Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.01.2020, Az.: 3 A 4203/18

Rechtmäßigkeit der Grundverfügung; Unterhalt; zweckgleiche Leistung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.01.2020
Aktenzeichen
3 A 4203/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 72116
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zivilrechtliche Unterhaltszahlungen können eine sogenannte zweckgleiche Leistung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII darstellen.
2. Etwas anderes folgt auch nicht aus hypothetischen Rückgriffsmöglichkeiten seitens des den Unterhalt leistenden Elternteils.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Kostenbeitrages.

Die Beklagte veranlasste für den 2014 geborenen Kläger in der Zeit vom D. bis zum E. eine Inobhutnahme. Die Kindesmutter widersprach dieser nicht. Anlass hierfür war ein stationärer Klinikaufenthalt der Kindesmutter. Im Anschluss an diesen begab sich die Kindesmutter gemeinsam mit dem Kläger in eine Kur. Vorherige Jugendhilfemaßnahmen erhielt der Kläger ausweislich des Verwaltungsvorgangs nicht.

Am 23. August 2016 machte die Beklagte gegenüber der Kindesmutter eine Mitteilung über die Kostenbeitragspflicht und belehrte sie über die Folgen für ihre bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht. Ein entsprechendes Schreiben an den Kindesvater findet sich nicht in dem die Kindesmutter betreffenden Verwaltungsvorgang der Beklagten. Die Beklagte hat jedoch in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, ein solches habe es gegeben. Dieses sei in einem separaten, den Kindesvater betreffenden Verwaltungsvorgang enthalten.

Der Kindesvater zahlte für die Monate August und September Unterhalt an den Kläger in Höhe von jeweils 400,00 Euro.

Mit Beschluss vom F. wies das Amtsgericht – Familiengericht – A-Stadt den Antrag der Beklagten auf die Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge der Kindesmutter zurück. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Kindesmutter auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben könne. Zwar befinde sie sich derzeit in einem psychiatrischen Krankenhaus. Sie habe sich jedoch freiwillig dorthin begeben und sei nicht geschlossen untergebracht. Der ärztlichen Stellungnahme sei zu entnehmen, dass die Kindesmutter änderungseinsichtig, differenziert, reflektiert mit feiner Wahrnehmung und realitätsbezogen in ihren Überlegungen sowie verantwortungsbewusst sei. Sie sei jedenfalls aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert und jederzeit erreichbar. Eine Kindeswohlgefährdung sei zur Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Kindesmutter habe alle Untersuchungen beim Kinderarzt wahrgenommen. Entwicklungsverzögerungen und äußerliche Verletzungen seien nicht auszumachen. Herumschreien bzw. Anschreien des Kindes und Fahrradfahren ohne Fahrradhelm ließen sicherlich auf Unzulänglichkeiten im Umgang der Kindesmutter mit dem Kind schließen, begründeten aber weder für sich genommen noch in der Gesamtschau eine Kindeswohlgefährdung. Selbst wenn man hierin eine Kindeswohlgefährdung sehen wolle, wäre diese nicht mehr gegenwärtig, da die Kindesmutter erkannt habe, dass sie sich in einer behandlungsbedürftigen Überlastungssituation befinde.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 11. Juni 2018 setzte die Beklagte – nach Anhörung – gegen den Kläger einen Kostenbeitrag in Höhe von 421,07 Euro fest. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger für die Monate August 2016 und September 2016 Unterhalt von dem Kindesvater und damit sogenannte zweckgleiche Leistungen im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII erhalten habe. Diese Beträge dienten jedenfalls teilweise dem gleichen Zweck wie die geleistete Inobhutnahme. Bei vollstationärer Betreuung sei dies bei Geldleistungen der Fall, die der Sicherstellung des Lebensunterhaltes des jungen Menschen dienten, da dieser vom Jugendhilfeträger sichergestellt werde. Sinn der Regelung zu den zweckgleichen Leistungen sei es, dem Träger der Jugendhilfe zu ermöglichen, auf solche Geldleistungen Zugriff nehmen zu können, die der Kostenpflichtige „doppelt“ bzw. zwei Mal für den gleichen Zweck erhalte. Diese Leistungen zählten nicht zum Einkommen und seien unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen. Gründe für eine Inobhutnahme hätten nach der Stellungnahme des Kommunalen Sozialdienstes vorgelegen. Zudem habe die Kindesmutter der Inobhutnahme nicht widersprochen. Die Inobhutnahme sei daher rechtmäßig durchgeführt worden.

Der Kläger hat, vertreten durch seine alleinsorgeberechtigte Mutter, am 25. Juni 2018 gegen diesen Bescheid Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, dass zweckgleiche Leistungen im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII lediglich Leistungen aus öffentlichen Mitteln darstellten, die durch Verwaltungsakt zu dem gleichen Zweck gewährt würden, dem auch die Jugendhilfemaßnahme diene. Unterhaltszahlungen des Vaters zählten nicht hierzu. Darüber hinaus sei die Inobhutnahme ausweislich des familiengerichtlichen Beschlusses vom F. rechtswidrig erfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt u.a. aus, dass Mittel in Höhe der Geldleistung, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienten, unabhängig von einem Kostenbeitrag aus Einkommen einzusetzen seien. Sinn dieser Regelung sei es, dem Jugendhilfeträger den Rückgriff zu ermöglichen. Zweckgleichheit verlange nicht volle Identität mit der Jugendhilfeleistung, es genüge eine partielle Identität. Unter zweckidentische Leistungen fielen auch andere Geldleistungen, soweit sie für den Unterhalt bestimmt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

I. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und fristgerecht erhoben gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der nicht prozessfähige Kläger wird gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB von seiner alleinsorgeberechtigten Mutter ordnungsgemäß vertreten.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist nicht rechtswidrig und rechtsverletzend (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die Eingriffsermächtigung für den streitgegenständlichen Bescheid ergibt sich aus § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII i. V. m. § 91 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 3 SGB VIII und § 92 Abs. 2 SGB VIII (analog). Nach diesen Vorschriften werden zu der vollstationären Leistung der Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen Kostenbeiträge erhoben (§ 91 Abs. 1 Nr. 7 SGB VIII). Die Kosten umfassen auch die Aufwendungen für den notwendigen Unterhalt (§ 91 Abs. 3 SGB VIII). Die Heranziehung erfolgt durch Erhebung eines Kostenbeitrags, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird (§ 92 Abs. 2 SGB VIII (analog)). Geldleistungen, die dem gleichen Zwecke wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, sind unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen (§ 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII).

2. Der Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen. Der Kläger ist mit Schreiben vom 8. März 2018 gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden.

3. Die Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung liegen vor.

a) Soweit der Kläger sich darauf beruft, die Inobhutnahme sei rechtswidrig erfolgt, ist dies für die Rechtmäßigkeit der Kostenheranziehung ohne Belang.

Nach dem Wortlaut der §§ 91 ff. SGB VIII ist Voraussetzung für die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag lediglich, dass die jeweilige Jugendhilfemaßnahme tatsächlich erbracht worden ist. Keine Voraussetzung ist dagegen, dass die Jugendhilfe rechtmäßig gewährt worden ist. Für die Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu einem Kostenbeitrag kommt es daher grundsätzlich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Jugendhilfegewährung an (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 27.8.2018 – 10 LA 7/18 –, Rn. 8, juris und Beschluss vom 24.11.1999 – 12 L 4460/99 –, juris, Rn. 1 m.w.N.; vgl. hierzu auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Vollstreckungsrecht, wonach die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung im Anfechtungsverfahren gegen den Kostenbescheid nicht geprüft wird: BVerwG, Urteil vom 25.9.2008 – 7 C 5.08 –, juris, Rn. 12 m.w.N.).

Davon ist allenfalls wegen des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung i.V.m. dem Erfordernis der Gewährung effektiven Rechtsschutzes dann eine Ausnahme zu machen, wenn der zu den Kosten Herangezogene in dem der Bewilligung der Jugendhilfemaßnahme zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren nicht beteiligt gewesen ist und nicht aus eigenem Recht die Bewilligung der Jugendhilfemaßnahme hat anfechten können. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass dann, wenn der Kostenbeitragspflichtige an dem der Bewilligung der Jugendhilfemaßnahme zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren beteiligt gewesen ist und sich aus eigenem Recht gegen die Bewilligung der Maßnahme hat wenden können, er dies jedoch unterlassen und den Jugendhilfebescheid hat bestandskräftig werden lassen, es für die Rechtmäßigkeit der Heranziehung zum Kostenbeitrag nicht auf die Rechtmäßigkeit der Jugendhilfemaßnahme ankommt. Denn in diesem Fall besteht kein Grund für eine Abweichung von dem oben genannten Grundsatz. Es wäre vielmehr nicht gerechtfertigt, dem Kostenbeitragspflichtigen trotz seiner Passivität im vorhergehenden Leistungsgewährungsverfahren im Rahmen des anschließenden, die Beitragserhebung betreffenden Verfahrens nochmals die Möglichkeit einzuräumen, Einwendungen gegen den in der Regel bereits bestandskräftigen Verwaltungsakt, mit dem die Jugendhilfemaßnahme bewilligt worden ist, vorzubringen und Rechtsmittel gegen die Beitragserhebung mit derartigen Einwänden zu begründen (vgl. zum Vorstehenden Nds. OVG, Beschluss vom 27.8.2018 – a. a. O. –, Rn. 9-10; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.3.2011 – 12 S 2823/08 –, juris, Rn. 37).

So liegt der Fall hier. Der zu den Kosten herangezogene Kläger, vertreten durch seine Mutter, hätte sich gegen die gemäß § 42 Abs. 1 SGB VIII angeordnete Inobhutnahme aus eigenem Recht wenden können (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 26.3.2010 – 4 PA 99/10 –, juris; vgl. auch Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage, $ 42, Rn. 123: Kind als Adressat des Verwaltungsakts). Im Übrigen hätte sich auch die Kindesmutter aus eigenem Recht gegen die Inobhutnahme wenden können. Sie hätte schon nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) SGB VIII der Inobhutnahme widersprechen können. Dies hat sie ausweislich des Verwaltungsvorgangs der Beklagten nicht getan. Darüber hinaus hätte auch sie aufgrund ihres in Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierten Elternrechts die Möglichkeit gehabt, gegen die verfügte Inobhutnahme um Rechtsschutz nachzusuchen (vgl. VGH München, Beschluss vom 9.1.2017 – 12 CS 16.2181 –, NJW 2017, 1976, Rn. 4). Hiervon hat sie ebenfalls keinen Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund ist der Kläger mit Einwendungen gegen die Inobhutnahme als solche ausgeschlossen.

Im Übrigen sind Anhaltspunkte für deren Rechtswidrigkeit nicht ersichtlich. Der Beschluss des Familiengerichts vom F. verhält sich hierzu nicht.

b) Die Voraussetzungen der §§ 91 ff. SGB VIII liegen vor. Der Kläger hat mit der Unterhaltszahlung seitens des Kindesvaters sogenannte zweckgleiche Leistungen im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII erhalten, die unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen sind.

aa) Die Unterhaltszahlung diente dem gleichen Zwecke wie die Inobhutnahme. Die Zweckgleichheit der Leistung ist bezogen auf die konkrete Maßnahme der Jugendhilfe zu ermitteln. Ausreichend ist dabei grundsätzlich eine partielle Zweckidentität (vgl. Kunkel/ Kepert in: Kunkel/ Kepert/ Pattar, SGB VIII, 7. Auflage, § 93, Rn. 8). Bei der hier in Rede stehenden Inobhutnahme stellt sich die Frage der Zweckgleichheit nicht im Hinblick auf die dem allein sorgenden Elternteil durch pädagogische Fachkräfte gewährte Unterstützungsleistung bei der Pflege und Erziehung des Kindes, sondern allein im Hinblick auf den als Annex zu zahlenden notwendigen Unterhalt der betreuten Personen. Dieser umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen. Zu den Kosten für den Sachaufwand gehören bei vollstationärer Betreuung insbesondere die Kosten für Unterkunft, einschließlich anteiliger Unterkunftsnebenkosten, Ernährung, Bekleidung, Dinge des persönlichen Bedarfs sowie einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Zum notwendigen Unterhalt gehört ferner eine Vergütung etwaig gewährter Unterstützungsleistung durch pädagogische Fachkräfte (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 18.4.2013 – 5 C 18/12 –, juris, Rn. 14 zu einer Leistung nach § 19 SGB VIII a.F.; BT-Drs. 16/9299, S. 16). Eine vergleichbare unterhaltsbezogene Zweckprägung besitzt der Kindesunterhalt. Dieser umfasst den gesamten Lebensbedarf des Kindes, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung (§ 1610 Abs. 2 BGB). Zum Unterhaltsbedarf gehören die zum Leben unentbehrlichen Aufwendungen für Wohnen, Ernährung, Bekleidung, aber auch zur Bestreitung geistiger, kultureller, sportlicher oder sonstiger Interessen; ferner in angemessenem Umfang Aufwendungen für Spielzeug und altersgerechtes Taschengeld, dessen Höhe der Sorgeberechtigte bestimmt (vgl. zum Vorstehenden Brudermüller in: Palandt, BGB, 74. Auflage, § 1610, Rn. 9).

bb) Die Unterhaltszahlung stellt ferner eine Geldleistung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII dar. Von dieser Vorschrift werden alle Geldleistungen und nicht – wie der Kläger meint – lediglich öffentlich-rechtliche Geldleistungen erfasst.

1) Dies folgt zum einen aus dem Wortlaut und der Systematik der Norm. Anders als § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII, der sich zu Leistungen verhält, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, macht § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII hinsichtlich des Rechtsgrundes der Leistung keinerlei Einschränkungen.

Der Begriff der Geldleistung wird auch – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht durch § 11 SGB I definiert. Dieser besagt, dass Gegenstand der sozialen Rechte die in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach-, und Geldleistungen (Sozialleistungen) seien. Diese Norm bestimmt damit den Begriff der Sozialleistung und besagt, dass die in diesem Gesetzbuch begründeten Ansprüche auf eine Geldleistung eine Sozialleistung darstellen. Sie besagt nicht, dass jede – in diesem Gesetzbuch auch nur erwähnte – Geldleistung eine Sozialleistung ist.

2) Aufschluss über das, was der Gesetzgeber mit dem Begriff der Geldleistung in § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII sagen wollte, gibt vielmehr die Gesetzeshistorie dieser Norm. Die im Gesetzentwurf noch als § 82 Abs. 5 SGB VIII-E vorgesehene Vorschrift lautete: „Der Einsatz von Geldleistungen, die dem gleichen Zweck dienen wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe, kann in jedem Fall verlangt werden.“ Diese Vorschrift sollte nach der Entwurfsbegründung § 85 Nr. 1 BSHG [a.F.] entsprechen (vgl. BT-Drs. 11/5948, S. 110).

§ 85 Nr. 1 BSHG a.F. bestimmte, dass die Aufbringung der Mittel verlangt werden kann, auch soweit das Einkommen unter der Einkommensgrenze liegt, soweit von einem anderen Leistungen für einen besonderen Zweck gewährt werden, für den sonst Sozialhilfe zu gewähren wäre. Der Rechtsgrund, auf dem „Leistungen für einen besonderen Zweck“ nach § 85 Nr. 1 BSHG a.F. beruhten, war unerheblich. Es kamen Leistungen auf gesetzlicher, vertraglicher oder freiwilliger Grundlage in Betracht. Den Hauptfall der Zweckbestimmung nach privatem Recht bildeten dabei die Leistungen aufgrund einer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht, „da diese dazu bestimmt sind, den Unterhalt des Berechtigten zu decken, soweit der Berechtigte außerstande ist, sich selbst zu unterhalten“ (vgl. zum Vorstehenden Gottschick/Giese, BSHG, 9. Auflage, § 85, Rn. 5.1; OVG Berlin, Urteil vom 27.4.1972 – VI B 31/71 –, FamRZ 75, 348; Knopp/Fichtner, BSHG, 6. Auflage, § 85, Rn. 2).

Die beabsichtigte Entsprechung zu § 85 Nr. 1 BSHG a.F. spricht somit maßgeblich dafür, dass Unterhaltszahlungen auch im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII grundsätzlich unter den Begriff der zweckgleichen Leistungen fallen.

Etwas Anderes folgt – entgegen der von dem Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung – auch nicht aus den anschließenden Änderungen des Gesetzestextes. Diese waren nicht mit neuen Entwurfsbegründungen verbunden und ausschließlich redaktioneller Art.

3) Für dieses Auslegungsergebnis sprechen des Weiteren der Sinn und Zweck des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII. Denn § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII soll dem Grundsatz Rechnung tragen, dass ein entsprechender Bedarf nur einmal zu befrieden ist (vgl. BT-Drs. 11/5948, S. 110 und BVerwG, Urteil vom 12.7.1996 – 5 C 18/95 –, juris, Rn. 9 zu § 82 Abs. 5 SGB VIII a.F.). Könnte die Beklagte über § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII lediglich zweckgleiche öffentlich-rechtliche Leistungen herausverlangen, verblieben sowohl der Kindesunterhalt als auch der im Rahmen der Inobhutnahme als Annex geleistete Unterhalt grundsätzlich bei dem Kind. Sein Unterhaltsbedarf würde – entgegen der Gesetzesintention – zweifach befriedigt.

4) Etwas anderes folgt auch nicht aus hypothetischen Rückgriffsmöglichkeiten seitens des den Unterhalt leistenden Elternteils.

Das Verhältnis der Jugendhilfe zum zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch ist durch § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII in dem Sinne geregelt worden, dass die bedarfsdeckende Wirkung der Jugendhilfemaßnahme die Höhe des Unterhaltsanspruchs mindert, so dass bei vollstationärer Unterbringung im Regelfall kein zivilrechtlicher Unterhalt geleistet werden muss. Durch die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag sollen die Eltern als nächste Angehörige und materiell für die Erziehung des jungen Menschen Verantwortliche ungeachtet einer aufgrund der Bedarfsdeckung geminderten oder nicht mehr bestehenden Unterhaltsverpflichtung in die Pflicht genommen werden (vgl. zum Vorstehenden BT-Dr. 15/3676, S. 31; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.8.2009 – 2 MB 12/09 –, juris, Rn. 15).

Die vorliegend erfolgte Zahlung von Unterhalt stellt sich somit als systemwidrig dar. Es können sich in derartigen Fallkonstellationen Ansprüche gegen den Unterhaltsempfänger aus Leistungskondiktion im Umfang des vollständigen bzw. teilweisen Wegfalls der Unterhaltspflicht ergeben (vgl. hierzu Sprau in: Palandt, BGB, 74. Auflage, § 812, Rn. 102).

Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Bedarf des Kindes nicht gedeckt wäre. Denn die Unterhaltspflicht des barunterhaltspflichten Elternteils entfällt gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII nur insoweit, wie der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch gedeckt ist.

Ein Rückgriff des barunterhaltspflichtigen Elternteils auf das Kind ist im Übrigen gemäß § 814 BGB ausgeschlossen, wenn dieser Elternteil in Kenntnis seiner (teilweisen) Nichtschuld leistet. Eine solche Kenntnis dürfte regelmäßig anzunehmen sein, wenn der Elternteil seitens der Behörde gemäß § 92 Abs. 3 SGB VIII ordnungsgemäß belehrt worden ist.

Ist dieser Elternteil hingegen nicht ordnungsgemäß belehrt worden, wird er auch nicht unbillig durch eine zweifache Inanspruchnahme belastet. Denn eine Heranziehung zu einem Kostenbeitrag wäre dann gemäß § 92 Abs. 3 SGB VIII ausgeschlossen (vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 8.12.2014 – 4 LA 46/14 –, juris). Wurde der barunterhaltspflichtige Elternteil hingegen ordnungsgemäß belehrt und leistet dennoch, folgt schon aus der gesetzlichen Wertung des § 814 BGB, dass er insoweit nicht schutzwürdig ist.

Kann der barunterhaltspflichtige Elternteil hingegen berechtigterweise aus Leistungskondiktion gegen das Kind vorgehen, weil er – nicht belehrt und daher in Unkenntnis über die unterhaltsrechtlichen Folgen an sein Kind – geleistet hat, entfiele (rückwirkend) der ursprünglich mit der Zahlung verbundene Zweck der Unterhaltsleistung. In diesem Falle fehlte es an einer doppelten Befriedigung des entsprechenden Bedarfs und die Behörde könnte die Unterhaltsleistung nicht mehr auf Grundlage des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII herausverlangen. Das Unterlassen der gemäß § 92 Abs. 3 SGB VIII notwendigen Belehrung würde zu Lasten der Behörde durchschlagen.

Vorliegend wurde der barunterhaltspflichtige Elternteil wohl schon ordnungsgemäß belehrt. Ferner hat der barunterhaltspflichtige Elternteil den Unterhalt nicht zurückgefordert. Es bedarf somit keiner Klärung, ob eine solche Rückforderung noch möglich ist, wenn das Kind schon gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII seitens der Behörde in Anspruch genommen wurde, oder ob schon ab diesem Zeitpunkt eine Entreicherung eingetreten ist.

5. Vor diesem Hintergrund ist der in der überwiegenden Kommentarliteratur vertretenen Auffassung, Unterhaltsleistungen seien zweckgleiche Leistungen im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII, zuzustimmen (vgl. Jung, TVöD Office Professional, SGB VIII, § 93, Rn. 4; Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage, § 93, Rn. 8; Winkler in: BeckOK Sozialrecht, 54. Edition, § 93, Rn. 4.1; OVG Berlin, Urteil vom 22.11.2001 – 6 B 1.97 –, juris, Rn. 22). Dass mit der Norm des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII darüber hinaus möglicherweise auch der Nachrang der Kinder- und Jugendhilfe gegenüber anderen Leistungen der öffentlichen Fürsorge konkretisiert werden soll (vgl. hierzu VGH München, Urteil vom 22.1.2013 – 12 BV 12.2351 –, juris, Rn. 15), steht dem o.g. Auslegungsergebnis, dass eine Subsidiarität auch gegenüber Leistungen auf anderer Rechtsgrundlage besteht, nicht entgegen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 188 Satz 2 VwGO.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.