Sozialgericht Stade
Beschl. v. 09.01.2006, Az.: S 15 KR 241/05 ER

Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Erhebung von Beiträgen zur Krankenversicherung durch die Krankenversicherung nur aus den tatsächlich zugeflossenen nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
09.01.2006
Aktenzeichen
S 15 KR 241/05 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 47615
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2006:0109.S15KR241.05ER.0A

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin sowie gegen einen Bescheid der bei dieser eingerichteten Pflegekasse, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides.

2

Der am 29. Januar 1940 geborene Antragsteller ist seit dem 01. Juli 1967 bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er war vom 01. Mai 1964 bis zum 31. März 2000 bei der Fa. E. GmbH in F. beschäftigt und bezieht seit dem 01. April 2001 Altersrente. Am 01. Dezember 1990 erhielt der Antragsteller von seinem früheren Arbeitgeber die Zusage über eine betriebliche Altersversorgung in Form einer Kapitalzahlung in Höhe von DM 300000,00, zahlbar in fünf Jahresraten à DM 60000,00 ab Vollendung des 65. Lebensjahres im Jahr 2005. Mit als "Anwartschaftsausweis" bezeichnetem Schreiben vom 20. Februar 2004 bezifferte der G. (im Folgenden: H.) die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft des Antragstellers unter Berücksichtigung des vorzeitigen Austritts aus dem Betrieb des früheren Arbeitgebers mit EUR 135213,00. Der Anlage zum sog Anwartschaftsausweis zufolge "erfolgt die Auszahlung der Kapitalleistung jährlich ab Vollendung des 65. Lebensjahres in fünf gleich hohen Teilbeträgen".

3

Am 15. November 2004 beantragte der Antragsteller beim H. die Leistungsaufnahme. Mit Schreiben vom 25. Januar 2005 teilte der H. der Antragsgegnerin mit, dass dem Antragsteller mit Wirkung zum 29. Januar 2005 eine Kapitalleistung in Höhe von EUR 27043,00 ausgezahlt werde, was ankündigungsgemäß auch erfolgte.

4

Mit Einstufungsbescheid vom 27. April 2005 stellte die Antragsgegnerin fest, der Antragsteller habe eine Kapitalleistung ausgezahlt bekommen, die als Versorgungsbezug betragspflichtig sei. Für die Beitragsberechnung werde die Kapitalleistung auf 10 Jahre umgelegt. Für diesen Zeitraum gelte monatlich jeweils 1/120 des Gesamtbetrages als Ausgangswert für die Beitragsberechnung ("Berechnung 135213,00 Euro:120 Monate"). Der so errechnete monatliche Beitrag wurde mit EUR 165,64 beziffert. Beginn der Beitragspflicht sei der 01. Januar 2005. Die bei der Antragsgegnerin eingerichtete Pflegekasse erließ ebenfalls am 27. April 2005 einen entsprechenden Bescheid, dem zufolge der Antragsteller beginnend ab dem 01. Januar 2005 einen monatlichen Beitrag in Höhe von EUR 19,16 zu entrichten habe.

5

Mit Schreiben vom 17. Mai 2005 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen den "Einstufungsbescheid vom 27.04.2005". Zur Begründung berief er sich darauf, nicht EUR 135213,00, sondern erst EUR 27043,00 ausgezahlt bekommen zu haben. Er meint, nur der tatsächliche Zahlbetrag sei der Ermittlung des monatlichen beitragspflichtigen Versorgungsbezuges zu Grunde zu legen. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2005 wiesen sowohl die Antragsgegnerin als auch die bei ihr eingerichtete Pflegekasse den Widerspruch des Antragstellers zurück. Zur Begründung berief sich die Antragsgegnerin auf ein Gemeinsames Rundschreiben zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner von den Spitzenverbänden der Krankenkassen, des Verbands deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 17. März 2004.

6

Gegen diese Widerspruchsbescheide hat der Antragsteller am 10. Oktober 2005 Klage erhoben und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Bescheide vom 27. April 2005 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14. September 2005 beantragt.

7

Den Ausführungen des Antragstellers zufolge zweifelt dieser nicht die Übereinstimmung des § 229 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der Fassung des Gesundheitsmodernierungsgesetzes (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I 2003, 2190) mit der Verfassung oder mit einfachem Bundesrecht an. Er meint jedoch, unter dem Begriff der Leistung im Sinne von § 229 SGB V sei nur eine tatsächlich zugeflossene Zahlung zu verstehen und nicht der bloße Anspruch auf Zahlung weiterer Teilbeträge aus einer Gesamtversorgungszusage. Darüber hinaus würde die Vollziehung für den Antragsteller auch eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge haben. Der Antragsteller müsste Sozialversicherungsbeiträge für künftige Einnahmen zahlen, die er, sollte er vor Fälligkeit der Teilzahlungszeitpunkte versterben, niemals zu Gesicht bekommen würde.

8

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage dergestalt anzuordnen, dass die Beklagte bis zum Abschluss des Verfahrens Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nur aus den dem Kläger tatsächlich zugeflossenen nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen erheben darf.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einstweiligen Rechtsschutzes als unbegründet zurückzuweisen.

10

Die Antragsgegnerin bezieht sich auf die Gründe des Widerspruchsbescheides.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

12

II.

1.

Soweit Gegenstand des Antrags der Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2005 ist, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig. Gemäß § 86 b Abs. 1 S 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage u.a. bei der Entscheidung über Beitragspflichten sowie der Anforderung von Beiträgen. Mithin hat die am 10. Oktober 2005 erhobene Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2005 keine aufschiebende Wirkung.

13

2.

Soweit Gegenstand des Antrags der Bescheid der bei der Antragsgegnerin eingerichteten Pflegekasse von 27. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2005 ist, ergeben sich bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags, da der anwaltlich vertretene Antragsteller in der Klageschrift ausdrücklich nur die Antragsgegnerin als Krankenversicherungsträger, nicht jedoch die bei ihr eingerichtete Pflegekasse als Beklagte bezeichnet hat. Ob es sich hierbei um eine bewusste und gewollte Beschränkung oder aber um eine falsche bzw. unvollständige Bezeichnung des Beklagten handelt, bedarf hier im Verfahren zum vorläufigen Rechtsschutz keiner abschließenden Klärung. Denn der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist jedenfalls vollumfänglich unbegründet.

14

3.

Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, § 86 a Abs. 3 S 2 SGG.

15

a)

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Dafür spricht die Erwägung, dass durch § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Abgabenbescheiden bewusst auf den Adressaten verlagert worden ist, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Diese gesetzliche Regelung würde unterlaufen, wenn bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Vollziehung ausgesetzt würde (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG 8. Aufl. § 86 a Rdnr 28).

16

Ernstliche Zweifel im Sinne von § 86 Abs. 3 S 2 SGG bestehen nicht. Die Antragsgegnerin hat zu Recht Versorgungsbezüge des Antragsgegners in Höhe von EUR 135213,00 zur Beitragspflicht herangezogen.

17

Die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder sind in §§ 226 ff. SGB V geregelt. Gemäß § 229 Abs. 1 S 1 Nr. 5 SGB V gelten Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden.

18

Die am 01. Dezember 1990 seitens des früheren Arbeitgebers des Antragstellers erteilte Versorgungszusage ist zweifelsfrei als Geldleistung, die zur Alterssicherung erzielt wird, einzustufen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine laufende Geldleistung, vielmehr besteht der Versorgungszusage vom 01. Dezember 1990 zufolge die betriebliche Altersvorsorge in einer Kapitalleistung. An der Qualifizierung als Kapitalleistung ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass die Auszahlung in fünf Teilbeträgen erfolgen soll. Denn im Gegensatz zu einer laufenden Geldleistung ist die Leistung betragsmäßig beschränkt. Nach § 229 Abs. 1 S 3 SGB V i.d.F. bis zum 31. Dezember 2003 waren Beiträge aus einer Kapitalabfindung nur dann zu berechnen, wenn dadurch ein bereits geschuldeter Versorgungsbezug ersetzt wurde, nicht jedoch im Falle der Vereinbarung oder Zusage einer originäre Kapitalleistung. Diese Rechtslage wurde durch das GMG geändert. § 229 Abs. 1 S 3 SGB V lautet nunmehr: "Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalles vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate." Die Kapitalleistung ist mithin zur Beitragspflicht heranzuziehen.

19

§ 229 Abs. 1 S 3 SGB V differenziert nicht zwischen Kapitalleistungen, die in einer Summe ausgezahlt werden und solchen, deren Auszahlung in Teilbeträgen erfolgt. Das Gericht vermag sich der Auffassung des Antragstellers, unter den Begriff der Leistung im Sinne von § 229 SGB V nur eine tatsächlich zugeflossene Zahlung zu subsumieren, nicht anzuschließen. Es trifft zwar zu, dass Versorgungsbezüge - ebenso wie die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung - grundsätzlich mit ihrem Zahlbetrag bei der Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen berücksichtigt werden. Hiervon macht das Gesetz jedoch bei den Kapitalleistungen eine Ausnahme, indem es hier einen monatlichen Zahlbetrag fingiert. Die Fiktion eines monatlichen Zahlbetrages für einen Zeitraum von (längstens) zehn Jahren erfolgt im Interesse sowohl des Beitragsschuldners, der sich auf eine gleichmäßige Beitragspflicht einstellen kann, als auch des Krankenversicherungsträgers, der die Berechnung des monatlichen Zahlbetrages nur einmalig durchführen muss.

20

Das Gericht erachtet die Berücksichtigung des Umstandes der Auszahlung einer Kapitalleistung in Teilbeträgen für nicht erforderlich. Den Interessen des Antragsstellers wird bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass lediglich ein Einhundertzwanzigstel der Leistung (= EUR 1126,78) als monatlicher Zahlbetrag zugrunde gelegt wird, obwohl er auf das erste Jahr verteilt tatsächlich bereits den doppelten Betrag (EUR 27043,00: 12= EUR 2253,56) erhalten hat. Seitens des Krankenversicherungsträgers wäre die Berücksichtigungsfähigkeit der Auszahlungsmodalitäten bei Kapitalleistungen mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden. Denn auch der Argumentation des Antragstellers folgend sind die Versorgungsbezüge insgesamt zur Beitragspflicht heranzuziehen, es würde sich lediglich der Zeitraum verlängern. Ferner ist es einer Fiktion immanent, dass sie die tatsächlichen Verhältnisse nicht exakt wiederspiegelt. Schließlich würde die Berücksichtigungsfähigkeit der Auszahlungsmodalitäten bei Kapitalleistungen wieder Umgehungsmöglichkeiten eröffnen, indem z.B. die Höhe der Raten so festgelegt wird, dass der Bagatellbetrag nach § 226 Abs. 2 SGB V unterschritten wird.

21

Aus vorstehend dargelegten Gründen vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass der Erfolg des Rechtsmittels deutlich wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg.

22

b)

Auch liegt eine unbillige Härte nicht vor. Dieses wäre der Fall, wenn dem Antragsteller durch die Vollziehung Nachteile entstünden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können. Dafür sind vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen.

23

4

.Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung.