Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.05.2004, Az.: 1 A 103/04
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 27.05.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 103/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 43002
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2004:0527.1A103.04.0A
Verfahrensgang
Fundstelle
- NdsVBl 2005, 78-79
In der Verwaltungsrechtssache
der Initiative Bürgerbegehren A., vertr.d.Herrn B., Frau C., Herrn D.,
Kläger,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte De Witt und andere,
Bernburger Straße 24 - 25, 10963 Berlin,
gegen
den Verwaltungsausschuss der Stadt Braunschweig, vertreten durch den Oberbürgermeister,
Langer Hof 1, 38100 Braunschweig,
Beklagter,
Streitgegenstand: Bürgerbegehren
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 1. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2004 durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Harms
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Stadt Braunschweig plant auf dem A. areal in E. die Errichtung eines großflächigen Einkaufszentrums mit Rekonstruktion der historischen Schlossfassaden. Nachdem diese Pläne bekannt geworden waren, hat die Klägerin mit der Einleitung eines Bürgerbegehrens begonnen. Am 23.06.2003 schrieb sie an die Stadt:
"Wir zeigen hiermit die Durchführung eines Bürgerbegehrens gemäß § 22 b NGO mit folgendem Gegenstand an:
"DER ÜBERWIEGENDE TEIL DES F. GARTENS (F. PARK) SOLL DAUERHAFT IM GEGENWÄRTIGEN BESTAND ALS PARKANLAGE UND ERHOLUNGSFLÄCHE FÜR DIE BÜRGERINNEN UND BÜRGER DER STADT G. ERHALTEN BLEIBEN."
Die bestehenden wenigen zusammenhängenden Grünflächen in der Innenstadt, wie der A. und der grüne Ring der H., müssen einen besonderen Schutz genießen, insbesondere soll der A. als "Grüne Lunge" an einer hoch frequentierten Verkehrsachse im Stadtzentrum gesichert werden.
Die positive Entscheidung über das Bürgerbegehren verhält sich kostenneutral, da lediglich der Status quo festgeschrieben wird. Aufwendungen sind nicht erforderlich, da keine Veränderungen zu finanzieren sind. Einnahmeausfälle drohen nicht, da aus dem Grundbesitz kein Ertrag erwirtschaftet wird."
Die Stadt antwortete darauf mit Schreiben vom 03.07.2003, in dem sie u. a. den Hinweis gab, dass das Bürgerbegehren gemäß § 22b Abs. 5 Satz 2 NGO mit den zu seiner Unterstützung erforderlichen Unterschriften binnen sechs Monaten, also bis zum 23.12.2003, bei ihr einzureichen sei.
n seiner Sitzung am 08.07.2003 fasste der Rat der Stadt Braunschweig die Beschlüsse zur Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes IN 220 - Einkaufszentrum A. - und zur 77. Änderung des Flächennutzungsplanes. Diese Beschlüsse sind in der E. er Zeitung vom 18.07.2003 bekannt gemacht worden.
Am 19.12.2003 reichte die Klägerin das Bürgerbegehren mit über 30.000 Unterschriften bei der Stadt ein. In seiner Sitzung am 27.01.2004 beschloss der Beklagte, dass das Bürgerbegehren zum Erhalt des A. s unzulässig sei. Dieses Ergebnis mit Begründung wurde den drei Vertretern der Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2004 mitgeteilt. Darin heißt es, eine Überprüfung der Unterschriftenlisten habe ergeben, dass das in § 22b Abs. 2 Satz 1 NGO geforderte Quorum erreicht sei. Gleichwohl sei das Bürgerbegehren unzulässig, weil es gegen die städtische Bauleitplanung gerichtet (§ 22b Abs. 3 Nr. 6 NGO), nicht innerhalb der Frist von drei Monaten (§ 22b Abs. 5 Satz 3 NGO) eingereicht sei und entgegen § 22b Abs. 4 Satz 2 NGO auch keinen ausreichenden Kostendeckungsvorschlag enthalte.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 29.03.2004 Klage erhoben, mit der sie geltend macht, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Bürgerbegehrens seien erfüllt.
Die Klägerin beantragt,
den Verwaltungsausschuss der Stadt Braunschweig zu verpflichten, das Bürgerbegehren A. E. mit folgendem Gegenstand:
"Der überwiegende Teil des Schlossgartens (A.) soll dauerhaft im gegenwärtigen Bestand als Parkanlage und Erholungsfläche für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Braunschweig erhalten bleiben."
zuzulassen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten mit dem Antrag,
sie abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Klage, über die der Einzelrichter gemäß § 6 VwGO entscheidet, hat keinen Erfolg.
1. Das Bürgerbegehren ist erst nach Ablauf der gesetzlich vorgeschrieben Drei-Mo-nats Frist eingereicht worden und daher unzulässig.
Nach § 22b Abs. 5 Satz 2 und 3 NGO ist das Bürgerbegehren binnen drei Monaten bei der Gemeinde einzureichen, wenn es sich gegen einen bekannt gemachten Beschluss des Rates richtet. Das ist hier der Fall; denn das Bürgerbegehren richtet sich gegen den am 18.07.2003 gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB bekannt gemachten Beschluss des Rates vom 08.07.2003 über die Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes IN 220 - Einkaufzentrum A.. Dass dieser Beschluss im Zeitpunkt der Einleitung des Bürgerbegehrens am 23.06.2003 noch gar nicht gefasst war, ist dabei unschädlich, weil es nach der gesetzlichen Regelung in § 22b Abs. 6 Satz 1 NGO für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Bürgerbegehrens allein auf den Zeitpunkt seines Eingangs, hier: der 19.12.2003, ankommt. Gegen einen Ratsbeschluss gerichtet ist ein Bürgerbegehren immer dann, wenn es seinem Inhalt nach eine vollständige oder teilweise Korrektur dieses Ratsbeschlusses (vgl. Wefelmeier in KVR-NGO § 22b Rn. 45 mit Rechtsprechungsnachweisen) bzw. eine wesentlich andere als die vom Gemeinderat beschlossene Lösung anstrebt (VGH Mannheim, Urt. v. 18.06.1990, zitiert nach juris Rechtsprechung). In diesen Fällen soll nach der Intention des Gesetzgebers im Interesse von Effektivität und Sparsamkeit gemeindlichen Handelns sichergestellt werden, dass die Gemeinde Ratsbeschlüsse nach Ablauf der Frist umsetzen kann, ohne noch mit deren Änderung durch Bürgerentscheid rechnen zu müssen (vgl. Wefelmeier in KVR-NGO § 22b Rn. 43 mit Rechtsprechungsnachweisen). Vor diesem Hintergrund ist vorliegend davon auszugehen, dass sich das am 23.06.2003 angezeigte und am 19.12.2003 eingereichte Bürgerbegehren gegen den Ratsbeschluss zur Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes IN 220 - Einkaufzentrum A. - richtet. Einmal verfolgt das Bürgerbegehren inhaltlich ein gegenüber dem Bebauungsplan-Aufstellungsbeschluss konträres Konzept: Während nach dem Bürgerbegehren der A. als Parkanlage und Erholungsfläche erhalten bleiben soll, ist mit dem Ratsbeschluss vom 08.07.2003 die Planung gerade seiner Bebauung mit einem Einkaufszentrum rechtsförmlich eingeleitet worden. Zum anderen zeigt auch der zeitliche Ablauf, dass das Bürgerbegehren gegen die Planungsabsichten der Stadt gerichtet ist; denn die Klägerin selbst trägt vor, die bekannt gewordenen Pläne der Stadt, das A. -Grundstück mit einem Einkaufszentrum bebauen zu lassen, hätten sie zur Einleitung eines Bürgerbegehrens veranlasst. In diesem Sinne verstehen auch die drei Vertreter der Klägerin ihr Bürgerbegehren. In ihrer Pressemitteilung nach Anzeige des Bürgerbegehrens vom 03.07.2003 (Anlage B 8 zum Schriftsatz des Beklagten vom 06.04.2004) heißt es nämlich u. a.:
"Wir müssen etwas tun - wir brauchen eine "breite" Basis der Entscheidung aller Bürgerinnen und Bürger für oder gegen das geplante ECE-Center" und
"Wir meinen, dass man mit der Ansiedlung einer Shopping-Mall im Herzen unserer Stadt kein städtebauliches Gesamtkonzept ersetzen kann, das eine ausgewogene Mischung zwischen Einkaufen, Lebensqualität und Naherholung beinhaltet".
Noch deutlicher äußert sich der Vertreter I. in seinem Aufsatz "Das Bürgerbegehren" (Bauwelt 1 - 2 2004 S. 37; Anlage B 10 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06.04.2004):
"Ein Bürgerbegehren ist die letzte demokratische Einfluss- bzw. Einspruchsmöglichkeit der Bürger bei Entscheidungen der Stadt, sieht man von rechtlichen Schritten im Zuge von Bebauungsplan- und Bauordnungsverfahren einmal ab". und
"Letztlich richtet sich das Bürgerbegehren nicht gegen Investoren, sie sind sogar bitter nötig. Es ist aber ein kommunalpolitischer Offenbarungseid, eine sanierungsfähige Innenstadt aufzugeben, um dicht daneben ein neues Zentrum aus der Retorte zu setzen."
Danach geht auch das Gericht davon aus, dass sich das Bürgerbegehren gegen den am 18.07.2003 bekannt gemachten Planungsbeschluss der Stadt Braunschweig vom 08.07.2003 richtet. Demgemäß hätte es binnen drei Monaten nach dem Tag der Bekanntmachung eingereicht werden müssen, was indes nicht geschehen ist. Da es sich bei dieser Frist um eine Ausschlussfrist handelt, kommt auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon aus Rechtsgründen nicht in Betracht (vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 2003, 584; Wefelmeier in KVR-NGO § 22b Rn. 47b). Das Bürgerbegehren ist bereits aus diesem Grunde unzulässig.
2. Darüber hinaus verstößt das Bürgerbegehren auch gegen § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 NGO. Danach ist ein Bürgerbegehren über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen unzulässig. Durch diese aus dem nordrhein-westfälischem Recht (§ 26 Abs. 5 Nr. 6 NWGO) übernommene Vorschrift sind durch Bebauungs- und Flächennutzungspläne getroffene Regelungen dem Anwendungsbereich des Bürgerbegehrens in einem umfassenden Sinne entzogen. Sie findet ihre Rechtfertigung in der Überlegung, Entscheidungen, die in einem Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu treffen sind, vom Einflussbereich plebiszitärer Entscheidungen auszunehmen, weil diese die Berücksichtigung und Abwägung einer Vielzahl öffentlicher und privater Interessen erfordern, die sich nicht in das Schema einer Abstimmung mit "Ja" und "Nein" pressen lassen (OVG Münster, NVwZ-RR 2002, 767; vgl. auch die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts LT-Drucks. 13/1450 S. 104; Wefelmeier in KVR-NGO § 22b Rn. 24). Auch wenn das am 23.06.2003 angezeigte Bürgerbegehren weder den Ratsbeschluss vom 08.07.2003 noch das darin genannte Einkaufszentrum A. erwähnt, fällt es gleichwohl unter den Ausschlusstatbestand des § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 NGO; denn es ist, wie bereits ausgeführt, der Sache nach auf die Verhinderung der im Bebauungsplan-Aufstellungsbeschluss zum Ausdruck kommenden bauplanerischen Vorstellungen der Stadt Braunschweig gerichtet und widerspricht den darin beabsichtigten Festsetzungen (vgl. VG Köln, Urt. v. 03.09.1999, zitiert nach juris Rechtsprechung; Rehn/Cronauge NWGO § 26 VI 6; Wefelmeier in KVR-NGO § 22b Rn. 24). Wenn die Klägerin dagegen anführt, ihr Bürgerbegehren (Erhaltung des A. s) und die beabsichtigte Bauleitplanung zur Errichtung des Einkaufszentrums A. beträfen voneinander getrennte Angelegenheiten und das Bürgerbegehren hindere die Stadt nicht, einen Bebauungsplan für das A. areal zu beschließen, übersieht sie die gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 3 BauGB. Danach sind Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Nicht erforderlich ist ein Bebauungsplan, der aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht vollzogen werden kann (BVerwG DVBl. 2004, 241; Berliner Kommentar BauGB § 1 Rn. 16). Genau das wäre hier indessen der Fall, wenn durch Bürgerentscheid die Erhaltung des A. s als Parkanlage und Erholungsfläche beschlossen werden würde mit der Folge, dass das Bebauungsplanverfahren Einkaufszentrum A. dann eingestellt werden müsste. Dieses Ergebnis wäre das Gegenteil von dem, was durch § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 NGO sichergestellt werden soll, nämlich eine durch ein Bürgerbegehren nicht beeinflusste Bauleitplanung.
Da das Bürgerbegehren jedenfalls aus den beiden dargestellten Gründen unzulässig ist, bedurfte es keiner weiteren Erörterung mehr, ob es zusätzlich auch noch deshalb unzulässig wäre, weil es keinen ausreichenden Kostendeckungsvorschlag enthalten, weil seine Begründung irreführend sein und weil es sich mit der Veräußerung des A. grundstücks an einen privaten Investor erledigt haben könnte.
Gründe, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Streitwertbeschluss:
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG; die kostenrechtlichen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 173 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.