Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 15.01.2020, Az.: 2 B 5508/19
Polizeidienst Niedersachsen; unzulässige Vollbeurteilung für Probebeamten
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 15.01.2020
- Aktenzeichen
- 2 B 5508/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72088
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 33 Abs 2 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Keine Vergleichbarkeit von Regel- und Probezeitbeurteilungen bei der Beförderungsauswahl
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Antragstellerin ihren Antrag zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, den Beigeladenen zu 7. zum 1. Dezember 2019 nach A 10 NBesO zu befördern, bis über das Beförderungsbegehren der Antragstellerin rechtskräftig entschieden wurde.
Die Antragstellerin trägt 7/8 und die Antragsgegnerin 1/8 der Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 23.489,76 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin.
Bei der Polizeiinspektion D-Stadt standen zum 1. Dezember 2019 insgesamt 12 Beförderungsstellen der Besoldungsgruppe A 10 zur Verfügung. Es sollten 10 Beamtinnen und Beamte zur Polizeioberkommissarin/zum Polizeioberkommissar und 2 Beamtinnen zur Kriminaloberkommissarin befördert werden.
Die K. geborene Antragstellerin steht im Statusamt einer Polizeikommissarin (Besoldungsgruppe A 9) im niedersächsischen Polizeidienst und versieht ihren Dienst in der Polizeiinspektion D-Stadt als Sachbearbeiterin im Kriminal- und Ermittlungsdienst.
Die Antragstellerin und die Beigeladenen zu 1. bis 6. und 8 wurden jeweils zum Stichtag 1. September 2017 regelbeurteilt. Die Antragstellerin erhielt im Gesamturteil ein „C“ mit der Binnendifferenzierung „mittlerer Bereich“. Bei den 8 Einzelleistungsmerkmalen erhielt sie (wie die Beigeladenen zu 1. bis 6. und 8) siebenmal die Wertungsstufe „C“ und einmal die Wertungsstufe „B - übertrifft erheblich die Anforderungen -“ (= zweithöchste von insgesamt 5 Wertungsstufen).
Der L. geborene Beigeladene zu 7. trat im Oktober 2015 als Beamter auf Probe in den niedersächsischen Polizeidienst ein. Er erhielt zwei Monate vor Ablauf seiner dreijährigen Probezeit zum Stichtag 1. August 2018 für den Beurteilungszeitraum 1. Februar 2017 bis 31. Juli 2018 eine Beurteilung aus Anlass des Ablaufs seiner Probezeit. Diese auf dem für dienstliche Beurteilungen üblichen Vordruck erstellte Beurteilung wies ebenfalls im Gesamturteil ein „C-Mitte“ auf, enthielt bei der Bewertung der 8 Einzelleistungsmerkmalen zweimal die Wertungsstufe „B“ und im Übrigen die Wertungsstufe „C“.
Ausweislich der Beförderungsmitteilung vom 14. November 2019 erfolgte die Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen (Regelbeurteilungen zum Stichtag 1. September 2017 bzw. Anlassbeurteilung zum Stichtag 1. August 2018) mit der Wertungsstufe C (mittlerer Bereich) und einer Mindestzahl von 1 x B bei der ausschärfenden Betrachtung der Leistungsmerkmale. Als weitere Auswahlkriterien wurde das Datum der Laufbahnprüfung i.V.m. dem Beginn des Qualifizierungszeitraumes für die Laufbahngruppe 2 herangezogen. Ferner kam das Hilfskriterium „Dienstalter“ (seit 1. April 1992) zur Anwendung. Hiernach standen u.a. die Beigeladenen zu 1. bis 8. zur Beförderung an.
Die Antragstellerin hat am 25. November 2019 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie sieht ihren Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, weil der Auswahlentscheidung in Bezug auf den Beigeladenen zu 7. rechtsfehlerhaft eine Beurteilung aus Anlass der Beendigung der Probezeit zugrunde gelegt worden sei.
Nachdem die Antragstellerin zunächst sinngemäß begehrt hat, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die Beigeladenen zu 1. bis 8. zum 1. Dezember 2019 nach BesGr. A 10 NBesO zu befördern, beantragt sie zuletzt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO vorläufig zu untersagen, den Beigeladenen zu 7. zum 1. Dezember 2019 nach BesGr. A 10 NBesO zu befördern, bis über ihr Beförderungsbegehren rechtskräftig entschieden wurde.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie erwidert: Die Anlassbeurteilung des Beigeladenen zu 7. enthalte nach geltender Erlasslage neben der Bewertung zu Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auch die Bewertung einzelner Leistungsmerkmale. Daher sei mit Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 19. Dezember 2012 weiter geregelt worden, dass eine Anlassbeurteilung entbehrlich sei, wenn bis zum Ablauf der Probezeit eine Vollbeurteilung erstellt worden sei.
Die Beigeladenen haben sich im gerichtlichen Verfahren nicht geäußert und auch keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
Das Verfahren war entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Antragstellerin ihren Antrag mit Schriftsatz vom 13. Januar 2020 auf die vorläufige Untersagung der Beförderung des Beigeladenen zu 7. begrenzt und damit konkludent ihren Antrag hinsichtlich der Beigeladenen zu 1. bis 6. und zu 8. zurückgenommen hat.
Der aufrecht erhaltene Antrag ist zulässig und begründet.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO, dass die Antragstellerin einen Anordnungsgrund sowie einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht.
Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Anordnungsgrund, d.h. die Dringlichkeit der Angelegenheit ist glaubhaft gemacht. Bei Beförderungsstreitverfahren folgt diese regelmäßig daraus, dass die Ernennung des bzw. der Konkurrenten grundsätzlich unumkehrbar ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 3. Januar 2017 - 5 ME 157/16 -, juris).
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin ist vorliegend verletzt. Nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen. Ein Beförderungsbewerber hat dementsprechend ein Bewerbungsverfahrensanspruch, d.h. einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ermessens- und Beurteilung fehlerfrei entscheidet (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012 - 2 VR 512 -, Rn. 23 juris). Hierbei unterliegen Auswahlentscheidungen als Akt werdende Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangiges Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 15. November 2010 - 5 ME 244/10 -, Rn. 20 juris). Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden ist, kann eine Neubescheidung seiner Bewerbung dann beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei der erneuten Auswahl offen sind, d.h. seine Auswahl also möglich erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 - 2 C 14/02 -, juris).
Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen und hierbei regelmäßig der aktuellen dienstlichen Beurteilung besondere Bedeutung beizumessen (vgl. insoweit nur BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2013 - 2 BvR 1/13 -, Rn. 2 juris).
Hiernach erweist sich die Entscheidung zur Auswahl des Beigeladenen zu 7. als rechtsfehlerhaft, weil die erstellte Regelbeurteilung der Antragstellerin mit der für den Beigeladenen zu 7. erstellten Anlassbeurteilung nicht vergleichbar ist.
Die für den Beigeladenen zu 7. nach Maßgabe von Nr. 4.1 der Beurteilungsrichtlinien für die Polizei des Landes Niedersachsen (BRLPol) vom 11. Juli 2008 (Nds. MBl. 2008, 782) erstellte Beurteilung zum Stichtag 1. August 2018 war als Probezeitbeurteilung vor Ablauf der dreijährigen Probezeit erstellt worden und durfte nicht zum Gegenstand eines Beförderungsauswahlverfahrens gemacht werden. Eine für die Zwecke der Personalauswahl erstellte Beurteilung einerseits und eine sog. „Probezeitbeurteilung“ andererseits haben eine unterschiedliche Zweckrichtung. Schwerpunkt der Beurteilung im Rahmen eines Beförderungsverfahrens ist die Bewertung der im Beurteilungszeitraum gebotenen Leistungen im Vergleich mit anderen Beamtinnen und Beamten des gleichen Statusamts. Zweckbestimmung der Probezeitbeurteilung ist demgegenüber die prognostische Feststellung, ob sich der Beamte in der Probezeit bewährt hat und den Anforderungen des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit in der konkreten Laufbahn voraussichtlich gerecht wird (vgl. hierzu nur BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2019 - 2 A 15/17 -, juris, zur Rechtmäßigkeit von Probezeitbeurteilungen im Bundesrecht). Die Probezeitbeurteilung dient damit nicht der Bestenauslese. Angesichts der unterschiedlichen Zweckrichtung sind Probe- und Regelbeurteilung nicht vergleichbar (so BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2009 - 2 A 10/07 -, Rn. 17 ff. zur BLV; Nds. OVG, Beschluss vom 9. April 2015 - 5 ME 36/15 -, Rn. 10 ff., ausführlich zum niedersächsischen Landesrecht).
Zu keiner anderen Beurteilung führt der Umstand, dass die Beurteilung des Beigeladenen zu 7. auf der Grundlage der BRLPol und der Erlasslage (Nds. Ministerium für Inneres, Sport und Integration vom 1. April 2009 - P 25.22-03002) erstellt worden ist. Die Beurteilungsrichtlinien differenzieren ganz klar zwischen Regelbeurteilungen im Sinne von Nr. 3, von denen nach Nr. 3.2 Beamte in der laufbahnrechtlichen Probezeit ausgenommen sind, und sonstigen Beurteilungen im Sinne von Nr. 4 BRLPol, zu denen nach Nr. 4.1 ausdrücklich Beurteilungen vor Ablauf der Probezeit zählen. Soweit die Beurteilungen zur Hälfte und vor Ablauf der laufbahnrechtlichen Probezeit nach der von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Erlasslage auf den für die dienstlichen Beurteilungen vorgesehenen Vordruck erstellt werden, begründet dies keine Homogenität von Regel- und Probezeitbeurteilung. Weder die Beurteilungsrichtlinien, noch die verwendeten Vordrucke können die sich aus § 19 NBG und §§ 8, 44 NLVO ergebenden unterschiedlichen Zielsetzungen der Beurteilungen beseitigen (vgl. hierzu Nds. OVG, Beschluss vom 9. April 2015, a.a.O., Rn. 17).
Soweit nach dem weiter von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Erlass des Nds. Ministerium für Inneres, Sport und Integration vom 19. Dezember 2012 - P 25.2b - 03002 - wegen der (für den Probezeitbeamten erstellten) Vollbeurteilungen eine Anlassbeurteilung nach 4.2.1 nach Beendigung der laufbahnrechtlichen Probezeit entbehrlich sein soll, wird dies - wie oben dargestellt - der unterschiedlichen Zweckbestimmung von Regel- und Probezeitbeurteilung nicht gerecht. Zudem wird dieses Verständnis dem in § 44 Abs. 1 NLVO vorgesehenen Verhältnis von Regel- und Anlassbeurteilung nicht gerecht. Regelbeurteilungen dienen der Leistungs- und Befähigungseinschätzung. Hiernach ist es unzulässig, für Probezeitbeamten Regelbeurteilungen zu erstellen. Dies sieht im Übrigen auch Nr. 3.2 BRLPol vor. Sofern nach den Maßstäben für Lebenszeitbeamte die Notwendigkeit einer dienstlichen Beurteilung besteht, muss dem durch eine Anlassbeurteilung Rechnung getragen werden. Insoweit wäre für den Beigeladenen zu 7. nach Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit eine Anlassbeurteilung zu erstellen gewesen.
Die Chancen der Antragstellerin bei einer erneuten Auswahlentscheidung sind offen; denn es lässt sich nicht ausschließen, dass die Antragstellerin bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge kommen könnte (vgl. zu diesem Maßstab: Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2011 - 5 ME 234/11 -, juris).
Die einheitlich zu treffende Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3 und 155 Abs. 2 VwGO und berücksichtigt, dass zunächst mehrere Beförderungsstellen zurückgehalten werden sollten. Da die Beigeladenen sich nicht zur Sache geäußert und auch keine Anträge gestellt haben, sind ihre außergerichtlichen Kosten nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG auf 23.489,76 EUR (3.820,71 EUR + ruhegehaltsfähige allgemeine Stellenzulage in Höhe von 94,25 EUR = 3.914,96 EUR x 6) festgesetzt. Eine Halbierung des Streitwerts wegen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens findet nicht statt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9. März 2015 - 5 OA 31/15 -). Für die Streitwertfestsetzung bleibt es ohne Belang, ob eine oder mehrere Stellen von Konkurrenten freigehalten werden sollen.