Sozialgericht Hannover
Urt. v. 20.04.2016, Az.: S 78 KA 566/14

Rechtsmittel eines Facharztes für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung gegen die ihm lediglich befristet gewährte Anerkennung von Praxisbesonderheiten

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
20.04.2016
Aktenzeichen
S 78 KA 566/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 17185
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2016:0420.S78KA566.14.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. 3.

    Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die ihr lediglich befristet gewährte Anerkennung von Praxisbesonderheiten.

Die Klägerin als Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Sitz in Hannover zugelassen. Sie betreibt ihre Praxis nach eigenen Angaben nach den Grundsätzen der anthroposophisch-erweiterten Medizin. Sie verfügt zudem seit mehreren Jahren über Abrechnungsgenehmigungen für EBM-Leistung aus dem Bereich der Psychiatrie sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Mit Schreiben vom 26.03.2013 ließ die Klägerin bei der Beklagten neben einem Antrag auf Ausnahme von der Abstaffelung einen Antrag auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten stellen. Mit Bescheid vom 05.05.2014 über die Anerkennung einer Praxisbesonderheit ab dem 01.01.2009 erkannte die Beklagte die Ziffern 14210 bis 14222 sowie 21210 bis 21221 EBM als Praxisbesonderheit bis zum 31.12.2014 an. Die Klägerin erhalte für diese Fälle ein RLV-/QZV-Zuschlag, der sich aus der Differenz ihrer durchschnittlichen RLV- und QZV-relevanten Leistungsanforderung auf den mit der Nummer 97020 gekennzeichneten Fällen und der durchschnittlichen RLV-/QZV-Zuweisung für diese Fälle ergebe. Der Bescheid enthielt unter anderem folgende Nebenbestimmung: "Nr. 5 Die Anerkennung der Praxisbesonderheit ist bis zum 31.12.2014 befristet." Eine Begründung für die zeitliche Befristung ist dem Bescheid nicht zu entnehmen.

Gegen den Bescheid vom 05.05.2014 ließ die Klägerin hinsichtlich der zeitlichen Befristung Widerspruch erheben. Es fehle für diese Nebenbestimmung an einer Rechtsgrundlage. § 14 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) sehe lediglich vor, dass die Zubilligung von Praxisbesonderheiten regelhaft auf 2 Jahre zu begrenzen sei. Die hier erfolgte einjährige Befristung stehe dazu im Widerspruch. Zudem sei die 2-jährige Befristung lediglich als Regelbeispiel aufgeführt. Die Vorschrift im HVM sei daher keine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage für eine Befristung. Jedenfalls sei die Befristung aufgrund der Besonderheiten im konkreten Fall rechtswidrig. Das Sozialgericht Hannover habe mit einer Entscheidung vom 12.02.2014 (Az. S 72 KA 435/07) betreffend die Honorarbescheide für die Quartale 2/2005, 4/2005 sowie 1/2006 rechtskräftig festgestellt, dass im Hinblick auf das Leistungsspektrum der Klägerin ein Sicherstellungsbedarf im Sinne eines besonderen Versorgungsbedarfs bestehe. Die Klägerin verfüge bereits seit den neunziger Jahren über eine spezifische Abrechnungsgenehmigung zur Abrechnung psychiatrischer Ziffern. Bereits in früheren Gerichtsverfahren (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 15.01.2001 - L 3 KA 159/00 ER) sei die Abrechnungsgenehmigung unter Bestandsschutzgesichtspunkten verlängert bzw. letztendlich unbefristet gewährt worden. Aufgrund des sich herausgebildeten Versorgungsschwerpunktes müsse im Hinblick auf die Praxisbesonderheit im Bereich psychiatrischer Leistung nunmehr ebenfalls ein Bestandsschutz anerkannt werden. Dies führe im Ergebnis zu einer Unzulässigkeit der Befristung.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2014 als unbegründet zurück. Nach § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden mit einer Bestimmung, nach der eine Vergünstigung für einen bestimmten Zeitraum gilt (Befristung). Für das Jahr 2014 bzw. 2015 sei auf Bundesebene eine umfassende Honorarreform angedacht, so dass mit deutlichen Änderungen im Rahmen der Vergütungssystematik zu rechnen sei. Ob das Konstrukt der Praxisbesonderheiten dann noch Anwendung finden wird, sei fraglich. Es entspreche daher pflichtgemäßem Ermessen nur vorläufige Anerkennung auszusprechen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den zitierten Urteilen. Gerichtlich geklärt worden sei lediglich, dass aus Bestandsschutzgründen eine unbefristete Abrechnungsgenehmigung für die psychiatrischen Ziffern bestehe. Zu trennen sei davon die Frage der unbefristeten Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Aus dem Urteil des Sozialgerichts Hannover könne die Klägerin lediglich einen Anspruch darauf ableiten, dass die erteilte Genehmigung zur Erbringung psychiatrischer Leistung bei der Honorierung angemessen berücksichtigt werde. Der Beklagten stehe es darüber hinaus frei zu entscheiden, in welcher Art und Weise dies geschehen solle. Die Praxisbesonderheit sei derzeit ein Konstrukt, nachdem Ausnahmefälle im Leistungsspektrum adäquat honoriert würden. Auch handele es sich im vorliegenden Fall nicht um eine einjährige Befristung. Vielmehr erfolgte die Anerkennung für die Quartale 1/2009 bis 4/2014, mithin für 5 Jahre. Lediglich der Zeitraum zwischen Erlass des Bescheides und dem Auslaufen der Anerkennung betrage ein Jahr.

Gegen diese Entscheidung ließ die Klägerin am 17.09.2014 Klage erheben. Die Beklagte könne sich nicht auf die Regelung des § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X stützen, da diese Vorschrift lediglich für Ermessensentscheidung zur Anwendung komme. Die Frage der Zuerkennung von Praxisbesonderheiten sei jedoch keine Ermessensentscheidung. Damit könne die Beklagte ihre Entscheidung lediglich auf § 32 Abs. 1 SGB X stützen. Die Klägerin hält es für unerheblich, dass die Beklagte seinerzeit von Rechtsänderung im Rahmen einer Honorarreform ausgegangen sei. Auch ohne Befristung könnten begünstigende Verwaltungsakte unter den Voraussetzungen des § 48 SGB X aufgehoben werden. Vor dem Hintergrund des langjährig gewachsenen Bestandsschutzes für die Praxis der Klägerin sei ohnehin keine Konstellation denkbar, in der die anerkannte Praxisbesonderheit gänzlich entfallen könne. Auch das SG Hannover habe in seiner Entscheidung vom 12.02.2014 ausgeführt, dass unabhängig von den konkreten Regelungen bei der Honorarverteilung jedenfalls eine ungeschriebene Härtefallregelung zur Anwendung kommen müsse. Die Klage könne auch in zulässiger Weise auf die isolierte Anfechtung der Nebenbestimmung gerichtet werden. Die Frage der Abtrennbarkeit der Nebenbestimmung von der eigentlichen Entscheidung sei eine Frage der Begründetheit. Diese müsse bejaht werden, wenn die Klägerin einen Anspruch auf die uneingeschränkte Begünstigung besitze. Hier liege im Hinblick auf die Anerkennung von Praxisbesonderheiten eine gebundene Entscheidung vor. Schließlich sei der angegriffene Bescheid aber auch deshalb rechtswidrig, da die Beklagte im Verwaltungsverfahren ihre Entscheidung noch auf § 31 Abs. 2 SGB X gestützt habe und die Ermächtigungsgrundlage im gerichtlichen Verfahren durch § 31 Abs. 1 SGB X ersetzen wolle. Nr. 14 des Teil B des HVM sehe eine "regelhafte" Befristung auf zwei Jahre vor. Durch die Entscheidung des SG Hannover lägen aber Umstände vor, die eine Ausnahme von dieser Regel verlangten.

Mit Bescheid vom 08.10.2014 und weiterem Bescheid vom 23.09.2015 verlängerte die Beklagte unter Verweis auf den Bescheid vom 05.05.2014 die anerkannten Praxisbesonderheiten bis zum 31.12.2015 bzw. bis zum 31.12.2016. Der Bescheid vom 08.10.2014 verwies in seiner Rechtsbehelfsbelehrung auf § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Bescheid vom 23.09.2015 verwies auf die Möglichkeit des Widerspruchs. Der Prozessbevollmächtige hat jeweils mit Schriftsätzen vom 01.04.2015 und 15.10.2015 (Eingang bei Gericht: 07.04.2015 und 16.10.2015) mitgeteilt, dass er davon ausgehe, dass diese Bescheide Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Beklagtenvertreterin mitgeteilt, dass sie einer Einbeziehung der Bescheide vom 08.10.2014 und 23.09.2015 in das laufende Klageverfahren nicht zustimme.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23.09.2015 insoweit aufzuheben, als er eine Befristung der zuerkannten Praxisbesonderheiten bis zum 31.12.2016 vorsieht und

hilfsweise

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 05.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2014 insoweit rechtswidrig und aufzuheben war, als er eine Befristung der zuerkannten Praxisbesonderheiten bis zum 31.12.2014 verfügt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Befristung im Ergebnis für rechtmäßig. Insoweit sei in Nr. 14 Teil B des HVM geregelt, dass eine Zubilligung von Praxisbesonderheiten regelhaft auf 2 Jahre zu begrenzen sei. Es handele sich hier um eine Ermessensentscheidung, sodass § 32 Abs. 2 SGB X einschlägig sei. Jedenfalls sei eine Befristung von Praxisbesonderheiten im Sinne des § 32 Abs. 1 SGB X durch Rechtsvorschrift zugelassen. Die Regelung des HVM sei als solche rechtmäßig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stehe dem Normgeber bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben ein Gestaltungsspielraum zu. Dieser könne von den Gerichten nur eingeschränkt überprüft werden. Gemäß § 87 b Abs. 1 SGB V verteile die Beklagte die Gesamtvergütung und wendet dabei den Verteilungsmaßstab an, der im Benehmen mit den Krankenkassen und Ersatzkassen festgesetzt worden sei. Für den Fall einer Änderung der Vergütungsregelungen sei es möglich, dass die hier betroffenen Leistungen sich unter einer neuen Vergütungssystematik nicht mehr als Praxisbesonderheiten darstellten. Einer regelmäßigen Überprüfung bedürfe es auch vor dem Hintergrund einer begrenzten Gesamtvergütung. Gerade in Erwartung der durch die Trägerorganisation des Bewertungsausschusses angekündigten grundsätzlichen Reform des EBM, sei auch für die Beklagte nicht absehbar, wie sich Leistungsgefüge und Leistungsbewertung im EBM entwickelten und welche Konsequenzen dies für die Honorarverteilung haben werde. Darüber hinaus unterliege die Beurteilung des Vorliegens einer Praxisbesonderheit, insbesondere aufgrund der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Gesamtvergütung, besonderen Anforderungen. Dazu zähle zum einen das Leistungsverhalten der anderen Ärzte eine Arztgruppe, wie auch der Anteil der als Praxisbesonderheiten begehrten Leistung am Gesamtpunktzahlvolumen des betroffenen Arztes. Denn ändere der Arzt selbst möglicherweise seinen Tätigkeitsschwerpunkt oder sein Abrechnungsverhalten, hätte auch dies Auswirkungen auf das Vorliegen einer Praxisbesonderheit. Die Befristung stehe letztlich auch nicht im Widerspruch zur unbefristeten Abrechnungsgenehmigung. Beide Sachverhalte müssen getrennt voneinander beurteilt werden. Die Abrechnungsgenehmigung als solche führe zunächst lediglich dazu, dass die Klägerin die Leistung zu den in den Vergütungsregelungen vorgesehenen Bedingungen abrechnen dürfe. Die hier betroffenen Leistungen seien RLV-Leistung und daher budgetiert. Ein Widerspruch zur Entscheidung des SG Hannover vom 12.02.2014 bestehe ebenfalls nicht. Dort sei lediglich festgestellt worden, dass die Klägerin in den dort streitgegenständlichen Quartalen einen Anspruch auf Berücksichtigung dieser Ziffern bei der Vergütung, zum Beispiel in Form der Anerkennung einer Praxisbesonderheit, habe. Dass eine solche Praxisbesonderheit unbefristet zu erteilen war, sei dem Urteil hingegen nicht zu entnehmen.

Zu weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten, den Inhalt der beigezogenen Akte zum Verfahren S 72 KA 435/07 und den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Hinblick auf den Hauptantrag bereits unzulässig. Der hilfsweise gestellte Antrag ist hingegen zulässig, aber unbegründet.

Die Kammer hat gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, da Angelegenheiten der Vertragsärzte und Psychotherapeuten streitgegenständlich sind.

Mit ihrem Hauptantrag begehrt die Klägerin die isolierte Aufhebung der Befristung im Bescheid vom 23.09.2015. Dieser Antrag ist bereits unzulässig, da der Bescheid vom 23.09.2015 weder nach § 96 SGG noch im Rahmen der Klageänderung (§ 99 SGG) Verfahrensgegenstand geworden ist.

Eine Einbeziehung durch Gesetz sieht § 96 SGG (in der Fassung des Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 mit Wirkung zum 01.04.2008) nur noch dann vor, wenn der neue Verwaltungsakt nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt ersetzt oder abändert. Der zunächst angefochtene Bescheid der Beklagten vom 05.05.2014 wurde indes nicht durch die Bescheide vom 08.10.2014 und 23.09.2015 ersetzt oder abgeändert. Eine Ersetzung liegt vor, wenn der neue Verwaltungsakt vollständig an die Stelle der alten Regelung tritt. Demgegenüber bewirkt eine Abänderung eine teilweise Ersetzung der bisherigen Regelung. Die dazu notwendige (teilweise) Identität der beiden Regelungen ist durch einen Vergleich der beiden Verfügungssätze zu bestimmen. Damit scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 96 SGG immer dann aus, wenn zwei voneinander unabhängige Regelungen nebeneinander stehen können (BSG, Urt. v. 24.11.1978 - 11 RA 9/78, Rn. 17; Urt. v. 23.02.2005 - B 6 KA 45/03 R, Rn. 17). Nach diesen Vorgaben fehlt es hier an einer zumindest teilweisen Identität. Bei den Entscheidungen der Beklagten vom 08.10.2014 und 23.09.2015 handelt es sich trotz der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Entscheidung vom 05.05.2014 um jeweils selbstständige und in ihrem Bestand voneinander unabhängigen Entscheidungen über die Gewährung von Praxisbesonderheiten. Dabei kann es dann auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Behörde bei Folgeentscheidungen erneut vollumfänglich in eine Prüfung sämtlicher Tatbestandsmerkmale einsteigt bzw. ob eine solche Prüfung durch die Behörde nach außen erkennbar wird.

Die Kammer sieht in der vorliegenden Konstellation auch keinen Raum für eine Einbeziehung in entsprechende Anwendung des § 96 SGG. Zwar ist das BSG unter Anwendung des § 96 SGG (a.F.) für den Fall einer isolierten Entfristungsklage, betrefft die zeitliche Befristung einer Beteiligung eines leitenden Klinikarztes, noch von einer Einbeziehung von Folgebescheiden ausgegangen (BSG, Urt. v. 13.11.1985 - 6 RKa 19/84, Rn. 12). Zur Begründung stellte das BSG seinerzeit auf prozessökonomische Erwägungen und den Umstand ab, dass die einzubeziehenden Folgebescheide mit einer vergleichbaren Begründung durch den Kläger angegriffen wurden. Diese Entscheidung ist aber auf die hier zu beurteilende Fallgestaltung nicht übertragbar. Sie ist vielmehr im Kontext zu dem seinerzeit weiten Verständnis des Anwendungsbereichs des § 96 SGG a.F. zu sehen (vgl. etwa: BSG, Urt. v. 24.11.1960 - 6 RKa 3/59 sowie Urt. v. 14.07.1965 - 6 RKA 16/63, jeweils zur Einbeziehung von nachfolgenden Honorarbescheiden). Diese Rechtsprechung wurde in der Folgezeit vom BSG jedoch ausdrücklich aufgegeben (BSG, Urt. v. 20.03.1996 - 6 RKa 51/95; Urt. v. 23.02.2005 - B 6 KA 45/03 R; vgl. auch: BSG, Urt. v. 22.11.2012 - B 3 KR 19/11 R, Rn. 22; Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R, Rn. 30 und Urt. v. 29.03.2007 - B 7b AS 4/06 R, Rn. 10). In späteren Entscheidungen hat das BSG die Einbeziehung von Folgebescheiden in entsprechender Anwendung des § 96 SGG dann auch abgelehnt und auf die Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage verwiesen (BSG, Urt. v. 19.06.1996 - 6 RKa 26/95, Rn. 17; BSG, Urt. v. 15.02.2002 - B 6 KA 22/01 R, Rn. 17; Urt. v. 10.12.2014 - B 6 KA 49/13 R, Rn. 18; vgl. auch Hess. LSG, Urt. v. 20.03.1996 - L 7 KA 931/94). Zudem hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 96 SGG bewusst auf oben genannten Tendenzen in der Rechtsprechung zu einer analogen Anwendung reagieren wollen (BT-Drs. 16/7716, S. 13, 18f). Schließlich wird mit dieser Auslegung des § 96 SGG auch nicht der Rechtschutz der Klägerin in unzulässiger Weise verkürzt. Vielmehr verbleibt die grundsätzliche Möglichkeit der Einbeziehung nach den Vorgaben des § 99 SGG oder die Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage.

Die Voraussetzungen für eine Einbeziehung des Bescheides vom 23.09.2015 über § 99 SGG sind hier nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

Eine Einwilligung ist hier von der Beklagtenvertreterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich verweigert worden. Die Kammer konnte darüber hinaus auch im Vorfeld keine Einwilligung nach § 99 Abs. 2 SGG feststellen. Nach dieser Vorschrift ist von der Einwilligung in die Änderung der Klage auszugehen, wenn der jeweilige Verfahrensbeteiligte sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen hat. Gegen eine solche Einwilligung durch schlüssiges Verhalten spricht zunächst die im Bescheid vom 23.09.2015 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung. Diese verweist auf den Rechtsbehelf des Widerspruchs (anders noch die Belehrung im Bescheid vom 08.10.2014). Eine rechtserhebliche inhaltliche Einlassung sieht die Kammer hier auch nicht in dem Schriftsatz der Beklagten vom 29.02.2016. Zwar findet sich in diesem Schriftsatz auch die Aussage, dass der Bescheid vom 29.09.2015 für rechtmäßig gehalten wird. In diesem Zusammenhang fehlen zudem konkrete Hinweise darauf, dass die dortigen Ausführungen lediglich hilfsweise bzw. vorsorglich erfolgten. Gleichwohl kann die Kammer unter Berücksichtigung der Gesamtumstände einen entsprechenden Erklärungsgehalt nicht feststellen. Dabei wird berücksichtigt, dass die Einwilligung selbst Prozesshandlung (dazu: Leitherer a.a.O, § 99, Rn. 9) und damit einem Widerruf grundsätzlich nicht mehr zugänglich ist (dazu: Keller a.a.O. § Vor § 60, Rn. 12a mwN). Schließlich hatte auch die Klägerseite eine Klageänderung im schriftlichen Verfahren nicht ausdrücklich erklärt. Aus dem anwaltlichen Schriftsatz vom 15.10.2015 lässt sich ebenfalls nur durch Auslegung ein entsprechender Wille ableiten, wenn dort ausgeführt wird, dass die Klägerseite von einer Einbeziehung des Bescheides nach § 96 SGG ausgehe.

Die Klageänderung wird von der Kammer auch nicht als sachdienlich angesehen. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts bei der die Interessen der Beteiligten und der Prozessökonomie berücksichtigt werden sollen. Sachdienlichkeit ist im konkreten Fall nicht schon deshalb abzulehnen, weil der Folgebescheid vom 23.09.2015 von der Klägerin nicht gesondert angegriffen wurde. So lässt sich dem anwaltlichen Schriftsatz vom 15.10.2015 mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass eine Einbeziehung in das gerichtliche Verfahren begehrt wird. Unschädlich ist dabei auch, dass insoweit grundsätzlich ein Vorverfahren durchlaufen wird (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG), also die Erhebung des Widerspruchs der zutreffende Rechtsbehelf ist. Denn nach der Rechtsprechung des BSG ist anerkannt, dass in der Klageerhebung, und für die Klageänderung kann insoweit nichts anderes gelten, jedenfalls auch dann zugleich die Erhebung eines Widerspruchs gesehen werden kann, wenn ernsthaft zweifelhaft ist, ob es der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte (BSG, Urt. v. 16.03.1967 - 6 RKa 22/66, Rn 33; Urt. v. 13.12.2000 - B 6 KA 1/00 R, Rn. 19). Diese Voraussetzungen sind im konkreten Fall mit Blick auf die Auslegung des § 96 SGG erfüllt.

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall gleichwohl nicht von einer sachdienlichen Klageänderung ausgehen. Denn aufgrund der bisher fehlenden Durchführung des Vorverfahrens fehlt es an einer notwendigen Sachurteilsvoraussetzung. Dies hätte zur Folge, dass im Fall der Zulassung der Klageänderung den Beteiligten die Nachholung des Vorverfahrens durch vorheriger Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens ermöglicht werden müsste (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 78, Rn. 3a mwN und Rn. 8a mwN). Die Durchführung eines Vorverfahrens wäre im konkreten Fall auch nicht entbehrlich. Eine solche Entbehrlichkeit des Vorverfahrens außerhalb der gesetzlich geregelten Fallkonstellationen des § 78 Abs. 1 Satz 2 SGG bedarf es etwa dann nicht, wenn sämtliche Beteiligten einem solchen Verfahren zustimmen (BSG, Urt. v. 07.02.1996 - 6 RKA 42/95, Rn. 13). Einigkeit konnte insoweit zwischen den Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung aber nicht erzielt werden.

Schließlich war die Klägerin von den Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 SGG auch nicht ausnahmsweise nach § 99 Abs. 3 SGG freigestellt. Nach dieser Vorschrift ist es nicht als Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden, der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird oder statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird. Mit dem Austausch des angefochtenen Bescheides hat die Klägerin hier den Klagegrund geändert. Der nunmehr angefochtene Bescheid betrifft mit der Entscheidung über die grundsätzliche Anerkennung von Praxisbesonderheiten für das Jahr 2016 im Vergleich zur ursprünglich angegriffenen Entscheidung (Anerkennung von Praxisbesonderheiten für die Jahre 2009 bis 2014) einen neuen Lebenssachverhalt.

Der gestellte hilfsweise Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Befristung im Bescheid vom 05.05.2014 ist zulässig. Die Klageumstellung ist dabei nach § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG zulässig (vgl. Leitherer, aaO, § 99, Rn 5 mwN). Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Hat sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 113 Abs. 1 Satz 3 SGG). Die Klägerin hat zunächst eine zulässige Anfechtungsklage erhoben. Insbesondere konnte sie in zulässiger Weise allein gegen die zeitliche Befristung der ihr erteilten Genehmigung vorgehen (BSG, Urt. v. 13.11.1985 - 6 RKa 19/84, Rn. 18 ff.; Urt. v. 27.02.1992 - 6 RKa 15/91, Rn. 20 f.; Urt. v. 30.01.2002 - B 6 KA 20/01 R, Rn. 20, 23; Urt. v. 5.11.2003 - B 6 KA 2/03 R, Rn. 18; Urt. v. 15.05.2002 - B 6 KA 22/01 R, Rn. 15). Die Anfechtungsklage hat sich auch nach Klageerhebung am 17.09.2014 durch Ablauf des geregelten Zeitraums zum 31.12.2014 erledigt. Dabei kann die Klägerin aufgrund der nachfolgenden (ebenfalls zeitlich befristeten) Genehmigung ein Feststellungsinteresse unter dem Aspekt der Wiederholungsgefahr herleiten.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch unbegründet, da der Klägerin bis zum Zeitpunkt der Erledigung keinen Anspruch auf eine isolierte Aufhebung der zeitlichen Befristung zustand. Entscheidend ist bei der isolierten Anfechtung unselbstständiger Nebenbestimmungen, ob der begünstigende Verwaltungsakt von der Nebenbestimmung getrennt werden kann. Der Verwaltungsakt darf ohne die aufzuhebende Nebenbestimmung nicht rechtswidrig werden (Keller, aaO, § Anhang § 54, Rn. 18b). In der Sache ist daher zu prüfen, ob die Klägerin einen Anspruch auf die unbefristete Anerkennung ihrer Praxisbesonderheiten gehabt hätte.

Maßgeblich für diese Beurteilung ist hier der auf der Grundlage des § 87b Abs. 1 SGB V in der Fassung des Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) erlassene Honorarverteilungsmaßstab der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen vom 16. November 2013 für das Jahr 2014 (nachfolgend: HVM). Dessen Teil B Ziffer 14 lautet auszugsweise:

"Praxisbesonderheiten werden von der KVN auf Antrag gewährt. Sie ergeben sich aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung ( ) Eine Zubilligung von Praxisbesonderheiten ist frühestens für das Quartal der Antragstellung möglich und regelhaft auf 2 Jahre begrenzt. Es besteht die arztseitige Verpflichtung der Mitteilung, sofern die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht mehr erfüllt sind. Der aus den Praxisbesonderheiten zu ermittelnde Leistungsbedarf wird als Zuschlag zum RLV-Fallwert festgelegt. Vorgenannte Regelungen umfassen auch die QZV. Der Vorstand erlässt Durchführungsbestimmungen zur Umsetzung vorgenannter Kriterien und entscheidet bei besonderer Härte im Einzelfall."

Nach der oben genannten Vorschrift des HVM ist die Entscheidung über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zwingend zeitlich zu befristen. Die verwendete Formulierung "ist" erfasst insoweit nicht bloß den Beginn der Zubilligung. Die "regelhafte" Begrenzung bezieht sich demgegenüber lediglich auf die Dauer und nicht auch auf das "Ob" der Begrenzung. Zudem zeigt die Regelung des § 87b Abs. 2 Satz 4 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG), dass auch der Gesetzgeber im Hinblick auf Elemente in der Honorarverteilung (dort: Zuweisung des Regelleistungsvolumens) von einer zeitlichen Befristung ausgegangen ist.

Umgekehrt ist die Befristung bei der Gewährung von Praxisbesonderheiten nach den Vorgaben des § 32 Abs. 1 SGB X rechtmäßig erfolgt (zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift im Vertragsarztrecht: BSG, Urt. v. 27.02.1992 - 6 RKa 15/91, Rn. 20). Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur dann versehen werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Bei der Entscheidung über die Gewährung von Praxisbesonderheiten nach den Vorgaben des Teil B Ziffer 14 HVM handelt es sich um eine gebundene Entscheidung im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB X. Denn nach dem oben zitierten Wortlaut besteht unter den dort genannten Voraussetzungen ein Rechtsanspruch des Vertragsarztes auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Schließlich stellt die Regelung des Teil B Ziffer 14 HVM auch eine Ermächtigungsgrundlage für die zeitliche Befristung der Anerkennung von Praxisbesonderheiten dar. Denn der Anspruch auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten und dessen Einschränkung in Form der zeitlichen Befristung sind auf derselben Ebene der Normenhierarchie verortet.

Schließlich war die Befristung auch nicht wegen der Abweichung von den zeitlichen Vorgaben des HVM rechtswidrig. Zwar ist insoweit vorgesehen, dass die Anerkennung "regelhaft" für zwei Jahre gewährt wird. Für vergleichbare gesetzliche Regelungen zur zeitlichen Befristung ist allerdings anerkannt, dass eine Abweichung vom vorgegebenen Regelfall mit entsprechender Begründung möglich ist (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 41, Rn 25; Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 44 SGB XII, Rn. 50). Nichts anderes kann also im Hinblick auf Teil B Ziffer 14 HVM gelten. Hier hat die Beklagte ihre Entscheidung betreffend die zeitliche Befristung im Bescheid vom 05.05.2014 zwar zunächst nicht begründet, dies aber im Rahmen des Widerspruchsverfahrens durch entsprechende Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 07.08.2014 nachgeholt. Dort wurde im Einzelnen dargelegt, dass eine verkürzte Befristung mit Blick auf eine seinerzeit erwartete Honorarreform gewählt wurde. In der Sache handelt es sich dabei um eine von der Beklagten anzustellende Prognoseentscheidung. Nach allgemeinen Grundsätzen wird eine solche Entscheidung nicht durch nachträgliche Änderungen der sie tragenden Gründe rechtswidrig (vgl. BSG, Urt. v. 02.04.2014 - B 3 KS 4/13 R). Unerheblich ist danach, dass die erwartete Reform bis Ende 2014 ausblieb. Die hier angeführte Änderung der honorarrechtlichen Rahmenbedingungen stellt für sich genommen einen sachlichen Grund für eine Abweichung vom Regelzeitraum dar. Dabei musste die Beklagte auch nicht berücksichtigen, dass der derzeit Praxiszuschnitt der Klägerin seit längerer Zeit im Rahmen der Honorarverteilung durch die Anerkennung von Praxisbesonderheiten privilegiert wird. Zutreffend ist demgegenüber der Hinweis der Beklagten, dass eine die Privilegierung tragende Atypik der Praxis nicht losgelöst von der jeweiligen Bezugsgruppe und den allgemeinen Rahmenbedingungen bestimmt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Sach- und Streitstand gibt nicht genügend Anhaltspunkte, um den Streitwert nach § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG) festzusetzen. Somit ist auf den Auffangstreitwert (§ 52 Abs 2 GKG) abzustellen.