Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 10.07.2003, Az.: 3 A 1469/02

Familienunterhalt; Kürzung; nachehelicher Unterhaltsanspruch; Versorgungsausgleich; Wiederheirat

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
10.07.2003
Aktenzeichen
3 A 1469/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48149
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der im Falle der Wiederheirat bestehende Unterhaltsanspruch der zunächst geschiedenen, noch nicht selbst rentenberechtigten Ehefrau nach § 1360 BGB rechtfertigt ein Absehen von der Kürzung der Versorgungsbezüge auf der Grundlage des § 5 VAHRG

Tatbestand:

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Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung seines Ruhegehalts im Wege des Versorgungsausgleichs.

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Der 1950 geborene Kläger stand bis zum ....2002 als Posthauptschaffner in den Diensten der Beklagten; mit Ablauf dieses Tages wurde er wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt und bezieht seit dem ....2002 Ruhegehalt nach den Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes.

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Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - P. vom ...1986 wurde die am ...1973 geschlossene erste Ehe des Klägers mit Frau X. Y., geborene Z., geschieden. Durch weiteren Beschluss dieses Gerichts vom ....1987 wurde zu Lasten der beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaft des Klägers gem. § 1587 b Abs. 2 BGB eine Rentenanwartschaft zugunsten der geschiedenen Ehefrau in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 198,12 DM, bezogen auf den ....1985 (Ehezeitende), begründet.

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Am ....1997 heiratete der Kläger seine geschiedene Ehefrau erneut; diese Ehe besteht nach wie vor.

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Mit dem angegriffenen Bescheid vom 12.06.2002 setzte die Beklagte das Ruhegehalt des Klägers fest. In dem Bescheid wurden aufgrund des Beschlusses des AG P. über den Versorgungsausgleich die Versorgungsbezüge des Klägers gem. § 57 Abs. 1 S. 1 BeamtVG um monatlich 154,14 € gekürzt. Hiergegen erhob der Kläger fristgerecht und unter Hinweis auf seine Wiederheirat Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2002 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Wiederheirat die Begründung von Rentenanwartschaften durch die zunächst erfolgte Scheidung nicht rückgängig mache; im übrigen bestehe auch kein Anspruch auf Aussetzung der Kürzung nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich.

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Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage.

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Der Kläger meint, einen Anspruch auf Aussetzung der Kürzung gemäß § 5 Versorgungsausgleichshärteregelungsgesetz ( VAHRG ) bis zu dem Zeitpunkt zu haben, in dem seine Ehefrau eine eigene Rente erhält, was derzeit - die ... geborene Ehefrau des Klägers ist unstreitig als Altenpflegerin berufstätig - nicht der Fall ist.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, ihm ein Ruhegehalt ohne Kürzung der Versorgungsbezüge bis zu dem Zeitpunkt zu gewähren, in dem seine Ehefrau aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht eine eigene Rente erhält, und den Bescheid der Beklagten vom 12.06.2002 und ihren Widerspruchsbescheid vom 10.07.2002 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 5 VAHRG nicht vorliegen, weil die Ehefrau des Klägers gegen diesen keinen Anspruch auf Unterhalt im Sinne der genannten Vorschrift hatte. Hierbei müsse es sich zunächst um einen nachehelichen Unterhaltsanspruch gehandelt haben, denn lediglich der diesem folgende Familienunterhaltsanspruch stelle einen Anspruch dar, der ein Absehen von der Kürzung begründen könne.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat Erfolg. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten; vielmehr steht ihm ein Anspruch auf ungekürzte Gewährung seiner Versorgungsbezüge zu ( vgl. § 113 Abs. 5 VwGO ).

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Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vorgenommene Kürzung ist § 57 Abs. 1 BeamtVG. Nach dieser Vorschrift werden in Fällen, in denen Anwartschaften in einer gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1587b Abs. 2 BGB durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sind, nach Wirksamkeit dieser Entscheidung die Versorgungsbezüge des verpflichteten Ehegatten um einen nach den Absätzen 2 oder 3 der genannten Vorschrift zu ermittelnden Betrag gekürzt. In Anwendung dieser Vorschrift hatte die Beklagte auf der Grundlage des Beschlusses des AG P. vom ....1987, der den Versorgungsausgleich zwischen den Ehegatten in Folge der Scheidung vom ....1986 regelte, die dem Kläger zu gewährenden Versorgungsbezüge in Höhe von - im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung - 154,14 € monatlich gekürzt.

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Das erweist sich als rechtswidrig, denn die Beklagte hat zugunsten des Klägers die Vorschrift des § 5 Abs. 1 VAHRG nicht beachtet. Diese Vorschrift lautet:

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„(1) Solange der Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat oder nur deshalb nicht hat, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung seiner Versorgung außer Stande ist, wird die Versorgung des Verpflichteten nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt.“

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Die Voraussetzungen dieser Vorschrift, die der Gesetzgeber in Umsetzung der zu den Bestimmungen des Versorgungsausgleichs ergangenen Entscheidung des BVerfG ( vom 28.02.1980, BVerfGE 53, 257 [BVerfG 28.02.1980 - 1 BvL 17/77] ) eingeführt hat, liegen vor. Dies ist hinsichtlich der Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers derzeit noch keine Rente erhält, zwischen den Beteiligten unstreitig.

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Streitig ist zwischen den Beteiligten allein die Frage, ob der der Ehefrau des Klägers nach der Wiederheirat zustehende Anspruch auf Familienunterhalt im Sinne des § 1360 BGB ausreichend im Sinne des § 5 VAHRG ist, wie der Kläger meint, oder ob, wie die Beklagte meint, eine durchgängige Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber seiner Ehefrau bestanden haben muss, die Ehefrau des Klägers mithin gegen diesen auch während der Zeit, in der die Ehegatten geschieden waren, einen nachehelichen Unterhaltsanspruch im Sinne des § 1569 BGB gehabt haben müsste.

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Diese Frage ist zu verneinen ( ebenso VG Bayreuth, Urteil vom 28.05.1999, B 5 K 97.863, FamRZ 2000, 960; zitiert nach juris ). Zunächst gibt der Gesetzeswortlaut für das „Postulat einer durchgängigen gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung“ ( VG Bayreuth, aaO ) nichts her. Dies wäre allerdings im vorliegenden Zusammenhang erforderlich, um dem Grundsatz der Gesetzesbindung im Rahmen der Beamtenversorgung ( vgl. § 3 Abs. 1 BeamtVG ) zu entsprechen.

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Auch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten es nicht, eine durchgängige Unterhaltsverpflichtung zu fordern. Mit der Vorschrift sollten nach der Entscheidung des BVerfG, wie angedeutet, die Härten beseitigt werden, die durch die doppelte Belastung des Verpflichteten entstehen, indem er einerseits eine spürbare Kürzung seines Versorgungsanspruches hinnehmen muss, ohne dass sich dies zugunsten des Berechtigten bereits auswirkt, und er andererseits jedenfalls materiellrechtlich - auf die tatsächliche Zahlung kommt es angesichts der aus Gründen der Vereinfachung und Praktikabilität des Verfahrens geschaffenen Regelung nicht an (BVerwG, Urteil vom 22.07.1999, 2 C 25/98, E 109, 231ff. unter Hinweis auf BTDrucks 9/2296 S. 14; ebenso bereits im Urteil vom 10.03.1994, 2 C 4/92, bei Buchholz 239.1 § 57 Nr. 9 ) - durch den bestehenden Unterhaltsanspruch des Berechtigten belastet ist. „Solange“ ( § 5 Abs. 1 S. 1 1.Wort VAHRG) diese Doppelbelastung besteht, liegt eine nach Auffassung des BVerfG aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beseitigende und damit den Verzicht auf die Kürzung im Sinne des § 57 BeamtVG rechtfertigende Härte vor. Mit der so umschriebenen Zielsetzung ist für die Annahme, § 5 VAHRG erfordere eine ununterbrochene Unterhaltsverpflichtung zu Gunsten des Berechtigten ab Rechtskraft der Scheidung, kein Raum.

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Demgegenüber kann sich die Beklagte auch nicht auf das von ihr zitierte Urteil des BGH vom 09.02.1983 ( IVb ZR 361/81 ) berufen, denn dieses Urteil steht gerade für die gegenteilige Rechtsposition, indem ausgeführt wird:

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„Die Ehefrau als die Berechtigte im Sinne dieser Vorschrift hat zwar als Folge der Wiederheirat der Parteien den nachehelichen Unterhaltsanspruch nach der Scheidung der ersten Ehe verloren

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(§ 1586 BGB). Ihr steht jedoch nunmehr - wieder - ein Anspruch auf den Familienunterhalt nach

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§ 1360 BGB gegenüber dem Ehemann zu. Auch dieser Unterhaltsanspruch erfüllt nach Auffassung des Senats - jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Ehegatten, zwischen denen der Versorgungsausgleich nach einer früheren Scheidung durchgeführt worden ist, einander wieder geheiratet haben - die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 des Gesetzentwurfs. Auch in einem solchen Fall wird danach, entsprechend dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, die Versorgung des Verpflichteten solange nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs nach der Scheidung der früheren Ehe zu kürzen sein, als der berechtigte Ehegatte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erhalten kann.“

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Damit erklärt das Gericht ausdrücklich, dass die auch hier vorliegende Fallkonstellation die Voraussetzungen des damaligen Gesetzesentwurfs des § 5 Abs. 1 VAHRG, der in dieser Form Gesetz geworden ist, erfüllt.

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Ebenso wenig kann sich die Beklagte auf die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz vom 31.03.2003 berufen. Zutreffend ist zwar, dass das BVerfG in seiner Entscheidung vom 28.02.1980 ( aaO ), auf die das Oberverwaltungsgericht abstellt, ausgeführt hat, vorwiegend ( „das Schwergewicht“ ) könne es dann zu einem verfassungswidrigen Zustand kommen, wenn „der ausgleichsberechtigte Teil ... auf Unterhaltsleistungen des Ausgleichsverpflichteten angewiesen ist“. Dies, so das OVG, sei für den Familienunterhalt auf der Grundlage des § 1360 BGB nicht der Fall, denn dieser Anspruch bestehe auch ohne dass der Berechtigte auf Unterhaltsleistungen angewiesen sei, so dass von § 5 VAHRG nur die Fälle erfasst würden, in denen der Ausgleichspflichtige zur Gewährung nachehelichen Unterhalts familiengerichtlich verpflichtet sei. Dem ist hier nicht zu folgen. Die so verstandene Frage, ob der Berechtigte auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, ist nicht zu trennen von der Frage, ob tatsächlich Unterhaltsleistungen gewährt werden, denn wenn ein ( rechtlicher ) Bedarf nicht besteht, ist eine familiengerichtliche Verpflichtung nicht zu erwarten. Die Frage jedoch, ob tatsächlich Unterhaltsleistungen gewährt werden, ist keine tatbestandliche Voraussetzung des § 5 VAHRG, wie das BVerwG in den erwähnten Entscheidungen ( vom 22.07.1999 und vom 10.03.1994, aaO ) wiederholt ausgeführt hat. Diesem Verständnis des § 5 VAHRG, vom BVerwG mit der im Verhältnis zur Entscheidung des BVerfG späteren Entstehungsgeschichte der Vorschrift begründet, wird der Beschluss des OVG Rheinland-Pfalz vom 31.03.2003 nicht gerecht.

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Hiernach war antragsgemäß zu entscheiden, denn die Voraussetzungen des § 5 VAHRG - keine Rentenzahlung an die Ehefrau des Klägers bei bestehendem Unterhaltsanspruch gegen diesen - liegen vor.