Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.10.1997, Az.: V 318/96
Verbot der Besteuerung der Entnahme eines Gegenstandes aus einem Unternehmen für unternehmenesfremde Zwecke bei Nichtberechtigung dieses Gegenstands zum Vorsteuerabzug; Berühung der Frage des Vorsteuerabzugs durch von zur Erhaltung/zum Gebrauch des Gegenstandes in Anspruch genommenen Dienstleistungen und Lieferungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.10.1997
- Aktenzeichen
- V 318/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 16007
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:1030.V318.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG
- Art. 5 Abs. 6 6. EG-Richtlinie
- Art. 5 Abs. 7 6. EG-Richtlinie
Fundstellen
- DStRE 1998, 489-490 (Volltext mit amtl. LS)
- SteuerBriefe 1998, 834
Verfahrensgegenstand
Umsatzsteuer 1992
Redaktioneller Leitsatz
Kein Entnahmeeigenverbrauch für PKW des Unternehmens, für den kein Vorsteuerabzug bei Anschaffung möglich war, für den aber Vorsteuern wegen Karosserie- und Lackarbeiten in Anspruch genommen wurden
In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 30. Oktober 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin des Finanzgerichts ... als Vorsitzende
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Land- und Forstwirt
ehrenamtlicher Richter ... Beamter
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides 1992 vom 21. Juni 1995 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 15. Februar 1996 wird die Umsatzsteuer auf 538 DM herabgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Hohe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Hohe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger betrieb einen Handel mit Kraftfahrzeugen (Oldtimern). Zum 31. Dezember 1992 gab er seinen Betrieb auf und überführte die noch vorhandenen Oldtimer in sein Privatvermögen. Hierunter befand sich unter anderem ein Pkw RR-Bentley, den der Kläger 1989 von einer Privatperson für sein Unternehmen erworben hatte. Ein Vorsteuerabzug war ihm im Zeitpunkt der Anschaffung nicht möglich und wurde von ihm auch nicht geltend gemacht. Im Jahre 1990 ließ der Kläger umfangreiche Karosserie- und Lackarbeiten an dem Pkw Bentley ausführen. Die ihm hierfür mit Rechnung vom 14. Mai 1990 in Rechnung gestellte Umsatzsteuer machte der Kläger als Vorsteuern geltend.
Der Kläger gab für das Streitjahr keine Umsatzsteuererklärung ab. Anläßlich einer Umsatzsteuersonderprüfung ermittelte der Beklagte für den Pkw RR-Bentley einen Teilwert in Höhe von 20.000 DM, den er als Bemessungsgrundlage für einen Entnahmeeigenverbrauch nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 a Umsatzsteuergesetz (UStG) zugrunde legte und setzte die Umsatzsteuer entsprechend fest. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos.
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger macht geltend, die Besteuerung der Entnahme des Pkw`s sei rechtswidrig, da für diesen im Zeitpunkt der Anschaffung ein Vorsteuerabzug nicht möglich gewesen sei. Der Umstand, daß an dem Pkw Karosserie- und Lackarbeiten ausgeführt worden seien, für die er einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe, erfülle ebenfalls nicht den Tatbestand der Entnahmeeigenverbrauchsbesteuerung.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuer 1992 um 2.800 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beruft sich auf das BMF-Schreiben vom 13. Mai 1994 -(IV C 2 - S 7056 a - 94/94) / (IV C 3 - S 7102 - 12/94)-, BStBl I 1994, Seite 298).
Danach sei der Entnahmeeigenverbrauch auch dann zu besteuern, wenn aufgrund umfangreicher Arbeiten der entnommene Wertgegenstand wesentlich verbessert und für diese wertsteigernden Maßnahmen Vorsteuern in Abzug gebracht worden seien. Dem stehe die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes nicht entgegen, da dieser in seinem Urteil vom 30. Mai 1995 (Az.: V R 65/93, UR 95, Seite 340) ausdrücklich offengelassen habe, inwieweit nachträglicher Anschaffungs- oder Herstellungsaufwand, der die Nutzungsdauer und das Abschreibungsvolumen eines Gegenstandes verändere bzw. zu einem Bestandteil führe, die Voraussetzungen über die Eigenverbrauchsbesteuerung des Artikel 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie erfülle.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht haben die Steuerakten zu Steuer-Nr. ... vorgelegen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die anläßlich der Betriebsaufgabe erfolgte Entnahme des Pkw Bentley unterliegt nicht der Eigenverbrauchsbesteuerung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 a UStG, weil Artikel 5 Abs. 6 und 7 der 6. EG-Richtlinie die Besteuerung eines nicht vorsteuerentlasteten Pkw bei vorsteuerentlasteten Gebrauchs- bzw. Erhaltungsmaßnahmen verbietet. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich das Besteuerungsverbot aus § 5 Abs. 6 oder aus § 5 Abs. 7 c der 6. EG-Richtlinie ergibt.
Artikel 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie verbietet die Besteuerung der Entnahme eines Gegenstandes aus dem Unternehmen für unternehmensfremde Zwecke, wenn "dieser Gegenstand oder seine Bestandteile" nicht zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben. Diese Voraussetzungen liegen vor, weil der Kläger den entnommenen Pkw von einer Privatperson erworben und einen Vorsteuerabzug wegen der fehlenden Voraussetzungen nicht in Anspruch genommen hat.
Die Besteuerung wegen Eigenverbrauchs ist auch nicht deshalb begründet, weil der Kläger nach der Anschaffung Karosserie- und Lackarbeiten im Rechnungswert von netto 10.800 DM an dem Pkw hat durchführen lassen, für die er einen Vorsteuerabzug in Anspruch nahm. Denn der Beklagte hat weder dargelegt noch nachgewiesen, daß aufgrund dieser Arbeiten Bestandteile in den Pkw eingegangen sind, für die ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen wurde. Kosten für Karosserie- und Lackarbeiten sind vielmehr regelmäßig Aufwendungen für den Gebrauch und die Erhaltung eines Kraftfahrzeuges, nicht aber Bestandteile desselben. Die gegenteilige Ansicht des Beklagten, wonach nicht nur aktivierungspflichtige Aufwendungen, sondern auch Kosten für Verbesserungen, Reparaturen, Wartungs- und Pflegearbeiten zu "Bestandteilen" führen, ist unbegründet. Der Beklagte beruft sich insoweit auf das BMF-Schreiben vom 13. Mai 1994 (IV C 2 - S 7056 a - 94/94
IV C 3 - S 7102 - 12/94),
wonach unter praktischen Gesichtspunkten bei Kosten von mehr als 20 % der ursprünglichen Anschaffungskosten aus Vereinfachungsgründen "in der Regel ohne nähere Prüfung unterstellt werden" kann, daß Bestandteile in den Gegenstand eingegangen sind. Diese Unterstellung, die auf eine Umkehr der Beweislast hinausläuft, ist rechtlich unbegründet. Denn der EuGH hat bereits mit Urteil vom 27. Juni 1989 (RS 50/88, UR 1989, 373) entschieden, daß die Besteuerung nach der Richtlinienbestimmung voraussetze, daß der Gegenstand selbst und nicht die Aufwendungen für seinen Gebrauch und seine Erhaltung zum Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. Aus dieser Entscheidung des EuGH zu Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe a der 6. EG-Richtlinie folgt, daß Dienstleistungen und Lieferungen, die der Unternehmer "zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstandes" in Anspruch genommen oder erhalten hat, nicht in den Gegenstand selbst eingehen und die Frage des Vorsteuerabzugs bei Erwerb des Gegenstandes nicht berühren. Der Bundesfinanzhof hat mit seinem Urteil vom 30. März 1995 (Az.: V R 65/93, UR 95, 340 [341]) die maßgebende Auslegung durch den EuGH mit der umfassenderen Voraussetzung für Artikel 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie für anwendbar erklärt, daß der Gegenstand "oder seine Bestandteile" zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben müssen. Aufwendungen für den Gebrauch und die Erhaltung des Gestandes berühren weder den Gegenstand selbst noch führen sie zur Anschaffung oder Herstellung eines Bestandteils. Inwieweit nachträglicher Anschaffungs- oder Herstellungsaufwand, der Nutzungsdauer und Abschreibungsvolumen des Gegenstand selbst verändert oder gegebenenfalls zu einem zusätzlichen Gegenstand (Bestandteil) führt, die Voraussetzung des Artikel 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie erfüllen kann, hat der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung offengelassen. Dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes schließt sich der erkennende Senat an.
Da es sich bei den von dem Kläger anläßlich der Betriebsaufgabe durchgeführten Karosserie- und Lackarbeiten nicht um "Bestandteile" des Gegenstandes handelt, für die er einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat, kann der Senat ebenso wie der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 30. März 1995 (a.a.O.) offenlassen, ob sich das Besteuerungsverbot für den Eigenverbrauch wegen der Entnahme "mit Aufgabe des Unternehmens" aus Artikel 5 Abs. 7 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie ergibt. Denn nach dem Wortlaut dieser Bestimmung hängt eine Entnahmebesteuerung wegen nichtunternehmerischer Zwecke in Fällen der Betriebsaufgabe nicht von der Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung bezüglich der "Bestandteile", sondern allein von der Vorsteuerabzugsberechtigung des Gegenstandes selbst ab. Auch hiernach wäre die Besteuerung des Eigenverbrauchs ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 151, 155 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.