Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.05.2004, Az.: 3 A 524/03

Bagatellgrenze; Bagatellgrenze zu Kostenerstattung; Kostenerstattung; Verjährung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.05.2004
Aktenzeichen
3 A 524/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50443
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der erstattungspflichtige Träger der Sozialhilfe bleibt zur Kostenerstattung verpflichtet, auch wenn nach Einrede der Verjährung die verbleibende nicht verjährte Restforderung den Betrag von 2.560,00 EUR unterschreitet.

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger zu Händen der Stadt Hildesheim die im Sozialhilfefall des N. M. in dem Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 31. März 1998 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 1.341,29 EUR zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

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Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Sozialhilfeleistungen, die er in der Zeit vom 01.01.1998 bis 31.03.1998 für den 1969 geborenen Herrn M. aufgewandt hat. M. war im August 1997 in den Zuständigkeitsbereich des klagenden Landkreises verzogen und beantragte dort am 15.08.1997 Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese wurde ihm daraufhin fortlaufend bis zum 31.03.1998 bewilligt. Mit Schreiben vom 20.08.1997 meldete der Kläger, vertreten durch die Stadt Hildesheim, bei der Beklagten unter Hinweis auf § 107 BSHG einen Kostenerstattungsanspruch an, den die Beklagte mit Schreiben vom 02.10.1997 für den Zeitraum vom 15.08.1997 bis 16.07.1999 grundsätzlich anerkannte. Mit einer Mahnung vom 15.11.2002 mahnte die Stadt Hildesheim bei der Beklagten die Kostenerstattung in Höhe eines Betrages von 3.365,73 EUR an. Nach Angaben des Klägers erfolgte die Anforderung des Kostenerstattungsbetrages bereits mit Zahlungsaufforderung vom 06.04.2001. Aus den Verwaltungsvorgängen der Beklagten ergibt sich nicht, dass diese Aufforderung bei dieser eingegangen ist. Die Beklagte machte mit Schreiben vom 03.12.2002 hinsichtlich der Kostenerstattung für die im Jahre 1997 gewährten Sozialhilfeaufwendungen die Einrede der Verjährung geltend. Die für den klagenden Landkreis handelnde Stadt bestritt die Verjährung der Forderung aus dem Jahr 1997 nicht, beansprucht aber weiterhin die Erstattung der im Jahre 1998 entstandenen Kosten in Höhe von 1.341,29 EUR.

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Der Kläger hat am 23.12.2003 Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Erstattung dieses Betrages verfolgt. Zur Begründung führt er aus, dass zwar im Jahre 1998 lediglich Kosten in Höhe von 1.341,29 EUR entstanden seien, die unterhalb der Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 BSHG in Höhe von 5.000,00 DM (bis 31.12.2001) bzw. 2.560,00 EUR lägen, insgesamt sei die Bagatellgrenze nach § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG aber innerhalb von 12 Monaten überschritten worden, da an M. ein Betrag von über 5.000,00 DM, nämlich insgesamt 3.365,73 EUR = 6.582,80 DM, Sozialhilfeleistungen gezahlt worden seien. Diese gesamten Aufwendungen seien bei der Berechnung der Bagatellgrenze nach § 111 Abs. 2 BSHG zu berücksichtigen, auch wenn die Beklagte für den im Jahre 1997 entstandenen Aufwand in Folge der Verjährung ein Leistungsverweigerungsrecht habe. Da § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG von „aufgewendeten Kosten“ ausgehe, und § 111 Abs. 2 BSHG bestimme, dass die aufgewendeten Kosten nicht zu erstatten seien, sofern sie unter 2.560,00 EUR lägen, bestehe der Kostenerstattungsanspruch auch dann, wenn ihm zum Teil die Einrede der Verjährung entgegenstehe. Diese Einrede vernichte nicht den Anspruch als solchen, sondern hindere lediglich seine Durchsetzbarkeit zum Teil. Lediglich im Fall des § 111 SGB X führe die Versäumung der Anmeldefrist zu einem rechtsvernichtenden Anspruchsverlust. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Der Umstand, dass ein Teil des Anspruches wegen der Verjährungseinrede nicht durchsetzbar sei, hindere nicht daran, den verjährten Teil des Kostenerstattungsanspruches rechnerisch mit der Folge zu berücksichtigen, dass die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 BSHG erreicht bzw. überschritten sei.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, zu Händen der Stadt Hildesheim die im Sozialhilfefall des Herrn M. im Zeitraum vom 01.01.1998 bis 31.03.1998 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 1.341,29 EUR zu erstatten.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, dass die aufgewendete Hilfe aus dem Jahre 1997 bei der Ermittlung der Bagatellgrenze nicht zu berücksichtigen sei. Aufwendungen seien dann nicht zu erstatten, wenn sie die Bagatellgrenze gemäß § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG nicht überschritten. Dies gelte auch dann, wenn noch weitere Leistungen erbracht worden seien, deren Erstattung aus Rechtsgründen allerdings ausgeschlossen sei. Dies sei vorliegend der Fall, weil verjährte Forderungen auch im Rahmen von Kostenerstattungsansprüchen nicht durchsetzbar seien. Bei der Frage der Bagatellgrenze sei nicht auf die tatsächlich aufgewendeten Kosten abzustellen, sondern auf diejenigen, die vom kostenerstattungsberechtigten Sozialhilfeträger verlangt werden können. Hier könne lediglich noch ein Teilbetrag in Höhe von 1.341,29 EUR geltend gemacht werden, der allerdings unterhalb der Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG liege und demzufolge nicht erstattungspflichtig sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der von ihm geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 1.341,29 EUR. Wie zwischen den Parteien nicht umstritten ist, sind grundsätzlich die Voraussetzungen des § 107 BSHG für einen Kostenerstattungsanspruch wegen der dem Hilfeempfänger M. im Zeitraum vom 15.08.1997 bis 31.03.1998 gewährten Sozialhilfeleistungen erfüllt. Allerdings durfte die Beklagte, was zwischen den Parteien ebenso nicht umstritten ist, dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers, soweit Aufwendungen im Jahre 1997 angefallen sind, die Einrede der Verjährung entgegenhalten. Dies hat zur Folge, dass die Aufwendungen, deren Erstattung der Kläger noch begehrt, die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG in Höhe von 5.000,00 DM bzw. 2.560,00 EUR nicht mehr überschreiten. Der Kläger hat aber, bezogen auf den Zeitraum vom 15.08.1997 bis 03.03.1998, mehr als 2.560,00 EUR an Sozialhilfeleistungen für M. aufgewendet. Auch wurde der Kostenerstattungsanspruch vom Kläger innerhalb der Jahresfrist des § 111 SGB X geltend gemacht. Der Kläger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass wegen der erhobenen Verjährungseinrede der Erstattungsanspruch aus dem Jahre 1997 zwar nicht mehr durchsetzbar ist, dass es sich aber anders als in dem vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz entschiedenen Fall (B. v. 29.01.2002 - Az. 12 A 11536/01 -, in FEVS 53, 470-471) nicht um einen Fall handelt, in dem Teilbeträge der aufgewandten Kosten aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, z. B. im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X, nicht zu erstatten sind. Damit steht die Bagatellgrenzenregelung des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG der begehrten Kostenerstattung nicht entgegen. Seinem Wortlaut nach schließt Abs. 2 Satz 1 des § 111 BSHG die Erstattungspflicht bei „Kosten“ unter 2.560,00 EUR aus. Sinn dieser Regelung ist eine Begrenzung der verwaltungsaufwendigen Kostenerstattungsfälle. Unterhalb der Bagatellgrenze gibt es deswegen keine Erstattung und oberhalb der Grenze volle Erstattung (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 19.12.2000 - Az. 5 C 30.99 -, in FEVS 52, 221 ff.). Anknüpfungspunkt der Vorschrift des § 111 BSHG sind die vom Sozialhilfeträger tatsächlich getragenen Aufwendungen. Aus dem Wortlaut des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG lässt sich nicht schließen, dass mit den dort genannten Kosten nicht diese tatsächlich aufgewendeten Kosten gemeint sind (a. A. VG Neustadt, Urt. v. 05.07.2001 - 4 K 2049/00 NW - zitiert nach Juris). Denn der gesetzgeberische Sinn und Zweck der Bagatellgrenzenregelung, den Verwaltungsaufwand zu verringern, greift im Falle der teilweisen Verjährung der Kostenerstattungsforderung nicht, wenn die aufgewandten Kosten insgesamt über 2.560,00 EUR lagen. Anders als im Falle des § 111 SGB X, in dem die Versäumung der Anmeldefrist, die im vorliegenden Fall eingehalten wurde, zu einem Anspruchsverlust führt, berechtigt die Einrede der Verjährung den Leistungsverpflichteten lediglich, die Leistung zu verweigern. Ob er von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Regelmäßig wird der erstattungsberechtigte Träger in diesen Fällen die Kostenerstattungsforderung insgesamt geltend machen und der erstattungspflichtige Träger diese prüfen und sein Ermessen bezüglich der Einrede der Verjährung prüfen müssen. Der Verwaltungsaufwand entspricht damit dem anderer Kostenerstattungsfälle. Dies hat zur Folge, dass die Kosten, denen nicht die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann - gleichgültig ob diese Einrede nur im Verwaltungsverfahren oder erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht wird -, auch dann zu erstatten sind, wenn sie ohne die verjährte Forderung unterhalb der Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG liegen.

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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.