Sozialgericht Hannover
Urt. v. 19.10.2016, Az.: S 78 KA 191/15
Einwendungen eines Dermatologen gegen eine Beratung wegen unwirtschaftlicher Leistungserbringung und unwirtschaftlicher Verordnung von Arzneimitteln; Missachtung der Grenzen seines Beurteilungsspielraums einer gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beurteilung der Unwirtschaftlichkeit
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 19.10.2016
- Aktenzeichen
- S 78 KA 191/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 27971
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2016:1019.S78KA191.15.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 297 SGB V
- § 106 Abs. 2 S. 1 Nr 2 SGB V
- § 106 Abs 2a SGB V
Fundstellen
- NZS 2016, 956
- PFB 2017, 115
Tenor:
- 1)
Der Bescheid des Beklagten vom 21.04.2015 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Widerspruch des Klägers erneut zu entscheiden.
- 2)
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Diese haben ihre Kosten selbst zu tragen.
- 3)
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Beratung wegen unwirtschaftlicher Leistungserbringung und unwirtschaftlicher Verordnung von Arzneimitteln im Jahr 2011.
Der Kläger war ua 2011 als Dermatologe mit Sitz in P. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Prüfungsstelle Niedersachsen (nachfolgend Prüfungsstelle) teilte dem Kläger mit Schreiben vom 28.04.2014 mit, dass im Rahmen der Zufälligkeitsprüfung die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen in den Quartalen 1 bis 4/2011 geprüfte werden solle. Mit weiterem Schreiben vom 07.05.2014 teilte die Prüfungsstelle dem Kläger mit, dass im Rahmen einer durchgeführten statischen Durchschnittsprüfung Überschreitungen bei den Arzneimittelverordnungen sowie bei den EBM-Ziffern 10341 (kleinchirurgischer Eingriff II und/oder primäre Wundversorgung) und 10350 (Balneophototherapie) festgestellt wurden und bat um eine schriftliche Stellungnahme. Der Kläger äußerte sich dazu gegenüber der Prüfungsstelle zunächst nicht.
Mit Bescheid vom 15.07.2014 setzte die Prüfungsstelle Niedersachsen eine Beratung fest.
Gegen diese Entscheidung ließ der Kläger am 04.08.2014 Widerspruch erheben. Darin beruft er sich auf das Vorliegen von Praxisbesonderheiten. Es bestünde wegen der Behandlung hellen und schwarzen Hautkrebses ein überdurchschnittlicher Bedarf an Vor- und Nachsorgeuntersuchungen. Diese Tätigkeit mache 50% des Arbeitsaufwandes aus. Daraus resultiere auch eine überdurchschnittliche operative Tätigkeit. Ein weiterer Schwerpunkt sei die Lasertherapie mit häufigen Eingriffen. Die steigenden OP-Zahlen resultierten auch aus dem Anstieg der Hautkrebsfälle. In der Praxis sei aufgrund der intensiven Behandlungsmaßnahmen die Trefferquote bezüglich atypischer Muttermale, maligne Melanome, Plattenepithelkarzinome, Basalzellkarzinome überdurchschnittlich hoch. Ein weiterer Schwerpunkt sei die Balneophototherapie bei Patienten mit schwerer Psoriasis vulgaris. Dazu unterhalte der Kläger eine Bäderabteilung mit zwei Therapieplätzen und eine hochwertige Lichttherapiekabine, die in den Bereich integriert sei. Hier sein ca. 90.000 EUR investiert worden. Vergleichbare Einrichtungen gäbe es in anderen Hautarztpraxen nicht. Der Kläger rügt, dass die verwendete Arzneimittelliste nicht aussagekräftig sei, da ihm keine Einzelaufstellung zur Verfügung stehe. Es könne daher nur vermutet werden, dass sich auf die mitgeteilte Gesamtsumme drei Gruppen von Medikamenten besonders auswirken. Dazu gehörten sogenannte Biologicals, die bei völlig therapieresistenten Formen der Psoriasis (Praxisschwerpunkt) eingesetzt worden sein und pro Patient und Jahr ca. 15.000 bis 20.000 EUR ausmachten. Ein weiterer Praxisschwerpunkt liegt in der Mykologie. Diese Präparategruppe sei ebenfalls hochpreisig und umfangreich. Dieser Schwerpunkt bestehe seit Jahren. Zudem werde das Präparat Humira® bei schwerer Schuppenflechte verordnet. Durch den Einsatz dieses Präparats werde die Arbeitsfähigkeit wieder herbeigeführt. Es sein ca 20-30 Patienten auf diese Weise behandelt worden. Die Kosten lägen bei 20.000 bis 30.000 EUR pro Jahr.
Dem Widerspruch gab der Beklagte mit Bescheid vom 21.04.2015 (Beschluss vom 05.02.2015) im Hinblick auf die GOP 10350 EBM statt und bestätigte für die GOP 10341 EBM sowie die Überschreitung im Arzneimittelbereich die festgesetzte Beratung. Die Entscheidung stütze sich hier auf die Regelung des § 106 Abs. 2 Satz 1 Nummer 2 SGB V in Verbindung mit den Richtlinien über die Zufälligkeitsprüfung gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 Nummer 2 SGB V und § § 16 ff. der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V ab dem Jahr 2010. Der Ausschuss habe sich im Rahmen seines Ermessens für die Prüfmethode des statistischen Fallkostenvergleichs mit der Vergleichsgruppe unter Zugrundelegung der arithmetischen Mittelwerte entschieden. Nach Rechtsprechung des BSG stelle die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode dar. Ergänzt durch eine sogenannte intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, stelle dies die Methode dar, die typischerweise die umfassendsten Ergebnisse bringe. Die Vergleichsgruppe der Dermatologen bestehe hier aus 195 (1/2011), 196 (2/2011), 194 (3 und 4/2011) Ärzten/Praxen im Bezirk der KVN. Die verfeinerte Vergleichsgruppe (VVG) aus Praxen, die in einem Quartal die GOP 10341 EBM mindestens einmal abgerechnet haben, bestand aus 181 (1/2011), 179 (2/2011), 181 (3/2011) und 177 Ärzten/Praxen im Quartal 4/2011. Ein Vergleich der Abrechnungen mit der verfeinerten Vergleichsgruppe habe bei der GOP 10341 EBM Überschreitungen der Fallwerte von 680,77 % (1/2011), 598,04% (2/2011), 551,22% (3/2011) und 606,25% (4/2011) ergeben. Hinzu komme eine Überschreitung bei der Gesamthonoraranforderung von 92,7% (1/2011), 93,1% (2/2011), 90,3% (3/2011) und 91,7% (4/2011). Unter Berücksichtigung einer 100%igen Toleranzgrenze bei den durchschnittlichen Anforderungswerten der VVG ergebe sich ein unwirtschaftlicher Mehraufwand pro Fall bei der GOP 10341 EBM von 3,02 EUR (1/2011), 2,54 EUR (2/2011), 1,85 EUR (3/2011) und 2,43 EUR (4/2011). Bei den Arzneimitteln bestehe die Vergleichsgruppe der Dermatologen aus 304 (1 und 2/2011), 307 (3/2011) bzw. 305 (4/2011) Praxen/Ärzten. Ein Vergleich mit dieser Gruppe habe eine Überschreitung bei den Arzneimittelverordnungen von 120,65% (1/2011), 165,81% (2/2011), 162,54% (3/2011) und 180,72% (4/2011) ergeben. Unter Berücksichtigung einer 50%igen Toleranzgrenze ergebe sich ein unwirtschaftlicher Mehraufwand pro Fall von 39,66 EUR (1/2011), 30,55 EUR (2/2011), 29,35 EUR (3/2011), 35,74 EUR (4/2011). Diese Überschreitungen seien auch nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt. Dem Vortrag des Klägers sei nicht zu entnehmen, welche Unterschiede in seiner Praxis gegenüber der Vergleichsgruppe bestünden. Die Behandlung von hellem und schwarzem Hautkrebs sowie die Lasertherapie stellten im Hinblick auf die Vergleichsgruppe der Dermatologen keinen atypischen Umstand dar. Es fehle an einer nachvollziehbaren Begründung dafür, warum er die Leistungen nach der GOP 10341 EBM in dieser Häufigkeit erbracht/abgerechnet habe. Die bloße Behauptung erheblich mehr Patienten mit hellem oder schwarzem Hautkrebs behandelt zu haben genüge allein nicht. Es fehle an einer nachvollziehbaren Begründung zum jeweiligen medizinischen Zusammenhang, der den erhöhten Abrechnungsbedarf im Hinblick auf die Vergleichsgruppe erkläre. Gleiches gelte für die hier geprüften Arzneimittel. Der Kläger könne sich nicht auf eine fehlende Aufschlüsselung der Daten berufen. Die zur Prüfung verwendeten Statistiken entsprächen den Vorgaben der Prüfvereinbarung. Der weitergehende Vortrag des Klägers zu den Ursachen der Arzneimittelkosten sei insgesamt zu pauschal. Da es sich um eine erstmalige Stichprobenprüfung handele, wäre die Festsetzung einer Honorarkürzung unverhältnismäßig. Die ebenfalls festzustellende Überschreitung bei der GOP 10350 EBM könne indes durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt werden. Der Kläger habe insoweit nachvollziehbar vorgetragen, dass er eine eigene Bäderabteilung mit zwei Therapieplätzen und einer entsprechenden Lichttherapiekabine vorhalte. Er unterscheide sich insoweit von anderen dermatologischen Praxen.
Gegen diese Entscheidung ließ der Kläger am 26.05.2015 Klage erheben. Aus dem Bescheid gehe nicht klar hervor, ob sich die Anerkennung auf die Balneophototherapie insgesamt beziehe. Dann müssten auch Folgekosten bei Psoriasis- und Neurodermitis-Patienten Berücksichtigung finden. Im Rahmen der Richtgrößenprüfung 2003 sei vom Beklagten die Versorgung von allergologischen Patienten und von Patienten mit Psoriasis als Praxisbesonderheit anerkannt worden. Die Balneophototherapie habe der Kläger von 1997 bis 2002 und ab 2007 als Kassenleistung anbieten können und so eine besondere Patientenklientel erzeugt. Der "Mehrbedarf" der Praxis liege bei ca. 150.000 EUR (individuelle Rezepturen, Hyposensibilisierung, Antihistaminika, Antibiotika, Kortisone ua). Es sei zudem zu Einsparungen bei Kuraufenthalten, AU-Bescheinigungen und Krankenhauseinweisungen gekommen. Bei der Richtgrößenprüfung für 2005 und 2006 sei ein Mehrbedarf von 150.000 EUR für die Praxisbesonderheiten Psoriasis und Neurodermitis anerkannt worden. Die Praxis verfüge mit sechs verschiedenen Lasersystemen, einer OP-Vollausstattung, LED-Ringleuchten-Auflichtmikroskopen sowie ein spezielles Foto-Finder-System über eine besondere Ausstattung gegenüber der Vergleichsgruppe. Der Kläger nutze auch viele moderne Verfahren, die sich mitunter nicht im Rahmen des EBM abbilden ließen. Auf Anfrage bei der KV würden ersatzweise daher auch die GOP 10341 EBM in Ansatz gebracht. Insgesamt betrachtet sei die Praxis des Klägers anderen Praxen in Ausstattung und Diagnostik weit überlegen. Seine Praxis könne daher nicht mit anderen Praxen der Fachkollegen verglichen werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.04.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zu Begründung auf den Inhalt seines Widerspruchsbescheides. Weitere Praxisbesonderheiten hätten hier nicht anerkannt werden müssen. Mit neuem Vortrag im Klageverfahren sei der Kläger präkludiert. Im Übrigen sei eine Unwirtschaftlichkeit dann anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem der Vergleichsgruppe liege, dass sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären ließen. Dem Arzt sei bereits eine Überschreitungstoleranz von 100% (Honorar) bzw. 50% (Arzneimittel) belassen worden. Eine weitergehende Begründung sei nach der BSG-Rechtsprechung dann nicht mehr geboten. An Entscheidungen aus den Richtgrößenprüfungen für lange zurückliegende Zeiträume sei der Beklagte nicht gebunden. Jedenfalls fehle es aber an substantiierten Vortrag des Klägers für das vorliegende Verfahren.
Das Gericht hat die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen und die Landesverbände der Krankenkassen zum Verfahren beigeladen. Die KVN hat sich schriftlich zum Verfahren geäußert. Sie hält die gewählte Prüfmethode des Einzelleistungsvergleichs bei der GOP 10341 EBM grundsätzlich für zulässig. Die gewährte Toleranzgrenze von 100% könne den Beklagten aber nicht von der Prüfung von Praxisbesonderheiten entbinden. Man habe zudem Zweifel, ob nicht auch die Abrechnung der GOP 10341 EBM durch eine Praxisbesonderheit zu rechtfertigen gewesen wäre. Insoweit lasse der angegriffene Bescheid offen, welche Ermittlungen der Beklagten zur Frage einer besonderen Praxisausstattung angestellt habe. Hinsichtlich der Arzneimittelverordnungen bestehe ein Zusammenhang zwischen der Balneophototherapie und Ausgaben für Neurodermitis- und Psoriasis-Präparaten. In diesem Zusammenhang müssten auch die in Richtgrößenverfahren anerkannten Praxisbesonderheiten gesehen werden. Auf einen unzureichenden Vortrag könne sich der Beklagten daher nicht berufen. Dies gelte auch deshalb, weil im Rahmen dieses Prüfverfahrens keine Einzelverordnungsdaten zur Verfügung gestellt wurden. Nach der Richtgrößenvereinbarung 2011 seien diverse Arzneimittel für die Indikation Psoriasis als Praxisbesonderheit vereinbart worden. Der Kläger habe im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bereits auf die Behandlung mit dem Präparat Humira® hingewiesen. Für die Prüfgremien bestünden entsprechende Hinweispflichten. Zudem müssen die Prüfgremien allen Hinweisen auf Praxisbesonderheiten nachgehen, soweit diese ihnen aus den Unterlagen oder in sonstiger Weise bekannt sind (§ 12 Abs. 2 der Prüfvereinbarung).
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1, 131 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) statthafte und im Übrigen zulässige Klage ist begründet.
Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem Vertreter der Vertragsärzte und Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 SGG). Hier konnte eine Entscheidung trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 2) bis 5) und 7) ergehen, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit der Entscheidung in Abwesenheit hingewiesen worden sind.
Klagegegenstand ist hier unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur Wirtschaftlichkeitsprüfung allein der Bescheid des Beschwerdeausschusses (BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R, Rn. 11 mwN). Die Klage gegen diesen Bescheid ist auch begründet, da der Beklagte unter Missachtung der Grenzen seines Beurteilungsspielraums eine Unwirtschaftlichkeit bei der Leistungserbringung sowie bei den Arzneimittelverordnungen für das Jahr 2011 festgestellt hat.
Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird ua geprüft durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung). Die Zufälligkeitsprüfung umfassen neben dem zur Abrechnung vorgelegten Leistungsvolumen auch Überweisungen, Krankenhauseinweisungen und Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit sowie sonstige veranlasste Leistungen, insbesondere aufwändige medizinisch-technische Leistungen (§ 106 Abs 2 Satz 3 SGB V). Der einer Prüfung nach Satz 1 Nr. 2 zu Grunde zu legende Zeitraum beträgt mindestens ein Jahr (§ 106 Abs. 2 Satz 6 SGB V). Die Vertragspartner in Niedersachsen haben unter Einbeziehung der Richtlinien über die Zufälligkeitsprüfung gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB vom 25. Oktober 2005, zuletzt geändert am 01.08.2008, weitere Regelungen für die Durchführung der Zufälligkeitsprüfung in den §§ 16 - 18 sowie in der Anlage 5 der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V ab dem Jahr 2010 (nachfolgend Prüfvereinbarung) getroffen. Als Prüfmethode in der Zufälligkeitsprüfung kommen nach § 16 Abs. 7 der Prüfvereinbarung danach in Betracht: a) die Einzelfallprüfung und die repräsentative Einzelfallprüfung nach Maßgabe vorher festgelegter Prüfungsgegenstände, b) bei Vorliegen von arztgruppenbezogenen Datenauswertungen und ausreichend großer Zahl an Vertragsärzten in der Vergleichsarztgruppe eine statistische Durchschnittsprüfung. Dazu wählt die Prüfungsstelle geeignete Prüfkriterien gemäß der Anlage 5 der Prüfvereinbarung aus.
Hier hat sich der Beklagte im Rahmen der Zufälligkeitsprüfung ohne weitere Darlegungen auf die Durchführung einer statistischen Durchschnittsprüfung zur Feststellung der Unwirtschaftlichkeit beschränkt. Dieses Vorgehen steht nach Auffassung der Kammer im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben des § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs 2a SGB V. Zwar wird teilweise vertreten, dass den Regelungen zur Zufälligkeitsprüfung keine Vorgaben zur Prüfmethode entnommen werden können (Clemens in jurisPK § 106 SGB V Rn 356 ff; Peikert in: Schnapp/Wigge Vertragsarztrecht 2. Aufl § 20 Rn 49; Heinze, Gesamtkommentar, § 106 SGB V Ziff 8; Spellbrink, NZS 1993, 298, 303). Die Gegenansicht kommt mit überzeugenden Argumenten indes zu dem Ergebnis, dass im Rahmen der Zufälligkeitsprüfung regelmäßig eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist (Engelhardt in: Hauck/Noftz SGB V § 106 Rn 268 f; KassKomm/Hess, SGB V § 106 Rn 41; Rompf/Weinrich in: Liebold/Zalewski Kassenarztrecht § 106 Rn 27; Hoßbach, Wirtschaftlichkeitsprüfung und Praxisbesonderheiten im Kassenarztrecht, Seite 170 ff). Der Gesetzgeber hat die Zufälligkeitsprüfung durch das Gesundheitsreformgesetz 1989 mit dem Ziel geschaffen, die Nachteile einer ausschließlich an Durchschnittswerten orientierten Prüfung auszuschließen (BT Drucks 11/2237, Seite 196). Im Rahmen der Neuregelung des § 106 Abs 2a SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 wurde der Gegenstand der Zufälligkeitsprüfung weiter konkretisiert (medizinische Notwendigkeit der Leistungen (Indikation), Eignung der Leistungen zur Erreichung des therapeutischen oder diagnostischen Ziels (Effektivität), Übereinstimmung der Leistungen mit den anerkannten Kriterien für ihre fachgerechte Erbringung (Qualität), Angemessenheit der durch die Leistungen verursachten Kosten im Hinblick auf das Behandlungsziel, Vereinbarkeit der Leistungen mit dem Heil- und Kostenplan bei Leistungen des Zahnersatzes und der Kieferorthopädie). Mit dieser Neuregelung sollte deutlich gemacht werden, dass auch qualitative Aspekte in die Prüfung der Wirtschaftlichkeit einzubeziehen sind (BT Drucks 14/1245 Seite 81). Die im Gesetzgebungsverfahren noch um den Halbsatz "soweit dafür Veranlassung besteht" ergänzte Vorschrift des § 106 Abs 2a SGB V soll den im Ausgangspunkt gewählten Prüfansatz dabei nicht in Frage stellen. Dieser Halbsatz dient lediglich der Klarstellung, dass nicht sämtliche Kriterien des Abs 2a Gegenstand der Prüfung sein müssen (BT Drucks 14/1977, Seite 166). Eine Prüfung nach den Maßstäben des § 106 Abs 2a SGB V kann aber sinnvollerweise nicht im Rahmen einer rein statischen Prüfung erfolgen. Zwar wird teilweise eingewandt, dass eine Berücksichtigung dieser Kriterien bei der Prüfung von Praxisbesonderheiten möglich sei (Clemens aaO, Rn 359). Dieser Einwand überzeugt aber schon deshalb nicht, da anhand der Kriterien des Absatz 2a eine Unwirtschaftlichkeit festgestellt werden kann. Demgegenüber können Praxisbesonderheiten auf einer zweiten Stufe allein den Anschein der Unwirtschaftlichkeit entkräften. Die Skepsis des Gesetzgebers gegenüber der statischen Durchschnittsprüfung führte 2004 letztlich zu deren Streichung als Regelprüfmethode durch das GKV-Modernisierungsgesetz. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung sollte seitdem durch die Zufälligkeitsprüfung und die Richtgrößenprüfung erfolgen (BT Drucks 15/1525 Seite 113). Zwar wird insoweit eingewandt, dass mit der 2008 geschaffenen Regelung des § 106 Abs. 2 Satz 10 SGB V, wonach "insbesondere ... bei Prüfungen nach Satz 1 auch Ärzte geprüft werden, deren ärztlich verordnete Leistungen ( ...) deutlich von der Fachgruppe abweichen", nur die Zufälligkeitsprüfung gemeint sein kann (Clemens, aaO, Rn 358). Dem ist aber entgegenzuhalten, dass, wie § 106 Abs. 2 Satz 5 SGB V zeigt, in bestimmten Konstellationen auch Auffälligkeitsprüfungen im Rahmen statischer Vergleichsprüfungen durchzuführen sind. Gleichwohl wollte der Gesetzgeber mit dieser Regelung die Zielgenauigkeit der Prüfungen verbessern, wenn als Zufälligkeitsprüfung eine Stichprobe der Leistungen von Ärzten gezogen werden, deren Verordnungsverhalten unabhängig von der Richtgröße Auffälligkeiten in bestimmten Anwendungsgebieten gegenüber der Fachgruppe ausweisen (BT-Drucks 16/3100 Seite 137). Daraus lässt sich indes zunächst aber nur entnehmen, dass für diesen bezeichneten Bereich "insbesondere auch" statische Vergleichsprüfungen durchgeführt werden sollen. Schließlich spricht für den Vorrang der Einzelfallprüfung die in § 297 SGB V aufgenommene Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkasse zur Übermittlung fallbezogener Datensätze. Diese nach den gesetzlichen Vorgaben zu übermittelnden Datensätze werden für eine statische Vergleichsprüfung nicht benötigt. Dem auch im Datenschutzrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Datenvermeidung, Datensparsamkeit) kann die hier vertretene Auffassung zum Vorrang der Einzelfallprüfung am ehesten entsprechen.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Vertragspartner auf Bundes- und Landesebene einen solchen Vorrang der Einzelfallprüfung nicht in die Richtlinie über die Zufälligkeitsprüfung bzw in die Prüfvereinbarung aufgenommen haben. Die hier herausgearbeiteten Vorgaben des § 106 SGB V standen für die Vertragspartner nämlich nicht zur Disposition. Zwar ermächtigt der Gesetzgeber die Vertragspartner in § 106 Abs 2b, 3 SGB V zur Ausgestaltung des Prüfverfahrens. Von dieser Ermächtigung war die Wahl der Prüfmethode nach dem Gesetzeswortlauf allerdings nicht umfasst. Die vom Gesetzgeber aufgezählten Regelungsgegenstände lassen auch unter Berücksichtigung der gewählten offenen Formulierung ("insbesondere") keine erweiterte Auslegung zu. Die Kammer geht insoweit davon aus, dass die vom Gesetz genannten Regelungsgegenstände wertungsmäßig nicht mit der Frage der Wahl der Prüfmethode vergleichbar sind.
Die angegriffene Entscheidung des Beklagten wird den oben genannten Anforderungen nicht gerecht, da sie den hier bestehenden Vorrang der Einzelfallprüfung nicht hinreichend beachtet hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass von einer gesetzlichen vorgesehenen Regelprüfmethode durch die Prüfgremien im Einzelfall nur vor dem Hintergrund des Gebots der effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung abgewichen werden kann (BSG, Urteil vom 23.02.2005 - B 6 KA 72/03 R; Bayerisches LSG, Urteil vom 28.01.2015 - L 12 KA 15/13 mwN). Voraussetzung dafür ist aber, dass die gesetzlich vorgesehene Prüfmethoden sich als nicht aussagekräftig oder nicht durchführbar erweisen. Insoweit sind die Prüfgremien aufgrund ihres Beurteilungsspielraums dann grundsätzlich zu Feststellungen im Rahmen der Bescheidbegründung verpflichtet (BSG, Urteil vom 13.08.2014 - B 6 KA 41/13 R, Rn. 16 mwN; Urteil vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R, Rn. 19 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29.01.2014 - L 3 KA 52/11, Rn. 30 ff.). Derartige Feststellungen hat der Beklagte nach der schriftlichen Bescheidbegründung nicht getroffen. Die Kammer hat im konkreten Fall auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine Einzelfallprüfung nicht aussagekräftig bzw. nicht durchführbar gewesen wäre. Vielmehr bietet der Klägervortrag in diesem Verfahren an mehreren Stellen Anknüpfungspunkte für eine (eingeschränkte) Einzelfallprüfung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1, Satz 1 Sozialgerichtsgesetz i.Vm. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der in der Hauptsache unterliegende Beklagte die Kosten des Rechtsstreits. Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt und sich damit auch keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspräche es nicht der Billigkeit, die Erstattung ihrer Kosten dem Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für den Kläger war hier mit dem Auffangstreitwert festzusetzen, da im Fall der hier festgesetzten Beratung Anhaltspunkte für eine anderweitige Festsetzung nicht ersichtlich waren (§ 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Rechtsmittelbelehrung: Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBl. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, schriftlich oder in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Ist das Urteil im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der obengenannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei Einlegung der Berufung in elektronischer Form. Gegen den Streitwertbeschluss ist die Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt. Sie ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Sozialgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBl. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Hilft das Sozialgericht der Beschwerde nicht ab, so legt es diese dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zur Entscheidung vor. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.