Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 28.07.2003, Az.: 3 A 185/03

Beihilfefähigkeit einer ICSI (Intracytoplasmatische-Spermien Injektion)-Maßnahme zu 4 IVF-(In-Vitro-Fertilisation) Behandlungen; Zurechung von begleitenden Hormonbehandlungen der Frau; Einstufung einer Fertilitätsstörung als Krankheit; Vorliegen einer amtsangemessenen Alimentation des Beamten

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
28.07.2003
Aktenzeichen
3 A 185/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 11282
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2003:0728.3A185.03.0A

Amtlicher Leitsatz

Unter Rückgriff auf den allgemeinen Fürsorgegrundsatz (§ 87 NBG) ist es rechtlich nicht geboten, mehr als eine ICSI (Intracytoplasmatische Spermien Injektion)-Maßnahme zu insgesamt 4 IVF-(In Vitro Fertilisation) Behandlungen beim Manne als beihilfefähig anzuerkennen. Begleitende Hormonbehandlungen sind der Frau zuzurechnen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist beihilfeberechtigter niedersächsischer Landesbeamter mit einem Beihilfesatz von 50 %. Er ist verheiratet. Zur Überwindung ungewollter Kinderlosigkeit ließen sich die Eheleute mit der kombinierten Methode der In Vitro Fertilisation = IVF/ Intracytoplasmatische Spermien Injektion = ICSI behandeln. Die Aufwendungen der berufstätigen Ehefrau des Klägers als berücksichtigungsfähige Angehörige (§ 3 BhV) sind - darin stimmen die Beteiligten überein - nicht beihilfefähig (§ 5 Abs. 4 Nr. 3 BhV). Entgegen der ursprünglichen Annahme des beklagten Amtes hat die Ehefrau auch keinen eigenen Beihilfeanspruch. Sie ist bei der Barmer Ersatzkasse krankenversichert und unter Verweis auf das Verursacherprinzip bei der Behandlung von Kinderlosigkeit wurden ihr von dieser (bisher) Kostenerstattungen (auch anteilige) für die IVF/ICS - Behandlungen verweigert.

2

Der Kläger beantragte am 01. Oktober 2002 bei dem beklagten Amt die Bewilligung von Beihilfeleistungen für die ihm in Rechnung gestellten bisherigen Aufwendungen. Das waren einerseits 147,71 EUR gemäß Rezept der FCH- Gemeinschaftspraxis HH vom 17. September 2002, quittiert von der St. Petri-Apotheke HH, für Hormonmittel und Antibiotika für die Ehefrau des Klägers (anteilige 18,22 EUR sind nicht zuzuordnen), und andererseits 355,46 EUR gemäß Rechnung des Dr. Nückel HH vom 25. September 2002 "für Anästhesieleistungen im Rahmen der IVF-Behandlung" an der Ehefrau des Klägers am 20. September 2002 "im FCH". Die dem Beihilfesatz des Klägers entsprechende und anteilige Erstattung dieser Rechnungsbeträge lehnte das beklagte Amt mit Bescheid vom 28. Oktober 2002 ab: Nur eine ICSI Maßnahme sei - unabhängig von der Ursache der Kinderlosigkeit - bei dem Manne als beihilfefähig anzuerkennen. Die Aufwendungen für die IVF und die Hormonbehandlung sei entsprechend den Erlassen des Niedersächsischen MF vom 03. und 15. Mai 2001 (AZ: VD 0806/01 und VD 4 - 0800/24) jeweils der Frau zuzuordnen. D. h., die Ehefrau müsse die Aufwendungen allein bei ihrer Krankenkasse geltend machen. Mit gleichem Bescheid hatte das beklagte Amt im Übrigen aus weiteren Rechnungen der FCH "für HMG-IVF-Behandlung in Kombination mit ICSI-Therapie" vom 23. September 2002 über 1.712,70 EUR und vom 30. September 2002 über 2727,99 EUR jeweils 1559,70 EUR bzw. 1702,77 EUR als beihilfefähig anerkannt.

3

Der insoweit teilweisen Ablehnung seines Antrages widersprach der Kläger und bat "um Korrektur der Festsetzungen für die Beihilfe der IVF-Behandlung". Es sei unangemessen, dass Krankenkassen und Beihilfestellen Differenzen in Bezug auf ungeklärte Kostenfragen auf dem Rücken der Versicherten bzw. Beihilfeberechtigten austrügen.

4

Den Widerspruch wies das beklagte Amt mit Bescheid vom 14. Januar 2003 zurück: Der neugefasste Hinweis zu § 6 Abs. 1 BhV enthalte keine Regelung für die ICSI- Behandlung. Gleichwohl werde - aus allgemeiner Fürsorge - diese besondere Behandlungsmethode einmal als beihilfefähig anerkannt und zwar bei dem beihilfeberechtigten Manne innerhalb der Höchstgrenzen von 4 beihilfefähigen IVF- Behandlungen (vgl. 1.3 des Hinweises). In diesem Umfang habe sie die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen mit dem angegriffenen Bescheid auch anerkannt.

5

Mit der Klage vom 11. Februar 2003 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter: Die am 17. und 25. September 2002 berechneten Aufwendungen seien nicht seiner Frau zuzurechen, sondern ihm, sodass weitere Beihilfe zu leisten sei, zumal die Krankenversicherung seiner Ehefrau die Kosten nichtübernehme.

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Der Kläger beantragt,

das Beklagte Amt zu verpflichten, die Aufwendungen über 147,41 EUR und 355,46 EUR vom 17. bzw. 25. September 2002 als beihilfefähig anzuerkennen und Beihilfe hierauf in Höhe von 50 v.H. zu zahlen sowie die Bescheide vom 28. Oktober 2002 und vom 14. Januar 2003 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

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Das beklagte Amt beantragt,

die Klage abzuweisen,

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und wiederholt die Begründung des Widerspruchsbescheides.

9

Für das weitere Vorbringen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Amtes sowie auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

11

Die Bescheide des beklagten Amtes vom 28. Oktober 2002 und vom 14. Januar 2003 werden mit der Klage nur insoweit angefochten, als damit auf die Verschreibung vom 17. September 2002 und die Arztrechnung vom 25. September 2002 nicht weitere Aufwendungen als beihilfefähig anerkannt worden sind. In diesem Umfang sind die Bescheide rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

12

Mit dem Anerkenntnis von anteilig 1559,70 EUR (von 1.712,70 EUR) und 1.702,77 EUR (von 2727,99 EUR) auf Arztrechnungen "für HMG-IVF-Behandlung in Kombination mit ICSI-Therapie" sind die Beihilfeansprüche des Klägers aus den (speziellen) Beihilfevorschriften (vgl. § 87 c NBG), zum Teil auch darüber hinausgehend aus dem allgemeinen Gesichtspunkt der Fürsorge (§ 87 NBG) heraus, erfüllt.

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Aus § 6 Abs. 1 i.V.m. 1.3 der Hinweise zu § 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfevorschriften - BhV - , hier in der Fassung vom 10. Januar 2002 in NdsMinBl 2002, S. 145, 162) folgt, dass die Aufwendungen für die ärztliche Feststellung der Voraussetzungen für die In-Vitro-Fertilisation und höchstens für vier Behandlungen beihilfefähig sind. 1.4 des Hinweises stellt ergänzend klar, dass die über die im Hinweis 1.3 genannten Höchstgrenzen hinausgehenden Aufwendungen nicht beihilfefähig sind. Damit kann zunächst die Streitfrage dahinstehen, ob mit der IVFüberhaupt eine Krankheit (Fertilitätsstörung) im Sinne des Beihilferechtes "behandelt" wird. Weiter wird mit der Beschränkung auf vier Behandlungen dem Prinzip der Angemessenheit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BhV) Rechnung getragen; dieses vor allem vor dem Hintergrund, dass die In-Vitro-Fertilisation keine lebensnotwendige Behandlung darstellt und mit ihr eine Heilung, das heißt die Beseitigung organbedingter Sterilität, ohnehin nicht erreicht werden kann (vgl. insoweit Urteil des OVG des Saarlandes vom 11. März 2002, Az: 1 R 12/00 in NVwZ-RR 2002, 670 und IÖD 2002,229, welches zum hiermitübereinstimmenden Ergebnis kommt bei Ableitung aus dem allgemeinen Fürsorgegrundsatz, weil das dort zu Grunde gelegte saarländische Beihilferecht keine dem Hinweis 1.3 zu § 6 Abs. 1 BhV entsprechende Regelung enthält). Unter dem Gesichtspunkt der gleichen Rechtsanwendung hält sich das beklagte Amt unwidersprochen daran und hat diesen Erstattungsgrundsatz unter Punkt 3 des Arbeitshinweises Beihilfe 07/02 vom 05. Juni 2002 aufgenommen und ausdrücklich selbst den Fall einbezogen, dass die Kinderwunschbehandlung möglicherweise zur Therapierung einer Krankheit (z.B. Endometriose) erfolgen soll. Von daher könnte zunächst rechtlich nicht beanstandet werden, wenn unter Befolgung des Hinweises zu § 6 BhV, der die ICSI explizit nicht nennt (vgl. Schadewitz/Röhrig, Beihilferecht 1) zu Hinweis zu § 6 ,Seiten 40-42), die ICSI auch nicht aus dem allgemeinen Fürsorgegrundsatz für beihilfefähig gehalten würde. Wenn die niedersächsischen Beihilfestellen aber gleichwohlüber die speziellen Beihilfevorschriften hinaus aus dem allgemeinen Fürsorgegesichtspunkt Beihilfe für eine ICSI-Maßnahme unabhängig davon gewähren, ob ohne eine solche Beihilfe die amtsangemessene Alimentation des Beamten rechtswidrig verkürzt wird, kommt es allein darauf an, ob so in gleicher Rechtsanwendung verfahren wird. Auch dieses ist der Fall, was durch die genannten Erlasse vom 03. und 15. Mai 2001 und den zitierten Arbeitshinweis (dort Punkte 4, 7 am Ende und 8 zur Kostenzuordnung) sichergestellt wird. Die danach praktizierte Beschränkung auf eine beim Mann in Rechnung zu stellende und in der Regel bei Fertilisierungsstörungen der Spermien indizierte ISCI- Maßnahme (wiederum begrenzt auf 5 behandelte Eizellen), d.h. konkret die Einspritzung zusätzlicher aufbereiteter Samenfäden im Rahmen einer IVF-Behandlung unter einem Mikroskop mit einer dünnen Glasnadel jeweils in die Eizellen, die von dem sie umgebenden Gewebe freipräpariert worden sind, und mit der somit der natürliche Vorgang des Eindringens einer Samenzelle in die Eizelle (im Reagenzglas) nachgeahmt wird, ist damit - wie die Beschränkung auf vier IVF-Maßnahmen - wiederum angemessen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV. Für die Abrechnung der IVF und ICSI hat die Bundesärztekammern berechnungsfähige Gebührenpositionen GOÄ oder GOÄ analog empfohlen, an die sich das beklagte Amt mit dem Arbeitshinweis 07/02 (dort Punkt. 7) selbst gebunden hat und wonach die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen aus den Rechnungen vom 23. und 30. September 2002 anerkannt worden ist, was unstreitig ist. Mit den so beachteten speziellen Hinweisen zu § 6 BhV einerseits und mit dem Rückgriff auf den allgemeinen Fürsorgegrundsatz mit den Erlassen vom 03. und 15. Mai 2001 andererseits, wurde - anders als im Krankenversicherungsrecht - die Zuordnung der Hauptkosten für IVF/ICSI- Behandlungen vom Verursachungsgrundsatz der Kinderlosigkeit gelöst. Dieses ist auch im Sinne der Fürsorge sachgerecht, weil die Ursächlichkeit häufig nicht abschließend zu klären ist und die IVF/ICSI-Maßnahmen selbst Laborvorgänge sind, die nicht am Mann oder an der Frau vorgenommen werden und sich daher diesem klaren Zuordnungsprinzip entziehen. Bei den mit dieser Klage noch geltend gemachten Aufwendungen, die zwar im Zusammenhang mit der IVF/ICSI stehen, stellen sich die genannte Zuordnungsschwierigkeit gerade nicht und von daher ist es auch sachgerecht, die vorbereitende und unterstützende Hormonbehandlung und Verabreichung von Antibiotika der Frau zuzurechnen, wie mit den Erlassen und dem Arbeitshinweis vorgegeben, deren "ungleiche" Umsetzung weder gerügt wird noch von Amts wegen ersichtlich ist. Das betrifft sämtliche Aufwendungen aus dem Rezept vom 17. September 2002. Die Rechnung vom 25. September 2002 weist schon als "Patientin" allein die Ehefrau des Klägers aus und umfasst die Anästhesieleistungen an ihr anlässlich der Einpflanzung der im Reagenzglas befruchteten Eizellen. Dafür macht es keinerlei Unterschied, ob die implantierten Eizellen außerhalb des Mutterleibes ohne oder in Kombination mit der ICSI- Methode befruchtet wurden, sodass auch Implantationsvorgang mit notwendiger Anästhesie "als Annex" wie die ISCI selbst dem Manne zuzurechnen wäre.