Sozialgericht Stade
Urt. v. 30.11.2006, Az.: S 3 SB 147/05

Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 im Hinblick auf die Inanspruchnahme der Vertrauensschutzregelung der vorgezogenen Altersrente; Anhaltspunkte für die ärztliche gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP 2004) als antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Qualität

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
30.11.2006
Aktenzeichen
S 3 SB 147/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 36983
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2006:1130.S3SB147.05.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen AZ: L 12 SB 13/06

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004" entsprechen dem seinerzeit sozialmedizinischen wissenschaftlichen Kenntnisstand.

  2. 2.

    Im Falle einer Krebsdiagnose kommt über den Zeitraum der "Heilungsbewährung" hinaus ein höherer Grad der Behinderung wegen der erhöhten psychischen Belastung nur in Betracht, wenn die dadurch gegebene psychische Belastung beim Betroffenen größer als bei vergleichbaren anderen Krebskranken ist.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungs- bzw. Neufeststellungsverfahrens die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 für die Zeit von Mai 2002 bis Dezember 2004, um im Hinblick auf die Möglichkeit der vorgezogenen Altersrente wegen Schwerbehinderung ab dem 62. Lebensjahr von der Vertrauensschutzregelung Gebrauch machen zu können.

2

Bei dem am 26. Oktober 1944 geborenen Kläger wurde im November 1998 histologisch ein hochmalignes Non-Hodgkin-Lymphom vom Typ eines großzelligen B-Zell-Lymphoms (Zentroblastisches Lymphom) mit Hautbefall am Rücken diagnostiziert. Der Kläger erhielt von Dezember 1998 bis Februar 1999 Chemotherapiekurse. Anschließend wurde von Februar bis März 1999 eine Strahlentherapie durchgeführt. Die Kontrolldiagnostik ergab keinen Anhalt für ein lokales cutanes Lymphomrezidiv oder ein Auftreten des Lymphoms an anderer Stelle und den Status der kompletten Remission.

3

Mit Bescheid vom 9. März 2004 stellte die Versorgungsverwaltung für die Funktionsbeeinträchtigung:

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Non-Hodgkin-Lymphom für die Zeit vom 1. November 1998 bis 31. März 1999 einen GdB von 100 und für die Zeit vom 1. April 1999 bis 30. April 2002 einen GdB von 80 fest. Ab 1. Mai 2002 wurde eine Feststellung nicht mehr getroffen, weil die vorgeschriebene Zeit der Heilungsbewährung hinsichtlich des Non-Hodgkin-Lymphoms rezidivfrei abgelaufen sei.

5

Am 7. Januar 2005 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Verden die Feststellung eines höheren GdB für die Zeit ab 1. Mai 2002 bis Dezember 2004 mit der Begründung, dass in seinem Fall eine fünfjährige Heilungsbewährung zu berücksichtigen sei, da ein maligner Tumor der Haut vorgelegen habe. Mit Bescheid vom 15. Februar 2005 lehnte der Beklagte den Feststellungsantrag mit der Begründung ab, dass es sich um ein hoch-malignes Non-Hodgkin-Lymphom und nicht um einen primären Hauttumor handele. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2005).

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Am 25. August 2005 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, dass es sich in seinem Fall primär um ein hochmalignes Non-Hodgkin-Lymphom der Haut gehandelt habe und die Erkrankung nur auf die Haut beschränkt gewesen sei, ohne dass davon innere Organe befallen gewesen wären. Die operative Entfernung seines cutanen Lymphoms sei die gleiche Behandlung wie beim schwarzen Melanom. Eine dreijährige Heilungsbewährung sei deshalb zu gering und es müsse von mindestens fünf Jahren wie für alle Hauttumore ausgegangen werden. In neueren Richtlinien für Lymphome werde darüber hinaus sogar eine Ausweitung von über sechs Jahren vorgeschlagen. Der Kläger hat wiederholt angeregt, ein Gutachten des Hautarztes Prof. Dr. F., Universität G., zu Fragen des cutanen Lymphoms einzuholen.

7

Der Kläger beantragt:

  1. 1.

    Der Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2005 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Der Beklagte wird verpflichtet, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von mindestens 50 auch für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis 31. Dezember 2004 festzustellen.

8

Der Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

9

Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Bei Non-Hodgkin-Lymphomen sei eine Zeit der Heilungsbewährung von drei Jahren nach Eintritt der Vollremission abzuwarten. Entscheidend sei die Rezidivgefahr. Ein Non-Hodgkin-Lymphom der Haut sei danach nicht anders zu beurteilen, als übrige Non-Hodgkin-Lymphome.

10

Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichtes von Prof. Dr. H. / Dr. I. (Diakoniekrankenhaus J.) vom 16. März 2006.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Schwerbehindertenakte (Az 27-38856) verwiesen, der zum Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe

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Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung eines GdB von 50 in der Zeit von Mai 2002 bis Dezember 2004. Im Einzelnen:

13

1.

Bei dem Kläger war zu Recht durch den Bescheid vom 9. März 2004 die Feststellung getroffen, dass ab 1. Mai 2002 ein GdB nicht (mehr) vorliegt.

14

Die Überprüfung von nicht begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsakten richtet sich nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu unrecht erhoben worden sind. Auf Bescheide über die Feststellung des GdB ist § 44 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar. Die Feststellung eines GdB erfolgt zwar durch Verwaltungsakt. Durch die Feststellung des GdB werden aber keine Sozialleistungen erbracht oder Beiträge erhoben. Einschlägig ist vielmehr § 44 Abs. 2 SGB X. Danach ist im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Voraussetzung für eine Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 44 Abs. 2 SGB X ist ebenso wie bei Überprüfung von Bescheiden nach § 44 Abs. 1 SGB X, dass bei Erlass des zur Überprüfung gestellten Bescheides das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Bei der Entscheidung durch den Bescheid vom 9. März 2004, dass eine Feststellung des GdB ab 1. Mai 2002 nicht getroffen werden kann, ist der Beklagte vom richtigen Sachverhalt ausgegangen und hat das Recht richtig angewandt.

15

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Menschen sind unter den weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

16

Die Beurteilung und Festsetzung des GdB ist unter Heranziehung der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004" (AHP 2004) festzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 19 m.w.N.) gelten die AHP als antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Qualität und sind von der Verwaltung und den Gerichten im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung zur Konkretisierung des Normbefehls des § 69 SGB IX wie untergesetzliche Normen anzuwenden. Die generelle Richtigkeit der AHP kann deshalb durch Einzelfallgutachten nicht widerlegt werden (vgl BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205 -211). Die AHP sind allerdings - wie untergesetzliche Rechtsnormen - zu prüfen: auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetz und Verfassung, auf Berücksichtigung des ge-genwärtigen Kenntnisstandes der sozialmedizinischen Wissenschaft sowie auf Lücken in Sonderfällen, die wegen der individuellen Verhältnisse gesondert zu beurteilen sind (vgl auch BVerfG SozR 3-3780 § 3 Nr. 6 S 12).

17

Es ist nicht ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die AHP 2004 nicht mehr dem sozialmedizinischen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprochen haben. Das BSG (Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205 -211) hat grundsätzlich ausgeführt, dass die Gerichte davon ausgehen könnten, dass der Ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion Versorgungsmedizin - regelmäßig die ihm gestellte Aufgabe erfülle und bei jeder Ausgabe der AHP sowie danach durch laufende Überarbei-tung neue Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkung von Gesundheitsstörungen berücksichtige. Bei den derzeit gültigen AHP, die im Jahre 2004 aktualisiert wurden und die alle bis zum 1. Mai 2004 gefassten begutachtungsrelevanten Beschlüsse des Ärztlichen Sachverständigenbeirats - Sektion Versorgungsmedizin - berücksichtigen, hat die Kammer keine Zweifel an der Aktualität der AHP. Das Gericht sah sich daher auch nicht veranlasst, weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen oder den Anregungen des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen.

18

Ausgehend von Kapitel 26.16 der AHP 2004 (Seite 103) ist bei einem Fall wie dem vorliegenden von der Zeit einer Heilungsbewährung von drei Jahren auszugehen, die im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides abgelaufen war. In der Zeit danach richtet sich der GdB nach den verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen. Eine Anwendung der fünf-jährigen Heilungsbewährung nach Kapitel 26.17 der AHP (Seite 110 f), die zu einem Tei-lerfolg des Klägers für die Zeit bis 30. April 2004 führen würde, ist dagegen nicht angezeigt. Die fünfjährige Heilungsbewährung gilt nach den AHP für maligne Tumore der Haut, sofern keine Ausnahmebestimmungen vorgesehen sind (z.B. Basalzellkarzinome, Bowen-Krankheit, Melanoma in situ). Für Non-Hodgkin-Lymphome treffen die AHP eine eigenständige Heilungsbewährung von drei Jahren.

19

Bei der Anhebung des GdB-Grades unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung handelt es sich um ein mehr oder weniger pauschales Verfahren, in welchem - ohne gesonderte Anerkennung einer irgendwie diagnostizierten geistig-psychischen Behinderung ("Rezidivangst") - (vgl Sächsisches LSG, Urteil vom 28. September 2004 - L 6 SB 7/03) der psychischen Ausnahmesituation, die bei bestimmten Diagnosen wie z.B. der Krebsdiagnose besteht, umfassend Rechnung getragen werden soll (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 20. Oktober 1999 - L 4 SB 23/97; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 23. Mai 2003 - L 2 U 259/02). Die Ungewissheit (vgl BSG, Urteil vom 27. Juli 1978 - 9 RV 48/77) spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Solange die "Heilungsbewährung" noch nicht eingetreten ist, hängt die Bedrohung des Rezidivs über dem Betroffenen (vgl BSG, Urteil vom 25. Mai 1988 - 9 9a RVs 8/87), dessen besonderer psychosozialer Belastung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. September 1994 - L 2 U 680/91, Breith 1995, 595) durch eine pauschale Regelung Rechnung getragen wird, die sich insbesondere am Gleichheitsgrundsatz orientiert (vgl BSG, Beschluss vom 10. Dezember 1987 - 9 a BVs 34/87). In diesem Zusammenhang geht es um die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors verbunden sind (vgl BSG, Urteil vom 9. August 1995 - 9 RVs 14/94). Hierzu zählen die Dauertherapie, das Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, eine notwendige Schonung, die Antriebsarmut, die Hoffnungslosigkeit und eventuelle soziale Anpassungsprobleme (Sächsisches Landessozialgericht , Urteil vom 25. Mai 2005 - L 6 SB 55/04). Entscheidend für die Zeit der Heilungsbewährung ist danach die Rezidivgefahr. Non-Hodgkin-Lymphome der Haut sind insofern nach Mitteilung von Prof. Dr. H. und Dr. I. im Befundbericht vom 16. März 2006 nicht anders zu beurteilen als die übrigen Non-Hodgkin-Lymphome.

20

Bei dem Kläger bestand in dem streitbefangenen Zeitraum ab Mai 2002 die typische Situation, dass nach einer statistisch bemessenen Zeit des Abwartens die "Ungewissheit" doch zu einem Großteil als erledigt gilt. Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger im streitigen Zeitraum bis Dezember 2004 eine (im Vergleich zu anderen Krebskranken) außer-gewöhnliche psychische Belastung vorlag, sind nicht ersichtlich. Der Dreijahreszeitraum der "Heilungsbewährung" trägt pauschaliert der erhöhten psychischen Belastung infolge der Krebsdiagnose Rechnung. Über diesen Zeitraum hinaus käme ein höherer GdB wegen dieses Gesichtspunktes nur in Betracht, wenn z.B. eine psychische Folgeerscheinung in Form einer erheblichen reaktiven Depression bestünde, wofür es keine Hinweise gibt. Dafür, dass die dadurch gegebene psychische Belastung beim Kläger größer als bei vergleichbaren anderen Krebskranken mit der Diagnose eines Non-Hodgkin-Lymphom ist, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Ebenso wenig sind Anzeichen dafür vorhanden, dass beim Kläger andere Funktionsbeeinträchtigungen vorlagen. Ausweislich der kontrolldia-gnostischen Untersuchungen ergaben sich keine pathologische Befunde.

21

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass bei Krebskranken immer lebenslang die Gefahr eines Rezidivs bzw. einer Metastasierung besteht. Dieser Gesichtspunkt allein vermag jedoch, wie dargelegt, für sich allein keinen (höheren) GdB im steitbefangenen Zeitraum zu rechtfertigen.

22

2.

Gleiches gilt, soweit der Kläger seinen Anspruch auf eine begehrte Neufeststellung stützt. Rechtsgrundlage für das Neufeststellungsbegehren des Klägers ist § 48 Abs. 1 S 1 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, um den es sich bei dem Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes Verden vom 9. März 2004 handelt, aufzuheben und der Anspruch neu festzustellen, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen kann sowohl im Sinne einer Besserung als auch im Sinne einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes eingetreten sein. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich der im streitigen Zeitraum bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit dem verbindlich festgestellten objektiven Behinderungszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Hochrechnung des zum letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl BSG, Urteil vom 19. September 2000 - B 9 SB 3/00 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Juni 2002 - L 6 SB 142/00). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der Grad der Behinderung wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen würden, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X auch dann vor, wenn für die der anerkannten Behinderungen zugrunde liegenden Erkrankungen die so genannte Heilungsbewährung abgelaufen ist.

23

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist eine wesentliche Veränderung im Sinne einer Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zum zuletzt bindend gewordenen Feststellungsbescheid vom 9. März 2004 nicht eingetreten. Dieser Verwaltungsakt ist nicht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu ändern, weil sich die ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse seither weder in tatsächlicher Hinsicht noch in rechtlicher Hinsicht bis jetzt wesentlich geändert haben (vgl zum Beurteilungszeitpunkt bei Verpflichtungsklagen BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 9 sowie Urteil vom 7. November 2001 - B 9 SB 1/01 R - [...]). Daher hat der Beklagte den Neufeststellungsantrag zu Recht abgelehnt. Über die von dem Beklagten mit Bescheid vom 9. März 2004 abgegebene Feststellung hinaus liegen die Voraussetzungen zur Feststellung eines GdB nicht vor. Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers haben sich nicht im Sinne einer Verschlimmerung wesentlich verändert. Ebenso wenig haben sich die hier maßgeblichen Verhältnisse seit 2004 durch Neufassung, Weiterentwicklung oder Wegfall der AHP (vgl dazu BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5) geändert, auf deren Grundlage Verwaltung und Gerichte den GdB einschätzen.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.