Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.11.2005, Az.: 15 K 646/04
Abziehbarkeit von Finanzierungskosten im Zusammenhang mit Kapitalerträgen, die dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.11.2005
- Aktenzeichen
- 15 K 646/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 32630
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2005:1108.15K646.04.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 19.06.2007 - AZ: VIII R 69/05
Rechtsgrundlagen
- § 3 Nr. 40 EStG
- § 9 Abs. 1 S. 2, 3 Nr. 1 S. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2006, VI Heft 31 (Kurzinformation)
- DStRE 2006, 1044-1045 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2006, 1404-1406 (Volltext mit red. LS)
- KÖSDI 2007, 15379 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Finanzierungskosten im Zusammenhang mit dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden Kapitalerträgen sind nur zur Hälfte als Werbungskosten abziehbar.
Tatbestand
Streitig ist die Anwendung des Halbabzugsverfahrens auf Aufwendungen zur Fremdfinanzierung eines GmbH-Geschäftsanteils.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger ist mit 25 vom Hundert am Stammkapital der A-GmbH (GmbH) beteiligt. Diese Beteiligung wurde durch vier Darlehen der Sparkasse B fremdfinanziert. Im Streitjahr floß dem Kläger für das Geschäftsjahr 2001 eine Gewinnausschüttung in Höhe von ... EUR zu, auf die nach der von der GmbH ausgestellten Steuerbescheinigung das Halbeinkünfteverfahren Anwendung findet. Für die zur Finanzierung des Geschäftsanteils aufgenommenen Darlehen zahlte der Kläger Schuldzinsen in Höhe von ... EUR. Durch Einkommensteuerbescheid vom 26. April 2004 berücksichtigte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Einnahmen aus dem Geschäftsanteil ebenso wie die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nur zur Hälfte. Den hiergegen eingelegten Einspruch vom 25. Mai 2004, mit dem die Kläger verfassungsrechtliche Einwendungen gegen die lediglich hälftige Berücksichtigung der Werbungskosten erhoben, wies das FA durch Einspruchsbescheid vom 1. Dezember 2004 unter Hinweis auf die gesetzliche Regelung in§ 3 c Abs. 2 und § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zurück.
Hiergegen richtet sich die am 23. Dezember 2004 erhobene Klage. Zu deren Begründung tragen die Kläger vor: Dem Halbeinkünfteverfahren liege die Annahme zugrunde, dass eine volle Besteuerung der Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften beim Anteilseigner zu einer wirtschaftlichen Doppelbelastung führe, weil die für die Ausschüttung verwendeten Gewinne bei der Kapitalgesellschaft bereits mit Körperschaftsteuer vorbelastet seien. § 3 Nr. 40 EStG solle nicht die hälftige, sondern die Normalbesteuerung der Ausschüttungen herbeiführen, die sich aus der Gewinnbesteuerung der Kapitalgesellschaft und der Ausschüttungsbesteuerung beim Anteilseigner zusammensetze. Das Halbeinkünfteverfahren stelle damit nicht im eigentlichen Sinne eine Steuerbefreiung dar, sondern sei lediglich ein steuertechnisches Instrument zur typisierenden Anrechnung der körperschaftsteuerlichen Vorbelastung. Habe sich der Gesetzgeber aber einmal dafür entschieden, Ausschüttungen von Kapitalgesellschaften auf diese Weise einer einfachen Vollbesteuerung zu unterwerfen, stelle es einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 des Grundgesetzes - GG -) dar, die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nur zur Hälfte zu berücksichtigen. § 3 c Abs. 2 EStG bewirke damit eine verfassungswidrige Schlechterstellung der Anteilseigner von Kapitalgesellschaften gegenüber Steuerpflichtigen mit Einnahmen aus anderen Quellen, die ihre Finanzierungskosten in voller Höhe abziehen könnten.
Die Kläger beantragen,unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2002 vom 26. April 2004 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 1. Dezember 2004
die Einkommensteuer auf ... EUR herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die streitigen Schuldzinsen zu Recht nur zur Hälfte als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt.
Da die Schuldzinsen für Darlehen gezahlt werden, die der Finanzierung der Anschaffungskosten des GmbH-Anteils des Klägers dienen, stehen sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den daraus erzielten Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) und sind dem Grunde nach als Werbungskosten bei dieser Einkunftsart abziehbar (§ 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 1 Satz 1 EStG). Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, dürfen jedoch nach § 3 c Abs. 2 Satz 1 EStG unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Einnahmen anfallen, nur zur Hälfte abgezogen werden. Die Vorschrift ist erstmals auf Aufwendungen anzuwenden, die mit Erträgen in Zusammenhang stehen, auf die § 3 Nr. 40 EStG Anwendung findet (§ 52 Abs. 8 a EStG). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die für das Jahr 2001 gezahlte Gewinnausschüttung aus dem GmbH-Anteil des Klägers ist nach§ 3 Nr. 40 Buchst. d i.V.m. § 52 Abs. 4 b Nr. 1 EStG zur Hälfte steuerfrei, weil darauf bei der GmbH der nach Art. 3 des Gesetzes vom 23. Oktober 2000 (BGBl. I 2000, 1433) aufgehobene Vierte Teil des Körperschaftsteuergesetzes nicht mehr anzuwenden ist.
Entgegen der von der Klägern vertretenen Ansicht verstößt § 3 c Abs. 2 EStG nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt für das Gebiet des Steuerrechts, dass die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet werden muß. Das gilt insbesondere für das Einkommensteuerrecht (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 26. Januar 1994 1 BvL 12/86, BStBl. II 1994, 307). Als Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzip ist das sog. objektive Nettoprinzip anzusehen. Es besagt, dass es sich bei dem Einkommen im Sinne des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes um eine Nettogröße handelt, die sich aus dem Saldo von Vermögensmehrungen und -minderungen ergibt, und die im Rahmen einer gesetzlich umrissenen Einkunftsquelle erzielten Einnahmen daher um die durch die Einkunftsquelle veranlaßten Aufwendungen zu mindern sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98, BStBl. II 2000, 162; Beschluß vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BStBl. II 1999, 502). Gegen diesen Grundsatz verstößt die Regelung des § 3 c Abs. 2 EStG jedoch nicht. Sie schließt Aufwendungen im Zusammenhang mit Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nur insoweit vom Werbungskostenabzug aus, als § 3 Nr. 40 EStG die daraus erzielten Einnahmen von der Besteuerung freistellt.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der von den Klägern angestellten Erwägung, dass es sich bei § 3 Nr. 40 EStG um keine "echte" Steuerbefreiung handele, sondern um ein steuertechnisches Instrument, das bei den ausgeschütteten Beträgen insgesamt eine Besteuerung zum Normalniveau herbeiführen solle. Zwar trifft es zu, dass der gesetzgeberische Zweck des Halbeinkünfteverfahrens darin besteht, eine wirtschaftliche Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne von Kapitalgesellschaften zu vermeiden und diese einer ertragsteuerlichen Gesamtbelastung zu unterwerfen, die unter Einbeziehung ihrer körperschaftsteuerlichen Vorbelastung etwa der Steuerbelastung anderer Einkünfte entspricht (vgl. Regierungsbegründung zum Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Bundestags-Drucksache 14/2683, S. 94). Daraus kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, dass das objektive Nettoprinzip die volle Berücksichtigung der dem Anteilseigner erwachsenden Aufwendungen verlange. Denn dieses kann grundsätzlich nur auf das jeweilige Steuersubjekt bezogen werden. In der Person des Anteilseigners unterliegen die Beteiligungseinkünfte aber nicht der vollen, sondern einer durch Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens gemilderten Ertragsteuerbelastung. Eine Gesamtbetrachtung wäre nur dann geboten, wenn der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen dazu verpflichtet wäre, von Kapitalgesellschaften ausgeschüttete Gewinne beim Anteilseigner nur unter Berücksichtigung ihrer körperschaftsteuerlichen Vorbelastung der Einkommensteuer zu unterwerfen. Eine solche verfassungsrechtliche Verpflichtung läßt sich nach Ansicht des Senats jedoch nicht begründen. Die Vermeidung einer - ungeschmälerten - ertragsteuerlichen Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne von Kapitalgesellschaften erscheint zwar steuerpolitisch sinnvoll, um allzu große Belastungsunterschiede zwischen den im Rahmen von Kapitalgesellschaften und den im Rahmen von Personenunternehmen erwirtschafteten Gewinnen zu vermeiden. Verfassungsrechtlich geboten erscheint sie im Hinblick auf die vom Steuerrecht anerkannte Selbständigkeit der juristischen Person aber nicht. Die Körperschaftsteuer ist in ihrer klassischen Form der Doppelbelastung vom Grundgesetz vorgefunden und bis zur Einführung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren im Jahre 1977 nicht in Frage gestellt worden.
Schließlich ist das Halbabzugsverfahren auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Gebot der folgerichtigen Umsetzung einer einmal getroffenen Belastungsentscheidung verfassungswidrig (so aber Schön, Finanz-Rundschau 2001, 381, 387). Die Herbeiführung einer einmaligen "Normalbesteuerung" ausgeschütteter Gewinne von Kapitalgesellschaften stellt zwar das gesetzgeberische Motiv für die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens dar, ist aber nicht in dem Sinne Inhalt der gesetzgeberischen Belastungsentscheidung geworden, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede Einzelregelung auf dieses Ziel abzustimmen. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Halbeinkünfteverfahren - anders als das von ihm abgelöste Anrechnungsverfahren - keine Rücksicht auf die einkommensteuerlichen Verhältnisse des individuellen Anteilseigners nimmt, sondern die Vermeidung der Doppelbelastung im Rahmen eines typisierenden und generalisierenden Ansatzes verfolgt, der sein steuerpolitisches Ziel nur bei einem individuellen Einkommensteuersatz von 40 v.H. ideal verwirklicht.
Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kosten sind den Klägern aufzuerlegen, da sie die unterlegenen Beteiligten sind (§ 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage der Vereinbarkeit des Halbabzugsverfahrens mit Art. 3 Abs. 1 GG hat grundsätzliche Bedeutung.