Landgericht Lüneburg
Urt. v. 29.11.2002, Az.: 4 O 201/02

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
29.11.2002
Aktenzeichen
4 O 201/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35183
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2002:1129.4O201.02.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 15.11.2002 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

    Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

    Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben

    Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz einschließlich Schmerzensgeld für Schäden, die ein Wildschwein im Hause der Klägerin angerichtet hat. Die Klägerin erlitt dabei erhebliche Verletzungen.

2

Der Beklagte hatte als Jagdpächter des Jagdbezirks am 23.09.2000 in seinem Jagdbezirk eine Drückjagd veranstaltet. Dabei wurde eine Bache aufgestöbert und weder von dem Beklagten noch von einem anderen Jäger erlegt. Am selben Tag sprang nachmittags eine Bache durch die geschlossene Terrassentür in das Haus der Klägerin und richtete dort Schäden an. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Darstellung der Klägerin in der Klageschrift (BI.5 ff d.A.) Bezug genommen.

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Die Klägerin behauptet,

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die Bache sei von dem Beklagten aufgescheucht worden und dadurch in Panik und Todesangst geraten. In diesem Zustand sei sie durch die Fuhse geschwommen und anschließend in das Haus der Klägerin geraten.

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Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte als Jagdpächter die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht für sein Jagdgebiet verletzt habe. Er hätte dafür Vorsorge treffen müssen, dass kein durch die Jagd aufgescheutes und flüchtendes Wild in befriedete Bezirke gelangen könne.

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Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

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a) an sie 15.070,97 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.06.2001 zu zahlen und

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b) ihr ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte bestreitet, dass die von ihm aufgescheute Bache mit derjenigen identisch gewesen sei, die schließlich im Hause der Klägerin die Schäden angerichtet habe. Es sei durchaus möglich, dass das Tier durch andere Ursachen als die von ihm, dem Beklagten, durchgeführte Jagd aufgescheucht worden sei. Außerdem entspreche es nicht dem natürlichen Instinkt eines Wildschweines, durch Jagdaktivitäten in Panik und Todesangst versetzt zu werden und in Häuser einzubrechen. Das Verhalten der Bache sei deshalb nur mit einer Krankheit oder einem sonstigen Defekt zu erklären.

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Ferner bestreitet der Beklagte die Höhe des Schadens mit Nichtwissen.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die überreichten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg; der Klägerin stehen Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt u.

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Es erscheint bereits fraglich, ob das schadensstiftende Wildschwein mit dem von dem Beklagten aufgescheuchten Wildschwein tatsächlich identisch ist. Da zwischen dem Jagdbezirk des Beklagten und dem Haus der Klägerin unstreitig eine Entfernung von 2 km liegt und die Strecke dazu noch zweimal von der ... durchflossen wird, besteht keine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Wildschwein tatsächlich bei der Jagd des Beklagten aufgescheucht worden ist. Bei der Vielzahl von vorhandenen Wildschweinen und gegebenen Möglichkeiten diese zu erschrecken und aufzuscheuchen, erscheint es durchaus möglich, dass es sich um ein

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anderes Wildschwein gehandelt hat.

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Letztlich kann jedoch diese Frage offen bleiben; denn der entstandene Schaden ist nicht auf die Verletzung einer dem Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht zurückzuführen.

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Zwar ergibt sich bereits aus dem aus § 823 Abs.1 BGB abgeleiteten allgemeinen Grundsatz des Deliktsrechts, dass, wer eine Gefahrenquelle schafft, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren Maßnahmen treffen muss, damit sich potentielle Gefahren nicht in einem Schaden Dritter auswirken können. Unterlässt der Verantwortliche solche Maßnahmen, so kann er für den Schaden ersatzpflichtig werden, der auf seinem Unterlassen beruht.

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Andererseits ist eine Verkehrssicherung, die jeden möglichen Unfall ausschließt, nicht erreichbar. Deshalb muss nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eine Schadenseintrittsvorsorge getroffen werden. Vielmehr sind nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei der Durchführung einer Jagd drohen. Haftungsbegründend in diesem Sinne wird eine Gefahr erst, wenn sich für einen sachkundig Urteilenden die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Die Pflicht zur potentiellen Gefahrenabwehr ist von der Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit der Jagdausübung in der Nähe von Straßen entwickelt worden. Der Jagdausübungsberechtigte wird z.B. für verpflichtet gehalten, bei Treib- oder Drückjagden das Wild nicht in Richtung auf eine befahrene Straße zu treiben oder zu drücken, sondern das Treiben von der Straße möglichst wegzuführen und einem Auswechseln des Wildes nach rückwärts zusätzlich vorzubeugen durch möglichst dichte Treiberketten oder durch Anbringen von sogenannten Jagdlappen entlang der gefährdeten Straßen.

19

Diese potentiellen Gefährdungen des Straßenverkehrs sind jedoch mit dem hier tatsächlich eingetretenen Schaden im Hause der Klägerin nicht vergleichbar. Während es für einen Jagdveranstalter voraussehbar ist, dass flüchtendes Wild unter Umständen auch Straßen überquert, um sich in Sicherheit zu bringen, war es für den Beklagten nicht vorhersehbar, dass aufgescheuchtes Wild nicht nur fliehen und anderswo Deckung suchen könnte, sondern dass die schadensstiftende Bache in Richtung des Wohngebietes 2 km weit fliehen, dabei zweimal die ... durchqueren und schließlich noch mitten im Ortskern durch eine geschlossene Terrassentür in ein Wohnhaus gelangen könnte. Ein derartiger Geschehensablauf ist so außergewöhnlich, dass er für den Beklagten nicht vorhersehbar war.

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Ebensowenig kann dem Beklagten als Pflichtverletzung vorgeworfen werden, dass er die aufgescheuchte Bache nicht erlegt hat. Das Unterlassen des Abschusses könnte dem Beklagten nur dann zur Last gelegt werden, wenn er das spätere Verhalten der Bache hätte vorhersehen können, wenn insbesondere konkrete Anhaltspunkte für ein unnatürliches Verhalten des Wildschweines vorhanden gewesen wären. Die Klägerin trägt zwar insoweit vor, dass das Wildschwein durch das Aufscheuchen in Panik versetzt worden sei. Hieraus lässt sich jedoch nicht entnehmen, welche konkreten Anhaltspunkte darauf hingedeutet haben könnten, dass die Reaktionen des Wildschweins nicht mehr dem typischen Verhalten eines Tieres entsprachen. Ein schnelles Weglaufen reicht insoweit jedenfalls nicht aus, um etwa auf einen geistigen Defekt des Wildschweines schließen zu lassen.

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War aber das spätere Geschehen für den Beklagten unvorhersehbar, so kann ihm die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nicht vorgeworfen werden. Die von der Klägerin insoweit gestellten Anforderungen, wonach jedes Ausbrechen des Wildes verhindert werden müsste, würden letztlich dazu führen, dass jede Jagd eingestellt werden müsste; denn ein Absperren eines Jagdbezirkes in einer Weise, dass ein Ausbrechen von Wild ausgeschlossen ist, ist praktisch unmöglich.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO.

23

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus

24

§ 708 Nr.11,711 ZPO.