Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.05.2004, Az.: 12 K 551/01

Nachträgliche Beurlaubung für die Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung als Unterbrechung des Hochschulstudiums; Gewährung von Kindergeld bei einer Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung ; Beurteilung eines berufsbegleitenden Studiums als Berufsausbildung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
25.05.2004
Aktenzeichen
12 K 551/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 15739
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0525.12K551.01.0A

Fundstellen

  • EFG 2004, 1697-1698
  • GStB 2004, 340-341
  • NWB 2004, 3009 (Kurzinformation)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Geht ein Student seinem Studium im üblichen Umfang nach, besucht verschiedene Vorlesungen und legt Prüfungen erfolgreich ab, so steht die Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung der Berufsausbildung nicht entgegen.

  2. 2.

    Sofern das Studium im üblichen Semesterwochenstundenpensum nachgegangen wird, spricht allein der Umstand der nachträglichen Beurlaubung für die Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung noch nicht für eine Unterbrechung des Hochschulstudiums.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung von Kindergeld für die Tochter H im Zeitraum April 2000 bis März 2001.

2

Die Tochter der Klägerin, H, geboren am 7. Mai 1979, war im streitbefangenen Zeitraum als Studentin im Studiengang Technomathematik und Mathematik an der Technischen Universität Clausthal eingeschrieben. Ab dem Sommersemester 2000 arbeitete sie bis einschließlich Wintersemester 2001 in der studentischen Selbstverwaltung als Finanzreferentin und erhielt hierfür eine geringfügige Aufwandsentschädigung (mtl. ca. 630 DM). Nach Angaben der Universitätsverwaltung beträgt der Zeitaufwand für diese Tätigkeit i.d.R. ca. 10 Wochenstunden.

3

Neben der Tätigkeit als Finanzreferentin setzte H ihr Studium unter geringer Reduzierung ihres Pensums in dem gesamten streitbefangenen Zeitraum fort, besuchte verschiedene Vorlesungen und legte Prüfungen erfolgreich ab. So nahm sie im Rahmen der Diplom-Vorprüfung im Sommersemester 2000 an der Vorlesung theoretische Physik I mit Erfolg teil und bestand auch die Studienprüfungen in den Fächern Analysis und angewandte Mathematik. Im Sommersemester 2000 nahm sie zudem an der Übung zur Vorlesung Elektrodynamik mit Erfolg teil. Auch im Wintersemester 2000/2001 besuchte sie mehrere Veranstaltungen und kam so auf insgesamt 19 bzw. 20 Semesterwochenstunden, dem normalen Pensum für ein Studiensemester. Bezüglich der Bezeichnung der einzelnen Veranstaltungen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25. Mai 2004 Bezug genommen.

4

Mit Schreiben vom 9. Februar 2001 beurlaubte die Technische Universität Clausthal H auf ihren Antrag hin nachträglich vom Studium wegen der Tätigkeit in der akademischen oder studentischen Selbstverwaltung sowohl für das Sommersemester 2000 als auch für das Wintersemester 2000/2001. Hintergrund der nachträglichen Beurlaubung war nach Angaben der Universitätsverwaltung im Schreiben vom 24. Mai 2004 der Umstand, dass die Semester, für die Beurlaubung erfolgte, bei der Bemessung der Regelstudienzeit (zzgl. 4 Semester Toleranz) nicht mitgerechnet und damit etwaige nach Ablauf dieser Studienzeit anfallende Studiengebühren für weitere 2 Semester vermieden wurden.

5

Mit Bescheid vom 19. September 2002 hob der Beklagte aufgrund der Beurlaubung die Festsetzung des Kindergeldes für H im Zeitraum April 2000 bis März 2001 auf und forderte das überzahlte Kindergeld in Höhe von 3.600 DM zurück. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Tochter der Klägerin im Sommersemester 2000 und im Wintersemester 2000/2001 das Studium unterbrochen und in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

6

Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung trägt sie Folgendes vor: Die Tochter H habe sich in dem streitbefangenen Zeitraum von April 2000 bis März 2001 weiterhin ununterbrochen in Ausbildung befunden. Es bestehe daher ein Anspruch auf Kindergeld. In tatsächlicher Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass H auch im Sommersemester 2000 sowie im Wintersemester 2000/2001 an der Technischen Universität Clausthal immatrikuliert gewesen sei und ihr Studium unstreitig tatsächlich fortgesetzt habe. Von einer Beurlaubung könne angesichts des nachgewiesenen Umfangs des Studiums daher keine Rede sein. Die Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung als Finanzreferentin sei parallel zu dem reduzierten Studium erfolgt. Erst auf Anraten der Technischen Universität Clausthal habe H rückwirkend wegen ihrer Tätigkeit als Finanzreferentin für den Zeitraum April 2000 bis März 2002 einen Beurlaubungsantrag gestellt. Die Beurlaubung sei im Übrigen erst nachträglich mit Schreiben vom 9. Februar 2001 erfolgt. Eine Unterbrechung des Hochschulstudiums sei daher nicht anzunehmen.

7

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 19. September 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei der Kindergeldberechnung für den Zeitraum April 2000 bis März 2001 die Tochter H zu berücksichtigen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Der Beklagte ist der Auffassung, die Tochter H habe sich im streitbefangenen Zeitraum nicht in Berufsausbildung befunden. Eine Beurlaubung vom Studium oder eine Befreiung von der Teilnahme an Vorlesungen (Befreiung von der Belegpflicht) sei auch bei fortdauernden Immatrikulation grundsätzlich als tatsächliche Unterbrechung des Hochschulstudiums anzusehen, es sei denn, die Beurlaubung erfolge zum Zwecke der Durchführung einer zusätzlichen Maßnahme der Berufsausbildung, zum Zwecke der Prüfungsvorbereitung oder infolge Erkrankung oder Mutterschaft. Eine die kindergeldrechtliche Berücksichtigung ausschließende Unterbrechung liege auch dann vor, wenn sich ein Studierender wegen Mitarbeit in der studentischen Selbstverwaltung der Hochschule vom Studium beurlauben lasse. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben. Der Umstand, dass sich diese Beurlaubung auf Vorschlag der Verwaltung zur Verhinderung der formalen Verlängerung der Studienzeit erfolgt sei, sei insoweit nicht Ausschlag gebend. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass, wenn die Tochter der Klägerin ihr Studium während ihrer Tätigkeit als Finanzreferentin für die studentische Selbstverwaltung in dem normalen Umfang fortgeführt hätte, das Angebot auf Feststellung zweier Urlaubssemester nicht erforderlich gewesen wäre, denn in diesem Fall käme es ja zu keiner unnötigen Verlängerung des Studiums. Die von H teilweise auch während der Beurlaubung erbrachten Studienleistungen reichten für ihre weitere kindergeldrechtliche Berücksichtigung nicht aus. Der Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf Abschnitt 63.3.2.3. Abs. 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs - DA-FamEStG - des Bundesamtes für Finanzen vom 15. März 2002 (BStBl I 2002, 366).

Gründe

10

Die Klage ist begründet.

11

1.

Zu Unrecht ist der Beklagte aufgrund der Tätigkeit von H in der studentischen Selbstverwaltung und der diesbezüglichen nachträglichen Beurlaubung im Sommersemester 2000 und Wintersemester 2000/2001 von einer die Kindergeldberechtigung ausschließenden Unterbrechung der Berufsausbildung ausgegangen.

12

a.

Für ein Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, aber noch nicht das 27. Lebensjahr, besteht ein Kindergeldanspruch nur noch, wenn das Kind einen der in § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) abschließend aufgeführten Berücksichtigungstatbestände erfüllt. Ein solcher Berücksichtigungstatbestand ist u.a., dass sich das Kind in Berufsausbildung befindet und nur über ein geringes Einkommen verfügt (§ 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG). Hochschulausbildungen rechnen grundsätzlich zur Berufsausbildung.

13

Die Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, d.h. die Ausbildung zu einem künftigen Beruf, umfasst alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Januar 2000 VI R 11/99, BStBl II 2000, 199). Hiervon ist nach ständiger Rechtsprechung selbst dann auszugehen, wenn die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht inüberwiegendem Umfang in Anspruch nimmt (BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BStBl II 1999, 701), weil es beispielsweise neben einem Studium erwerbstätig ist (BFH-Urteile vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BStBl II 2000, 473; vom 23. April 1997 VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655). Demgemäß erfüllt auch ein berufsbegleitendes - d.h. neben einer Erwerbstätigkeit oder neben dem Zivildienst unternommenes - Studium grundsätzlich den Tatbestand der Berufsausbildung, wenn der Studierende diese Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betreibt, d.h. dem Studium tatsächlich nachgeht (vgl. BFH-Urteile vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, BStBl II 2002, 807; vom 29. Oktober 1999 VI R 53/99, BFH/NV 2000, 431; vom 9. Juni 1999 VI R 92/98, BStBl II 1999, 708, jeweils betr. Promotionsvorbereitung; in BFH/NV 1997, 655: Studium neben Berufstätigkeit; vom 9. Juni 1999 VI R 143/98, BStBl II 1999, 710: Fremdsprachenunterricht im Rahmen eines Au-pair-Aufenthalts i.V.m. erfolgreichem Prüfungsabschluss; vom 9. Juni 1999 VI R 34/98, BStBl II 1999, 705: College-Besuch; in BStBl II 2000, 199: Fremdsprachenassistent).

14

b.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen der Senat folgt, hat die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum Anspruch auf Kindergeld, denn H hat ihr Studium an der Universität Clausthal trotz Aufnahme der Tätigkeit als Finanzreferentin in der studentischen Selbstverwaltung unstreitig in nahezu unverändertem Umfang tatsächlich ernsthaft und nachhaltig fortgesetzt. Weder die Aufnahme der Nebentätigkeit in dem relativ geringen Umfang von 10 Wochenstunden noch die nachträglich erfolgte Beurlaubung stehen diesem Anspruch entgegen. Die Klägerin hat nachgewiesen, dass H ihrem Studium in einem Umfang (20 Semesterwochenstunden) nachgegangen hat, das dem normalen Pensum für ein Studiensemester entspricht. Entgegen Abschnitt 63.3.2.3. Abs. 3 der DA-FamEStG (a.a.O.) spricht allein der Umstand der Beurlaubung für eine Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung noch nicht für eine Unterbrechung des Hochschulstudiums. Nach Auffassung des Senats ist diese allgemein gehaltene und undifferenzierte Verwaltungsanweisung mit den Grundsätzen der vorgenannten Rechtsprechung nicht vereinbar. Auch wenn zumindest eine im Vorhinein beantragte Beurlaubung ein gewisses Indiz für eine Unterbrechung der Ausbildung ist - bei nachträglicher Beurlaubung ist dies schon zweifelhaft - und während der Zeit der Beurlaubung i.d.R. beurlaubte Studenten auch keine Leistungsnachweise erbringen dürfen und keine Präsenzpflicht haben (vergl. Schreiben der Universitätsverwaltung vom 24. Mai 2004), so kommt es für die Kindergeldberechtigung doch entscheidend darauf an, ob das Studium während der Beurlaubung im Einzelfall tatsächlich ernsthaft und nachhaltig betrieben wird. Die Erfüllung dieser Voraussetzung war im Streitfall jedoch unstreitig.

15

Nach alledem hatte die Klage in vollem Umfang Erfolg.

16

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Nebenentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

17

3.

Die Revision war wegen grundsätzlich Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).