Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 29.01.1996, Az.: 2 U 242/96
Keine Widerlegung der Vorsatzvermutung durch behauptetes Vergessen; Pflicht zur wahrheitsgemäßen Angabe gegenüber dem Versicherer; Treuwidrigkei der Inanspruchnahme der Leistungsfreiheit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 29.01.1996
- Aktenzeichen
- 2 U 242/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21315
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0129.2U242.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 21 Nr. 2 b, Nr. 3 VHB
- § 21 Nr. 3 VHB
- § 21 Nr. 4 VHB
- § 6 Abs. 3 VVG
Amtlicher Leitsatz
Aufklärungspflichtverletzung: Keine Widerlegung der Vorsatzvermutung durch behauptetes Vergessen . Leistungsfreiheit auch bei Kenntnis des die Schadenanzeige ausfüllenden Versicherungsmaklers.
Gründe
Die Beklagte ist wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nach den §§ 21 Nr. 2 b, Nr. 3 und Nr. 4 VHB 84, 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei.
Gemäß § 21 Nr. 2 b VHB 84 ist der Versicherungsnehmer im Rahmen der Schadensregulierung zu wahrheitsgemäßen Angaben gegenüber dem Versicherer verpflichtet. Diese Obliegenheit hat der Kläger bei der von ihm am 03.05.1995 unterzeichneten Schadenanzeige verletzt. Die im Schadenanzeige-Formular gestellte Frage nach früheren Brandschäden hat er wahrheitswidrig verneint. Tatsächlich hatte er drei derartige Vorschäden erlitten. Diese waren 1990, 1991 und 1992 von einem anderen Versicherer reguliert worden.
Die aus § 6 Abs. 3 VVG folgende Vermutung der vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit ist nicht widerlegt. Der Kläger behauptet dazu lediglich, die Angabe der Vorschäden vergessen zu haben, als er vom Zeugen K danach gefragt worden sei. Dies vermag nicht zu überzeugen. Die Vorschäden lagen nur wenige Jahre zurück. Zudem liegt hier angesichts der Regulierung von drei Brandschäden in nur drei Jahren eine außerordentliche Schadenshäufung vor. Bei dieser Sachlage ist es nicht glaubhaft, dass der Kläger trotz ausdrücklicher Frage sich an keinen der Schadenfälle erinnert haben will. Ebenso wenig sind Tatsachen vorgetragen oder ersichtlich, die ausnahmsweise die Annahme eines nur geringen Verschuldens des Klägers bei Begehung der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung rechtfertigen könnten.
Auch im Übrigen sind die Voraussetzungen der Relevanzrechtsprechung des BGH erfüllt. Die falsche Auskunft des Klägers war generell geeignet, die berechtigten Interessen der Beklagten zu verletzen. Die Kenntnis von früheren Versicherungsfällen ist für den Versicherer regelmäßig bei Prüfung eines Versicherungsfalls von Bedeutung. Die Intensität der Prüfung des behaupteten neuen Schadenfalls kann dadurch beeinflusst werden, weil eine Häufung von Versicherungsfällen in der Vergangenheit auf eine Fingierung des neuen Versicherungsfalls hindeuten kann (BGH VersR 1990, 384, 385[BGH 18.12.1989 - II ZR 34/89]; OLG Köln r+s 1993, 360). Im Schadenanzeige- Formular war weiter die notwendige Belehrung über die Folgen unwahrer Angaben vorhanden und so deutlich hervorgehoben, dass der Kläger diese bei der Unterschriftsleistung nicht übersehen konnte.
Die Leistungsfreiheit der Beklagten scheitert nicht an der vom Kläger behaupteten Kenntnis des Zeugen K hinsichtlich der Vorschäden. Dies gilt selbst dann, wenn man den Zeugen als Agenten der Beklagten und nicht als Versicherungsmakler ansähe und seine angebliche Kenntnis der Beklagten zurechnete. Ein Versicherer muss sich darauf verlassen können, dass der Versicherungsnehmer von sich aus richtige und lückenlose Angaben im Rahmen des Versicherungsfalls macht. Enttäuscht der Versicherungsnehmer dieses Vertrauen des Versicherers, indem er vorsätzlich Fragen des Versicherers falsch beantwortet, so kann er sich hinterher nicht darauf berufen, dass dieser den wahren Sachverhalt hätte erfahren können (BGH VersR 1982, 182, 183; OLG Köln VersR 1990, 1225; Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 34 Anm. 2 C). Etwas anderes kann dann gelten, wenn die Beantwortung der Fragen Anlass zur Überprüfung von vorhandenen Datensammlungen oder sonst vorhandenem Wissen gibt (BGH r+s 1993, 361). Eine Aufklärungspflicht und folglich eine Verletzung dieser Pflicht durch den Versicherungsnehmer mag u.U. auch dann entfallen, wenn der Versicherer im Rahmen der Überprüfung des Versicherungsfalls den wahren Sachverhalt ohnehin aktuell in Erfahrung gebracht hat und die falschen Angaben des Versicherungsnehmers keinerlei schutzwürdige Interessen des Versicherers mehr beeinträchtigen können (OLG Hamm r+s 1993, 442). So liegt es hier indes nicht. Die Beklagte hatte auf Grund der falschen Auskunft des Klägers keinen Anlass, irgendwelche Nachforschungen hinsichtlich früherer Versicherungsfälle anzustellen. Es bestand vielmehr im Gegenteil auf Grund der Lüge des Klägers gerade die Gefahr, dass sie im Vertrauen auf dessen Angaben erhebliche Nachforschungen unterließ.
Die Inanspruchnahme der Leistungsfreiheit durch die Beklagte ist nicht treuwidrig. Dem Versicherer ist nur unter ganz besonderen Umständen die Inanspruchnahme der völligen Leistungsfreiheit unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben als rechtsmissbräuchlich versagt, wenn nämlich der Verlust des Versicherungsschutzes für den Versicherungsnehmer eine übermäßige Härte darstellt. Eine solche Ausnahme kommt in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und weitere Billigkeitsmomente zu Gunsten des Versicherungsnehmers ins Gewicht fallen (BGH VersR 1986, 77, 79; BGH VersR 1987, 149; BGH VersR 1993, 1351). Die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmetatbestands liegen hier nicht vor. Die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung des Klägers betrifft nicht nur einen Teil des geltend gemachten Anspruchs. Betroffen ist vielmehr die Regulierung des gesamten Schadens, da die Gefahr der Unterlassung der gebotenen Überprüfung des Schadenfalls durch die Beklagte bestanden hat. Besondere Umstände, die das Verhalten des Klägers in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.