Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.10.1997, Az.: I 188/93

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
28.10.1997
Aktenzeichen
I 188/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 27910
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:1028.I188.93.0A

In dem Rechtsstreit

wegen Einheitsbewertung und Grundsteuermeßbetrags auf den 01.01.1991

hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 28. Oktober 1997, an der mitgewirkt haben:

Vorsitzender Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

ehrenamtlicher Richter . Geschäftsführer

ehrenamtlicher Richter . Angestellter

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Einheitswert- und Grundsteuermeßbescheide vom 29.11.1991 und vom 29.06.1993 sowie der Einspruchsbescheid vom 29.06.1993 werden aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, sofern dieser nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Umstritten ist die Höhe des Einheitswertes. Dabei geht es allein um die Frage, ob die im Mietspiegel des Beklagten (Finanzamt, FA) ausgewiesene Miete für freifinanzierten nicht preisgebundenen Wohnraum den Marktverhältnissen des Hauptfeststellungszeitpunktes 1. Jan. 1964 gerecht wird.

2

Das streitbefangene Grundstück liegt in B. . Es ist mit einem Mietwohnhaus bebaut, das im Jahre 1971 bezugsfertig wurde und fünf Wohnungen enthält. Die Wohnungen sind -; soweit möglich -; vermietet. Die gesamte Wohnfläche beträgt 536 qm, ferner sind drei Garagen vorhanden.

3

Auf den 01.01.1974 bewertete das FA das Grundstück als "Mietwohngrundstück" und setzte den Einheitswert auf 230. 200 DM fest. Das FA war dabei von einer Miete von 3 DM/qm für die Wohnungen und von zusammen  720 DM für die drei Garagen ausgegangen; die Miete hatte es seinem Mietspiegel (gute Ausstattung, steuerbegünstigte Wohnungen) entnommen.

4

Auf den 01.01.1991 führte das FA durch den angefochtenen Bescheid eine fehlerberichtigende Wertfortschreibung gem. § 22 Abs. 3 Bewertungsgesetz (BewG) durch. Dabei ging es von einem Mietwert von 4,20 DM/qm aus. Diesen Betrag ermittelte das FA, indem es seinem Mietspiegel die Miete für "frei finanzierten Wohnraum bei guter Ausstattung" (Klasse IV g) entnahm und hierzu einen Zuschlag von 10 v.H. machte. Das führte zu einem Einheitswert von 285. 300 DM.

5

Im Einspruchsverfahren verzichtete das FA auf den Zuschlag von 10 v.H. und setzte nur noch die Miete gem. Klasse IV g des Mietspiegels in Höhe von 3,85 DM/qm, Dadurch ermäßigte sich der Einheitswert auf 262. 200 DM.

6

Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger (Kl.) trägt vor:

7

In dem kleinen Ort . habe die Miete für fremdgenutzte Wohnungen bei Mietbeginn rd, 2,50 DM/qm betragen. Höhere Quadratmetermieten seien seinerzeit nicht durchsetzbar gewesen und hätten nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprochen. Inzwischen habe sich die Lage eher noch verschlechtert. Die öffentlichen Verkehrsverbindungen nach . seien extrem schlecht, Ältere Leute hätten kein Interesse mehr daran; dort zu wohnen, Die Wohnungen des streitigen Grundstücks seien kaum noch vermietbar, eine Wohnung stehe seit langer Zeit leer.

8

Der Kl. beantragt,

den Einheitswertbescheid Wertfortschreibung auf den 01.10.1991 vom 29. Nov. 1991 -; geändert durch Bescheid vom 29. Juni 1993 -; und die Grundsteuermeßbescheide auf den 01.01.1991 vom 29.11.1991 und 29.06.1993 und den Einspruchsbescheid vom 29. Juni 1993 aufzuheben und den Einheitswert nach einer Monatsmiete von 2,50 DM/qm und den Grundsteuermeßbescheid entsprechend niedriger festzusetzen.

9

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Es trägt vor:

11

Es habe die Miete der Klasse IV g seinem Mietspiegel entnehmen müssen. Nach Auslauf der Grundsteuervergünstigung und der Mietpreisbindung handele es sich um "frei finanzierten" Wohnraum entsprechend Klasse g des Mietspiegels. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gebe der Mietspiegel die am Hauptfeststellungsstichtag 01.01.1964 maßgebliche Miete zutreffend wieder. Es habe keine Möglichkeit, hiervon abzuweichen, Konkrete Vergleichsmieten seien nicht vorhanden und seinerzeit bei der Aufstellung der Mietspiegelgruppe g auch nicht vorhanden gewesen.

12

Der Berichterstatter hat das Grundstück am 5. September 1996 besichtigt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll -; vom selben Tage -; (Bl. 54-;55 FG-Akte) Bezug genommen.

13

Im übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegten Steuerakten verwiesen.

Gründe

14

Die Klage ist teilweise begründet.

15

Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG wird der Einheitswert eines Grundstück neu festgestellt (Wertfortschreibung), wenn der Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes nach oben um mehr als den 10, Teil, mindestens aber um 5. 000 DM, oder um mehr als 100. 000 DM abweicht. Unter diesen Voraussetzungen findet eine Fortschreibung sowohl zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung (§ 22 Abs. 3 BewG) als auch dann statt, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten Feststellung geändert haben. Bei einer Fortschreibung zur Beseitigung eines Rechtsfehlers ist die Fortschreibung -; wenn damit eine Erhöhung des Einheitswerts verbunden ist -; frühestens auf den Beginn des Kalenderjahres zulässig, indem der Feststellungsbescheid erteilt wird (§ 22 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BewG).

16

Im Streitfall war eine Wertfortschreibung auf den 01.01.1991 unzulässig, weil die in § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG festgelegten Fortschreibungsgrenzen nicht erreicht sind. Das ergibt sich aus folgendem:

17

Mietwohngrundstücke sind nach § 76 Abs. 1 Nr. 1 BewG grundsätzlich im Ertragswertverfahren zu bewerten. Dabei wird der Grundstückswert durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ermittelt und anschließend unter bestimmten Voraussetzungen ermäßigt oder erhöht. Damit vollzieht sich die Bewertung auf der Grundlage eines aus dem Grundstück erzielbaren Reinertrages, wobei der Reinertrag im Interesse der Durchführung einer Massenbewertung schematisierend und damit nur pauschal festgestellt wird (vgl. BFH, z. B. Urteil vom 31.10.1974 III R 116/72, BStBl II 1975, 106 [BFH 31.10.1974 - III R 160/72]). Entscheidend sind dabei die Wertverhältnisse am 1. Jan. 1964 (§ 79 Abs. 5 BewG).

18

Bei der Ermittlung der Jahresrohmiete ist davon auszugehen, daß Wohnungen, die zunächst öffentlich gefördert worden sind, mit Auslauf dieser Förderung mietpreisrechtlich zu frei finanzierten Wohnungen werden. Für sie ist deshalb die übliche Marktmiete für nicht grundsteuerbegünstigte Wohnräume am 1. Jan. 1964 anzusetzen (vgl. BFH, Urteil vom 15.10.1986 II R 230/81, BStBl II 1987, 201, sowie Gürsching/Stenger, BewG, § 79 Rdn. 44, 88). Diese Miete steht jedoch, anders als die preisgebundene Miete von der öffentlichen Förderung unterliegenden Wohnräumen, nicht fest. Eine tatsächliche Vereinbarung, auf die man zurückgreifen könnte, hat es wegen der damaligen Mietpreisbindung nicht gegeben, Existiert eine tatsächlich vereinbarte Miete nicht, so ist nach § 79 Abs. 2 BewG die übliche Miete anzusetzen, die in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen ist, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art. Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wurde. Eine derartige Schätzung setzt voraus, daß frei finanzierte nicht preisgebundene vermietete Vergleichsobjekte in ausreichender Zahl vorhanden sind. Daran fehlt es im Streitfall. Es ist offensichtlich und zwischen den Beteiligten auch unstreitig, daß eine hinreichende Zahl von Vergleichsobjekten nicht benannt werden kann, weil es sie nicht gab.

19

Läßt sich die übliche Miete nicht aus tatsächlich gezahlten Mieten für Vergleichsobjekte ableiten, so ist grundsätzlich auf die Mietspiegel der Finanzbehörden als Schätzungshilfsmittel zurückzugreifen (vgl. BFH, Urteil vom 10.08.1984 III R 41/75, BStBl II 1985, 36). Dabei geht der BFH davon aus, daß die Mietspiegel aus einer Zusammenstellung von Rahmenmieten entstanden sind, die aus den regelmäßig gezahlten Mieten einer repräsentativen Zahl von vermieteten Wohngrundstücken unter Berücksichtigung der öffentlichen Marktlage abgeleitet und mit Mieter-, Vermieter- und anderen Verbänden sowie Organen des Wohnungsbaus abgestimmt sind. Sie sollen nach Grundstückarten, Baujahrgruppen, Ausstattungsgruppen, Lage des Grundstücks sowie nach solchen Wohnraumgruppen gegliedert sein, für die am Hauptfeststellungszeitpunkt unterschiedliche Mietpreisregelungen bestanden. Derartig aufgestellte Mietspiegel entsprechen den Kriterien, die nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG für die Schätzung der üblichen Miete durch Vergleich mit vermieteten Grundstücken maßgebend sind.

20

Der Mietspiegel des FA entspricht in weiten Bereichen diesen geforderten Kriterien. Das gilt jedoch nicht für die Mietspiegelspalte "g". Der Senat ist der Überzeugung, daß die im Mietspiegel ausgewiesenen Mieten für frei finanzierten nicht preisgebundenen Wohnraum nicht aus regelmäßig gezahlten Mieten einer repräsentativen Zahl von vermieteten Wohngrundstücken abgeleitet worden sind. Das folgt schon daraus, daß es am Hauptfeststellungsstichtag 01.01.1964 nur in seltenen Ausnahmefällen frei finanzierten, nicht preisgebundenen Wohnraum gab, der für die Aufstellung von Mietspiegeln zahlenmäßig bei weitem nicht ausreichte. Zudem ist dies im Streitfall auch unstreitig. Die Mietspiegelgruppe "g" konnte somit nur im Schätzungswege oder durch Hochrechnungen ermittelt werden. Es ist offensichtlich, daß dies bei dem im Streitfall angewandten Mietspiegel -; ebenso wie bei allen anderen Mietspiegeln im Bereich der OFD Hannover -; geschehen ist. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Senats vom 27. August 1996 I 119/90 (EFG 1997 S. 8) Bezug genommen. Die Mietspiegelspalte "g" scheidet deshalb als Schätzungshilfsmittel für die nicht preisgebundene Markmiete aus.

21

Unter diesen Umständen hat der Senat die übliche Miete anderweitig zu schätzen. Er hat sich dabei an die Grundsätze angelehnt, die der BFH für die Ermittlung der Marktmiete nach Auslauf der Grundsteuervergünstigung entwickelt hat (BFH, Urteil vom 15. Okt. 1986 II R 230/81, a.a.O.). Dort ist die Schätzung der üblichen Marktmiete durch Ansatz der üblichen Miete für grundsteuerbegünstigten Wohnraum zuzüglich eines Zuschlags als zulässig erkannt worden. Der Zuschlag hat dabei der Tatsache Rechnung zu tragen, daß nach Beendigung der Grundsteuervergünstigung die nunmehr einsetzende Grundsteuerbelastung des Grundstücks regelmäßig zu einer Erhöhung der Rohmiete führt. Entsprechend der Systematik des § 79 Abs. 3 BewG ist dabei nicht auf die tatsächliche Grundsteuerbelastung im Einzelfall abzustellen, sondern sie ist pauschal für das ganze Bewertungsrecht einheitlich anzusetzen. Gemessen an diesen Erfordernissen hat der Senat auf die im Mietspiegel ausgewiesene Miete für grundsteuerbegünstigten Wohnraum (Mietspiegelspalte "e") zurückgegriffen. Bedenken an den dort ausgewiesenen Marktmieten sind nicht zutage getreten. Sie sind unstreitig aus tatsächlichen, durchschnittlichen Bau- und Grundstückskosten entstanden durch Anwendung eines Satzes von 6 v.H., und anschließend den örtlichen Gegebenheiten angeglichen worden. Den hierauf anzubringenden Zuschlag hat der Senat auf 12 v.H. bemessen. Das Ausmaß dieser Erhöhung entspricht dem Anteil, den der Gesetzgeber in § 79 Abs. 3 BewG bundesweit der Grundsteuerbelastung innerhalb der Ermittlung der Jahresrohmiete zuerkannt hat. Damit ist einer in der Praxis heute und auch in der Vergangenheit vorherrschenden Übung Rechnung getragen, die Miete nach Auslauf der Grundsteuervergünstigung um diese Grundsteuer zu erhöhen. Daß diese Erhöhung abweichend von der Praxis nur pauschal nach dem genannten Zuschlag bemessen wird, ist im Interesse einer praktikablen Durchführung des Bewertungsverfahrens in Kauf zu nehmen. Sie beträgt im Streitfall 3,36 DM/qm. Das würde zu einem Einheitswert führen, der nahezu identisch ist mit dem vom FA auf den Stichtag 01.01.1974 festgestellten Einheitswert. Eine Wertfortschreibung kommt somit nicht in Betracht. Aus den gleichen Gründen konnte der weitergehende Antrag des Kl. keinen Erfolg haben.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 11 Zivilprozeßordnung.

23

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.