Sozialgericht Stade
Beschl. v. 18.01.2006, Az.: S 8 AS 396/05 ER
Untermietvertrag als Indiz für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft und damit einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3b Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II)
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 18.01.2006
- Aktenzeichen
- S 8 AS 396/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 36971
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2006:0118.S8AS396.05ER.0A
Rechtsgrundlage
- § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II
Tenor:
Der Antrag vom 7. Dezember 2005 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der 1965 geborene Antragsteller (AS), wohnhaft in C., Am D. 1, beantragte am 26. November 2004 für sich als Alleinstehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 2. Sozialgesetzbuch (Alg II). Dem Antrag war die Kopie eines Untermietvertrages vom 16. Februar 1998 zwischen dem AS, wohnhaft E., Am F. 163, und dem Vermieter / Hauptmieter (dessen Name und Unterschrift unkenntlich gemacht war) beigefügt, als Mietsache war angegeben "2 Zimmer im Obergeschoss des Einfamilienhauses und 1 Bad". Leistungen wurden bewilligt bis November 2005 (Bescheide vom 2. Dezember 2004; vom 11. April, 1. Juli und 1. November 2005).
Anfang November 2005 stellte der Antragsgegner (AG) fest, dass der AS und die Zeugin Frau G. (geboren 1964) seit dem 17. Januar 1998 mit der Wohnanschrift "Am D. 1" beim zuständigen Einwohnermeldeamt gemeldet waren und vorher gemeinsam in H., I. weg 16 gewohnt hatten. Der AG forderte daraufhin mit Schreiben vom 9. November 2005 zur Überprüfung, ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, den AS auf, den Untermietvertrag und den Hauptmietvertrag ohne Unkenntlichmachung der Namen sowie eine schriftliche Erklärung des Hauseigentümers über dessen Einverständnis mit der Untervermietung vorzulegen. Da der AS dem nicht nachkam, hob der AG mit Bescheid vom 28. November 2005 die Leistungsbewilligung zum 30. November 2005 auf.
Mit seinem Antrag vom 7. Dezember 2005 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der AS die Verpflichtung des AG, über den 30. November 2005 hinaus Alg II zu zahlen.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruches i.S. eines materiellrechtichen Anspruchs und eines Anordnungsgrundes i.S. einer besonderen Eilbedürftigkeit sowie die Glaubhaftmachung der dafür maßgeblichen Tatsachen. Der AS hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es ist zur Zeit überwiegend wahrscheinlich, dass der AS mit der Zeugin Frau G. in einer eheähnlichen Gemeinschaft und damit in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II lebt. Da bei einem derartigen Sachverhalt die Einkommens- und Vermögensverhältnisse aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu überprüfen sind und der AG dazu bislang keine Gelegenheit hatte, ist eine Verpflichtung des AG zur sofortigen Wiederaufnahme der Alg II - Zahlung an den AS nicht anzuordnen.
Nach den von der Rechtssprechung entwickelten Grundsätzen liegt eine eheähnliche Gemeinschaft vor, wenn Mann und Frau wie ein nicht getrennt lebendes Ehepaar in gemeinsamer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft leben, sie also in Übereinstimmung einen gemeinsamen Haushalt führen, wie es für zusammenlebende Ehegatten typisch ist und aus der Dauer und der nach außen erkennbaren Intensität der gelebten Gemeinschaft (vgl. BVerwGE 98, 195 ff) auf innere Bindungen zwischen den Partnern geschlossen werden kann, die ein gegenseitiges Einstehen für einander erwarten lassen. Unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles sind alle Anhaltspunkte in ihrem Zusammenhang zu bewerten und zu gewichten (LSG Nds.-Bremen vom 6. Juli 2005 L 8 AS 137/05 ER). Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass den bloßen Erklärungen der Partner, sie lebten nicht in eheähnlicher Gemeinschaft, regelmäßig wenig oder keine Bedeutung zukommt, wenn sie sich vor dem Hintergrund der objektiv erkennbaren Umstände als bloße Behauptung herausstellen.
Davon ausgehend erweist sich das langjährige Zusammenleben des AS und Frau G. s seit 1996 und der gemeinsame Umzug Anfang 1998 in das jetzt noch bewohnte Haus als wichtigstes Indiz für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft, zumal die Wohnungsbesichtigung am 20. Dezember 2005 durch den AG keinen für den AS klar abgrenzbaren und bei der von ihm gezahlten Miete angemessen zu beurteilenden eigenen Wohnbereich ergeben hat - Wohn- und Schlafzimmer sowie Küche und Bad werden von beiden Partnern offensichtlich gemeinsam genutzt, während die dem AS angeblich zur ausschließlich eigenen Nutzung zugeordneten Räume eher den Eindruck eines Hauswirtschaftsraumes und eines Gästezimmers hinterlassen haben. Die Behauptung des AS und Frau G. s, sie hätten sich bereits wenige Wochen nach ihrem gemeinsamen Umzug im Januar 1998 in das Haus Am D. 1 als Liebespaar getrennt und danach nur noch wie Bruder und Schwester zusammen gelebt, ist deshalb nicht glaubhaft, denn die innerliche Trennung nicht verheirateter Partner führt regelmäßig über kurz oder lang ebenso wie bei Eheleuten auch zur äußerlichen Trennung und Beendigung der Wohngemeinschaft.
Darüber hinaus spricht auch der anlässlich des ersten Leistungsantrages vorgelegte Untermietvertrag gegen die Glaubwürdigkeit des AS und der Zeugin. Wie sich im Erörterungstermin herausgestellt hat, ist dieser Vertrag entgegen seinem äußeren Anschein nicht am 16. Februar 1998 aufgesetzt worden, sondern erst nachträglich anlässlich des Leistungsantrages im November 2004. Die Unkenntlichmachung des Namens des Hauptmieters / Vermieters und die Verdeckung der Tatsache, dass der AS im Februar 1998 bereits im Haus Am D. 1 wohnte durch die falsche Angabe unter Nummer 1 des Vertrages, nach der er zur Zeit des Vertragabschlusses noch in E., Am F. 163 wohnte (womit auch versucht wurde, die bereits seit über einem Jahr bestehende Wohngemeinschaft in H., I. weg 16 unerkannt zu lassen), drängt die Vermutung auf, hier sei gezielt versucht worden, dass Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zu verschleiern.
Angesichts dieses Sachverhalts ist bei der im Eilverfahren nur eingeschränkt möglichen Überprüfung des Sachverhalts vom derzeitigem Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Aussicht auf Erfolg hatte.