Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.02.2007, Az.: 2 K 710/04
Anspruch auf Billigkeitsfestsetzung nach dem Verpachtungserlass vom 17.12.1965; Aufgabe eines landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betriebs und Steuerpflichtigkeit des aus der Grundstücksveräußerung; Übergang von der Eigenbewirtschaftung zur Betriebsverpachtung ohne ausdrückliche Aufgabeerklärung als Einstellung der betrieblichen Tätigkeit und damit zu einer Betriebsaufgabe; Abgrenzung einer Betriebsunterbrechung von einer Betriebsaufgabe; Ausschluss einer Betriebsunterbrechung wegen der Unmöglichkeit einer Wiederaufnahme des Betriebes; Erfordernis einer unmissverständlichen und eindeutigen Aufgabeerklärung gegenüber dem Finanzamt; Erfordernis einer Hofstelle, einer Mindestgröße oder eines vollen Besatzes an landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden und Betriebsmitteln für einen landwirtschaftlichen Betrieb; Voraussetzungen für einen Anspruch auf einen Steuererlass im Billigkeitswege (§ 163 Abgabenordnung (AO)); Abweichung einer höchstrichterlichen Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung als eine Billigkeitsregelung erfordernder Umstand
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.02.2007
- Aktenzeichen
- 2 K 710/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 36694
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2007:0228.2K710.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 EStG
- § 163 AO
Fundstellen
- AUR 2008, 255-258 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- EFG 2008, 49-51 (Volltext mit red. LS)
- INF 2007, 326-327
- NWB direkt 2007, 3
- Jurion-Abstract 2007, 228663 (Zusammenfassung)
Verfahrensgegenstand
Einkommenssteuer 1997
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz: Anspruch auf Billigkeitsfestsetzung nach dem (sog.) Verpachtungserlass vom 17.12.1965
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb bereits zum 01.01.1987 aufgegeben wurde und demzufolge ein im Streitjahr (1997) aus einer Grundstücksveräußerung erzielter Gewinn nicht steuerpflichtig ist.
Der Kläger bewirtschaftete einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb. Inhaber war bis zum Jahre 1994 neben ihm auch seine im Jahre 1994 verstorbene Ehefrau, ab 1994 ausschließlich der Kläger. Der Kläger war seit 1963 hauptberuflich als Maschinenführer für das Furnierwerk W tätig. Der landwirtschaftliche Betrieb umfasste am 01.01.1987 eine landwirtschaftlich genutzte Eigentumsfläche von ca. 4 Hektar (ha) sowie die Hofstelle mit den Wirtschaftsgebäuden und dem Hausgarten mit dem Umfang von ca. 0,1 ha (insgesamt ca. 4,1 ha). Im Oktober 1986 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt. Das Versorgungsamt V bescheinigte ihm daraufhin im Jahre 1987 rückwirkend zum 01.01.1987 einen Grad der Erwerbsminderung von 60%. Der Kläger stellte die Eigenbewirtschaftung ein und verpachtete ab dem 1. Januar 1987 von der landwirtschaftlich genutzten Fläche einen Anteil von ca. 3,3 ha (85,83%) an den Pächter S, ca. 0,1 ha (4,02%) an den Pächter B sowie ca. 0,4 ha (10,15%) an den Pächter G. Die Pachtdauer betrug jeweils 10 Jahre. Die Hofstelle mit dem Hausgarten (ca. 0,2 ha) behielt der Kläger zum Zwecke der privaten Selbstnutzung zurück. Im Jahre 1990 übertrugen der Kläger und die später - im Jahre 1994 - verstorbene Ehefrau des Klägers Flächen von 1.125 qm und 725 qm an ihre Tochter und ihren Sohn, der als Diplom-Informatiker tätig war. Im Jahre 1992 übertrugen sie die Hofstelle (1727 qm) sowie ein Grundstück mit einer Fläche von 822 qm auf den Sohn). Der Kläger erklärte bis zum Streitjahr keine Verpachtungseinkünfte oder Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Im Jahre 1997 veräußerte der Kläger mehrere - vormals land- und forstwirtschaftlich genutzte - Flurstücke (Flurstück 44/4 (650 qm), Flurstück 44/2 (514 qm) und Flurstück 44/7 (450 qm)) für insgesamt 473.000 DM (361.000 DM im Wirtschaftsjahr 1996/1997 zzgl. 112.000 DM im Wirtschaftsjahr 1997/1998).
Dies wurde dem Beklagten durch eine Veräußerungsanzeige im Juli 1999 bekannt. Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom Mai 2002 mit, der Veräußerungsgewinn sei im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs des Klägers steuerpflichtig; der Kläger solle Gewinnermittlungen einreichen. Dies holte der Kläger im Oktober 2002 für die Wirtschaftsjahre 1996/1997 und 1997/1998 nach. In den Einnahmen-Überschussrechnungen für das Wirtschaftsjahr 1996/1997 ermittelte der Kläger einen Gewinn in Höhe von 354.221 DM; für 1997/1998 einen Gewinn in Höhe von 907 DM. Der Kläger wies bei Abgabe der Gewinnermittlungen darauf hin, dass die Veräußerungsgewinne nach seiner Auffassung nicht steuerpflichtig seien. Das Finanzamt änderte die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres vom November 1998 durch Bescheid vom November 2002 unter Hinweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte bei der Einkommensteuerfestsetzung auch Gewinne aus der Veräußerung der Flächen an.
Das Finanzamt änderte die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres vom November 1998 durch Bescheid vom November 2002 unter Hinweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte bei der Einkommensteuerfestsetzung - entsprechend der Gewinnermittlung - nunmehr Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft i.H.v. 177.563 DM (50% von 354.221 zzgl. 50% von 907 DM) an. Die veräußerte Flächen gehörten, so das Finanzamt, im Streitjahr nach wie vor zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb und die Veräußerungen erhöhten demzufolge den laufenden Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch, in dem sich der Kläger insbesondere auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berief, die Klage. Wegen der Einzelheiten zum Vortrag im Einspruchsverfahren wird auf die Einspruchsakte verwiesen.
Der Kläger ist der Auffassung, er habe den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb bereits vor dem Streitjahr, spätestens zum 01.01.1987, aufgegeben. Die von ihm getroffenen Maßnahmen hätten auf eine endgültige Beendigung der landwirtschaftlichen Betätigung hingedeutet, so dass er den Betrieb zum 01.01.1987 (zwangsläufig) habe aufgeben müssen. Überdies habe er die Flächen schon vor dem 01.01.1987, nämlich seit dem Jahre 1981, an verschiedene Pächter überlassen und ab dem 01.01.1987 langfristige Pachtverträge geschlossen. Bei einer parzellenweisen Verpachtung und einem Pachtbeginn vor dem 15.04.1988 liege aber auch nach Auffassung der Finanzverwaltung keine Betriebsunterbrechung - und damit ein sog. "ruhender Betrieb" - sondern eine Zwangsbetriebsaufgabe vor. Im Streitfall habe der Kläger die Flächen "parzellenweise verpachtet", da er funktional wesentliche Grundstücksflächen von mehr als 10% der Gesamtfläche des Betriebes an eine andere Person als den Hauptpächter verpachtet habe, nämlich an die Landwirte B. und G. Aufgrund der Übergangsregelung der Finanzverwaltung habe er entsprechend der ursprünglichen Rechtsprechung davon ausgehen können, dass die parzellenweise Verpachtung zu einer Betriebsaufgabe führe, wenn, - wie hier - die tatsächliche Nutzungsüberlassung vor dem 15.04.1988 begonnen habe. Es verstoße gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte, wenn das BMF nunmehr durch Schreiben vom 01.12.2000 regele, dass - aufgrund einer rückwirkenden Betrachtung - eine Betriebsfortführung vorliege. Das Land Niedersachsen sei zudem - entgegen der Auffassung des Finanzamtes - an den einheitlichen Ländererlass vom 15.04.1988, der als Reaktion auf das BFH-Urteil vom 15.10.1987 (BStBl. II 1988, 260) entstanden sei, gebunden, zumal Niedersachsen dem Erlass seinerzeit zugestimmt habe.
Er, der Kläger, könne sich auch mit Erfolg im hiesigen Verfahren auf einen Billigkeitserlass berufen und müsse kein gesondertes Billigkeitsverfahren durchführen. Der Beklagte habe im Einspruchsbescheid nämlich auf die in Betracht kommenden Billigkeitsregelungen Bezug genommen und damit das Billigkeitsverfahren äußerlich mit dem Verfahren über die Steuerfestsetzung verbunden.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung abzuändern und die Steuer auf 0 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
und ist weiterhin der Auffassung, die Veräußerung der Grundstücke sei als laufender Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft zu berücksichtigen. Der - ursprünglich unstreitig vorhandene - land- und forstwirtschaftliche Betrieb habe nämlich bis zum Streitjahr fortbestanden. Der Kläger habe den Betrieb auch nicht zum 01.01.1987 oder gar früher im Wege der Zwangsaufgabe eingestellt. Der Kläger habe nämlich keine Maßnahmen zur endgültigen Beendigung der landwirtschaftlichen Betätigung ergriffen. Vielmehr habe für den Kläger oder seinen Rechtsnachfolger die Möglichkeit bestanden, den gesamten Betrieb wieder - nach Ablauf der Pachtverträge - aktiv zu bewirtschaften.
Überdies hätten die niedersächsischen Finanzämter bereits vor der Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 15.10.1987 die (sog.) Fortführungserklärung lediglich als - wenn auch gewichtiges - Indiz für eine Betriebsfortführung angesehen. Eine parzellenweise Verpachtung führe nur ausnahmsweise zu einer Betriebsaufgabe, wenn Flächen nachweislich vor dem 01.01.1980 verpachtet worden seien. Auch das Niedersächsische Finanzgericht habe zudem in dem Urteil vom 27. April 1983 (X 230/82) die Auffassung vertreten, dass auch bei einer parzellenweise Verpachtung noch von einer Betriebsfortführung durch den Verpächter auszugehen sei, wenn seine Maßnahmen nur zu einer vorübergehenden Betriebseinstellung führten und die Wiederaufnahme des Betriebes nach Ablauf der Pachtzeit hinreichend gesichert sei.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der sowie auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Das Finanzamt hat den Gewinn aus der Veräußerung der Grundstücke zu Unrecht im Änderungsbescheid als Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft erfasst.
Der - unstreitig jedenfalls bis zum Jahre 1981 vorhandene - land- und forstwirtschaftliche Betrieb bestand zwar im Streitjahr nach materieller Rechtslage noch (dazu 1.). Der Kläger hat allerdings Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO (dazu 2.).
1.)
Der Kläger hat den Betrieb nach materieller Rechtslage nicht zum 01.01.1987 aufgegeben.
a)
Der Kläger behielt vielmehr ab dem Zeitpunkt der Verpachtung einen sog. "ruhenden Betrieb" zurück. Eine Betriebsaufgabe (§ 14 EStG) lag vor dem Streitjahr nicht, auch nicht zum 01.01.1987, vor. Der Übergang von der Eigenbewirtschaftung zur Betriebsverpachtung führt indes ohne ausdrückliche Aufgabeerklärung gerade nicht zur Einstellung der betrieblichen Tätigkeit und damit zu einer Betriebsaufgabe (BFH-Beschluss vom 13. November 1963, GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl 1964 III S. 124). Vielmehr wird der Betrieb, wenn auch in anderer Form, fortgeführt (vgl. BFH-Urteile vom 27. Februar 1997, IV R 62/96, BStBl 1997 II S. 512, und in BFHE 187, 42, BStBl 1999 II S. 55, m.w.N.). Es liegt dann lediglich eine Betriebsunterbrechung vor. Selbst eine unterschiedliche Laufdauer der Pachtverträge führt im Falle einer sog. "parzellenweisen Verpachtung" nicht zur zwangsweisen Zerschlagung eines Betriebes (vgl. BFH-Urteile vom 15. Oktober 1987, IV R 66/86, BStBl 1988 II S. 260, undvom 28. November 1991, IV R 58/91, BFHE 167, 19, BStBl 1992 II S. 521 und BFH-Urteil vom 18. März 1999, IV R 65/98, BStBl. 1999 II S. 398). Wird ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb nämlich verpachtet, so kann der Verpächter wählen, ob er den Vorgang als Betriebsaufgabe i.S. des § 14 Abs. 1 EStG behandeln und damit die Gegenstände seines Betriebes in sein Privatvermögen überführt oder ob er das Betriebsvermögen während der Verpachtung fortführen will (Urteil des BFH vom 18. März 1964, IV 114/61 S, BFHE 79, 195, BStBl III 1964, 303 undvom 29. Oktober 1981, IV R 138/78, BStBl II 1982, 381, 383). Eine Verpachtung aller Betriebsgegenstände ist nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 7. August 1979, VIII R 153/77, BFHE 129, 325, BStBl II 1980, 181, 183, rechte Spalte unter 2.). Das gilt auch für land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Das Wahlrecht entfällt lediglich, wenn anlässlich der Verpachtung - anders als im Streitfall - die wesentlichen Betriebsgrundlagen so umgestaltet werden, dass sie nicht mehr in der bisherigen Form genutzt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 1983, I R 84/79, BFHE 138, 50, BStBl II 1983, 412 ).
b)
Eine Betriebsunterbrechung (im engen Sinne) war im Streitfall nicht etwa ausgeschlossen, weil eine Wiederaufnahme des Betriebes unmöglich gewesen wäre. Zum einen war eine Wiederaufnahme der Tätigkeit noch möglich, zum anderen hat der Kläger den Betrieb nicht wesentlich umgestaltet. Im Streitfall bestand - zumindest theoretisch - die Möglichkeit, dass der Kläger, jedenfalls aber ein Rechtsnachfolger den gesamten Betrieb wieder aktiv bewirtschaften würde. Der Kläger oder ein Rechtsnachfolger konnte den Betrieb - u.U. auch auf verkleinerter Grundlage (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1991, IV R 58/91, BFHE 167, 19, BStBl 1992 II S. 521) mit Hilfe von Maschinenring und Lohnarbeiten fortführen. Zwar war der Kläger selbst seit dem 01.01.1987 zu 60% erwerbsunfähig. Ungeachtet dessen bestand weiterhin für seinen Sohn und seine Tochter die - zumindest theoretische - Möglichkeit, den Betrieb fortzuführen, wenn auch eventuell nur als Nebenerwerb. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von dem Tatbestand, der dem Urteil des FG Düsseldorf vom 14.08.2006 (11 K 4646/04 F, StW 2006, 44; Revision zugelassen, IV R 56/06) zugrunde liegt, zumal im dortigem Fall - anders als hier - nicht mehr aufklärbar war, ob eine Betriebsaufgabeerklärung abgegeben worden ist. Im Streitfall hat der Kläger indes unstreitig keine - unmissverständliche und eindeutige - Aufgabeerklärung gegenüber dem Finanzamt abgegeben. Eine solche Erklärung wäre für eine Betriebsaufgabe indes grundsätzlich notwendig gewesen (BFH v. 15.10.1987, IV R 66/86, BStBl. 1988 II, 260 unter 5 b) am Ende).
c)
Einem bis zum Streitjahr fortbestehenden ruhenden Betrieb steht auch die Übertragung der Hofstelle auf den Sohn des Klägers im Jahre 1992 nicht entgegen. Für einen landwirtschaftlichen Betrieb ist nämlich weder eine Hofstelle, noch eine Mindestgröße, noch ein voller Besatz an landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden und -mitteln erforderlich (BFH-Urteile vom 31. März 1955, IV 134/54 U, BFHE 60, 392, BStBl 1955 III S. 150, undvom 12. November 1992, IV R 41/91, BFHE 170, 311, BStBl 1993 II S. 430).
d)
Ebenso führte die Übertragung diverser Teilflächen in den Jahren vor dem Streitjahr, u.a. an die Kinder des Klägers, nicht zu einer Betriebsaufgabe. Vielmehr führten die Übertragungen zu laufenden Entnahmegewinnen, unabhängig davon, dass für die betreffenden Jahre eine Besteuerung wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung ausgeschlossen sein könnte.
2.
Der Erlass des Änderungsbescheides war dennoch unzulässig. Der Kläger hat nämlich Anspruch auf einen Steuererlass im Billigkeitswege (§ 163 AO). Steuern können nach § 163 AO nämlich niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit liegt im Streitfall vor.
a)
Billigkeitsgesichtspunkte können auch im hier anhängigen Verfahren berücksichtigt werden. Das Gericht geht bei der Auslegung der Klage davon aus, dass sich das Begehren der Klägers nicht nur auf die Abänderung der Steuerfestsetzung als solcher (Anfechtungsklage;§ 40 Abs. 1, 1. Alt. FGO), sondern auch auf die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme durch das Finanzamt gem. § 163 Abgabenordnung (AO) entsprechend einer Vertrauensschutzregelung der Verwaltung richtet (Verpflichtungsklage; § 40 Abs. 1, 2. Alt. FGO). Trotz ihrer unterschiedlichen Zielrichtung und der Zweigleisigkeit des Verfahrens können beide Begehren, die vorliegend sowohl im Einspruchsschreiben als auch in der Klagebegründung zum Ausdruck gekommen sind, nebeneinander geltend gemacht werden. Der Kläger hat sich auf eine Unbilligkeit der Steuerfestsetzung nämlich schon im Einspruchsverfahren berufen; der Beklagte hat diesen Antrag im Einspruchsbescheid - zumindest schlüssig - abgelehnt (Seite 5 unten und 6 oben im Einspruchsbescheid) und damit das Billigkeitsverfahren mit dem Festsetzungsverfahren verbunden (BFH v. 21.01.1992, VIII R 51/88, BStBl. 1993 II S. 3).
Auch ist die Klage nicht wegen fehlender Durchführung eines Vorverfahren unzulässig. Vielmehr war der Einspruchsbescheid bei verständiger Würdigung so auszulegen, dass - entsprechend dem im Einspruchsverfahren vorgetragenen Begehren und unter Gewährung eines möglichst angemessenen Rechtsschutzes (BFH v. 10.10.2001, XI R 52/00, BStBl. II 2002, 201) - auch eine Entscheidung über eine Billigkeitsfestsetzung getroffen wird. Zudem beinhaltete der Änderungsbescheid vom November 2002 bei verständiger Würdigung des Begehrens des Klägers und des in den an Bescheiden zum Ausdruck kommenden Verhaltens des FA bereits einen Verwaltungsakt, mit der eine Billigkeitsfestsetzung - jedenfalls schlüssig - abgelehnt.
b)
Der Kläger hat Anspruch auf Vornahme einer Billigkeitsfestsetzung aufgrund einer ihn begünstigenden Verwaltungsvorschrift, nämlich dem (sog.) Verpachtungserlass vom 17.12.1965 (BStBl. 1966 II, S. 34). Ein Steuerpflichtiger hat im Billigkeitsverfahren grundsätzlich Anspruch auf Berücksichtigung einer ihn begünstigenden Verwaltungsanweisung. Nach der Rspr. des BFH haben auch die Gerichte Verwaltungserlasse zu berücksichtigen, die aus Gründen des Vertrauensschutzes die Anpassung der Verwaltungspraxis an eine verschärfende Rechtsprechung oder an geänderte Rechtsauffassungen erleichtern sollen (vgl. BFH-Urt. v. 07.11.1996, IV R 69/95, DStR 1997, S. 413;Urt. v. 03.12.1970, IV R 170/67, BFHE 101, 373, BStBl II 1971, 321, ebensov. 23.02.1979, III R 16/78, BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455). Eine solche, den Kläger begünstigende Regelung, ist hier - entgegen der Auffassung des Beklagten - auch vorhanden. Nach dem Verpachtungserlass vom 17.12.1965 (a.a.O.) bestand zum einen - im Anschluss an die Rechtsprechung zum Verpächterwahlrecht bei gewerblichen Betrieben (BFH v. 18.03.1964, IV 114/61 S, BStBl. II 1964, S. 303) - ein Wahlrecht zur Betriebsaufgabe bei Verpachtung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes im Ganzen. Zum anderen sollte bei Verpachtung von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen an mehrere Pächter eine Betriebsaufgabe vorliegen. Anderes soll nur dann gelten, wenn der Steuerpflichtige durch Willensäußerung erklärt, den Betrieb fortführen zu wollen (sog. Fortführungserklärung). Damit lag keine allgemeine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift vor, die grundsätzlich keine Vertrauenssituation entstehen lässt (BFH v. 31.10.1990, I R 3/86, BStBl. 1991 II, S. 610), sondern ein - auch für die Gerichte im Billigkeitsverfahren zu berücksichtigender - Verwaltungserlass, der die Anpassung der Verwaltungspraxis an die geänderte Rechtsauffassung zum Verpächterwahlrecht erleichtern sollte.
Eine Fortführungserklärung hat der Kläger indes nicht abgegeben. Der Kläger hat die Flächen vielmehr - parzellenweise - an verschiedene Pächter und nicht den Betrieb im Ganzen verpachtet. Die an die Pächter S und B verpachteten Flächen betrugen ca. 14% der insgesamt verpachteten Fläche und stellten wesentliche Betriebsgrundlagen des früheren Betriebes dar (BFH v. 01.02.1990, IV R 8/89, BStBl. 1990 II 428). Die Flächen waren nämlich zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich und besaßen ein besonderes Gewicht für die Betriebsführung (BFH-Urteil vom 28. März 1985, IV R 88/81, BFHE 143, 559, BStBl. II 1985, 508).
c)
Der durch den Verpachtungserlass geschaffene Vertrauenstatbestand wurde zwar möglicher Weise durch das BFH-Urteil vom 15. Oktober 1987 (a.a.O.) aufgehoben. Das BFH-Urteil wurde allerdings erst am 15. April 1988 und damit nach Verpachtungsbeginn (01.01.1987) veröffentlicht. Der Kläger durfte jedenfalls bei Pachtbeginn - im Januar 1987 - aufgrund der Erlasslage darauf vertrauen, dass der land- und forstwirtschaftlichen Betrieb - bei Nichtabgabe einer Fortführungserklärung - als aufgegeben behandelt wird. Überdies wird eine Billigkeitsregelung für den Fall erforderlich gehalten, dass eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht (BFH v. 12.01.1989, IV R 87/87, BStBl. 1990 II, S. 261 unter 2.). Soweit der Vertrauensschutz nicht durch eine allgemeine Billigkeitsregelung gewährt wird, muss ihm durch Einzelmaßnahmen Rechnung getragen werden (BFH v. 12.01.1989, a.a.O.). Landwirte im Bundesland Niedersachsen konnten indes jedenfalls vor dem 15.04.1988 (Tag der Veröffentlichung der BFH-Entscheidung vom 15.10.1987, a.a.O., zum Vorliegen eines ruhenden Betriebes bei parzellenweiser Verpachtung) aufgrund der Erlasslage davon ausgehen, dass eine parzellenweise Verpachtung zu einer Betriebsaufgabe führt, wenn keine Fortführungserklärung abgegeben wird.
d)
Auch die Verwaltung hat den von ihr durch den Verpachtungserlass gesetzten Vertrauenstatbestand bis zum Jahre 1987 nicht beseitigt. Sie hat den Verpachtungserlass nämlich weder aufgehoben noch geändert (Giere in Felsmann, 38. Ergänzung Sept. 2005, Abschn. A Rz. 587).
aa)
Der durch den Verpachtungserlass gesetzte Vertrauenstatbestand wurde - jedenfalls bis zum Verpachtungsbeginn - weder durch das Niedersächsische Finanzministerium noch durch eine andere Behörde aufgehoben. Zwar sah das Land Niedersachsen - wie auch aus der Mitteilung der OFD Hannover vom 21.08.1990 (S 2230-63-31 1) hervorgeht - eine (sog.) Fortführungserklärung bei einer parzellenweisen Verpachtung nur als ein (gewichtiges) Indiz für das Vorliegen einer Betriebsfortführung an. Damit unterschied sich die Verwaltungspraxis in Niedersachsen offenbar von anderen Bundesländern, in denen die Grundsätze des BFH-Urteils vom 15. Oktober 1987 erst bei einem Verpachtungsbeginn ab Bekanntgabe des BFH-Urteil (15. April 1988) anzuwenden waren. In Niedersachsen sollte gem. der Verfügung der OFD Hannover vom 21.08.1990 (a.a.O.) die Tz. 7 der Niederschrift über das Ergebnis der Fachbesprechungen zur Erörterung von Fragen aus dem Bereich der Besteuerung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft vom 7. September 1984 (S 2527-9 StH 222) gelten. Danach sollte im Anschluss an das Urteil des Niedersächsischen FG vom 27. April 1983 (X 230/82, Inf StW 1984, S. 22) bei parzellenweiser Verpachtung eine Betriebsaufgabe nicht angenommen werden, wenn für die spätere Betriebsfortführung auch objektive Umstände sprechen. Unabhängig davon, ob diese Voraussetzungen hier vorlagen, hat das Land Niedersachsen diese u.U. abweichende (tatsächliche) Verwaltungspraxis allerdings nicht nach außen hin kundgetan. Es hat auch den Verpachtungserlass nicht aufgehoben. Eine "Niederschrift über das Ergebnis der Fachbesprechung zur Erörterung von Fragen aus dem Bereich der Land- und Forstwirtschaft" (vom 7. September 1984 - S 2527-StH 222) hebt aber den durch den Verpachtungserlass geschaffenen Vertrauenstatbestand nicht auf. Im Schreiben des BMF v. 04.07.1984 (IV B 4-S 2239-20/84, STEK EStG § 14 Nr. 29) wird zudem für den Fall einer parzellenweisen Verpachtung für das Vorliegen einer Betriebsfortführung ebenfalls darauf abgestellt, dass der Steuerpflichtige eine Fortführungserklärung abgibt. Der Kläger musste bei Verpachtungsbeginn nach allem davon ausgehen, dass der Betrieb als aufgegeben behandelt wird, wenn er keine Fortführungserklärung abgibt.
bb)
Auch das BMF-Schreiben vom 01.12.2000 (BStBl. I S. 1556) hat den durch den Verpachtungserlass geschaffenen Vertrauenstatbestand nicht rückwirkend beseitigt. Zwar ist nach dem BMF-Schreiben vom 01.12.2000 für die Annahme einer Zwangsbetriebsaufgabe im Rahmen einer Betriebsverpachtung im Ganzen, also einer Betriebsunterbrechung im weiten Sinne, im Bereich der Land- und Forstwirtschaft kein Raum mehr. Vielmehr sei von einer Betriebsaufgabe nur "auszugehen", wenn der Steuerpflichtige seinen Aufgabewillen in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringe. Daran würde es im Streitfall zwar fehlen. Für die - auch im Streitfall vorliegende - Betriebsunterbrechung im engen Sinne könnte auch grundsätzlich nichts anderes als bei einer Betriebsunterbrechung im weiten Sinne gelten (vgl. BFH v. 26.06.2003, IV R 61/01, BStBl II 2003, 755). Nach dem Zusatz der OFD Frankfurt zur BMF-Weisung vom 01.12.2000 (ESt-Kartei BE Stand 37. Ergänzungslieferung) soll es zudem nur in den Fällen, in denen ausdrücklich zugunsten einer Betriebsaufgabe entschieden wurde, bei dieser Entscheidung verbleiben. Das BMF-Schreiben vom 01.12.2000 stellt auch unmissverständlich klar, dass es ausnahmslos in allen offenen Fällen anzuwenden sein soll. Die Referatsleiter von Bund und Ländern haben sogar den Antrag des Bauernverbandes, für Altfälle eine Übergangsregelung zu schaffen, ausdrücklich abgelehnt (vgl. auch Hinweis in Juris zum BMF-Schr. v. 1. Dezember 2000, a.a.O.). Hierdurch wird verdeutlicht, dass die Finanzverwaltung in Altfällen offenbar gerade keine Billigkeitsregelung (mehr) zulassen möchte.
Das BMF-Schreiben vom 01.12.2000 kann allerdings nicht rückwirkend den bestehenden Vertrauenstatbestand beseitigen und einen Betrieb, der als aufgegeben zu behandeln ist, wieder "aufleben" lassen. Anderenfalls könnten sich Steuerpflichtige nicht auf die in BMF-Schreiben und anderen Verwaltungserlassen enthaltenen Anweisungen verlassen. Dies würde gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen.
cc)
Überdies und unabhängig von den obigen Erwägungen ist das Land Niedersachsen an die einheitliche Beschlussfassung der Länder (vgl. FinMin BW, Erlass vom 08.08.1990, S 2230 A-24/83) gebunden, die - soweit ersichtlich - von allen anderen Bundesländern außer Niedersachsen (Giere in Felsmann, Abschn. A Rz. 589) auch in Form eines Übergangserlasses mit einer Stichtagsregelung zum 15.04.1988 umgesetzt wurde, so dass auch aus diesem Grund ein Anspruch auf einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen besteht.
e)
Das Finanzamt war nach allem aufgrund der vertrauensschutzbildenden Aussagen im Verpachtungserlass vom 17.12.1965 (a.a.O.) dazu verpflichtet, eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO vorzunehmen. Zwar eröffnet die Vorschrift des § 163 AO grundsätzlich lediglich einen Ermessensspielraum zugunsten der Verwaltung. Der in § 163 AO eröffnete Ermessensspielraum war indes zugunsten des Klägers auf Null reduziert. Nach dem - bei Verpachtungsbeginn am 01.01.1987 noch nicht aufgehobenem - Verpachtungserlass vom 17.12.1965 war nämlich - wenn der Steuerpflichtige, wie im Streitfall, keine Fortführungserklärung abgegeben hat - im Falle einer parzellenweisen Verpachtung zwingend von einer Betriebsaufgabe auszugehen.
3.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da - auch im Hinblick auf das BMF-Schreiben vom 01.12.2000 (a.a.O.) sowie das Urteil des FG Düsseldorf vom 14.08.2006 (11 K 4646/04 F, StE 2006, 629, Revision eingelegt, Az. des BFH: IV R 56/06) - ungeklärt ist, ob und unter welchen Voraussetzungen Vertrauensschutz im Hinblick auf die Regelungen im Verpachtungserlass im Falle einer parzellenweisen Verpachtung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.