Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.05.2004, Az.: 3 A 327/03
Dyskalkulie; Eingliederungshilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 13.05.2004
- Aktenzeichen
- 3 A 327/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50439
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 35a SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulie-Therapie (hier verneint).
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Jugendhilfeleistungen durch Übernahme der Kosten einer Dyskalkulie-Therapie.
Die am 16.07.1992 geborene Klägerin beantragte - vertreten durch ihre Eltern - beim Beklagten als örtlichem Jugendhilfeträger am 17.01.2003 die Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII durch Übernahme der Kosten einer Dyskalkulietherapie bei der Pädagogisch-Therapeutischen Einrichtung - PTE - für Lese-/Rechtschreibschwäche, Rechenschwäche und Aufmerksamkeitsstörungen in F.. Zur Begründung legten die Eltern die Grundschulzeugnisse von der 2. Klasse bis zum 1. Halbjahr der 4. Klasse vor. Im letzten Zeugnis hatte sie in Mathematik eine 5. Sie nahm an Fördermaßnahmen im Rahmen des Mathematikunterrichts teil und bedarf in Mathematik danach noch individueller Unterstützung. Nach einer Stellungnahme der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie G. vom 10.02.2003 zur Förderung nach § 35a KJHG ist die Klägerin offensichtlich von einer seelischen Behinderung bedroht. Die Fachärztin führt aus, dass die Klägerin äußerst beschämt ist wegen ihrer Schwierigkeiten im Bereich Mathematik. In der testdiagnostischen Untersuchung erreichte die Klägerin einen HAWIK 3 Gesamt-IQ von 98. Im Zareki-Test fand sich eine Rechenschwäche bestätigt (T-Wert 35, d. h. 94 % der Testteilnehmer haben bessere Ergebnisse). Zusammenfassend stellt die Fachärztin fest, dass sich die aus den permanenten Misserfolgserlebnissen erwachsene Belastung bei der Klägerin in folgenden psychischen Auffälligkeiten zeigt: „Mutlosigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Zukunftsangst, depressive Reaktionen“. Eine Förderung in einer geeigneten Therapiestätte, nach Darlegung der Therapeuten ggf. im Rahmen einer Einzeltherapie, ist danach notwendig und sinnvoll.
In einem Elternfragebogen geben die Eltern, die beide Diplomingenieure sind, und außer der Klägerin noch zwei ältere Kinder haben, zum Schulverlauf an, dass die Klägern im Allgemeinen gern in die Schule geht, bemerken aber einschränkend, dass sie große Angst vor der Schule habe, wenn Mathe auf dem Stundenplan stehe. Die Klägerin reagiere auf schlechte Schulleistungen bedrückt, werde dann getröstet und es werde ihr Mut gemacht. Die für die Hausaufgaben benötigte Zeit sei normal. Sie fange mit den schulischen Aufgaben von selbst an und erledige diese selbständig, arbeite langsam und mache kein Mathe. Sie weine bei Mathe oft bei den Hausaufgaben. Die Eltern kontrollierten die Schulaufgaben regelmäßig. Am Abend vor Mathearbeiten schlafe sie schlecht ein. Ihre Angst beim Mathematikunterricht stufen die Lehrer nach Angaben der Eltern als auffällig ein. Mit den Lehrern halten die Eltern ständig Kontakt. Im Umgang mit anderen Kindern und im Sozialverhalten ist die Klägerin danach unauffällig, sie hat gute Sozialkontakte und kann Konflikte gut in angemessener Weise lösen. Beim Rechnen wird nach Angaben der Eltern der Zehnerübergang nicht verstanden. Die Eltern helfen ihr durch Üben und Nachhilfe.
Nach einem Bericht der Schule zeigt die Klägerin deutliche Schwächen im Fach Mathematik, wo ihre Leistungen den Anforderungen nicht entsprechen und sie nach der Zahlbereichserweiterung auf 100.000 völlig überfordert ist. Ihr Verhalten im Unterricht ist danach insoweit auffällig, als sich in letzter Zeit eine zunehmende Ablenkbarkeit im Laufe des Unterrichts, eine mangelnde Konzentration und fehlende Ausdauer zeigen. Sozial ist die Klägerin unauffällig und psychisch insoweit auffällig, als es ihr schwer fällt zu akzeptieren, dass sie Schwierigkeiten in Mathe hat. Sie leidet unter dieser Schwäche. Nach den schulischen Feststellungen und Maßnahmen befragt, sind die schriftlichen Leistungen wie üblich gewertet worden, ein jährlicher Förderbericht ist nicht erstellt worden. Es wird ferner angegeben, dass die zusätzliche schulische Förderung nicht ausreichend sei, da diese nicht dort ansetze, wo die Klägerin „abgeholt“ werden müsse. Eine zusätzliche außerschulische Förderung wird für erforderlich gehalten, da bei der Klägerin Grundlagen erarbeitet werden müssten.
Mit Bescheid vom 21.03.2003 lehnte der beklagte Jugendhilfeträger den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie aus Mitteln der Jugendhilfe im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass bei der Klägerin zwar eine Abweichung der seelischen Gesundheit von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand drohe, ein Anspruch auf Jugendhilfemittel aber voraussetze, dass aufgrund dessen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt oder dass eine solche Beeinträchtigung zu erwarten sei. Dies sei aber nicht der Fall. Denn die Klägerin wachse in einer kindgerechten normalen Familiensituation auf, sei in den Schulverband integriert, habe normalen Umgang mit anderen Kindern und betreibe in der Freizeit Sport und nehme an Ferienfreizeiten teil, sei beliebt und könne gut mit anderen zusammen spielen und Konflikte gut und in angemessener Zeit lösen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2003 zurückwies.
Hiergegen richtet sich die am 02.06.2003 erhobene Klage. Die Eltern der Klägerin tragen vor, dass die Annahme, die Klägerin sei gut in die Gemeinschaft integriert, nicht mehr zutreffe. Es gebe eine tiefgehende dauerhafte Beziehungsstörung zur Lebensumwelt, die dadurch gekennzeichnet sei, dass die Klägerin Auseinandersetzungen mit Klassenkameraden oder Bekannten ausweiche. Sie schließe Freundschaften lediglich mit Schwächeren und habe manifestierte Ängste bei allen Anforderungen, bei denen sie quantitative Aussagen treffen müsse. Auch fehle es ihr an Selbstsicherheit im Umgang mit anderen Personen und sie blocke die Wahrnehmung der vorhandenen Rechenschwäche ab. Die begonnene Therapie habe noch keinen Durchbruch erbracht. Mit zunehmendem Alter erlebe die Klägerin vermehrt negative Äußerungen von Mitschülern während und nach dem Unterricht. Dies habe dazu geführt, dass sie sich am Nachmittag nicht mehr traue, diesen mit anderen Spielkameraden zu verbringen. Für die Klägerin gehe es um die Behebung der aus der Rechenschwäche resultierenden schweren Beeinträchtigungen. Hierzu legte die Klägerin ergänzende Gutachten vor, nämlich eine Begutachtung des Arztes für Kinderheilkunde Dr. H. vom 11.12.2002, wonach die Klägerin massive Prüfungsängste und manifeste Ängste hat und ein beträchtliches Depressionspotential (Gesamtrohwert 26, T-Wert 72). Es wird die Diagnose einer ausgeprägten Konzentrationsstörung mit dem Verdacht auf Dyskalkulie und ADHS mit Konzentrationsstörung gestellt. Ein Gutachten des Instituts für Mathematisches Lernen Braunschweig - IML - vom 26.11.2002 empfiehlt eine Lerntherapie von 1 ½ Jahren Dauer. Die Pädagogisch-Therapeutische Einrichtung PTE kommt in einer Stellungnahme vom 20.02.2003 an Dr. H. nach durchgeführten Testuntersuchungen zu dem Ergebnis, eine Teilleistungsstörung im Bereich Rechnen liege vor, wobei im Zareki-Test besonders die Werte im Zahlenlesen und im Zahlenvergleich im kritischen Bereich liegen. Der Prozentrangwert von 22 liegt danach im Toleranzbereich und zeigt Hinweise auf eine Dyskalkulie an.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.03.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten einer Dyskalkulietherapie für die Klägerin aus Mitteln der Jugendhilfe zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass nach den vorliegenden fachärztlichen, gutachterlichen und schulischen Stellungnahmen die bei der Klägerin vorliegende Teilleistungsstörung nicht die Gefahr einer Beeinträchtigung ihrer sozialen Integrationsfähigkeit bzw. ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft mit sich bringe. Hierzu bezieht sich der Beklagte insbesondere auf die Ausführungen zum sozialen Verhalten der Klägerin..
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Niederschrift des Gerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der seit Januar 2003 bei der PTE durchgeführten Dyskalkulie - Therapie aus Jugendhilfemitteln.
Leistungen der Jugendhilfe setzen grundsätzlich eine vorherige Antragstellung bei dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe voraus. Eine Verpflichtung zur Kostenübernahme bei - wie im Fall der Klägerin - selbst beschafften Hilfemaßnahmen setzt eine rechtzeitige Antragstellung voraus, die dem Jugendhilfeträger eine zeit- und bedarfsgerechte Leistungserbringung nach ordnungsgemäßer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ermöglicht (vgl. BVerwG Urt. v. 28.09.2000-5 C 29/99 in DVBl 2001, 1060-1062). Danach kommt eine Verpflichtung zur Kostenübernahme für Therapiestunden, die vor Eingang der qualifizierten Schulauskunft bei dem Jugendhilfeträger am 26.02.2003 erbracht wurden, bereits aus zeitlichen Gründen nicht in Betracht.
Der Klägerin steht aber auch für die weitere durchgeführte Therapie kein Anspruch auf Kostenübernahme aus Jugendhilfemitteln zu.
Nach § 35a Abs. 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und 2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
1. Vorrausetzung eines Anspruchs ist danach zunächst, dass eine seelische Störung von mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monaten Dauer vorliegt oder droht. Bei der Klägerin besteht nach übereinstimmender Auffassung eine Teilleistungsstörung in Form der Dyskalkulie. Für das Vorliegen einer derartigen Teilleistungsstörung sprechen neben dem Testergebnis des Zareki-Testes in dem Befund von Frau G. vom 10.02.2003 auch das Gutachten des IML vom 07.12.2002 und die Testdiagnostik des PTE vom 20.02.2003. Letztere kommt allerdings nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, sondern stellt fest, dass sich bei der Klägerin Hinweise auf eine Teilleistungsschwäche/-störung aus dem Testergebnis ableiten lassen, welches im Grenzbereich liege.
Die danach gutachterlich festgestellte Teilleistungsschwäche im Bereich Mathematik stellt als solche aber noch keine seelische Störung im Sinne des § 35a Abs. 1 SGB VIII dar. Insbesondere ist eine Teilleistungsschwäche bei schulischen Fertigkeiten als solche keine Neurose oder Persönlichkeitsstörung im Sinne des § 3 Satz 2 Nr. 4 der Eingliederungshilfeverordnung. Als Folge einer Dyskalkulie können jedoch psychische Störungen eintreten -sekundäre Neurotisierung - (vgl. BVerwG in FEVS 33, 457, LPK- Kinder -und Jugendhilfe, 2. Aufl. § 35a Rz. 7; Prof. Dr. I., Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII bei Lese- und Rechtschreibstörungen in NDV 1998, S. 230 ff. zur Legasthenie und LPK-BSHG, 6. Aufl., § 39 Rz. 24 ff.). Nach den vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen besteht bei der Klägerin diese Gefahr einer sekundären Neurotisierung, d. h. wegen ihrer Teilleistungsschwäche könnte bei ihr eine länger als sechs Monate andauernde seelische Störung in Form einer sich manifestierenden neurotischen Angstreaktion und Depression auftreten. Denn nach dem Gutachten von Frau G. vom 10.02.2003 besteht die Gefahr einer emotionalen Störung des Kindesalters (ADS) bei psychischen Auffälligkeiten wie Mutlosigkeit, Minderwertigkeitsgefühl, Zukunftsangst und depressiver Reaktion. Auch in dem Attest von Dr. H. vom 11.12.2002 werden Prüfungsängste und manifeste Ängste sowie der Verdacht auf Dyskalkulie und möglicherweise ADHS mit Konzentrationsstörung festgestellt, allerdings ohne dass eine Diagnose der Abweichung von der alterstypischen seelischen Gesundheit nach dem vierstelligen Schlüssel der Internationalen Klassifikation der Krankheiten(ICD-10) in der jeweiligen deutschen Fassung gestellt wird oder eine dahingehende Prognose (vgl. zur Erforderlichkeit einer solchen Feststellung LPK-Kinder- und Jugendhilfe, § 35 a RZ. 8a). Nach diesen ärztlichen Stellungnahmen gehen aber beide Parteien davon aus, dass bei der Klägerin die Gefahr einer seelischen Störung vorliegt, d. h. die Gefahr besteht, dass ihre Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen wird.
2. Den Tatbestand des § 35a Abs. 1 SGB VIII erfüllt dies allerdings nur dann, wenn dessen weitere Voraussetzung erfüllt ist, d. h. die „sekundäre Neurotisierung“ so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit der Klägerin zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt oder wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Nur dann ist die Klägerin seelisch „behindert“ im Sinne des einheitlichen Behinderungsbegriffes des § 2 SGB IX und des § 35 a SGB VIII. Dieser Behinderungsbegriff orientiert sich nicht mehr an wirklichen oder vermeintlichen Defiziten, sondern rückt das Ziel der Teilhabe an verschiedenen Lebensbereichen (Partizipation) in den Vordergrund (BT-Drucksache 14/5074 S.98). Die Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird bei Teilleistungsstörungen nach der Intensität der Auswirkungen der seelischen Störung abgegrenzt, indem gefragt wird, ob die seelische Störung so intensiv ist, dass sie über bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder teilen, in behinderungsrelevanter Weise hinausgeht, z. B. zu einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, einer totalen Schul- und Lernverweigerung, dem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und der Vereinzelung in der Schule geführt hat bzw. zu führen droht (vgl. BVerwG. Urt. v. 26.11.1998 - 5 C 38/97 , FEVS 49, 487f). Hierbei kann gesagt werden, dass eine solche Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft umso eher droht, je ausgeprägter die Teilleistungsschwäche ist und ferner umso eher dann, wenn zusätzlich zu der bestehenden Teilleistungsschwäche weitere Probleme, wie z. B. ungünstige familiäre Bedingungen, hinzukommen (vgl. Urt. d. Kammer v. 23.05.2002 - 3 A 347/01 -, abgedruckt in ZfF 2004, S. 14 ff.).
Im Fall der Klägerin ist danach nicht von einer bestehenden oder drohenden Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugehen. Das zwei Seiten lange Gutachten der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie G. vom 10.02.2003 sieht zwar die Eingliederungsmöglichkeiten als Auswirkung einer Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten anhaltend beeinträchtigt, belegt dies aber nicht näher. Die Frage der Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Partizipation ist zudem vom Jugendhilfeträger durch eigene geeignete Fachkräfte zu beurteilen, während die Frage des Vorliegens einer seelischen Störung in der Regel einer Sachverständigenbegutachtung bedarf (vgl. Brühl, LPK-BSHG , 39 Rz. 24 ff ;Vondung in LPK-SGB VII, § 35 a Rz. 8 a ).
Bei der Klägerin weichen die Möglichkeiten zur Partizipation in der Gemeinschaft nach ihren bekannten Lebensumständen nicht in schwerwiegender Weise von dem alterstypischen Durchschnitt ab. Die Klägerin lebt - anders als viele andere Kinder - in einer normalen, sie stützenden und unterstützenden Familiensituation. Sie leidet nicht unter wesentlichen Erkrankungen. Die Zeugnisse der Grundschule weisen durchgehend ein positives soziales Verhalten mit ungestörtem Kontakt der Klägerin zu ihren Mitschülern bei aktiver Mitarbeit in allen Fächern auf. Die beschriebenen Ängste und Konzentrationsstörungen im Mathematikunterricht haben nicht zu einer völligen Schulphobie oder Leistungsverweigerung geführt. Dass diese Schulängste und Konzentrationsstörungen in signifikanter Weise von dem alterstypischen Durchschnitt abweichen, ergibt sich nach den ermittelten Umständen gerade nicht. Auch in dem Elternfragebogen vom 21.02.2003 finden sich keine Hinweise darauf, dass die Klägerin in einem belastenden Umfeld aufwächst und dass die Teilnahme der Klägerin am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Klägerin hat danach nicht nur vielfältige soziale Kontakte, sie zeigt auch emotionale Intelligenz und gute Leistungen in allen Schulfächern außer in Mathematik. Was das Sozialverhalten anlangt, geben die Eltern an, dass die Klägerin drei große Freundschaften hat und viele Kontakte bestehen. Dass nach den Angaben der Eltern in der mündlichen Verhandlung die Klägerin nunmehr - nach mehr als einjähriger Dyskalkulie -Therapie - mehr in sich zurückgezogen lebt, nur noch eine „beste“ Freundin hat und weiterhin unter ihrer Rechenschwäche leidet, mag teils altersbedingt und teils verständlich sein. Für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide und den Anspruch auf Übernahme der Kosten der bereits durchgeführten Therapie sind aber die Verhältnisse bei Beantragung der Hilfe maßgebend, zumal auch die jetzt geschilderten Verhaltensweisen der Klägerin noch nicht das Vorliegen oder Drohen einer seelischen Behinderung belegen.
Dass testdiagnostisch bei der Klägerin ein gewisses Depressionspotential und Angstpotential festgestellt worden ist und sie Schwierigkeiten damit hat ihre Rechenschwäche zu akzeptieren, bedeutet noch nicht, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schulphobie entwickeln wird. Eine seelische Störung muss auch - wie bereits ausgeführt - nicht zu einer seelischen Behinderung führen. Sie ist häufig einer kinderärztlichen, kinderpsychiatrischen oder kinder- bzw. familienpsychotherapeutischen Behandlung zugänglich (vgl. Vondung in LPK aaO RZ 7 unter Hinweis auf Lempp, Die seelische Behinderung bei Kindern und Jugendlichen als Aufgabe der Jugendhilfe). Aufgrund des positiven Umfeldes der Klägerin und ihrer Stärken im sozialen und emotionalen Bereich ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich bei ihr aufgrund der bestehenden Teilleistungsschwäche eine Jugendhilfemaßnahmen erforderlich machende seelische Behinderung ergeben wird.
Die von den Eltern beschriebene Verletztheit der Klägerin bei Hänseleien, ihre sozialen Kontakte mit sogenannten „Schwächeren“ und das „Abwinken“ bei sie überfordernden Kartenspielen stellen keine über das von anderen Kindern geteilte Maß hinausgehenden behinderungsrelevanten Reaktionen dar.
Die Klage ist deswegen mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs.1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den § 167 VwGO i. V. m. §§ 708, 711 ZPO.