Landgericht Lüneburg
Urt. v. 14.03.2002, Az.: 2 O 314/01

Voraussetzungen des Anspruchs eines Vorerben auf Auszahlung des Guthabens eines Girokontos nach Eintritt des Erbfalles

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
14.03.2002
Aktenzeichen
2 O 314/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 32709
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2002:0314.2O314.01.0A

Fundstellen

  • WM 2002, 2242-2243
  • WuB 2003, 111-112
  • ZBB 2002, 510

In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 21.02.2002
durch
die Richterin ... als Einzelrichterin
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 25.218,12 EUR (49.322,35 DM) nebst Zinsen i.H.v. 5 % Punkten über dem Basiszinssatz nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz seit dem 24.11.2001 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Auszahlung eines Guthabens nach einem Erbfall.

2

Die Klägerin ist Alleinerbin der am 20.07.2001 verstorbenen ... wobei die Klägerin als nicht befreite Vorerbin eingesetzt ist. Als Nacherbin wurden ihre Abkömmlinge zu gleichen Teilen eingesetzt. Als Ersatznacherben wurden ... und ... eingesetzt, die jedoch mit notarieller Urkunde vom 29.11.2001 auf alle ihre Nacherbenrechte verzichteten, was die Klägerin annahm. Die Klägerin hat bis zum heutigen Datum keine Abkömmlinge. Die Erblasserin unterhielt bei der Beklagten acht Konten, wobei die Klägerin den genauen Kontostand aller Konten nicht kennt. Das Kontokorrentkonto ... wies am 30.09./04.10.2001 ein Guthaben in Höhe des Klagebetrages auf. Die Klägerin forderte die Beklagte unter Vorlage des Erbscheins mehrfach auf, die Konten aufzulösen und die Guthabenbeträge auf ihr Konto bei der Hamburger Sparkasse zu überweisen. Die Beklagte verweigerte dies mit der Begründung, es fehle dafür an der Zustimmung der Nacherben.

3

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte halte das Guthaben zu Unrecht zurück. Sie sei zur Verfügung über das Guthaben befugt.

4

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 25.218,12 EUR (49.322,35 DM) nebst Zinsen hierauf i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

5

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei verpflichtet, eine Zustimmung der Nacherben einzuholen, um Regressansprüchen zu entgehen.

7

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist begründet.

9

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auszahlung des Guthabens nach §§ 700, 607, 922 BGB.

10

Mit dem Eintritt des Erbfalles ist die Klägerin als Vorerbin in alle Rechte und Pflichten der Erblasserin, die sich aus dem Girovertrag mit der Beklagten ergeben, eingetreten. Als Berechtigte kann sie daher den Girovertrag jederzeit kündigen und die Auszahlung des Geldes verlangen.

11

Die Anordnung einer Vorerbschaft steht dem nicht entgegen. Der Nachlass bildet in der Hand des Vorerben ein Sondervermögen, das von dessen übrigen Vermögen zu trennen ist und über das der Vorerbe nur nach Maßgabe der §§ 2112 ff BGB mehr oder weniger frei unter Lebenden verfügen kann. Dem Vorerben kommt daher eine besondere Vertrauensstellung zu. Die Anordnung der Vorerbschaft bedingt, dass die Substanz des Nachlasses für die Nacherben erhalten bleibt. Der Vorerbe ist Erbe und Eigentümer des Nachlasses und dadurch auch zur Verfügung über Nachlassgegenstände befugt. Dies ergibt sich bereits aus § 2112 BGB. Demnach kann der Erbe verfügen, soweit sich nicht aus den §§ 2113-2115 BGB etwas anderes ergibt. Seine Verfügungen sind daher dinglich wirksam. Unter Verfügung ist die dingliche Übertragung, Belastung, inhaltliche Änderung und Aufgabe eines Nachlassgegenstandes oder -rechtes zu verstehen. Eine unentgeltliche Verfügung ist gegeben, wenn für das vom Vorerben weggegebene keine objektiv gleichwertige Gegenleistung in den Nachlass fließt und der Vorerbe subjektiv weiß, dass dem Nachlass keine gleichwertige Gegenleistung zufließt, oder er doch bei ordnungsgemäßer Verwaltung der Masse unter Berücksichtigung seiner künftigen Pflicht, die Erbschaft dem Nacherben herauszugeben, das Fehlen oder die Unzulänglichkeit der Gegenleistungen hätte erkennen müssen (BGHZ 7, 278 f). Das Guthaben bleibt vielmehr in gleicher Höhe erhalten und wird durch die Überweisung lediglich umgeschichtet. Die Klägerin hatte zudem nie die Absicht, die Erbmasse den Nacherben zu entziehen, sie wollte es vielmehr getrennt von ihrem übrigen Vermögen nach § 2119 BGB anlegen. Da derzeit die Nacherben unbekannt sind, hat sie - nicht die Beklagte - dafür zu sorgen, dass die Vermögensmassen getrennt sind.

12

Die Auflösung und Abhebung von einem Konto ist keine unentgeltliche Verfügung. Eine solche setzte voraus, dass die Klägerin ihr Geld ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten, an einen Dritten überträgt. Die Auszahlung des Geldes der Klägerin an die Klägerin ist daher nicht unentgeltlich, da sie es nicht weg gibt.

13

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2119 BGB. Demnach ist das Geld wie Mündelgeld anzulegen. Eine Zustimmung zur Anlegung oder zur Abhebung bedarf es nach herrschender Meinung nicht (Palandt/Edenhofer, 61. Aufl., § 2119, Rdnr. 1). Der Beklagten steht daher kein Zurückbehaltungsrecht auf Grund einer im Falle der Auszahlung möglichen Pflichtverletzung gegenüber den derzeit unbekannten Nacherben zu. Die Klägerin ist als nach § 2112 BGB Verfügungsberechtigte befugt, das geerbte Guthaben auf das Konto der Sparkasse einzuzahlen. Es bedarf dafür weder der Zustimmung der Nacherben noch der Kennzeichnung des Kontoguthabens als Vorerbschaftsmasse. Die §§ 1809, 1810 BGB sind nicht entsprechend anzuwenden. Hätte der Gesetzgeber den Schutz des Nacherben für Forderungen gegen Kreditinstitute gewollt, so hätte er eine entsprechende Regelung in den §§ 2116-2118 BGB getroffen. Die Verfügungsbeschränkungen ergeben sich für den Vorerben lediglich aus den §§ 2113-2115 BGB. Mit dem Eintritt des Nacherbfalles sind eben diese Verfügungen unwirksam und waren auch schon vorher nur aufschiebend bedingt wirksam. Da der Geschäftszweck in der Regel den Nachweis dauernder Wirksamkeit gegenüber Dritten fordert, ist der Vorerbe bei Verfügungen im Sinne der §§ 2113-2115 BGB auf einer Einwilligung des Nacherben angewiesen. Als Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass dies in allen anderen Fällen nicht der Fall ist. Eine andere Auslegung des § 2119 BGB führte zu einer unzulässigen Beschränkung des Vorerben als Eigentümer und Herr des Nachlasses. Insofern unterscheidet sich auch die Position des Vorerben von der des Vormundes, der lediglich ein fremdes Vermögen verwaltet. Einer im Schrifttum vertretenen Ansicht ist nicht zu folgen.

14

Die Zinsen ergeben sich aus §§ 291, 288, 187 BGB.

15

Die Klage wurde der Beklagten am 23.11.2001 zugestellt, so dass ab dem 24.11.2001 Zinsen geschuldet sind.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

17

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 ZPO.