Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 11.03.2014, Az.: 4 A 6262/12
Rechtmäßigkeit einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung gegenüber privaten Grundstückseigentümern
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 11.03.2014
- Aktenzeichen
- 4 A 6262/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 27711
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2014:0311.4A6262.12.0A
Rechtsgrundlage
- § 4 Abs. 3 BBodSchG
In der Verwaltungsrechtssache
1. der A.,
2. des B.,
C,
Kläger,
Proz.-Bev.
zu 1-2: D.
gegen
die Region Hannover, vertreten durch den Regionspräsidenten, Hildesheimer Straße 20, 30169 Hannover, - 301330/36.12Ka415/12 -
Beklagte,
Beigeladen:
Landeshauptstadt Hannover - Fachbereich Recht und Ordnung - - Fachbereichsübergreifende Rechtsangelegenheiten -, vertreten durch den Oberbürgermeister, Schmiedestraße 24, 30159 Hannover,
Proz.-Bev.:
E.
Streitgegenstand: Anfechtung einer Sanierungsanordnung
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 4. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht F., die Richterin am Verwaltungsgericht G., die Richterin am Verwaltungsgericht H., den ehrenamtlichen Richter I. und die ehrenamtliche Richterin J.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen eine bodenschutzrechtliche Sanierungsanordnung der Beklagten.
Die Kläger sind seit 1999 Eigentümer des Grundstücks K., das mit einem Mehrfamilienhaus bebaut ist. Zwischen Gebäude und Straße erstreckt sich ein Vorgarten. Der rückwärtige Gartenbereich besteht aus einer Rasenfläche, die von Bäumen und Büschen eingerahmt ist.
Das Grundstück der Kläger war Bestandteil des Betriebsgeländes der von 1861 bis 1902 in Hannover-List produzierenden Chemischen Fabrik Eugen de Haen & Cie. In der Chemischen Fabrik wurden zahlreiche (Schwer-) Metallsalze und -oxide, Säuren, Laugen und Verbindungen aus radioaktiven Elementen hergestellt; u. a. Uransalze und -oxide zum Färben von Glas und Keramik/Thorium- und Strontiumpräparate für die Gasglühlichtproduktion, Teerölprodukte, Glyzerin, Goldschwefel, Fluss-Säure, Arsen und Chromsäure.
Nachdem die Produktion im Jahre 1902 nach Seelze verlegt worden war, stand das Betriebsgelände einige Zeit leer. 1913 wurden die letzten Fabrikgebäude mit Ausnahme des Verwaltungsgebäudes abgerissen. Die nördlich der Straße Wittekamp gelegene Abfallhalde "Gipsberg" wurde 1928 abgetragen. Bereits im Jahre 1925 begann die Bebauung des Fabrikgeländes durch den Beamten-Wohnungs-Verein; zunächst rund um den De-Haen-Platz, dann auch beidseits der Hertzstraße.
Das Grundstück der Kläger liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Der Flächennutzungsplan der Beklagten weist es als Wohnbaufläche aus.
Nach Hinweisen des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes auf möglicherweise aus dem Betrieb Eugen de Haens stammende radioaktive Altlasten im Umfeld des De-Haen-Platzes beauftragte die Beklagte im Juli 2008 die HGN Hydrogeologie GmbH mit der Durchführung von radiologischen Erkundungen und die DEKRA Umwelt GmbH mit der Ersterkundung einzelner Grundstücke hinsichtlich produktionsbedingter Bodenkontaminationen. Diese Untersuchungen ergaben für das Grundstück der Kläger Anhaltspunkte für eine deutlich erhöhte Strahlenbelastung in der Kellerluft und für Bodenbelastungen im rückwärtigen Gartehbereich mit Blei, Arsen und Thorium, die die nach der Bodenschutzverordnung vorgegebenen Prüfwerte z. T. ganz erheblich übersteigen.
Nachdem die Beklagte zunächst erfolglos versucht hatte, die Fa. Honeywell Specialty Chemicals Seelze GmbH als Rechtsnachfolgerin der Eugen de Haen & Cie zu Detailuntersuchungen der Altlast zu verpflichten (vgl. Urt. der Kammer vom 24.11.09 - 4 A 2022/09 -), ließ sie selbst einen Sanierungsplan für das betroffene Gebiet erstellen und Detailuntersuchungen vornehmen. Für den rückwärtigen Garten der Kläger ergaben diese Untersuchungen Bleigehalte, die den Prüfwert für ein Wohngebiet überschreiten (chemische Bewertung vom 16.12.10) und eine Strahlenbelastung, die die tolerierbare zusätzliche Dosis weit übersteigt (radiologische Bewertung vom 30.03.09). Der im März 2010 erstellte Sanierungsplan erarbeitet mehrere Sanierungsvarianten und empfiehlt als Sanierungsmaßnahme für die Gartenbereiche die Entfernung der unbefestigten Bodenschicht bis zu einer Tiefe von 0,35 m, das Einbringen eines Schutzvlieses sowie das Aufbringen einer 0,60 m starken Schicht unbelasteten Bodens.
Da ein Sanierungsvertrag zwischen Klägern und Beklagter nicht zustande kam, ordnete die Beklagte mit Bescheid vom 23.03.12 u. a. an, den Gartenbereich zu sanieren, einen Sanierungsplan durch einen Sachverständigen aufstellen zu lassen und die ordnungsgemäße Durchführung der Sanierungsmaßnahme durch einen Sachverständigen zu dokumentieren. Die Kläger seien als Grundstückseigentümer sanierungspflichtig, die Beigeladene oder die Erben Eugen de Haens könnten nicht als Verursacher der Altlast angesehen werden. Die angeordneten Sanierungsmaßnahmen seien geeignet und erforderlich. In Anbetracht des erheblichen Grundstückswertes sei die angeordnete Maßnahme auch im Hinblick auf die verursachten Kosten nicht unverhältnismäßig.
Auf den Widerspruch der Kläger gab die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.12 ihre Forderung nach Erstellung eines Sanierungsplanes auf und veränderte ihre Anordnungen geringfügig. Die Kläger werden nunmehr aufgefordert, auf der betroffenen Fläche eine so mächtige saubere Bodenschicht aufzubringen, dass eine Ortsdosisleistung von 0,5 |jSv/h in 1 m Höhe über der Geländeoberfläche dauerhaft deutlich unterschritten wird, mindestens aber 0,35 m. Zudem werden die Vorlage eines Ablaufplanes und weitere Einzelnachweise gefordert. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der angefochtenen Verfügungen Bezug genommen.
Am 08.11.12 haben die Kläger Klage erhoben, die sie im Wesentlichen wie folgt begründen: Die Beklagte habe ihr Auswahlermessen hinsichtlich der infrage kommenden Sanierungspflichtigen nicht ausgeübt. So hätten die Beigeladene, die erst durch Freigabe des belasteten Geländes für Wohnbauzwecke die Gefahrengrenze überschritten habe, und die zweite Erbengeneration nach Eugen de Haen in die Störerauswahl einbezogen werden müssen. Aufgrund ihrer fehlerhaften Bauleitplanung sei die Beigeladene sogar in erster Linie zur Sanierung verpflichtet. Die Beigeladene könne die Sanierung auch viel effektiver vornehmen als die Eigentümer der insgesamt 45 sanierungsbedürftigen Grundstücke.
Die Anordnung, die humose Bodenschicht abzutragen, belaste sie unverhältnismäßig. Auch der Sanierungsplan vom März 2010 halte den bloßen Bodenauftrag in einer Mächtigkeit von 0,35 m für ausreichend. Sie seien außerdem bereit, den Gartenbereich dauerhaft vor dem Betreten zu sichern.
Mit Bescheid vom 10.03.14 hat die Beklagte ihre Sanierungsanordnung dahingehend ergänzt, dass als weitere Sanierungsvariante auch eine vollständige Versiegelung des Gartenbereichs in Betracht komme, sofern andere öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstünden. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte weiter erklärt, dass sie ihre Forderung nach einem zeitlichen und inhaltlichen Ablauf plan sowie nach Entsorgungs- und Arbeitsschutznachweisen lediglich als Hinweis verstanden wissen wolle.
Die Kläger beantragen,
die Anordnung der Beklagten vom 23.03.12 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.12 und mit der Maßgabe des Änderungsbescheides vom 10.03.14 und der von der Beklagten abgegebenen Erklärung in der mündlichen Verhandlung aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und ergänzt: Die Beigeladene habe keinerlei Handlungen vorgenommen, die Bodenfunktionen hätten beeinträchtigen können. Bereits deshalb komme sie als Verursacherin der Altlast nicht in Betracht. Das ehemalige Betriebsgelände sei vor der Bebauung stets frei zugänglich gewesen, so dass bereits zu diesem Zeitpunkt Gesundheitsgefahren hinreichend wahrscheinlich gewesen seien. Ob die Beigeladene u. U. unter Amtshaftungsgesichtspunkten verantwortlich sei, könne dahinstehen, da die Verschuldensfrage im Gefahrenabwehrrecht irrelevant sei.
Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 BBodSchG könne die zweite Erbengeneration nicht mehr in Anspruch genommen werden.
Doch selbst wenn Beigeladene und/oder Erben Eugen de Haens als Störer in Betracht zu ziehen wären, sei die Inanspruchnahme der Kläger nicht ermessensfehlerhaft. Bei tatsächlich ungeklärter oder rechtlich ungesicherter Verhaltensverantwortung sei die Inanspruchnahme des eindeutig festzustellenden Zustandsstörers im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr nicht zu beanstanden.
Die Forderung, die humose Bodenschicht abzutragen, sei sachgerecht. Würden Rasensoden und Wurzelwerk nicht entfernt, lasse sich kein stabiles Bodengefüge herstellen. Nach § 12 Abs. 9 BBodschV sei beim Aufbringen von Materialien von einer Mächtigkeit von mehr als 0,20 m auf ein stabiles Bodengefüge hinzuwirken.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie könne nicht als Verantwortliche für die Sanierung in Anspruch genommen werden, weil sie die schädliche Bodenveränderung nicht verursacht und dazu auch keinen unmittelbaren Verursacherbeitrag geleistet habe. Ebenso wenig könne sie unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung herangezogen werden.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.03.12 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.12 und des Änderungsbescheides vom 10.03.14 sowie nach Maßgabe der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihrem Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Rechtsgrundlage der Sanierungsanordnung sind die §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG. Danach kann die Beklagte als nach § 10 NBodenschG zuständige Behörde u. a. den Grundstückseigentümer verpflichten, schädliche Bodenveränderungen und Altlasten so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder sonstige Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen.
Bei dem ehemaligen Betriebsgelände der Chemischen Fabrik Eugen de Haen & Cie, auf dem auch das Grundstück der Kläger liegt, handelt es sich um eine Altlast i. S. d. § 2 Abs. 5 Nr. 2 BBodSchG. Es ist zunächst ein Altstandort, denn es gehört zu den Grundstücken stillgelegter Anlagen, auf denen mit umweltgefährdenden Stoffen umgegangen worden ist. Beim Betrieb der Chemischen Fabrik fielen als Produktionsreste insbesondere giftige Schwermetalle wie Arsen und Blei sowie radioaktive Substanzen wie Thorium an. Nach der Verlagerung der Produktion nach Seelze im Jahre 1902 verblieben die Produktionsreste größtenteils auf dem Betriebsgelände und wurden dort eingeebnet. Als ein solcher Altstandort bildet dieses ehemalige Fabrikgelände eine Altlast im Sinne der Definition in § 2 Abs. 5 Nr. 2 BBodSchG, weil es schädliche Bodenveränderungen hervorruft.
Schädliche Bodenveränderungen i. S. d. § 2 Abs. 3 BBodSchG sind Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit herbeizuführen. Dies ist nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BBodSchG in der Regel gegeben, wenn die im Boden vorgefundene Konzentration umweltgefährdender Stoffe die sog. Maßnahmewerte überschreitet. Wirkungs- und schutzgutbezogene Mäßnahmewerte sind für einzelne Stoffe in der BBodSchV festgesetzt. Dabei stellt der Verordnungsgeber den Wirkungsbezug nicht über starre Konzentrationsvorgaben her, sondern flexibel jeweils bezogen auf einen bestimmten Wirkungspfad. Der Begriff "Wirkungspfad" beschreibt nach § 2 Nr. 8 BBodSchV den Weg eines Schadstoffes von der Schadstoffquelle bis zum Ort einer möglichen Wirkung auf ein Schutzgut. Er beschreibt also die Art des Kontaktes zwischen Boden und Mensch, Boden und Pflanze oder Boden und Grundwasser (vgl. Frenz, BBodSchG, 2000 § 8 Rn.19). Vorliegend relevant ist allein der Wirkungspfad Boden-Mensch.
Hinsichtlich der Empfindlichkeit der Nutzung differenziert der Verordnungsgeber für den Wirkungspfad Boden-Mensch in Anh. 1 Nr. 1 zur BBodSchV zwischen Kinderspielflächen, Wohngebieten, Park- und Freizeitanlagen sowie Industrie- und Gewerbegrundstücken. Die Beklagte ordnet das Grundstück der Kläger zu Recht den Wohngebieten zu und geht auch für die Hausgärten nicht von Kinderspielflächen aus.
Für den Wirkungspfad Boden-Mensch setzt die BBodSchV im Anh. 2 Nr. 1.2 nutzungsabhängige Maßnahmewerte lediglich für die Schadstoffe Dioxin und Furan fest. Für die auf dem ehemaligen de Haen-Gelände problematischen Schadstoffe Arsen und Blei fehlen Maßnahmewerte in der Verordnung. Entscheidend für die Gefährlichkeit dieser Stoffe ist der für den Menschen resorptionsverfügbare Gehalt des Schadstoffes im Boden (Frenz, a.a.O., § 8 Rn 30). Das an diesen Vorgaben orientierte Sachverständigengutachten der IFUA-GmbH vom Mai 2009 sieht die Maßnahmeschwelle für Blei in Wohngebieten bei 145 mg/kg Trockenmasse und für Arsen bei 50 mg/kg Trockenmasse in einer Bodentiefe bis 0,35 m. Diese überzeugenden Feststellungen des Gutachtens werden von den Klägern nicht in Frage gestellt.
Auf dem Grundstück der Kläger wurden in einer Bodentiefe bis 0,35 m Bleigehalte von 204 mg/kg festgestellt, so dass im Hinblick auf die chemische Belastung eine schädliche Bodenveränderung vorliegt.
Eine schädliche Bodenveränderung besteht für das Grundstück der Kläger auch im Hinblick auf die radiologische Belastung. Für die Sanierungsbedürftigkeit radiologisch belasteten Bodens setzt die BBodSchV ebenfalls keine Maßnahmewerte fest. Die Beklagte zieht daher das Gutachten der Fugro-HGN-GmbH vom Januar 2012 (fortgeschrieben) heran. Der Gutachter Dr. L, der seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung der Kammer erläutert hat, geht bei der Bestimmung des radiologischen Maßnahmewertes von Maßstäben aus, die anhand des vom Umweltbundesamt herausgegebenen Bandes "Berechnung von Prüfwerten zur Bewertung von Altlasten" entwickelt wurden. Als bodenschutzrechtliche Gefahrenquelle gilt danach für die auf dem de Haen-Gelände vorliegenden kanzerogenen Stoffen ein Wert von 5x10" 5 für das Risiko eines Menschen, in seiner gesamten Lebenszeit an Krebs zu erkranken. Diesem Erkrankungsrisiko entsprecht bei formaler Umrechnung nach internationalen Standards eine effektive Dosis von 1 Millisievert (mSv). Dem entsprechend sieht auch § 101 StrISchV als Maßstab für eine Grundstücksnutzung ohne Einschränkungen an, dass im Hinblick auf die Strahlenexposition von Einzelpersonen der Bevölkerung durch die nicht entfernten Rückstände als Richtwert eine effektive Dosis von 1 mSV/a eingehalten wird. D. h. bei einer zusätzlichen Strahlendosis von 1 mSv/a ist das erhöhte Krankheitsrisiko schon nach einem Jahr Aufenthalt erreicht. Dennoch geht der Gutachter zugunsten der Sanierungspflichtigen von diesem Wert aus. Weiter zugunsten der Sanierungspflichtigen wird eine natürliche Umgebungsstrahlung von 0,30 |jSv/h berücksichtigt, obwohl dieser Wert tatsächlich nur halb so hoch ist. Setzt man diese beiden für den Sanierungspflichtigen günstigen Annahmen voraus und errechnet auf ihrer Grundlage die tolerierbare Ortsdosisleistung, ergibt sich ein Wert von 0,50 |jSv/h. Die so hergeleiteten Maßnahmewerte werden von den Klägern substantiiert nicht in Frage gestellt.
Für das Grundstück der Kläger wurde im rückwärtigen Grundstücksbereich eine zusätzliche Strahlenbelastung von bis zu 1,93 mSv/a festgestellt. Es weist somit sowohl in chemischer als auch in radiologischer Hinsicht schädliche Bodenveränderungen auf.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte sie in ihrer Eigenschaft als Grundstückseigentümer zur Sanierung herangezogen hat. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG kann der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt zur Durchführung der Sanierung verpflichtet werden. Kommen hiernach mehrere Sanierungspflichtige in Betracht, hat die Behörde im pflichtgemäßen Ermessen eine Auswahlentscheidung zu treffen. Hier sind neben den Klägern die Erben des Verursachers Eugen de Haen sowie die Beigeladene als für die Bebauung des ehemaligen Fabrikgeländes zuständige Behörde mögliche Adressaten einer Sanierungsanordnung. Die Fa. Honeywell Specialty Chemicals Seelze GmbH als Nachfolgeunternehmen der Eugen de Haen & Cie kommt nach der rechtskräftigen Entscheidung der Kammer vom 24.11.09 (- 4 A 2022/09 -) nicht mehr als Sanierungsverantwortliche in Betracht.
Die von der Beklagten zulasten der Kläger getroffene Auswahlentscheidung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Hinsichtlich der bei der Auswahl zu beachtenden Gesichtspunkte folgt die Kammer der Auffassung des VGH Baden-Württemberg, der in seiner Entscheidung vom 18.12.12 (-10 S 744/12 -, [...]) zur Störerauswahl im Rahmen des § 4 Abs. 3 BBodSchG ausführt:
"Im Falle einer sog. Störermehrheit ist bei der behördlichen Auswahlentscheidung, welcher Störer mit einer Verfügung herangezogen wird, zwischen der primären Ebene und der sekundären Ebene zu unterscheiden; dabei sind die Auswahlkriterien nicht notwendigerweise identisch (vgl. zur Kostenheranziehung auf Sekundärebene Senatsurteil vom 24.01.2012 -10 S 1476/11 - NVwZ-RR 2012, 387). Auf der primären Ebene geht es aus einer ex ante-Sicht um die Gefahrenabwehr. Leitender Gesichtspunkt für die Störerauswahl ist die Effektivität der Gefahrenabwehr; anzustreben ist die schnelle und wirksame Gefahrenbeseitigung. Ein gesetzliches Rangverhältnis zur gefahrenabwehrrechtlichen Heranziehung von Störern gibt es grundsätzlich nicht. Bei der Ausübung ihres Auswahlermessens hat sich die Behörde in erster Linie von dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes leiten zu lassen. Dies schließt nicht aus, dass daneben auch andere Gesichtspunkte berücksichtigt werden; dies kann z. B. die größere Gefahrennähe eines der Störer sein. Ferner darf die Behörde bereits auf der Primärebene den Gesichtspunkt der gerechten Lastenverteilung berücksichtigen (vgl. zum Ganzen Senatsurteil vom 24.01.2012 -10 S 1476/11 - a.a.O. m.w.N.; Senatsbeschluss vom 29.04.2002 -10 S 2367/01 -VBIBW 2002, 431; Senatsbeschluss v. 04.03.1996 -10 S 2687/95 - NVwZ-RR 1996, 387; Senatsurteil, v. 30.4.1996 -10 S 2163/95 - VBIBW 1996, 351; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.3.1995 - 8 S 525/95 - VBIBW 1995, 281).
Nach alledem sprechen gute Gründe sowohl für den vom Verwaltungsgericht und dem Kläger vertretenen als auch für den vom Beklagten vertretenen Rechtsstandpunkt. Insbesondere im Hinblick auf die Heranziehung des E. T..., der anwaltlich vertreten bereits rechtliche Bedenken gegen seine Inanspruchnahme geltend gemacht hat, hätte die Behörde auch mit einer ggf. langwierigen rechtlichen Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang rechnen müssen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht als ermessensfehlerhaft zu bewerten, wenn die Behörde zur Abwehr einer Gefahr auf der Primärebene nicht die Personen in Anspruch nimmt, die aus rechtlichen Gründen nur möglicherweise als Störer in Betracht kommen, sondern denjenigen heranzieht, an dessen Störereigenschaft es keinen Zweifel gibt (ähnlich VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.10.1999 - 8 S 2407/99 - a.a.O.)."
Diesen Maßstäben werden die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen gerecht. Die Kläger rügen insoweit zu Unrecht, die Beklagte habe die Störereigenschaft der Beigeladenen oder der Erben Eugen de Haens von vornherein in rechtsfehlerhafter Weise verneint. Dem ist zuzugeben, dass nach der Rechtsauffassung der Beklagten tatsächlich weder die Beigeladene noch die Erben als Sanierungspflichtige in Betracht kommen sollen. Die Beklagte hat sie dennoch - quasi hilfsweise - bei ihrer Auswahlentscheidung berücksichtigt und sich zugunsten der Effektivität der Gefahrenabwehr für die Inanspruchnahme der Kläger als "rechtlich sichere" Zustandsstörer entschieden. Diese in der ursprünglichen Sanierungsanordnung fehlenden und im Widerspruchsbescheid eher spärlichen Ermessenserwägungen hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung und zuletzt in der mündlichen Verhandlung in zulässiger Weise nach §114 Satz 2 VwGO i. V .m. § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG ergänzt. Denn die Beklagte hat spätestens im Widerspruchsverfahren ihr Auswahlermessen erkannt und im Widerspruchsbescheid vom 08.10.12 (S. 6 und 7) zumindest rudimentäre Erwägungen zur Störerauswahl angestellt, die sie in der mündlichen Verhandlung ergänzen durfte. Ein vollständiges Nachholen einer Ermessensentscheidung, das nach § 114 Satz 2 VwGO unzulässig wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.07, 1 C 10/07 -; [...]), liegt entgegen der Auffassung der Kläger daher nicht vor.
Die Inanspruchnahme der Kläger ist nach Auffassung der Kammer unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr nicht zu beanstanden. Die Störereigenschaft der Erben Eugen de Haens oder der Beigeladenen ist auch aus Sicht der Kammer zumindest zweifelhaft. Eventuelle unmittelbare Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers Eugen de Haen sind längst verstorben und Erben in zweiter oder dritter Generation schwer zu ermitteln. Deren Sanierungsverantwortlichkeit wäre aber zumindest zweifelhaft (so VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.12.12, a. a. O. mit zahlreichen Nachweisen zum Streitstand).
Entsprechendes gilt für die mögliche Inanspruchnahme der Beigeladenen als für die Bauleitplanung und die Erteilung von Baugenehmigungen zuständige Behörde. Denn die bodenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Planungsträgers bzw. der Bauaufsichtsbehörde wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert. Das VG Gelsenkirchen hat in einer nicht rechtskräftig gewordenen Entscheidung aus dem Jahr 1988 (Urt.v. 10.03.88 -16 K 2360/86 -, NVwZ 1988, 1061 [VG Gelsenkirchen 10.03.1988 - 116 K 2360/86]f) einmal die Verantwortlichkeit des Planungsträgers für die Überplanung einer ehemaligen Kokerei zum reinen Wohngebiet angenommen. Das OVG Münster hat in seiner Entscheidung vom 30.05.96 (- 20 A 2640/09 -; [...]) - ohne dass es für den zu entscheidenden Fall entscheidend darauf angekommen wäre - eine mögliche Verantwortlichkeit der Baugenehmigungsbehörde angesprochen. Der 7. Senat des OVG Lüneburg dagegen verneint in einer noch zum Abfallgesetz ergangenen Entscheidung (Urt. v. 15.12.04 - 7 LB 248/02 -, [...]) die Verantwortlichkeit des Planungsträgers und der Baugenehmigungsbehörde. Die Beigeladene selbst sieht sich bereits deshalb nicht in der Pflicht, weil sie zu keiner Zeit auf den Boden eingewirkt und damit auch keine schädliche Bodenveränderung herbeigeführt habe. Die Beklagte durfte daher zu Recht davon ausgehen, dass eine mögliche Sanierungsverantwortlichkeit der Beigeladenen erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit verbindlich feststehen würde.
Die angeordnete Sanierungsmaßnahme ist notwendig i. S. der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG. Von den Klägern wird nicht in Abrede gestellt, dass die von der Beklagten zur Auswahl gestellten Sanierungsvarianten (Herstellen einer mindestens 0,35 m mächtigen sauberen Bodenschicht bzw. vollständige Versiegelung des Gartenbereichs) geeignet sind, für die ihrem Grundstück der Kläger vorgefundenen Schadstoffe den Wirkungspfad Boden- Mensch effektiv zu unterbinden.
Entgegen der Auffassung der Kläger sind die angeordneten Sanierungsvarianten auch erforderlich, um die schädliche Bodenveränderung auf ihrem Grundstück nachhaltig und dauerhaft zu sanieren. Dies gilt zunächst für die von den Klägern angegriffene Anordnung, vor dem Aufbringen des unbelasteten Bodens die humose Bodenschicht abzutragen. Diese Forderung ist im Hinblick auf § 12 Abs. 9 BBodschV sachgerecht, wonach beim Aufbringen von Materialien von einer Mächtigkeit von mehr als 0,20 m auf ein stabiles Bodengefüge hinzuwirken ist. Ein stabiles Bodengefüge lässt sich nicht herstellen, wenn Rasensoden und Wurzelwerk nicht entfernt werden.
Die von den Klägern im Austausch angebotenen Absperrmaßnahmen stellen die Erforderlichkeit der angeordneten Sanierungsvarianten ebenfalls nicht in Frage. Selbst wenn verlässlich und dauerhaft sichergestellt werden könnte, dass der belastete Gartenbereich in Zukunft weder genutzt noch betreten wird, stellt diese Maßnahme nur eine Schutz- und Beschränkungsmaßnahme i. S. d. § 2 Abs. 8 BBodSchG dar. Derartige Maßnahmen sind nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BBodSchG jedoch erst dann durchzuführen, wenn Sanierungsmaßnahmen entweder technisch unmöglich oder unzumutbar sind. Die hier angeordneten Sanierungsmaßnahmen sind technisch ohne weiteres durchführbar und können den Klägern auch zugemutet werden.
Die Kläger rügen insoweit zu Unrecht, ihre Inanspruchnahme sei im Hinblick auf die absoluten Kosten der angeordneten Maßnahme (gut 50.000,00 €) und die jahrzehntelange Untätigkeit der Beklagten unverhältnismäßig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Bes. v. 07.08.13 - 7 B 9/13 -, [...] m. w. N.) handelt es sich bei den bodenschutzrechtlichen Bestimmungen zur Sanierungsverantwortlichkeit des Grundstückseigentümers um eine zulässige Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG mit dem Ziel, unbeschadet der Haftung des Verursachers eine effektive Gefahrenabwehr auch durch den Eigentümer als Herrn der Sache sicherzustellen. Daher ist es ohne Bedeutung, ob der Eigentümer bei Erwerb des Grundstücks in Bezug auf das Vorhandensein einer schädlichen Bodenveränderung gut- oder bösgläubig war oder die Behörde über einen längeren Zeitraum über das Ausmaß einer schädlichen Bodenveränderung im Unklaren gewesen und daher nicht eingeschritten ist. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist allein das Ausmaß dessen, was dem Eigentümer zur Gefahrenabwehr abverlangt wird, zu beschränken, und zwar im Grundsatz auf den Verkehrswert des betroffenen Grundstücks nach Durchführung der Sanierung. Die für die Durchführung der Sanierung veranschlagten Kosten von gut 50.000,00 € erreichen jedoch nicht annähernd den Verkehrswert des mit einem Mehrfamilienhaus bebauten, in einer gefragten Wohnlage Hannovers gelegenen Grundstücks der Kläger.
Der von der Beklagten weiter angeordnete Wirksamkeitsnachweis (Pkt. 3 b des Widerspruchsbescheides) findet seine Rechtgrundlage in § 15 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 16 Abs. 1 BBodschG. Danach kann die Behörde die Durchführung von Eigenkotrollmaßnahmen verlangen. Zu diesen Eigenkontrollmaßnahmen gehört der von den Klägern geforderte Nachweis, dass die Ortsdosisleistung dauerhaft deutlich unter 0,5 nSv/h liegen wird.
Die Zwangsmittelandrohungen entsprechen den Vorgaben des Nds. SOG und sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.108,54 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des festgesetzten Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 GKG.