Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.11.2022, Az.: 17 UF 126/22
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.11.2022
- Aktenzeichen
- 17 UF 126/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 56733
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Fundstelle
- FuR 2023, 237-238
In der Familiensache
P. C. H., geb. B., ,
Ehefrau und Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigte 1. Instanz:
Rechtsanwältin pp
gegen
U. H.,
Ehemann und Antragsgegner,
Beteiligte:
1. Zusatzversorgungskasse der Stadt H.,
2. Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover,
3. Deutsche Rentenversicherung Bund,
Beschwerdeführerin,
hat der 17. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht F., die Richterin am Oberlandesgericht B. und den Richter am Oberlandesgericht M. am 15. November 2022 beschlossen:
Tenor:
- I.
Auf die Beschwerde des Versorgungsträgers Deutsche Rentenversicherung Bund wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - B. vom 26. April 2022 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels, nur soweit die Teilung des Anrechts der Ehefrau beim Versorgungsträger Deutsche Rentenversicherung Bund betroffen ist, geändert und wie folgt neu gefasst:
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Versicherungskonto Nr. ) zu Gunsten des Ehemannes ein Anrecht in Höhe von 9,1506 Entgeltpunkten auf dessen Versicherungskonto Nr. bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, bezogen auf den 31. Oktober 2021, übertragen.
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Versicherungskonto Nr. ) zu Gunsten des Ehemannes ein Anrecht in Höhe von 0,2149 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auf dessen Versicherungskonto Nr. bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, bezogen auf den 31. Oktober 2021, übertragen.
Im Übrigen, hinsichtlich der weiteren, im Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - B. vom 26. April 2022 genannten Anrechte, verbleibt es beim Versorgungsausgleich aus dem Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - B. vom 26. April 2022.
- II.
Hinsichtlich der Kosten des Verfahrens in erster Instanz verbleibt es bei der Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - B. vom 26. April 2022. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet; von der Erhebung gerichtlicher Kosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.
- III.
Der Beschwerdewert beträgt bis € 1.000,-.
- IV.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die beteiligten Eheleute schlossen am 1996 die Ehe, die durch den hier nur zur Folgesache Versorgungsausgleich angefochtenen Beschluss vom 26. April 2022 geschieden worden ist, nachdem der Scheidungsantrag der Ehefrau dem Ehemann am 10. November 2021 zugestellt worden war.
Im angefochtenen Beschluss vom 26. April 2022 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Burgwedel den Versorgungsausgleich durchgeführt und dabei Anrechte beider Eheleute auf gesetzliche Altersversorgung und ein Anrecht des Ehemannes, der seit April 2021 Altersrente bezieht, auf Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes intern geteilt. Es hat dabei auch insoweit die Übertragung von Entgeltpunkten angeordnet, als die Ehefrau Entgeltpunkte für langjährige Versicherung erworben hatte.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Versorgungsträger Deutsche Rentenversicherung Bund mit seiner Beschwerde, mit der er begehrt, die von der Ehefrau erworbenen Anwartschaften auf Rente aufgrund langjähriger Versicherung durch Übertragung von "Entgeltpunkten für langjährige Versicherung" auszugleichen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung Bund ist begründet und führt dazu, das von der Ehefrau erworbene Anrecht aufgrund langjähriger Versicherung (die sogenannte Grundrente) durch Übertragung von Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, nicht aber von Entgeltpunkten, auszugleichen.
Die durch Gesetz vom 12. August 2020 (BGBl. I 2020 S. 1879) eingeführte Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung soll die Renteneinkünfte gesetzlich Versicherter, deren Einkommen während der Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit unterdurchschnittlich war und die deshalb nur wenige Entgeltpunkte erwerben konnten, aufgrund ihrer langjährigen Erwerbsarbeit erhöhen. Ob aus den insofern erworbenen Anwartschaften Rente zu zahlen ist, hängt (anders als bei sonstigen Rentenanwartschaften) insbesondere davon ab, ob und in welcher Höhe Einkommen nach § 97 SGB VI auf die daraus zu zahlende Rente anzurechnen ist. Vor diesem Hintergrund stellt § 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ausdrücklich fest, dass Entgeltpunkte und Entgeltpunkte, die als Zuschlag aufgrund langjähriger Versicherung berücksichtigt werden, nicht gleichartig sind. Der Ausgleich von Entgeltpunkten für langjährige Versicherung ist deshalb getrennt vom Ausgleich sonstiger Entgeltpunkte vorzunehmen (vgl. etwa OLG Bamberg v. 10. August 2022, 2 UF 88/22, juris; OLG Oldenburg v. 4. August 2022, juris). Dies hat das Amtsgericht zwar auch beachtet, dabei aber für beide Arten von Entgeltpunkten dieselbe Bezeichnung verwendet. Um insofern den gesonderten Ausgleich zu ermöglichen, hat der Senat die Entscheidung hinsichtlich des Anrechts der Ehefrau neu gefasst.
Das von der Ehefrau erworbene Anrecht auf Entgeltpunkte für langjährige Versicherung gehört zu den nach § 2 Abs. 2 VersAusglG auszugleichenden Anrechten (OLG Bamberg v. 10. August 2022, 2 UF 88/22, juris; OLG Oldenburg v. 4. August 2022, juris, dagegen OLG Frankfurt NJW 2022, 2763 [OLG Frankfurt am Main 21.07.2022 - 6 UF 108/22]; Strube NZFam 2022, 717, 720). Dem Anrecht wohnt zwar eine soziale Komponente inne, weil die Grundrente nur dann zu Zahlungen führt, wenn dafür aufgrund geringen Einkommens ein Bedürfnis besteht. Der Erwerb der Grundrentenpunkte beruht aber ausdrücklich auf (langjähriger) Arbeit; die entsprechenden Entgeltpunkte begründen - soweit kein anderes Einkommen vorhanden ist - auch Anspruch auf eine lebenslange Rente: Die Entgeltpunkte aufgrund langjähriger Versicherung ermöglichen es den langjährig erwerbstätigen Versicherten bei unzureichenden Einkünften eine erhöhte Rente zu erhalten. Bereit diese (von vorneherein als Ausnahme vorgesehene) Möglichkeit ist Gegenstand der Teilung im Versorgungsausgleich (vgl. insofern auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/18473 S. 39, wonach der Zuschlag dem Versorgungsausgleich - unabhängig von der Grundrentenberechtigung des Ausgleichsberechtigten - unterfallen soll).
Das Anrecht ist auch hinreichend verfestigt. Daran ändert der fehlende Rentenbezug des ausgleichspflichtigen Ehegatten nichts. Ein Anrecht ist nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG nicht ausgleichsreif und damit dem schuldrechtlichen Ausgleich vorzubehalten, wenn es nach Grund und Höhe nicht hinreichend verfestigt ist und spätere Entwicklungen den aus der Anwartschaft folgenden Versorgungswert noch (teilweise) entfallen lassen können (statt aller: BGH FamRZ 2014, 282). Zwar steht die Höhe der aus den Entgeltpunkten für langjährige Versicherung zu zahlenden Rente vor Rentenbeginn nicht fest, weil die Höhe eines etwaigen anzurechnenden Einkommens zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt ist. Das ändert aber nichts daran, dass es sich um ein ausreichend verfestigtes Anrecht handelt (ebenso OLG Bamberg v. 2. November 2022, 2 UF 136/22, juris, entgegen OLG Oldenburg v. 4. August 2022, juris). Der dem auszugleichenden Anrecht innewohnende Versorgungswert wird durch die Möglichkeit geprägt, geringe Renteneinkünfte bei ansonsten fehlendem Einkommen (das sich nach Renteneintritt auf Seiten beider Ehegatten jederzeit ändern kann) durch Grundrentenpunkte aufzustocken. Diese Möglichkeit kann nach Entstehung des Anrechts nicht mehr durch nachehezeitliche Umstände beeinträchtigt werden. Die Höhe des anzurechnenden Einkommens kann nicht den Bestand des Anrechts als solchen, sondern nur dessen konkrete Auswirkungen für den berechtigten Ehegatten beeinflussen und wirkt sich deshalb nicht auf die Ausgleichsreife aus.
Angesichts dessen führt auf Seiten des ausgleichsberechtigten Ehegatten vorhandenes Einkommen, das absehbar Zahlungen aus dem Anrecht ausschließt, auch nicht dazu, dass der Ausgleich unwirtschaftlich nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG wäre (a. A. OLG Frankfurt NZFam 2022, 848; Recknagel, in: Münchener Kommentar, BGB, 9. Aufl 2022, § 19 VersAusglG Rn. 24). Dem auszugleichenden Anrecht auf Grundrente wohnt seine Funktion, lediglich im Falle nicht ausreichender Einkünfte des berechtigten Ehegatten zu einer Zahlung zu führen, inne. Angesichts dessen verbietet es sich, dem ausreichend versorgten Ausgleichsberechtigten über den Umweg des schuldrechtlichen Ausgleiches zu einer vom Gesetzeszweck nicht vorgesehenen Zahlung zu verhelfen.
Die ausreichende Versorgung des ausgleichsberechtigten Ehegatten (und damit fehlende Zahlungen aus übertragenen Entgeltpunkten für langjährige Versicherung) stellen nach der gesetzlichen Konzeption, die das Anrecht auf Grundrente trotz seiner sozialen Komponente ausdrücklich dem Versorgungsausgleich unterstellt (vgl. BT-Drs. 19/18473 S. 39), auch keinen Grund dafür dar, dem Ausgleichspflichtigen das Anrecht zu belassen. Eine regelmäßige Korrektur über § 27 VersAusglG gebietet eine ausreichende Versorgung des berechtigten Ehegatten (jedenfalls ohne besondere, hier nicht erkennbare Umstände) dementsprechend gleichfalls nicht.
Die Geringfügigkeit des auf Entgeltpunkte für langjährige Versicherung gerichteten Anrechts hindert vorliegend den Ausgleich nicht. Nach § 18 Abs. 2 VersAusglG soll das Familiengericht ein einzelnes Anrecht dann nicht ausgleichen, wenn dessen Ausgleichswert gering ist. Hat ein Ehegatte ein Anrecht erworben, dessen Ausgleichswert gering im Sinne der Vorschrift ist, so steht der Ausgleich nach § 18 Abs. 2 VersAusglG im familiengerichtlichen Ermessen, wobei nach dem Wortlaut der Vorschrift regelmäßig von einem Ausgleich abzusehen ist. Bei Ausübung dieses Ermessens, die das Beschwerdegericht im Rahmen einer Beschwerde selbst unabhängig von den Erwägungen der ersten Instanz neu vorzunehmen hat (vgl. BGH FamRZ 2017, 97 f.), ist der Zweck der Vorschrift stets gegenüber der Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes abzuwägen, die mit dem Absehen von der Teilung verbunden wäre. Hätte die unterlassene Teilung der Anrechte einen unverhältnismäßigen Eingriff in den Halbteilungsgrundsatz zur Folge, so sind sie unabhängig von der Höhe seines Ausgleichswertes zu teilen (vgl. etwa BGH FamRZ 2017, 195 ff. Tz. 11; FamRZ 2016, 1658 ff. Tz. 8).
Dies führt hier zum Ausgleich des Anrechts. Zwar ist der Ausgleichswert des Anrechts gering, weil er mit einem korrespondierenden Kapitalwert in Höhe von € 1.660,45 hinter der in § 18 Abs. 3 VersAusglG festgelegten Grenze von 120% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV zum Ende der Ehezeit (die 2021 € 3.290,- betrug; 120% davon sind € 3.948,-) zurückbleibt. Die Teilung von Grundrentenpunkten verursacht indessen keinen relevanten Aufwand für den Versorgungsträger und ist auch mit keinen Kosten für den Versicherten verbunden. Auch ein Splitteranrecht entsteht nicht, wenn der Ausgleichsberechtigte (wie hier) ohnehin Zahlungen von der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Regelmäßig gebietet § 18 VersAusglG es deshalb nicht, von der Teilung von Entgeltpunkten für langjährige Versicherung abzusehen (vgl. etwa OLG Bamberg v. 2. November 2022, 2 UF 136/22, juris, a. A. OLG Nürnberg MDR 2022, 1288). Mangels besonderer Umstände hat es hier daher bei der grundsätzlich vorgesehenen Teilung des Anrechts zu verbleiben.
Soweit sich die Beschwerde auch gegen den Ausgleich des Anrechts des Ehemannes wendet und meint, auch dort seien Anrechte auf Entgeltpunkte für langjährige Versicherung betroffen, ist dies unzutreffend. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover vom 2. März 2022 hat der Ehemann vielmehr nach Rentenbeginn Zuschläge an Entgeltpunkten in der allgemeinen Rentenversicherung erworben, die seine Rente erst seit dem 1. Juli 2022 erhöhen. Bei diesen Zuschlägen handelt es sich um mit den übrigen Entgeltpunkten gleichartige Zuschläge, die nicht auf langjähriger Versicherung beruhen. Die zeitliche Staffelung hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung korrekt berücksichtigt. Lediglich in den Gründen hat es die Anrechte als Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung bezeichnet. Da in formelle und materielle Rechtskraft nur der Tenor erwächst, ist die unrichtige Bezeichnung in den Gründen letztlich unschädlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 FamFG; dabei sieht der Senat in entsprechender Anwendung des § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG von der Erhebung gerichtlicher Kosten ab. Es erscheint unbillig, die Eheleute mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu belasten. Die Wertfestsetzung ist in § 50 FamGKG begründet.
Im Hinblick auf die zwischen den Obergerichten streitige Beurteilung des Ausgleichs von Entgeltpunkten für langjährige Versicherung ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Es bedarf einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, um eine einheitliche Behandlung dieses Massenphänomens zu ermöglichen.