Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.11.2005, Az.: 13 K 51/02

Vom Arbeitgeber gezahlter Pauschalbetrag bei einer geringfügigen Beschäftigung als Ausgabe des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers gemäß § 3 Nr. 62 Einkommensteuergesetz (EStG); Anforderungen an den Zweck der Zukunftssicherung des Arbeitnehmers in § 3 Nr. 62 EStG

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
29.11.2005
Aktenzeichen
13 K 51/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 33349
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2005:1129.13K51.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 31.05.2006 - AZ: X R 6/06

Fundstellen

  • DB 2006, 2038
  • EFG 2006, 1242-1243 (Volltext mit red. LS)
  • NWB direkt 2006, 9

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe der Vorwegabzug im Rahmen der Berechnung der beschränkt abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen zu kürzen ist.

2

Die Kläger sind Eheleute. In ihrer gemeinsamen Steuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2000 erklärten beide Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Der Bruttoarbeitslohn des Klägers betrug 56.166 DM und derjenige der Klägerin 6.612 DM. Auf den Arbeitslohn der Klägerin wurden Sozialversicherungsbeiträge pauschaliert erhoben. Ferner bezog die Klägerin sonstige Einkünfte aus einer Altersrente.

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Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Einkommensteuerbescheid vom 30.07.2001 zusammen zur Einkommensteuer. Bei der Berechnung der beschränkt abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen kürzte der Beklagte den Vorwegabzug in Höhe von 12.000 DM um 16 v. H. der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, und zwar um 10.044 DM (56.166 DM + 6.612 DM = 62.778 DM x 16 v H.). Dabei bezog er auch den Arbeitslohn der Klägerin in die Bemessungsgrundlage für den Kürzungsbetrag ein.

4

Mit ihrem Einspruch wendeten sich die Kläger gegen die Einbeziehung des Arbeitslohns der Klägerin in die Bemessungsgrundlage zur Kürzung des Vorwegabzugs. Zur Begründung führten sie aus, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis handele, für welches keine Rentenversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Die nach dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung geleisteten Pauschalbeiträge seien keine Beiträge im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG, da aus diesen Beiträgen kein Anspruch auf Erhöhung der bereits bezogenen Altersrente resultiere. Der Beklagte wies den Einspruch durch Entscheidung vom 24.01.2002 als unbegründet zurück.

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Mit ihrer Klage begehren die Kläger eine Reduzierung der Kürzung des Vorwegabzugs. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass die Klägerin als Altersrentnerin rentenversicherungsfrei gewesen sei. Der vom Arbeitgeber gleichwohl zu zahlende Pauschalbeitrag habe jedoch nicht der Versorgung der Klägerin gedient, da ihr hieraus keine Ansprüche aus der Rentenversicherung erwachsen seien. Die Bezieher einer Vollrente seien nach § 76b Abs. 4 Nr. 1 SGB VI nämlich aus dem Anwendungsbereich der Rentensteigerung ausgeschlossen worden. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 06.03.2003 XI R 31/01, BFHE 203, 33 die Kürzung des Vorwegabzugs abgelehnt, wenn lediglich Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt worden seien und der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe. Der BFH habe darin auch festgestellt, dass es sich um Leistungen des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Klägers handeln müsse. Eine vergleichbare Situation sei im Streitfall gegeben, da auch die Klägerin keine Ansprüche erwerbe, so dass keine Leistung für die Klägerin erfolge. Diese Auffassung werde auch von Paus KFR F 3 EStG § 10, 6/03, S. 423 vertreten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 27.12.2004 verwiesen.

6

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteuer 2000 dadurch herabzusetzen, dass der verbleibende Vorwegabzug der Vorsorgeaufwendungen um 16 v. H. von 6.612 DM erhöht wird.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Die Klage sei unbegründet, da die Kürzung nach der gesetzlichen Regelung zu erfolgen habe, wenn der Arbeitgeber nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Leistungen für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers erbringe. Ob eine Leistung des Arbeitgebers der Zukunftssicherung diene, sei aus dem gesetzlichen Verpflichtungsgrund zu beurteilen. Demgemäß sei nicht erforderlich, dass die Leistung des Arbeitgebers sich tatsächlich bei der Zukunftssicherung des Arbeitnehmers auswirke. Das von den Klägern genannte Urteil des BFH sei vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG zu sehen. Danach sei der Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Sozialversicherung keine Beitragsleistung, sondern lediglich systemnützig. Dies habe im vom BFH entschiedenen Streitfall anders als vorliegend gefehlt.

Entscheidungsgründe

9

I.

Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat den Arbeitslohn der Klägerin zu Recht in die Bemessungsgrundlage zur Ermittlung des Kürzungsbetrages des Vorwegabzugs im Sinne des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG einbezogen.

10

1.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sind als Sonderausgaben u.a. Beiträge zu Kranken-, Pflege-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, zu den gesetzlichen Rentenversicherungen und an die Bundesanstalt für Arbeit zu berücksichtigen. Gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung beträgt der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten 12.000 DM. Dieser Betrag ist gem. § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 lit. a EStG um 16 v. H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nrn. 1 oder 2 EStG gehört.

11

2.

Nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG sind Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers steuerfrei, soweit der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist.

12

Der Arbeitgeber war verpflichtet, Rentenversicherungsbeiträge gemäß § 172 Abs. 3 SGB VI abzuführen. Nach dieser Vorschrift tragen für Beschäftige nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, die in dieser Beschäftigung versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind oder die nach § 5 Abs. 4 SGB VI versicherungsfrei sind, die Arbeitgeber einen Beitragsanteil in Höhe von 12 vom Hundert des Arbeitsentgelts, das beitragspflichtig wäre, wenn die Beschäftigten versicherungspflichtig wären. Da die Klägerin als Bezieherin einer Altersrente nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei war, führte lediglich der Arbeitgeber aufgrund dieser sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung Beiträge zur Rentenversicherung ab.

13

3.

Diese Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers sind nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfrei. Es handelt sich dabei um Leistungen "für" die Zukunftssicherung der Klägerin i. S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG, weil deren Rentenanspruch hierdurch gesichert wird.

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Die Leistungen des Arbeitgebers werden zum einen wegen des konkreten Arbeitsverhältnisses aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für die Klägerin geleistet. Zum anderen dienen die Leistungen an die Rentenversicherung zumindest auch der Sicherung der eigenen Rentenansprüche der Klägerin. Dabei ist zu berücksichtigen, dass§ 3 Nr. 62 Satz 1 EStG, der die Steuerfreiheit gesetzlich geschuldeter Zukunftssicherungsleistungen vorsieht, nach Auffassung des VI. Senats des BFH (Urteil vom 06.06.2002 VI R 178/97, BFHE 199, 524, BStBl. II 2003, 34) im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lediglich deklaratorische Bedeutung hat.

15

Danach hat der Arbeitgeber seinen Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag aufgrund einer eigenen, ihm aus sozialen Gründen unmittelbar auferlegten öffentlichen Verpflichtung zu erbringen. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Arbeitgeberanteil um eine aus der Höhe der beitragspflichtigen Lohnsumme des Betriebs berechnete zusätzliche, unmittelbar drittnützige Abgabenlast auf den privatrechtlich dem Unternehmer zugeordneten Unternehmensertrag. Dieser Anteil lastet auf den mit Hilfe u.a. der Gesamtheit der Arbeitnehmer erwirtschafteten- Roherträgen des Betriebs oder Unternehmens des Arbeitgebers. Er ist im Rahmen des sog. Generationenvertrages wegen des seit 1969 geltenden Umlageverfahrens nicht "fremdnützig" für den Arbeitnehmer, sondern ausschließlich für Dritte bestimmt, weil er unmittelbar den aktuellen Rehabilitanten und Rentnern zugewandt wird. Der einzelne pflichtversicherte Arbeitnehmer hat durch die Zahlung des Arbeitgeberanteils weder einen individuellen mitgliedschafts- oder beitragsrechtlichen Vorteil noch einen leistungsrechtlichen oder sonstigen Vermögenszuwachs. Weder seine spätere Rente noch sein Teilhaberrecht (prozentuale Rangstelle) noch ein sonstiges Recht werden (auch nur der rechtlichen Möglichkeit nach) erhöht. Der Arbeitgeberanteil ist vielmehr "systemnützig" und bringt den einzelnen Arbeitgebern und ihren Belegschaften Vor- und Nachteile; er wird von der Gesamtheit der pflichtversicherten Arbeitnehmer mitverdient und entsprechend berechnet (ausführlich Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 29. Juni 2000 B 4 RA 57/98 R, BSGE 86, 262, 285 ff., 294 ff., 298, 310, zur Rentenversicherung).

16

Diese Fremdnützigkeit der Arbeitgeberbeiträge bringt es mit sich, dass bei der Auslegung des § 3 Nr. 62 EStG hinsichtlich des Merkmals "für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers" nicht auf eine konkrete anspruchsbegründende oder anspruchserhöhende Leistung für den Arbeitnehmer abzustellen ist, sondern es für die Qualifizierung der Ausgaben ausreicht, dass sie dem Arbeitnehmer in irgendeiner Weise zugute kommen können. Dies ist jedenfalls immer dann anzunehmen, wenn er potentieller Anwärter auf Leistungen aus dem Versicherungssystem oder bereits - wie im Streitfall - Leistungsbezieher ist.

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Eine Verknüpfung zwischen Beitragspflicht des Arbeitgebers und konkreter Anspruchsbegründung oder Erhöhung des Anspruchs erfolgt auch nicht in denjenigen Fällen, in denen der Arbeitnehmer nachträglich von seinem Recht auf Beitragserstattung nach§ 210 SGB VI Gebrauch macht. Da ihm in diesem Fall lediglich die Arbeitnehmeranteile erstattet werden, entfällt zwar ein späterer Anspruch auf Versorgung; es verbleibt indes bei der Beitragsleistung des Arbeitgebers i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG.

18

Insoweit unterscheidet sich der Streitfall - entgegen der Auffassung der Kläger - auch von der Entscheidung des BFH vom 06.03.2003 XI R 31/01, BFHE 203, 33, BStBl. II 2004, 6. Denn die Klägerin profitiert als Rentenbezieherin mittelbar auch von den Leistungen des Arbeitgebers, die er aufgrund des Arbeitsverhältnisses an die Rentenversicherungskasse zu erbringen hatte. Die Möglichkeit eines solchen Leistungsbezugs fehlte indes im Entscheidungsfall des 11. Senats.

19

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).