Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.11.2022, Az.: 18 U 2/22

Schadensersatzansprüche des Insolvenzverwalters aus Steuerberaterhaftung; Schuldhafte Pflichtverletzung einer Tätigkeits-, Beratungs- oder Aufklärungspflicht bzw. einer werkvertraglichen Verpflichtung im Rahmen des Steuerberatungsmandates in Bezug auf die Erstellung des Jahresabschluss

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
11.11.2022
Aktenzeichen
18 U 2/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 66383
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 07.01.2022 - AZ: 5 O 184/21

In dem Rechtsstreit
... - pp. - ..
hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. ..., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 11. November 2022
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 7. Januar 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen (§ 522 Abs. 2 ZPO).

  2. 2.

    Der Kläger erhält Gelegenheit, binnen zwei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses zu der beabsichtigten Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

  3. 3.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 886.858,23 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche aus Steuerberaterhaftung geltend.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der C. G. Bauelemente GmbH. Über das Vermögen der Gesellschaft wurde auf Insolvenzantrag vom 7. Dezember 2016 mit Beschluss vom 1. März 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt. Einziger Gesellschaftergeschäftsführer war bei Insolvenzantragstellung Herr C. G. Gegenstand des Unternehmens war der Handel mit Bauelementen und ähnlichen Werkstoffen. Die Beklagte zu 1 war mit der steuerlichen Betreuung einschließlich der monatlichen Kontierung aller Buchungsvorgänge, deren betriebswirtschaftlicher Auswertung (BWA) und der Erstellung von Jahresabschlüssen betraut, wobei das Mandat bei der Beklagten zu 1 von deren Geschäftsführer, dem Beklagten zu 2, bearbeitet wurde. Wie schon für die Vorjahre beauftragte die Insolvenzschuldnerin die Beklagte zu 1 mit der Erstellung des Jahresabschlusses mit Plausibilitätsbeurteilung auch für das Geschäftsjahr 2015 zum Stichtag 31. Dezember 2015. Der Jahresabschluss wurde im ersten Quartal 2016 auf der Grundlage von Fortführungswerten im Sinne von § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB mit Plausibilitätsbescheinigung erstellt, (Anlage K2, gesondert geheftet).

Bereits im Geschäftsjahr 2014 hatte die Insolvenzschuldnerin Verluste erwirtschaftet, wobei die bilanzielle Überschuldung zum 31.12.2014 bei knapp 85.000 €, sodann im Geschäftsjahr 2015 - bei einem erwirtschafteten Jahresüberschuss von über 35.000 € - bei knapp 49.000 € lag. Die Bank gewährte der Insolvenzschuldnerin mit Vertrag vom 8. März 2016 noch ein Darlehen in Höhe von 150.000 €, welches am 11. März 2016 ausgezahlt wurde, ferner ein Darlehen vom 2. Juni 2016 über 300.000 €, welches am 8. Juni 2016 ausgezahlt wurde. Obgleich ausweislich einer durch die Insolvenzschuldnerin der Beklagten zu 1 am 18. Februar 2016 übersandten Ertragsvorschau für das Jahr 2016 noch ein deutlicher Ertragsanstieg und ein vorläufiges Jahresergebnis in Höhe von über 100.000 € prognostiziert worden waren (Anlage 4, gesondert geheftet) und auch die betriebswirtschaftliche Auswertung für März 2016 ein vorläufiges positives Ergebnis von rd. 75.000 € ergeben hatte (Anlage 7, Bl. 133 d.A.), vervielfachte sich der Verlust der Insolvenzschuldnerin im Laufe des Jahres 2016 im Vergleich zum Vorjahr.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Erstellung des Jahresabschlusses für das Jahr 2015 in Anspruch. Er vertritt die Auffassung, dass bereits die Erstellung des Jahresabschlusses auf der Grundlage von Fortführungswerten unzulässig gewesen sei; es hätten vielmehr Zerschlagungswerte angesetzt werden müssen. Es habe bei der Insolvenzschuldnerin Anzeichen gegeben, die der Annahme einer Unternehmensfortführung im Sinne von § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB erkennbar entgegengestanden hätten, denen die Beklagten hätten nachgehen müssen. Bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung spätestens zum 17. Mai 2016 hätte ein Vertiefungsschaden in Höhe von 886.858,23 € verhindert werden können. Mit nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenem Schriftsatz vom 14. Dezember 2021 hat der Kläger ausgeführt, dass der Beklagte zu 2 der Schuldnerin selbst persönlich ein weiteres Darlehen über 100.000 € gewährt habe, was allein das Ziel gehabt habe, gegenüber der Bank die erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Schuldnerin zu verschleiern, denn das Darlehen sei der Ehefrau des Geschäftsführers zugewandt worden, damit diese das Darlehen sodann als vermeintlich Eigenes der Insolvenzschuldnerin habe zur Verfügung stellen können. Der Beklagte zu 2 habe mithin bereits im April 2016 gewusst, dass die beiden ausschließlich aufgrund neuer Sicherheiten gewährten Darlehen der Bank nicht ausreichend sein würden, um die absehbar drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden.

Die Beklagte hat demgegenüber Pflichtverletzungen in Abrede genommen. Eine Vervielfachung des Verlustes im Vergleich zum Vorjahr hätten die Beklagten im April 2016 nicht erkennen können, weil die Arbeiten am Jahresabschluss unstreitig bereits im April 2016 abgeschlossen gewesen seien und die Aprilzahlen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorgelegen hätten. Sowohl die positiven Zahlen der BWA bis März 2016 als auch das dem Unternehmen mit Vertrag vom 8. März 2016 zur Verfügung gestellte Darlehen in Höhe von 150.000 € hätten aus ihrer Sicht ein deutliches Indiz für die positive Fortführungsprognose dargestellt. Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin sei ausweislich Blatt 11 des Jahresabschlusses darüber informiert gewesen, dass die Gesellschaft zum Bilanzstichtag bilanziell überschuldet, die Überprüfung der rechtlichen Überschuldung aber nicht Gegenstand des Auftrages des Steuerberaters sei, weshalb sodann auftragsgemäß unter Fortführungsgesichtspunkten bilanziert worden sei. Eine weitergehende Verantwortlichkeit auf Beklagtenseite sei nicht gegeben, denn die Beklagten seien weder mit der Prüfung der Insolvenzreife des Unternehmens beauftragt gewesen, noch mit der Erstellung einer Fortführungsprognose. In dem Jahresabschluss sei zudem ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Geschäftsleitung in eigener Verantwortung das Vorliegen einer Insolvenzantragsverpflichtung prüfen müsse. Es hätte der originären Pflicht der Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin entsprochen, die wirtschaftliche Lage laufend zu beobachten und zu überwachen. Wenn der Jahresabschluss - entgegen ausdrücklichem Auftrag - nicht zu Fortführungswerten hätte erstellt werden sollen, so hätte der Geschäftsführer der Beklagten zu 1 entsprechende Mitteilung hierüber machen müssen. Infolge der erfolgten Warnungen habe der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin auch eine Rangrücktrittserklärung im Umfang eines Betrages von 200.000 € unterzeichnet, wodurch das negative Eigenkapital ausgeglichen worden sei (Anlage 6, gesondert geheftet). Zutreffend sei, dass der Beklagte zu 2 der Ehefrau des Gesellschaftergeschäftsführers, den er langjährig gekannt und geschätzt habe, auf dessen Bitte hin ein privates Darlehen über 100.000 € gewährt habe, mit der Maßgabe, dieses Darlehen ausschließlich für private Zwecke, insbesondere die Rückführung privater Darlehen, zu verwenden.

In einem vor dem Landgericht Hildesheim zum Aktenzeichen 5 O 185/19 geführten Vorprozess hatte der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin bereits die Beklagte zu 1 auf Schadensersatz aus Steuerberaterhaftung in Verbindung mit den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Anspruch genommen und eine Verletzung steuervertraglicher Pflichten geltend gemacht. Nachdem die Klage in erster Instanz abgewiesen worden war, hat der Senat nach vorangegangenem Hinweisbeschluss vom 16. Februar 2021 die Berufung mit Beschluss vom 12. April 2021 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen (18 U 12/20).

Zur Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil, insbesondere die Wiedergabe des Parteivortrages mit den gestellten Anträgen im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils vom 7. Januar 2022 Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Rechtsgedanke der §§ 429 Abs. 3 Satz 1, 425 Abs. 2 BGB vorliegend gegen die Annahme einer Rechtskrafterstreckung spreche, weshalb die Klage im Ergebnis zulässig sei. Die Klage sei jedoch unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch wegen einer Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen des Steuerberatungsvertrages gemäß §§ 675, 280 Abs. 1, 634 Nr. 4, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Ungeachtet der Frage, ob der Insolvenzverwalter überhaupt befugt sei, einen Schadensersatzanspruch gegen einen Steuerberater wegen der Verursachung eines Insolvenzvertiefungsschadens geltend zu machen, fehle es vorliegend an einer Pflichtverletzung der Beklagten. Grundsätzlich sei nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB bei der Bilanzierung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstünden. Eine mögliche bilanzielle Überschuldung für die Jahre 2014 und 2015 reiche als Indiz für eine gebotene Abkehr vom Fortführungsgrundsatz nicht aus. Bereits aufgrund der Darlehensgewährung durch die Bank hätten die Beklagten von einer Fortführung ausgehen dürfen. Nicht ausreichend substantiiert sei die Behauptung des Klägers, der Beklagte zu 2 habe bereits im April 2016 gewusst, dass die gewährten Darlehen nicht ausreichen würden, um die absehbar drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Nicht nachvollziehbar sei insbesondere die angebotene Begründung, wonach die Kenntnis des Beklagten zu 2 daran deutlich werde, dass dieser in Kenntnis der unzureichenden Liquiditätsausstattung der Insolvenzschuldnerin ein Darlehen über 100.000 € gewährt und dieses dadurch verschleiert habe, dass er es an die Ehefrau des Geschäftsführers gewährt habe. Es sei nicht ansatzweise nachvollziehbar, warum der Beklagte zu 2 gerade in vermeintlicher Kenntnis einer möglichen Insolvenzreife der Insolvenzschuldnerin dieser ein Darlehen über einen derartig nennenswerten Betrag gewähren und damit ein eigenes wirtschaftliches Risiko habe eingehen wollen. Auch das positive Prognoseergebnis bis März 2016 hätte es im Ergebnis gerechtfertigt, von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen. Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt 2015/Anfang 2016 hätte es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entsprochen, dass bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz keine Hinweispflicht des Beraters gegenüber einer GmbH dahingehend bestehe, dass der Geschäftsführer ggf. eine Überprüfung der Insolvenzreife vornehmen müsse.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Der Kläger macht geltend, die Handelsbilanz, aus der sich die bilanzielle Überschuldung ergebe, hätte die insolvenzrechtliche Überschuldung der Gesellschaft indiziert. Allein aufgrund der schon länger bestehenden bilanziellen Überschuldung hätte nicht mehr ohne Weiteres von Fortführungswerten ausgegangen werden dürfen. Auch die Gewährung eines Kredites könne an der Überschuldung nichts ändern. Zu berücksichtigen sei vielmehr, dass die Bank nur gegen Stellung von persönlichen Sicherheiten der Eheleute G. Darlehen gewährt und auch der Beklagte zu 2 die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft erkannt habe, weil er der Ehefrau des Geschäftsführergesellschafters ein Darlehen gewährt habe. Schließlich hätte in einer Gesamtschau auch berücksichtigt werden müssen, dass der Geschäftsführer erkrankt gewesen sei. Die Beklagten hätten die ihnen zur Verfügung gestellten Unterlagen und Informationen im Übrigen nicht schlicht verwenden dürfen, sondern hätten Befragungen und analytische Beurteilungen durchführen müssen. Im Ergebnis hätten die Beklagten bei der Jahresabschlusserstellung eine Pflichtverletzung dadurch begangen, dass sie trotz der eindeutigen Indizien, die auf eine Insolvenzreife schließen ließen, noch zu Fortführungswerten bilanziert und damit eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung verhindert hätten.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgericht Hildesheim zum Aktenzeichen 5 O 184/21 die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 886.858,23 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und halten an ihrer Auffassung fest, dass die klägerseitig geltend gemachten Verluste im Jahr 2016 aus der maßgeblichen ex ante Sicht einer Unternehmensfortführung nicht entgegenstanden. Eine mögliche bilanzielle Überschuldung des Unternehmens reiche als Indiz für eine gebotene Abkehr vom Fortführungsgrundsatz gerade nicht aus. Unstreitig sei, dass die Beklagten weder mit einer insolvenzrechtlichen Beratung der Geschäftsführung der späteren Insolvenzschuldnerin noch mit der Erstellung einer Überschuldungsbilanz beauftragt gewesen seien. Die Unterdeckung in der vom Steuerberater erstellten Bilanz könne zwar einen indiziellen Hinweis auf die möglicherweise drohende oder bereits eingetretene Überschuldung ergeben, sie weise diese aber nicht aus. Es hätte der im maßgeblichen Zeitpunkt zugrunde zu legenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entsprochen, dass dem Steuerberater nicht die Pflicht auferlegt werden könne, auf bloßen äußeren Verdacht hin den Hinweis zu erteilen, die Gesellschaft sei möglicherweise überschuldet. Im Übrigen sei der Geschäftsführung des Unternehmens die bilanzielle Überschuldung in den Jahren 2014 und 2015 bewusst gewesen. Es habe kein Wissensvorsprung auf Seiten der Beklagten bestanden. Ausweislich der BWA habe sich für März 2016 ein vorläufiges positives Ergebnis von rd. 75.000 € ergeben, wobei der kumulierende Verlustbetrag von rd. 48.000 € deutlich niedriger ausgefallen sei, als der kumulierende Vorjahresquartalsverlust von rd. 77.000 €. Dem Liquiditätsverlust durch den Wareneinkauf habe der Eingang von kundenseitigen Anzahlungen gegenübergestanden, die zu einem positiven Liquiditätseffekt geführt hätten. Die Beklagten hätten für ihre Beurteilung nur die ihnen von Seiten des Unternehmens vorgelegten Zahlen und Unterlagen zugrunde legen können. Im Hause der Beklagten hätten wesentliche Bestandteile der Buchhaltungsunterlagen für April 2016 gefehlt, sodass die Finanzbuchhaltung zum maßgeblichen Zeitpunkt insoweit noch nicht hätte abschließend bearbeitet werden können. Der Steuerberater, der mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragt sei, sei aber ohne ausdrücklichen Auftrag nicht verpflichtet, über die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen hinaus und die ihm sonst bekannten Umstände umfassend Nachforschungen oder Untersuchungen anzustellen, ob die Fortführungsprognose noch gerechtfertigt sei. Die Gewährung eines privaten Darlehens durch den Beklagten zu 2 an die Eheleute G. habe schließlich sicherstellen sollen, dass die Eheleute sich nicht veranlasst sehen würden, auf die dem Unternehmen seitens der Bank gewährte Liquidität zurückzugreifen, um private Verpflichtungen zu erfüllen. Es fehle vorliegend ferner an der haftungsausfüllenden Kausalität. Denn einer insolventen GmbH entstehe durch eine - unterstellte - Pflichtverletzung des Steuerberaters bei der Jahresabschlusserstellung nur dann ein ersatzfähiger Vermögensschaden in Form der Vertiefung ihrer Überschuldung, wenn feststehe, dass der Geschäftsführer ohne dieses - unterstellt - pflichtwidrige Handeln die Frage der Insolvenz geprüft und hieran anschließend einen Insolvenzantrag gestellt hätte. Vorliegend aber habe sich der Geschäftsführer der späteren Insolvenzschuldnerin in Kenntnis der sein Unternehmen belastenden Krisenindikatoren zur Abgabe einer Rangrücktrittserklärung, nicht jedoch zur Stellung eines Insolvenzantrages entschieden. Schließlich wäre ein überwiegendes Mitverschulden seitens der Insolvenzschuldnerin zu berücksichtigen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die Berufungsbegründung sowie die übrigen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Es handelt sich um einen Einzelfall, dessen Entscheidung von den tatsächlichen Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung abhängig ist und dem deshalb grundsätzliche Bedeutung nicht zukommt. Gegenteiliges zeigt die Berufung des Klägers auch nicht auf. Eine mündliche Verhandlung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO hält der Senat nicht für geboten.

III.

Die Berufung des Klägers bietet auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Mit auch gegenüber dem Berufungsvorbringen zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Berufungsbegründung des Klägers rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Der Senat nimmt daher zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Gründe des angefochtenen Urteils, denen er nach eigener kritischer Prüfung beitritt, um zusammenfassend und ergänzend auf Folgendes hinzuweisen:

1. Mit zutreffenden Erwägungen ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klage trotz rechtskräftig klagabweisend entschiedenem Vorverfahren des Landgerichts Hildesheim zum Aktenzeichen 5 O 185/19 zulässig ist, was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (BGH NJW-RR 1990, 45 [BGH 05.10.1989 - IX ZR 233/87]; Musielak/Voit ZPO, 19. Aufl., § 529 Rn. 21, zitiert nach beck-online). Denn in dem Vorprozess klagte der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin gegen die Beklagte zu 1, während der Insolvenzverwalter im hiesigen Verfahren als Partei kraft Amtes auftritt. Ein Urteil, welches im Verhältnis zu einem Gesamtgläubiger ergeht, entfaltet auch nach Rechtskraft keine Gesamtwirkung. Dies gilt sowohl für Urteile zugunsten als auch zulasten des Schuldners (BeckOGK/Kreße BGB § 429 Rn. 25, Heinemeyer in: Münchener Kommentar zum BGB 9. Aufl. 2022 § 429 Rn. 6, zitiert nach beck-online).

2. Zu Recht hat das Landgericht die Klage jedoch als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch aus §§ 675, 280 Abs. 1, 634 Nr. 4 BGB wegen schuldhafter Pflichtverletzung einer Tätigkeits-, Beratungs- oder Aufklärungspflicht bzw. einer werkvertraglichen Verpflichtung im Rahmen des Steuerberatungsmandates in Bezug auf die Erstellung des Jahresabschlusses 2015.

Weder ist ersichtlich, dass eine mangelhafte Erstellung der Bilanzen ursächlich für den der Schuldnerin ggf. entstandenen Schaden war, noch dass die Beklagten ihre Pflichten in Folge eines unterlassenen Hinweises auf eine bestehende Insolvenzreife verletzt hätten.

Der mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater schuldet grundsätzlich einen den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, die Grenzen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeit nicht überschreitenden und in diesem Sinne richtigen Jahresabschluss (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 - IX ZR 285/14, zitiert nach juris Rz. 19). Nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist in einer Handelsbilanz bei der Bewertung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Von diesen Grundsätzen darf gemäß § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Die Fortführung der Unternehmenstätigkeit ist nach dem Gesetz der zunächst zu unterstellende Regelfall. Selbst bei Zweifeln an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens ist unter Fortführungsgesichtspunkten zu bilanzieren (BGH, a.a.O. Rz. 25). Die Fortführungsvermutung entfällt erst dann, wenn es objektiv fehlerhaft wäre, von der Aufrechterhaltung der Unternehmenstätigkeit auszugehen. Die Umstände müssen ergeben, dass die Einstellung der Unternehmenstätigkeit unvermeidbar oder beabsichtigt ist. Eine Bewertung zu Liquidationswerten hat erst zu erfolgen, wenn feststeht, dass das Unternehmen nicht mehr fortgeführt werden kann. Dies erfordert eine Prognoseentscheidung aus der Sicht ex ante, ob das Unternehmen seine Tätigkeit für einen überschaubaren Zeitraum voraussichtlich fortsetzen wird. Objektiv falsch ist eine Bilanzierung nach Fortführungswerten daher nur dann, wenn zum maßgebenden Zeitpunkt der Prognoseentscheidung feststeht, dass die Unternehmenstätigkeit bis zum Ablauf des Prognosezeitraums aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eingestellt werden wird (BGH, a.a.O. Rz. 24).

Dabei ist der Steuerberater ohne besondere Vereinbarung nicht verpflichtet, von sich aus die für die Fortführungsprognose (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) erheblichen Tatsachen zu ermitteln. Der Steuerberater hat den Jahresabschluss lediglich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm bekannten Umstände zu erstellen. Nur in diesem Rahmen hat er zu prüfen, ob tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten bestehen, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen (BGH, a.a.O. Rz. 36, 40). Dabei ist die bilanzielle Überschuldung noch kein Insolvenzgrund (BGH, a.a.O. Rn. 34) und reicht per se als Indiz für eine gebotene Abkehr vom Fortführungsgrundsatz nicht aus (OLG Koblenz, Beschluss vom 12. Mai 2020 - 8 U 2071/19, zitiert nach beck-online).

Entgegen der Ansicht des Klägers geht der Senat nicht davon aus, dass tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten sich derart konkretisiert haben, dass in einer Gesamtschau die Unternehmenstätigkeit - für die Beklagten ersichtlich - eingestellt werden würde. Nach den den Beklagten zur Verfügung stehenden Unterlagen wies die Schuldnerin zwar wiederholt Verluste auf, allerdings hatte sich die bilanzielle Überschuldung zum 31. Dezember 2014 zum Ende des nachfolgenden Bilanzjahres zum 31. Dezember 2015 nahezu halbiert. Aus der als Anlage 7 beigefügten BWA ergab sich für März 2016 ein vorläufiges positives Ergebnis von rd. 75.000 €. Der kumulierte Verlust in der Zeit von Januar bis März 2016 fiel mit rd. 48.000 € auch deutlich niedriger aus, als der kumulierte Vorjahresquartalsverlust von rd. 77.000 €. Damit lässt sich gerade nicht feststellen, dass Verluste vorlagen, die zu einem ständig steigenden Fehlbetrag führten. Auch die Darlehensvergabe durch die Bank in Höhe von 150.000 € aufgrund Darlehensvertrages vom 8. März 2016 verdeutlicht, dass mit einer Fortführung des Unternehmens gerechnet wurde. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob für die Beklagten vor Unterzeichnung der Bescheinigung zum Jahresabschluss klar war, dass nicht nur der Teilbetrag von 150.000 € bereits ausgezahlt war, sondern auch der weitere zugesagte Teilbetrag von 300.000 € zeitnah folgen werde. Denn eine Darlehensgewährung durch ein Kreditinstitut führt in jedem Fall dazu, dass der Gesellschaft weitere Liquidität zugeführt wird und spricht damit regelmäßig für die Annahme einer positiven Fortführungsprognose. Selbst bei kritischer Unternehmenslage gilt der Grundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB solange, wie nicht Umstände sichtbar werden, die die Fortführung unwahrscheinlich erscheinen lassen oder zweifelsfrei Unmöglichkeit der Fortführung bekannt ist (BGH, a.a.O. Rz. 25).

Soweit der Kläger mit nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenem Schriftsatz behauptet hat, der Beklagte zu 2 habe bereits im April 2016 gewusst, dass auch die von der Bank gewährten Darlehen nicht ausreichen würden, um die absehbar drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden und dass das von dem Beklagten zu 2 sodann persönlich gewährte Darlehen über 100.000 € einzig zum Ziel gehabt habe, gegenüber der Bank die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Schuldnerin zu verschleiern, ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es sich hierbei um unsubstantiierten Vortrag handelt. Eine Beweisaufnahme auf Grundlage derart vagen Vorbringens wäre auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen. Das Landgericht war auch nicht gehalten, auf diesen Vortrag hin die Verhandlung wieder zu eröffnen. Zum einen wurde durch den in der mündlichen Verhandlung gewährten Schriftsatznachlass vom 5. November 2021 (Bl. 150 d. A.) nicht gänzlich neuer Vortrag gestattet, zum anderen hatte das Landgericht bereits mit Ladungsverfügung vom 2. September 2021 (Bl. 114 d.A.) darauf hingewiesen, dass die Frage der Darlehensgewährungen bedeutsam dafür sei, ob Indizien für eine Betriebsfortführung vorhanden waren. Vor dem Hintergrund dieses Hinweises, hätte es dem Kläger oblegen, ausreichend rechtzeitig und substantiiert zu dieser Thematik vorzutragen. Soweit unstreitig zwischen den Parteien geblieben ist, dass es tatsächlich zu einer privaten Darlehensgewährung durch den Beklagten zu 2 gekommen ist, kann hieraus keine Prognose zur wirtschaftlichen Gesamtsituation der Insolvenzschuldnerin abgeleitet werden. Schließlich ist nicht ersichtlich, inwieweit die Krankheit des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin der Bilanzierung nach Fortführungswerten entgegengestanden hätte. Für die Beklagten ersichtlich stand neben dem Geschäftsführer auch Herr M. L. als Ansprechpartner im Unternehmen der Insolvenzschuldnerin zur Verfügung, der der Beklagten zu 1 per Mail vom 18. Februar 2016 die Planzahlen sowie die Ertragsvorschau für das Jahr 2016 zugesandt hatte (Anlage 4, gesondert geheftet). Da die Beklagten nicht verpflichtet waren, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln, durften sie diese ihnen zur Verfügung gestellten Planzahlen im Rahmen der Prognoseentscheidung berücksichtigen. Danach waren für das Jahr 2016 ein deutlicher Umsatzanstieg und ein deutlicher Ertragsanstieg zu erwarten und es wurde ein Jahresergebnis von über 100.000 € prognostiziert. Dieses konnte vor dem Hintergrund des im Jahr 2015 erzielten Jahresüberschusses von über 35.000 € nach dem Verlust von rd. 147.000 € im Jahr 2014 (Bl. 32 des Jahresabschlusses) als Anhaltspunkt für einen Aufwärtstrend gesehen werden. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Beklagten für das Jahr 2016 Anhaltspunkte für die Einstellung der Unternehmenstätigkeit gehabt haben sollen. Die Klägerseite trägt auch in der Berufung nicht konkret vor, auf welche Zahlen für das Geschäftsjahr 2016 der Beklagte zu 2 insoweit hätte zurückgreifen und welche Entwicklung von ihm hätte vorausgesagt werden müssen.

Der Steuerberater hat den Jahresabschluss lediglich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen und der ihm bekannten Umstände zu erstellen, sodass die Beklagten auch für ihre Beurteilung nur die ihnen von Seiten des Unternehmens vorgelegten Zahlen und Unterlagen zugrunde legen konnten. Inwieweit sie aus den mitgeteilten vorläufigen Zahlen für 2016 darauf hätten schließen sollen, dass die Unternehmensfortführung in der Zukunft unmöglich sein würde, ist nicht mit der erforderlichen Substanz dargetan.

Eine Pflichtverletzung der Beklagten folgt auch nicht aus einem unterlassenen Hinweis auf eine bestehende Insolvenzreife. Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass Anfang 2016 die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus Januar 2017 zu den heute relevanten Pflichten des Steuerberaters bei Jahresabschlusserstellung nicht bekannt und nicht absehbar war. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur maßgeblichen Zeit Anfang Januar 2016 (BGH, Urteil vom 7. März 2013 - IX ZR 64/12) war es nicht Aufgabe des mit der allgemeinsteuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass es die Pflicht des Geschäftsführers sei, eine Überprüfung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, ob Insolvenzreife eingetreten sei und ggf. gemäß § 15a InsO Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden müsse. Gleichwohl ist der Hinweispflicht vorliegend genügt, da in dem Jahresabschluss unmissverständlich die bilanzielle Überschuldung der Firma festgestellt und darauf hingewiesen worden ist, dass die Geschäftsleitung in eigener Verantwortung das Vorliegen einer Insolvenzantragsverpflichtung prüfen müsse, weil die Prüfung der rechtlichen Überschuldung gerade nicht Gegenstand des Auftrages gewesen sei.

3. Schließlich fehlt es auch an der für den geltend gemachten Schaden erforderlichen Kausalität, da sich der Geschäftsführer der späteren Insolvenzschuldnerin in Kenntnis der sein Unternehmen belastenden Krisenindikatoren, insbesondere dem ausdrücklichen Hinweis in dem Jahresabschluss, gerade nicht zu einer früheren Stellung des Insolvenzantrages entschlossen hat. Die Kausalität der fehlerhaften Bilanz für den geltend gemachten Insolvenzverschleppungsschaden, insbesondere also den unterlassenen Insolvenzantrag muss der Insolvenzverwalter beweisen (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 - IX ZR 285/14, zitiert nach juris Rz. 42).

Schließlich trug der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin die primäre Verantwortung dafür, dass nicht unverzüglich weitere Überprüfungen eingeleitet wurden. Die Geschäftsführung der späteren Insolvenzschuldnerin hätte aufgrund ihrer originären Zuständigkeit eine weitergehende und engmaschigere Prüfung sicherstellen müssen, was nicht geschehen ist. Soweit hierdurch die Überschuldung vertieft worden sein sollte, wäre ein ganz überwiegendes Mitverschulden der Gesellschaft bzw. ihres Geschäftsführers zu Grunde zu legen, infolgedessen eine Haftung der Beklagten erheblich gemindert bzw. ausgeschlossen wäre (BGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - IX ZR 204/12, WM 2013, 1323 Rn. 29 ff.; BayObLG Urteil vom 18. Dezember 2018 - 3 U 169/17, zitiert nach juris; Senat, Beschluss vom 3. Februar 2021 - 18 U 12/20), worauf es vorliegend aber nicht entscheidend ankommt.