter Gesamtvertretungsbedarf" eine Befristung nicht rechtfertigen können. Gleiches gilt für die Beurlaubungsfälle aus familiären Gründen, die erfahrungsgemäß über mehrere Jahre sich erstrecken und deshalb nicht als vorübergehende (vgl. § 622 Abs. 4 BGB) Tatbestände angesprochen werden können (vgl. de lege ferenda: Entwurf eines Arbeitsgesetzbuches - Allg. Arbeitsvertragsrecht, hrsg. vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. 1977, § 10 a f.; für Österreich: Entwurf Bydlinski ZAS 1982, 113 ff., 115; Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Regelung der Zeitarbeit, EG-Dok. 6886/82, BR-Drucks. 211/82 vom 02.06.1982).

26

3.

Gemessen an diesem Maßstab ist die von den Parteien vereinbarte Befristung unwirksam. Von einem vorübergehenden kurzfristigen Vertretungsfall kann bei der insgesamt sechsmaligen Befristung innerhalb von etwa 9 Jahren des Arbeitsverhältnisses mit dem zum Zeitpunkt der zuletzt vereinbarten Befristung etwa 45jährigen Kläger nicht ausgegangen werden. Die mehrfache Befristungsverlängerung zeigt auch, daß die schlicht kalendermäßige Anknüpfung der Befristung an die Jeweiligen Beurlaubungsanträge keinen hinreichenden Sachgrund für Befristung und Jeweilige Dauer abgeben können, weil erfahrungsgemäß solche Beurlaubungsanträge sich wiederholen, wie hier eben auch, mithin von vornherein davon auszugehen ist, daß die Beurlaubung insgesamt wesentlich länger dauern wird, als der Urlaubsantrag zunächst anzeigen mag, ganz abgesehen davon, daß beispielsweise im Bereich von § 87 a NBG die jeweilige Höchstbeurlaubungsdauer ohne jede Anknüpfung an den konkreten Beurlaubungssachverhalt gesetzlich vorgeschrieben ist. Im Grunde handelt es sich bei diesen Beurlaubungsfällen um einen erfahrungsgemäß mit einem bestimmten Anteil an den Beschäftigten auftretenden Dauersachverhalt, der demgemäß personalwirtschaftlich nicht über befristete, sondern über Arbeitsverträge auf unbestimmte Dauer aufzufangen ist. Damit kann bei den ja auch im öffentlichen Dienst gegebenen Versetzungs- und Kündigungsmöglichkeiten durchaus hinreichend flexibel auf sich verändernde Situationen eingegangen werden.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

28

Der Kostenstreitwert des Berufungsverfahrens ist der des angefochtenen Urteils, § 69 Abs. 2 ArbGG.

29

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 ArbGG.

30

Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.

Frohner
Mathmann
Schuchert