Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 31.03.2016, Az.: S 34 SF 227/15 E
Hälftige Anrechnung der für das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Widerspruchsverfahren tatsächlich gezahlten Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 31.03.2016
- Aktenzeichen
- S 34 SF 227/15 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 15007
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2016:0331.S34SF227.15E.0A
Rechtsgrundlagen
- § 56 Abs. 1 RVG
- Nr. 2401 VV RVG
- Nr. 3102 VV RVG
Fundstellen
- AGS 2016, 279-280
- NJW-Spezial 2016, 317
- NZS 2016, 400
- RVGreport 2016, 306-307
Tenor:
Die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Hannover vom 6. November 2015 (S 18 VE 38/13) wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Schriftsatz des Erinnerungsführers vom 2. Dezember 2015 war in entsprechender Anwendung von § 143 SGG als Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG auszulegen. Mit diesem Schriftsatz wendet sich der Erinnerungsführer gegen die in der Entscheidung der Urkundsbeamtin vom 6. November 2015 verfügte Regelung, auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG idF seit dem 1.8.2013 die Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RVG idF bis zum 31.7.2013 (aF) teilweise anzurechnen. Nach dem objektiven Erklärungswert des Schriftsatzes vom 2. Dezember 2015 wollte der Erinnerungsführer gegen diese Entscheidung das zulässige Rechtsmittel einlegen. In Betracht kommt einzig die Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG.
Die zulässige Erinnerung ist unbegründet. Entgegen der Ansicht des Erinnerungsführers ist die für das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Widerspruchsverfahren tatsächlich gezahlte Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RVG aF zur Hälfte (60 Euro) auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Dies ergibt sich aus Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG. Danach wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 175 Euro.
Dem steht nicht entgegen, dass seit der Neufassung der mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz abgeänderten Regelungen des RVG seit dem 1. August 2013 der Abschnitt 4 des 2. Teils des VV RVG aufgehoben ist. Auch wenn vorliegend die Geschäftsgebühr aufgrund der Nr. 2401 VV RVG aF und damit nach dem seit der Neufassung aufgehobenen Abschnitts des VV RVG gezahlt worden ist, hat die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG Gültigkeit.
Nur dieses Auslegungsergebnis steht in Einklang mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Niederschlag gefunden hat. Nach der Gesetzesbegründung zum 1. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BTDrucks 15/1971, S. 209) sollte die Anrechnung zum einen dem Umstand Rechnung tragen, dass der Umfang der durch die Verfahrensgebühr abgedeckten anwaltlichen Tätigkeit im Prozess davon beeinflusst wird, ob der Rechtsanwalt durch eine vorherige Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst war; mit Rücksicht auf den erfahrungsgemäß geringeren Einarbeitungsaufwand des schon vorprozessual befassten Rechtsanwalts sollte also dessen Verfahrensgebühr in ihrer Entstehung gekürzt werden. Zum anderen wurde die Anrechnung als erforderlich angesehen, um eine außergerichtliche Erledigung zu fördern, die durch ein gebührenrechtliches Interesse des Rechtsanwalts an einem gerichtlichen Verfahren erschwert werden könnte. Beiden Zielsetzungen kann nur die Berücksichtigung der Anrechnung im gerichtlichen Festsetzungsverfahren gerecht werden.
An dieser Zielsetzung hat sich mit der Neufassung des RVG aufgrund des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes erkennbar nichts geändert. Anders, als der Erinnerungsführer offenbar meint, liegt der Streichung des Abschnitts 4 von Teil 2 der VV RVG nicht die Intention des Gesetzgebers zugrunde, die Vergütung der Rechtsanwälte zu erhöhen, indem aufgrund der unveränderten Formulierung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG bei gleichzeitiger Streichung des Abschnitts 4 des Teil 2 VV RVG eine Anrechnung der nach alter Rechtslage entstandenen Geschäftsgebühr entfiele. Teil 2 Abschnitt 4 VV RVG ist lediglich deshalb aufgehoben worden, weil der Gesetzgeber die Umstellung der Geschäftsgebühren mit Rahmen auf eine echte Anrechnungslösung entsprechend dem Vorbild von Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG eingeführt hat. Als Konsequenz daraus wurden die Gebühren für die außergerichtliche Vertretung, die bisher auf Teil 2 Abschnitt 3 und 4 VV RVG (aF) verteilt waren, in einem Abschnitt zusammenzufassen. In der Folge konnte Teil 2 Abschnitt 4 VV RVG aufgehoben werden (vgl. BTDrucks 17/11471, S. 273).
Die Kostenentscheidung beruht § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.