Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.09.1989, Az.: 3 Sa 1551/88

Anspruch auf Vergütungsdifferenz; Geschlechtsspezifisch gleichheitswidrige Vergütung weiblicher Lehrkräfte; Diskriminierung von Frauen; Verstoss gegen das Differenzierungsverbot durch eine Vergütungsabrede; Tarifliche Verfallklausel als Inhaltsbestimmung eines Anspruchs in Form einer Befristung; Aufrechnung mit im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung durch Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist erloschenen Forderungen; Inhalt eines Anspruchs

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
22.09.1989
Aktenzeichen
3 Sa 1551/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 14333
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1989:0922.3SA1551.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Celle - 02.08.1988 - AZ: 1 Ca 598/86
nachfolgend
BAG - 26.09.1990 - AZ: 5 AZR 112/90

Fundstellen

  • BB 1990, 1489 (amtl. Leitsatz)
  • ZTR 1990, 437 (amtl. Leitsatz)
  • ZTR 1900, 253 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 1989
durch
die Richter Engel, Frohner und Kuck
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 02.08.1988 - 1 Ca 598/86 - wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das genannte Urteil teilweise unter Zurückweisung dieser Berufung im übrigen abgeändert:

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 968,93 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 31.12.1986 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Soweit der Berufung des beklagten Landes stattgegeben worden ist (Zahlungsansprüche 01.05.1985 - 30.06.1986), wird die Revision zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin erteilte vom 05.08.1982 bis zum 31.07.1986 auf der Grundlage des schriftlichen Anstellungsvertrages der Parteien vom 15.07./04.08.1982 am Gymnasium in Unterricht in den Fächern Französisch und Sport. Die Zahl der Unterrichtsstunden war vertraglich auf 11 Stunden wöchentlich festgesetzt worden. Die Parteien streiten nunmehr über die Zahlung der Differenz zwischen der begehrten Vergütung in Höhe von 11/23 der Vergütung nach der Vergütungsgruppe II a BAT und der tatsächlich gezahlten Vergütung nach Jahreswochenstunden für den Zeitraum vom 01.01.1984 bis zum 31.07.1986. Dabei ist zwischen ihnen insbesondere streitig, inwieweit die getroffene Vergütungsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 unwirksam ist und welche Bedeutung der tariflichen Ausschlußfristenbestimmung des § 70 BAT beizumessen ist.

2

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

3

Durch dieses Urteil vom 02.08.1988 hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Celle das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin 14.533,90 DM brutto (für die Zeit vom 01.05.1985 bis zum 31.07.1986) nebst 4 % Zinsen seit dem 31.12.1986 zu zahlen. Es hat im übrigen (für die Zeit vom 01.01.1984 bis 30.04.1985) die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits beiden Parteien zur Hälfte auferlegt sowie den Streitwert insgesamt auf 28.796,13 DM festgesetzt. Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf die Entscheidungsgründe wiederum verwiesen.

4

Mit ihren - jeweils selbständigen - Berufungen verfolgen die Parteien ihr jeweiliges Zahlungs- bzw. Klagabweisungsbegehren in vollem Umfange weiter.

5

Das beklagte Land beantragt nunmehr,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen,

und weiter,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils das beklagte Land zu verurteilen, an sie über die ausgeurteilten 14.533,90 DM brutto weitere 14.262,33 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 31.12.1986 zu zahlen.

7

Hierzu beantragt das beklagte Land schließlich,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

8

Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszuge wird auf ihre sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Schriftsätze vom 02.11., 07.11., 08.12., 12.12.1988 sowie vom 03.02.1989 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

10

Ihr stehen Vergütungsdifferenzansprüche für die Zeit vom 01.01.1984 bis zum 30.04.1985 nicht zu.

11

Die Berufung des beklagten Landes ist überwiegend begründet.

12

Der Klägerin stehen auch für die Zeit vom 01.01.1985 bis zum 30.06.1986 Vergütungsdifferenzansprüche nicht zu. Dies folgt aus §§ 612 Abs. 2 BGB, 70 BAT. Allerdings schuldet das beklagte Land der Klägerin - Insoweit ist die Berufung des Landes unbegründet - noch eine Vergütungsdifferenz für den Monat Juli 1986 in Höhe von 968,93 DM brutto nebst Rechtshängigkeitszinsen.

13

1.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht einen Vergütungsdifferenzanspruch der Kläger für den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes verneint. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder auf arbeitsvertraglicher Grundlage noch wegen Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes noch aus Artikel 119 EWG-Vertrag. Zwar hat das beklagte Land eine unterschiedliche Vergütungsregelung praktiziert zwischen solchen Lehrkräften, die vertraglich zu 50 % und mehr der Pflichtstundenzahl unterrichteten, und jenen Lehrkräften, wie der Klägerin, die vertraglich zu weniger als 50 % der Pflichtstundenzahl vollbeschäftigter Lehrkräfte unterrichteten. Die dem BAT unterfallende Gruppe erhielt Bruchteilsvergütung entsprechend der BAT-Vergütungshöhe, die nicht dem BAT unterfallende Gruppe erhielt Vergütung nach Jahreswochenstunden. Nach den vorliegenden statistischen Daten ist jedoch davon auszugehen, daß hierin keine geschlechtsspezifisch gleichheitswidrige Vergütung weiblicher Lehrkräfte liegt, der Tatbestand mittelbarer Diskriminierung von Frauen nicht gegeben ist. Von einer Verletzung des § 611 a BGB oder des Artikels 119 EWG-Vertrag kann nicht gesprochen werden. Die ältere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat denn auch die skizzierte unterschiedliche Vergütungsregelung, die letztlich auf die frühere Fassung des § 3 q BAT zurückzuführen ist, als unbedenklich angesehen (vgl. BAG Urteil vom 04.02.1981 AP Nr. 45 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

14

2.

Dem Arbeitsgericht ist auch darin beizupflichten, daß das beklagte Land der Klägerin für den Monat Juli 1986 noch eine Vergütungsdifferenz - in der eingangsgenannten Höhe - nachzuzahlen hat. Die Vergütungsabrede der Parteien verstößt nämlich gegen das Differenzierungsverbot des § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 und ist daher mit dem Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes zum 01.05.1985 wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB nichtig geworden (BAG Urteil vom 25.01.1989 - 5 AZR 311/88; Urteil vom 25.01.1989 - 5 AZR 161/88 - EzA § 2 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 Nr. 1; weiterhin: Urteil vom 27.07.1988 - 5 AZR 244/87 - und Urteil vom 29.08.1989 - 3 AZR 370/88).

15

An die Stelle der damit entfallenen Vergütungsregelung tritt die nach § 612 Abs. 2 BGB zu bestimmende übliche Vergütung. Es entspricht der Übung im öffentlichen Dienst, tarifvertragliche Regelungen ohne Rücksicht auf die Verbandszugehörigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzuwenden. Daher ist im öffentlichen Dienst als die übliche Vergütung im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB die tarifliche Vergütung anzusehen (BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB; AP Nr. 2 zu § 21 MTL II; AP Nr. 21 zu § 611 BGB Ärzte. Gehaltsansprüche; Urteile vom 25.01.1989 a.a.O.). Der Klägerin steht damit für Juli 1986 11/23 der sich aus der Vergütungsgruppe II a BAT ergebenden Vergütung zu, nicht nur die gezahlte anteilige Monatsvergütung auf der Berechnungsbasis nach Jahreswochenstunden.

16

3.

Allerdings kann die Klägerin nicht mehr die entsprechende Vergütungsdifferenz für die Zeit vom 01.01.1985 bis zum 30.06.1986 verlangen. Die Klägerin war nämlich gehalten, die tarifliche Ausschlußfristenbestimmung des § 70 BAT zu beachten. Dies ist mit der am 31.12.1986 zugestellten Klage hinsichtlich des genannten Zeitraumes nicht mehr rechtzeitig erfolgt.

17

Die Notwendigkeit, die tariflichen Ausschlußfristen zu beachten, folgt nicht aus einer beiderseitigen Tarifbindung oder einer Anwendbarkeit des Tarifvertrages kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme. Diese fehlt gerade hier für den hier interessierenden Zeitraum. Vielmehr ergibt sich dies als Folge der nach § 612 Abs. 2 BGB geschuldeten "tariflichen Vergütung". Die tarifliche Verfallklausel stellt eine Inhaltsbestimmung des Anspruchs in Form einer Befristung dar, ist deshalb zum Anspruchsinhalt selbst zu rechnen (vgl. Wiedemann-Stumpf, Tarifvertragsgesetz. 5. Aufl., § 4 Rdnr. 365 m.w.N.).

18

Zwar hat das Reichsarbeitsgericht (ARS 28, 264 mit insoweit zustimmender Anmerkung Nipperdey) ohne Begründung die Auffassung vertreten, die Ausschlußfrist enthalte lediglich eine den Anspruch inhaltlich nicht berührende Befristung seiner Geltendmachung. Dieser Auffassung ist das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung gefolgt (AP Nr. 27 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; AP Nr. 81 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; AP Nr. 24 zu § 1 Arbeiterkrankheitsgesetz; AP Nr. 4 zu § 611 BGB Urlaubskarten). Allerdings hat auch bereits das Bundesarbeitsgericht davon gesprochen (AP Nr. 6 zu § 4 TVG Ausschlußfristen), daß das zur Entstehung gelangende und zunächst bestehende Recht durch tarifliche Ausschlußfristen in seiner Dauer begrenzt werde, und im übrigen auf Hueck/Nipperdey (Arbeitsrecht II, 6. Aufl. 1957, S. 450) verwiesen, die ausführen, daß durch die Ausschlußfrist das Recht inhaltlich in seiner Dauer ipso jure begrenzt werde.

19

Dementsprechend ist auch das BAG zu der Auffassung gelangt, daß mit Forderungen, die im Zeitpunkt einer Aufrechnungserklärung durch Ablauf einer tariflichen Ausschlußfrist erloschen sind, nicht mehr aufgerechnet werden kann (Vorlagebeschluß des BAG vom 30.03.1973 - 4 AZR 259/72). Wiedemann-Stumpf (a.a.O.) erklären die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Bestreben, eine Auseinandersetzung mit der Frage zu vermeiden, ob die Tarifvertragsparteien für zwingende gesetzliche und für einzelvertragliche Ansprüche überhaupt Verfallfristen vereinbaren können. Hier habe das Bundesarbeitsgericht die vorausgeahnten Bedenken gegen seine Entscheidung für die weite rechtliche Ausdehnung der Verfallklauseln mit dem Hinweis, daß der Inhalt des Anspruchs überhaupt nicht betroffen sei, beschwichtigen wollen.

20

Dieser Beschwichtigungsversuch ersetzt nach der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die notwendige rechtsdogmatische Einordnung von Ausschlußfristen. Mit Herschel (DAR 1935 S. 278; JZ 1961 S. 237 [BAG 26.08.1960 - 1 AZR 425/58]; Anm. zu AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip), Schelp (Anm. zu AP Nr. 28 zu § 4 TVG Ausschlußfristen) und Wiedemann-Stumpf (a.a.O.) ist davon auszugehen, daß in den Verfallklauseln eine Inhaltsbestimmung des Anspruchs zu sehen ist. Es handelt sich um einen Unterfall der Befristung. Der Inhalt eines Anspruchs erschöpft sich keineswegs in der Bestimmung des Leistungsgegenstandes selbst, sondern auch die Leistungsmodalitäten wie Leistungszeit, Erfüllungsort und eben Ausschlußfristen gehören zum Anspruchsinhalt selbst. Die Ausschlußfrist wirkt sich auf die Dauer des rechtlichen Bestandes des Anspruches aus, diese Dauer läßt sich dogmatisch von seinem übrigen Inhalt nicht trennen. Daher stellt das Beifügen einer Ausschlußfrist einen Eingriff in den Inhalt des Anspruchs selbst dar, durch den dessen Existenz temporär begrenzt wird (vgl. zum von vornherein lediglich befristet entstehenden Urlaubsanspruch BAG Urteil vom 13.05.1982 - 6 AZR 360/80). In den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Motive I S. 291) heißt es zum Begriff des Anspruches: "Unter Anspruch wird das Recht in seiner Richtung gegen eine bestimmte Person verstanden, vermöge dessen von derselben eine gewisse Leistung - die zur Verwirklichung des Rechts erforderliche Handlung oder Unterlassung - verlangt werden kann." Ein Gläubiger kann aber nur so lange etwas verlangen, solange der Anspruch überhaupt besteht. Die existentielle Begrenzung des Anspruchs gehört daher zum Inhalt des Rechtes selbst.

21

Nach alledem gehört zum Inhalt der vom beklagten Land gemäß § 612 Abs. 2 BGB geschuldeten "tariflichen Vergütung" auch die temporäre Begrenzung des Vergütungsanspruchs infolge der tariflichen Ausschlußfristen. Diese sind aber, wie dargelegt, von der Klägerin für den genannten Zeitraum nicht gewahrt worden.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO.

23

Der Kostenstreitwert des Berufungsverfahrens ist der des angefochtenen Urteils, § 69 Abs. 2 ArbGG.

24

Die - auf einen abgrenzbaren Teil des Streitgegenstandes beschränkte - Zulassung der Revision, beruht auf § 72 Abs. 2 ArbGG. Im übrigen liegen Gründe, die Revision zuzulassen, nicht vor.