Sozialgericht Hannover
Urt. v. 21.09.2016, Az.: S 78 KA 148/13

Rechtmäßigkeit von Arzneimittelregressen für Verordnungen von Immunglobulin zur Behandlung der Multiplen Sklerose

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
21.09.2016
Aktenzeichen
S 78 KA 148/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 27698
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2016:0921.S78KA148.13.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - 28.08.2019 - AZ: L 3 KA 110/16

Fundstellen

  • MedR 2017, 86
  • NZS 2016, 919

Tenor:

  1. 1.

    Die Bescheide des Beklagten vom 21.02.2013 werden aufgehoben.

  2. 2.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Diese haben ihre Kosten selbst zu tragen.

  3. 3.

    Der Streitwert wird auf 47.890,26 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Arzneimittelregressen für Verordnungen von Immunglobulin (hier Octagam®) zur Behandlung der Multiplen Sklerose (nachfolgend MS) in den Quartalen 2/2008 bis 4/2009.

Die Kläger waren ua in den oben genannten Quartalen als Fachärzte für Neurologie in Hannover zur vertragsärztlichen Versorgung mit Sitz in Hannover zugelassen. Sie behandelten zudem Patienten der Beigeladenen zu 2) nach den Vorgaben eines zwischen der SIDA-e.V. und der Beigeladenen zu 2) am 03.01.2005 geschlossenen Vertrages zu Integrierten Versorgungsformen gemäß § 140a SGB V über die Versorgung von Patienten mit entzündlichen/degenerativen Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS), onkologischen Erkrankungen und AIDS (nachfolgend SIDA-Vertrag). Dieser Vertrag sah in § 4 Abs 1 ua eine Teilnahmemöglichkeit für Versicherte mit der Diagnose ICD10 G 35 vor. Vertragsgegenstand war neben der pflegerischen Betreuung auch die "Pharmakotherapie (vor allem Infusionstherapie)" (§ 6 SIDA-Vertrag). Die §§ 12, 12a und die Anlage 6 enthielten weitere Regelungen zur Arzneimittelversorgung, zum Bezugsweg und eine "Arzneimittelempfehlungsliste". Auf den Inhalt des Vertrages wird ergänzend Bezug genommen.

Am 28.06.2010 beantragte die Beigeladene zu 2) gegenüber der Prüfungsstelle Niedersachsen (nachfolgen Prüfungsstelle) die Feststellung eines sonstigen Schadens für Verordnungen von Octagam® in den Quartalen 2 bis 4/2008 in Höhe von insgesamt 19.777,04 EUR betreffend ihre Versicherten P. (Verordnungen vom 13.05.2008, 27.05.2008, 24.06.2008, 22.07.2008, 19.08.2008, 23.09.2008, 18.11.2008, 16.12.2008), Q. (Verordnungen vom 15.04.2008, 13.05.2008, 10.06.2008, 08.07.2008, 01.09.2008, 29.09.2008, 15.12.2008), R. (Verordnungen vom 15.05.2008, 13.06.2008, 14.07.2008, 28.08.2008, 11.09.2008, 09.10.2008, 17.11.2008), S. (Verordnungen vom 23.07.2008, 20.08.2008, 16.09.2008) und T. (Verordnung vom 12.11.2008). Die Prüfungsstelle informierte mit Schreiben vom 28.06.2010 die Praxis der Kläger über die Anträge und gab Gelegenheit zu einer fallbezogenen Stellungnahme. Mit Eingabe vom 31.08.2010, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird, äußerten sich die Kläger zu den fünf Behandlungsfällen. Am 19.01.2011 beantragte die Beigeladene zu 2) gegenüber der Prüfungsstelle die Feststellung eines sonstigen Schadens für Verordnungen von Octagam® in den Quartalen 1 bis 4/2009 in Höhe von insgesamt 28.113,22 EUR betreffend ihre Versicherten P. (Verordnungen vom 13.01.2009, 10.02.2009, 07.04.2009, 05.05.2009, 09.06.2009, 30.06.2009, 28.07.2009, 24.08.2009, 22.09.2009, 29.10.2009, 19.11.2009, 15.12.2009), Q. (Verordnungen vom 13.01.2009, 10.02.2009, 10.03.2009, 07.04.2009, 09.06.2009, 03.07.2009, 30.07.2009, 27.08.2009, 22.09.2009, 20.10.2009, 17.11.2009, 17.12.2009), R. (Verordnungen vom 09.01.2009) und Krüger (Verordnungen vom 22.06.2009, 08.07.2009, 04.08.2009, 01.09.2009, 29.09.2009, 27.10.2009, 24.11.2009). Die Prüfungsstelle informierte mit Schreiben vom 24.01.2011 die Kläger über die Anträge und gab Gelegenheit zu einer fallbezogenen Stellungnahme. Die Kläger äußerten sich mit Eingabe vom 29.03.2011 und verwiesen auf ihre Stellungnahme vom 31.08.2010 im Parallelverfahren. Ergänzend äußerten sie sich zur Patientin U ... Auf den Inhalt der dortigen Stellungnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Die Beigeladene zu 2) verwies demgegenüber auf MDK-Gutachten für die Patienten T., S., Q. und P., die aufgrund der Weigerung der Kläger zur Vorlage der Behandlungsunterlagen auf der Grundlage der abgegebenen Stellungnahmen der Kläger erstellt wurden. Im Rahmen eines Vertrages zur integrierten Versorgung zwischen der AOK und der SIDA-e.V. habe es zwischen 2002 bis Ende 2004 eine Regelung zur pauschalen Vergütung von Immunglobulinen für MS-Patienten gegeben. Vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2011 (Kündigung) sei vereinbart gewesen, dass alle Versicherten die wegen der Diagnose MS bereits mit Immunglobulin behandelt wurden, nicht umgestellt werden müssen. Diese Versicherten sein jedoch von der Beigeladenen auch nicht über die Prüfanträge einbezogen worden. Aus der Anlage 6 des SIDA-Vertrags ergebe sich zudem, dass die Behandlung mit Immunglobulinen ausgeschlossen werde.

Mit Bescheiden vom 27.10.2011, 12.01.2012 und 21.06.2012 setzte die Prüfungsstelle gegenüber der Praxis der Kläger die Regresse in beantragter Höhe fest.

Gegen diese Bescheide erhoben die Kläger am 21.11.2011, 24.01.2012 und 29.06.2012 jeweils Widerspruch. Hier habe eine Behandlung im Rahmen der integrierten Versorgung stattgefunden. Es handele sich in der Sache daher um eine Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung für die die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss nicht zuständig sein. Dies führe zur Nichtigkeit der Regressbescheide.

Die Widersprüche wies der Beklagte mit Bescheiden vom 21.02.2013 (Beschlüsse vom 31.10.2012) zurück. Es bestehe ein umfassender Prüfauftrag der Prüfgremien im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, der nicht ausdrücklich durch § 140a SGB V eingeschränkt werde. Zudem sein hier keine Versicherten betroffen, auf die der SIDA-Vertrag Anwendung finde. Es handele sich bei den Präparaten um zulassungspflichtige Arzneimittel, die grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Zulassung hätten eingesetzt werden können. Hier liege ausweislich der jeweiligen Fachinformationen ein zulassungsüberschreitender Einsatz vor. In solchen Konstellationen sei eine Verordnung nur nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zum Off-Label-Use ausnahmsweise möglich. Ein weiteres Zulassungsverfahren sei nicht betrieben worden. Auch hätten zum Verordnungszeitpunkt keine Studien existiert, die den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung entsprachen. Zudem sei nicht hinreichend dargelegt worden, dass die zugelassenen Therapieoptionen ausgeschöpft wurden. Es fehlte ua Ausführungen zur Behandlung mit Glatirameracetat, Natalizumab, Azathioprin und Mitoxantron.

Gegen die Entscheidungen ließen die Kläger am 15.03.2013 Klage. Alle hier betroffenen Patienten seien in den hier betroffenen Quartalen im Rahmen der integrierten Versorgung behandelt worden. Die Kläger legen dazu Erklärungen der Patienten R., P., Q., S., T. und U. vor. Insoweit wird auf die Gerichtsakte (Bl. 60 ff) ergänzend Bezug genommen. Die Anlage 6 des SIDA-Vertrags ändere nichts an der Behandlung im Rahmen der integrierten Versorgung. Es handele sich zudem lediglich um eine "Arzneimittelempfehlungsliste". Die Kläger verweisen zudem auf ihre Stellungnahmen im Parallelverfahren vor dem SG Hannover (Aktenzeichen S 78 KA 149/13).

Der Kläger beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 21.02.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf den Inhalt seiner Widerspruchsbescheide. Er sehe weiterhin keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung seiner Prüfungsbefugnis. Im Übrigen sei das hier streitige Präparat im SIDA-Vertrag (Anlage 6) ja nicht aufgeführt. Die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use würden nicht erfüllt. Insoweit sei festzustellen, dass auch 2011 eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (nachfolgend GBA) für einen Off-Label-Use nicht vorlag. Er ist der Ansicht, dass eine Verordnungsfähigkeit auch nicht nach Maßgabe des sogenannten Nikolaus-Beschlusses gegeben sei. Insoweit fehle es bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung.

Das Gericht hat die antragstellende Krankenkasse, die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen und die Landesverbände der Krankenkassen zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene zu 2) hat sich zum Verfahren geäußert. In dem SIDA-Vertrag sei durch die Anlage 6, die es in dem alten Vertrag nicht gab, ein expliziter Ausschluss für Immunglobuline vereinbart worden. Die übrigen Beigeladenen haben sich zu dem Verfahren in der Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt. Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die als Anfechtungsklage statthafte und im Übrigen zulässige Klage ist auch begründet.

Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem Vertreter der Vertragsärzte und Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG -). Hier konnte eine Entscheidung trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1) bis 7) ergehen, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit der Entscheidung in Abwesenheit hingewiesen worden sind.

Die angegriffenen Entscheidungen des Beschwerdeausschusses sind schon deshalb rechtswidrig, da der Beklagte für Entscheidungen bei Verstößen gegen die Arzneimittelrichtlinie im Rahmen der integrierten Versorgung zum Zeitpunkt seiner Entscheidung (Beschlüsse vom 31.10.2012) nicht zuständig war und bis heute nicht zuständig geworden ist.

Nach § 106 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 SGB V i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 7, 33 der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V ab dem Jahr 2008 (Prüfvereinbarung) entscheidet der Beklagte ua über Widersprüche der Verfahrensbeteiligten gegen Entscheidungen der Prüfungsstelle über Maßnahmen bei Verstößen gegen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses. Die Kammer geht davon aus, dass diese Ermächtigungsgrundlage keine Wirtschaftlichkeitsprüfung der Prüfgremien nach § 106 SGB V für Arzneimittelverordnungen im Rahmen der integrierten Versorgung ermöglicht.

Durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 2010 (nachfolgend AMNOG) hat der Gesetzgeber zum 01.01.2011 ua den § 106 Abs 2 SGB V dahingehend erweitert, dass die Prüfgremien von den Vertragspartnern auch mit der Prüfung verordneter Leistungen in Sonderversorgungsformen (ua § 140a SGB V) ermächtigt werden können (vgl Engelhard in Hauck/Noftz, Erg-Lfg 8/14, § 106, Rn. 16e). Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass es sich insoweit um Sachverhalte handelt, die nach bisherigem Recht nicht in den Anwendungsbereich des § 106 SGB V fallen und mithin einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürfen (vgl Referentenentwurf zum AMNOG, Seite 37). Von dieser Ermächtigung wurde jedoch in Niedersachsen bisher kein Gebrauch gemacht. Die bis zur Gesetzesänderung bestehende Regelung des § 33 der Prüfvereinbarung ("Die Prüfungsstelle prüft auf Antrag einer Krankenkasse oder eines Vertragspartners in begründeten Fällen, ob der Vertragsarzt unwirtschaftliche Arzneimittelanwendungen veranlasst hat.") wurde nicht geändert oder ergänzt. Das Gericht sieht zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung des § 33 der Prüfvereinbarung bereits vor der erfolgten Gesetzesänderung eine Wirtschaftlichkeitsprüfung von Leistungen im Rahmen der integrierten Versorgung regeln sollte. Für Verstöße gegen den SIDA-Vertrag bzw gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot im Anwendungsbereich des SIDA-Vertrags bleiben damit die Vertragspartner verantwortlich.

Der oben genannten Gesetzesänderung kommt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG nicht bloß deklaratorische Bedeutung zu. Für die Frage der Zuständigkeit der Prüfgremien nach § 106 SGB V hat das BSG zunächst darauf abgestellt, ob die maßgeblichen Leistungen von der Sicherstellungs- und Gewährleistungsverpflichtung der KV(en) umfasst sind (Urteil vom 16.07.2008 - B 6 KA 36/07, Rn 20 mwN). Ein Sicherstellungsauftrag der KV bestand im vorliegenden Fall jedoch nicht. Gegenstand der hier streitigen Wirtschaftlichkeitsprüfung ist die Arzneimittelversorgung von MS-Patienten. Diese wird durch den SIDA-Vertrag in den §§ 4, 6 und 12 ausdrücklich geregelt. § 140a Abs 1 Satz 4 SGB V in der Fassung des Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16. Juli 2015 (nachfolgend GKV-VSG) bzw. § 140a Abs. 1 Satz 3 in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26. März 2007) sehen für diesen Fall vor, dass der Sicherstellungsauftrag der KV eingeschränkt wird, soweit die Versorgung der Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird. Dabei kann es nach Auffassung der Kammer in diesem Zusammenhang nicht entscheidend darauf ankommen, ob der SIDA-Vertrag die konkrete Arzneimittelversorgung (hier mit Octagam®) ausdrücklich umfasst. Denn im Rahmen der integrierten Versorgung können gesetzliche Leistungsansprüche der Versicherten nicht eingeschränkt werden. Damit ist aber ausgeschlossen, dass im Rahmen der integrierten Versorgungen einzelne Leistungen in die Regelversorgung und damit in die Sicherstellungsverpflichtung der KV zurückfallen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, dass nach § 5 Abs 1 des SIDA-Vertrags der Sicherstellungsauftrag der KVN fortbestehen soll. Das Gericht kann im konkreten Fall offen lassen, ob § 140a Abs. 1 Satz 3 SGB V überhaupt disponibel war. Jedenfalls sind mit dieser Regelung Rechtsnachteile für die an dem SIDA-Vertrag nicht beteiligten KV verbunden.

Das BSG hat bei seiner Prüfung weiterhin darauf abgestellt, ob die Leistungserbringung im Rahmen einer Zulassung/Ermächtigung und unter der Geltung der Regelungen der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt (BSG, aaO, Rn. 21). Beide Aspekte lassen sich im Fall der integrierten Versorgung nur mit Abstrichen bejahen. So sieht § 140a Abs 2 SGB V in der Fassung des GKV-VSG (zuvor § 140b Abs. 4 Satz 1 in der Fassung Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser vom 23. April 2002) eine Dispositionsbefugnis der Vertragspartner von den Regelungen des SGB V vor. Zudem gestattet § 140b Abs. 4 Satz 3 in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003 (nunmehr § 140a Abs 3 Satz 2 in der Fassung des GKV-VSG) auch abweichende Vereinbarungen im Hinblick auf den Zulassungs- bzw. Ermächtigungsumfang.

Bei seiner Bewertung berücksichtigt das BSG schließlich auch die in den Bundesmantelverträgen enthaltene Definition zum Umfang der vertragsärztlichen Versorgung (BSG, aaO, Rn. 21). Nach den bundesmantelvertraglichen Regelungen sind die Leistungen auf der Grundlage von Verträgen nach § 73b, § 73c und § 140a SGB V von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen (§ 3 Abs. 2 Nr. 14 BMV-Ä).

Im vorliegenden Fall haben die Kläger nachgewiesen, dass sämtliche hier gerügten Fälle im Rahmen der integrierten Versorgung behandelt wurden. Mangels einer ausdrücklichen Regelung in der Prüfvereinbarung 2008 (bzw. nachfolgenden Prüfvereinbarungen) fehlt es an einer Zuständigkeit der Prüfgremien. Die Zuständigkeit konnte somit auch nicht durch die Regelung des § 22 des SIDA-Vertrags begründet werden, wonach im Übrigen eine Geltung "des SGB" vereinbart war. Die fehlende Zuständigkeit führt hier zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regressentscheidungen.

Ein Fall der Nichtigkeit im Sinne des § 40 SGB X liegt nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Die hier festgestellte sachliche Unzuständigkeit ist weder in Absatz 2 noch in Absatz 3 des § 40 SGB X geregelt und wird damit allein nach den Vorgaben des § 40 Abs. 1 SGB X beurteilt. Danach ist ein Verwaltungsakt nur dann nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Besonders schwerwiegend ist ein Fehler aber nur dann, wenn der Verwaltungsakt in einem so schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen und tragenden Verfassungsprinzipien steht, dass es unerträglich wäre, wenn die beabsichtigten Rechtswirkungen eintreten würden (Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 40 SGB X, Rn. 27 mwN.). Davon kann die Kammer hier nicht ausgehen. Denn die Wirtschaftlichkeitsprüfung wird im Grundsatz von den Prüfgremien nach § 106 SGB V durchgeführt. Zudem ist deren Zuständigkeit auf diverse weitere Leistungsbereiche erweitert worden (§§ 106 Abs. 5, § 113 Abs. 4 SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Den Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren auch nicht der Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen. Gründe für eine solche Billigkeitsentscheidung (§ 162 Abs. 3 VwGO) waren weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt die Höhe der festgesetzten Regresse.