Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.10.1997, Az.: IX 316/96
Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides aufgrund der Nichtgewährung eines Freibetrages gemäß § 14a EStG (Einkommensteuergesetz)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 13.10.1997
- Aktenzeichen
- IX 316/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 16006
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:1013.IX316.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 164 Abs. 2 AO
- § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
- § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO
- § 14a Abs. 4 EStG
- § 14a Abs. 5 EStG
- § 16 Abs. 4 EStG
Verfahrensgegenstand
Steuerbegünstigung wegen Abfindung weichender Erben und Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids
Einkommensteuer 1991 bis 1992
In dem Rechtsstreit
hat der IX. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
im Einverständnis der Beteiligten
durch
den Richter am Finanzgericht ... als Berichterstatter
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 13. Oktober 1997
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 zu ändern sind, weil den Klägern ein Freibetrag nach § 14 a Abs. 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu gewähren ist.
Die Kläger sind Eheleute. Sie erzielten in den Streitjahren aus ihrem als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) geführten landwirtschaftlichen Betrieb Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und wurden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
Die Einkünfte wurden durch Bescheid vom 10. August 1993 für 1991 und vom 26. Juli 1994 für 1992 einheitlich und gesondert festgestellt. Die Ergebnisse dieser Feststellungsbescheide wurden in die Einkommensteuerbescheide 1991 (vom 30. August 1993) und 1992 (vom 15. August 1994) übernommen. In beiden Steuerbescheiden gewährte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) einen Freibetrag nach § 14 a Abs. 4 und 5 EStG.
Nach einer Außenprüfung bei der GbR für die Streitjahre wurden die Feststellungsbescheide am 10. November 1994 geändert. Die Änderungen wurden in die Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 (Änderungsbescheide vom 5. Dezember 1994) übernommen. Dabei gewährte das FA den Freibetrag nach § 14 a Abs. 4 und 5 EStG nicht mehr. Diese Steuerbescheide wurden bestandskräftig, während die Kläger gegen den geänderten Feststellungsbescheid Einspruch einlegten und mit Schreiben vom 1. Februar 1995 beantragten, im Feststellungsverfahren die Freibeträge wegen Übertragung von Grundstücken und Geldzahlung an weichende Erben (§ 14 a Abs. 4 und 5 EStG) zu gewähren. Während dieses Rechtsbehelfsverfahrens änderte das FA die Feststellungsbescheide 1991 und 1992 am 11. April 1996 und stellte einen bestimmten Anteil an den Gewinnen als nach § 14 a Abs. 4 EStG begünstigt fest.
Gegen diesen Änderungsbescheid erhoben die Kläger am 13. Mai 1996 erneut Einspruch und beantragten bestimmte Veräußerungsgewinne bei der Berechnung der maßgeblichen Einkommensgrenzen des § 14 a Abs. 4 EStG nicht zu berücksichtigen.
Das FA faßte diesen Einspruch als Antrag aufÄnderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 auf und lehnte den Antrag auf Gewährung des Freibetrags aufgrund des geänderten Feststellungsbescheids ab. Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos. Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger im Einkommensteuerverfahren ihr Begehren weiter.
Sie tragen vor, die Veräußerungsgewinne aus den Wirtschaftsjahren 1990/91 und 1991/92 seien im Feststellungsbescheid richtig ermittelt worden. Gleichwohl sei ihnen der streitige Freibetrag nicht gewährt worden. Bei der Ermittlung der maßgeblichen Einkommensgrenze hätte das FA den gesamten Veräußerungsgewinn absetzen müssen. Es sei unverständlich, daß das FA nur ein Drittel abgesetzt habe.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind die Kläger der Auffassung, das FA habe die Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 aufgrund des geänderten Feststellungsbescheids vom 11. April 1996 ändern und den Freibetrag gewähren müssen. Der Feststellungsbescheid stelle bestimmte Voraussetzungen für die Freibetragsgewährung nach§ 14 a EStG fest. Daran sei das FA im Einkommensteuerverfahren gebunden.
Die Kläger beantragen,
das beklagte Finanzamt zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1991 zu ändern und die Steuer unter Berücksichtigung eines Freibetrags nach § 14 a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes von 51.211 DM nach einem zu versteuernden Einkommen von 415.808 DM festzusetzen;
den Einkommensteuerbescheid 1992 zu ändern und die Steuer unter Berücksichtigung eines Freibetrags nach § 14 a Abs. 4 Einkommensteuergesetz von 159.889 DM nach einem zu versteuernden Einkommen von 339.344 DM festzusetzen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bleibt bei seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung, der Freibetrag sei wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen nicht zu gewähren. Vom jeweiligen Veräußerungsgewinn eines Wirtschaftsjahres sei nur der Teil bei der Berechnung der Einkommensgrenze nicht zu berücksichtigen, der dem jeweiligen abzufindenden weichenden Erben zuzurechnen sei und der zeitlich auf das dem Veranlagungszeitraum vorangehenden Kalenderjahr entfalle.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Das FA hat es im Ergebnis zutreffend abgelehnt, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 zu ändern, da die Voraussetzungen einer Änderungsnorm nicht vorgelegen haben.
1.
Änderungsgrundlagen aus § 164 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) und § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Die Steuerbescheide vom 5. Dezember 1994 standen nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, so daß § 164 Abs. 2 AO als Änderungsgrundlage ausscheidet. Eine Änderung konnte ebenso nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen, da einerseits der Antrag vom 13. Mai 1996 auf Gewährung des Freibetrags keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache ist, andererseits der zu diesen Antrag führende Sachverhalt - Veräußerung und Übertragung von Grundstücken zugunsten weichender Erben - bereits bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1991 und 1992 dem FA bekannt gewesen sein mußte, da es in den ursprünglichen Bescheiden zunächst die begehrten Freibeträge gewährt hatte.
2.
Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO
Eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 ist aber auch aus § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr möglich.
Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, "soweit" ein Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt. Die Anpassung des Folgebescheids führt nicht zu einer Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 11. April 1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143; vom 8. April 1965 III 132/61 U, BFHE 82, 352, BStBl III 1965, 376, 377; vom 3. Juli 1964 VI 78/63 S, BFHE 80, 257, BStBl III 1964, 566, beide zu§ 218 Abs. 4 der Reichsabgabenordnung - AO -; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 175 AO Tz. 4). Sie reicht daher grundsätzlich nur so weit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids verlangt.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor, denn das beklagte FA war hinsichtlich der Gewährung des Freibetrags nach§ 14 a Abs. 4 und 5 EStG nicht vollständig an die Feststellungen des Grundlagenbescheids gebunden. Es hatte vielmehr ein eigenes Ermittlungsrecht und eine Ermittlungspflicht, die Voraussetzungen des Freibetrags, insbesondere das Einhalten der Einkommensgrenzen, zu prüfen.
Die Steuerbegünstigung aus § 14 a Abs. 4 und 5 EStG ist u.a. abhängig von der Höhe des Einkommens des Steuerpflichtigen. Darüber kann im Feststellungsverfahren keine Entscheidung getroffen werden, da dem Betriebsstätten-Finanzamt die zur Berechnung der Einkommensgrenzen erforderlichen Informationen nicht vorliegen. Deshalb hat das Wohnsitzfinanzamt der Feststellungsbeteiligten darüber zu entscheiden, ob die Steuerpflichtigen hinsichtlich der Einkommensgrenzen die Voraussetzungen der Begünstigung erfüllen. Demgegenüber hat das Betriebsstätten-Finanzamt mit Bindungswirkung aber über Höhe der begünstigungsfähigen Gewinne zu entscheiden. Das ist vorliegend geschehen. Wäre das beklagte FA also zu der Überzeugung gekommen, die Einkommensvoraussetzungen seien erfüllt, so wäre es an die festgestellte Höhe der begünstigten Gewinne, wie sie im geänderten Feststellungsbescheid ausgewiesen sind, gebunden. Die Ermittlungen des beklagten FA haben dagegen aber ergeben, daß die Kläger die Einkommensvoraussetzungen der Begünstigungsnorm nicht erfüllen, so daß aus der Feststellung der begünstigten Gewinne im Feststellungsbescheid keine Folgerungen für die Einkommensteuer gezogen werden konnten. Ob die Berechnung der Einkommensgrenzen zutreffend ist, kann das Gericht nicht mehr prüfen, da es an einer Änderungsnorm zur Korrektur der angefochtenen Steuerbescheide fehlt.
Eine Bindungswirkung dergestalt, daß das beklagte FA wegen der festgestellten, begünstigten Gewinne in jedem Fall den Freibetrag zu gewähren habe, besteht - entgegen der klägerischen Auffassung - nicht.
Das Gericht weicht mit dieser Entscheidung nicht vom Urteil des BFH vom 17.04.1980 IV R 58/78, BStBl II 1980, 721 ab, nach demüber die Steuerbegünstigung gemäß § 16 Abs. 4 EStG im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft zu entscheiden ist (s. BFH-Urteil vom 29. September 1976 I R 171/75, BFHE 120, 222, BStBl II 1977, 259). Dies soll auch für den erhöhten Freibetrag nach § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG gelten. Die Steuerbegünstigungen des § 16 Abs. 4 EStG haben aber andere Voraussetzungen als § 14 a Abs. 4 und 5 EStG. Sie sind nicht an bestimmte Einkommensgrenzen gebunden. Die für die Beurteilung der Steuerbegünstigung nach§ 16 Abs. 4 EStG notwendigen Informationen sind auch dem Betriebsstätten-Finanzamt zugänglich und können für den Erlaß eines entsprechenden Feststellungsbescheids herangezogen werden.
Das Gericht hält gleichwohl wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) die Zulassung der Revision für angebracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Gegen dieses Urteil ist die Revision zugelassen worden.