Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.02.2007, Az.: 12 K 645/04

Schuldzinsen für die Finanzierung von Einkommensteuernachzahlungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen; Steuerrechtliche Qualifizierung von Schuldzinsen für ein Darlehen; Wirtschaftlicher Zusammenhang von Schuldzinsen mit Einkünften aus Kapitalvermögen; Veranlassung von Aufwendungen durch eine Einkunftsart; Steuerpflicht bei Erstattungszinsen; Folgen des Fehlens von Einkunftserzielungsabsicht im Zeitpunkt der Hingabe der Darlehen zur Finanzierung der Einkommensteuernachzahlung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
28.02.2007
Aktenzeichen
12 K 645/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 30674
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2007:0228.12K645.04.0A

Fundstellen

  • DStR 2007, XII Heft 34 (Kurzinformation)
  • DStRE 2007, 1440-1441 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2007, 1147-1148 (Volltext mit red. LS)
  • GStB 2007, 272
  • NWB direkt 2007, 6
  • Jurion-Abstract 2007, 228661 (Zusammenfassung)

Hinweis

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Verbundverfahren:
FG Niedersachsen - 28.02.2007 - AZ: 12 K 646/04

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Einkommensteuer 2001 und 2002

Schuldzinsen für die Finanzierung von Einkommensteuernachzahlungen sind keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (Erstattungszinsen)

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Schuldzinsen, die für die Finanzierung einer Einkommensteuernachzahlung angefallen sind, Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen sein können, wenn der Nachzahlungsbetrag später zurückerstattet wird und entsprechende Erstattungszinsen ausgezahlt werden.

2

Die Klägerin und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann wurden in den Streitjahren 2001 und 2002 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.

3

Aufgrund einer vom Beklagten zunächst in den Jahren 1990 bis 1994 nicht anerkannten Steuervergünstigung nach § 7h Einkommensteuergesetz (EStG) im Feststellungsverfahren der Grundstücksgemeinschaft W.B. und M.H. GbR (im Folgenden: GbR) ergaben sich für die Jahre 1996 bis 1998 Steuernachzahlungen in Höhe von 44.875,99 DM (1996), 38.492,57 DM (1997) und 36.955,00 DM (1998). Diese Nachzahlungen wurden teilweise aus Eigenmitteln, teilweise aus Fremdmitteln finanziert. In der Anlage zur Einkommensteuererklärung 2002 legte die Klägerin im Einzelnen dar, wie sich die Fremdfinanzierung der vorgenannten Nachzahlungen vollzog. Danach wurden die Darlehensvaluten aus zwei Darlehensverträgen am 26. April 1999 und 11. Juni 2001 auf ein Girokonto der Kreissparkasse H. ausgezahlt und von dort aus - jeweils am folgenden Tag - die Zahlungen an das Finanzamt mit den o.g. Einkommensteuernachzahlungen 1996 - 1998 geleistet. Die entsprechenden Zahlungsvorgänge wies die Klägerin durch Vorlage der Kontoauszüge nach. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannte Anlage "Erläuterungen zu den Erstattungszinsen (§ 233a AO) 2002 und 2003" Bezug genommen.

4

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die GbR Klage gegen die Feststellungsbescheide 1990 - 1994, die bei Gericht unter dem Az.: 12 K 725/97 geführt wurde. In diesem Klageverfahren erklärten sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2002 bereit, den Rechtsstreit außergerichtlich zu erledigen. Das beklagte Finanzamt verpflichtete sich, für das streitbefangene Bürogebäude die beantragte Abschreibung nach § 7h EStG zu gewähren und erließ in der Folge geänderte Feststellungs- und Einkommensteuerbescheide.

5

So kam es auch zu der von der Klägerin erstrebten Änderung der Einkommensteuerbescheide 1996 - 1998 (Bescheide vom 12. Dezember 2002 bzw. 2. Januar 2003). Die mit den sich aus diesen geänderten Einkommensteuerbescheiden ergebenden Erstattungen gleichzeitig festgesetzten Erstattungszinsen (für 1996: 1.237,50 EUR; für 1997: 2.882,- EUR und für 1998: 1.251 EUR) versteuerte die Klägerin im Jahr des Zuflusses als Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die von der Klägerin in den Streitjahren 2001 und 2002 gezahlten Schuldzinsen, die sich aus der Anlage zur Einkommensteuererklärung 2002 ergaben (1.452,28 EUR für 2001 bzw. 1.427,45 EUR für 2002) ließ der Beklagte jedoch nicht zum Werbungskostenabzug zu. Der gegen die entsprechenden Einkommensteuerbescheide 2001 und 2002 gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

6

Im Klageverfahren wegen Einkommensteuer 2001 beantragte die Klägerin zunächst die Berücksichtigung weiterer Nebenkosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Im Verfahren wegen Einkommensteuer 2002 machte sie zudem geltend, die Kosten für eine Terrasse in Höhe von 2.706,00 EUR seien entgegen der Auffassung des Beklagten nicht als Herstellungskosten, sondern als Erhaltungsaufwand zu werten und damit vollständig abzugsfähig. Diesen Begehren entsprach der Beklagte im laufenden Klageverfahren. Die entsprechenden Änderungsbescheide sind zum Gegenstand des Verfahrens geworden.

7

Im Übrigen verfolgt die Klägerin ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter. Sie ist der Auffassung, die in den Jahren 2001 und 2002 angefallenen Schuldzinsen seien als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen den erhaltenen Erstattungszinsen entgegenzusetzen. Der erforderliche konkrete Veranlassungszusammenhang sei hinreichend in der entsprechenden Anlage zur Einkommensteuererklärung 2002 erläutert worden. In diesem detaillierten Rechenwerk seien ferner in den Streitjahren 2001 und 2002 angefallenen Schuldzinsen abgegrenzt worden, soweit sie auf die in den Jahren 2002 und 2003 entstandenen Erstattungszinsen entfallen seien.

8

Die Klägerin beantragt,

Schuldzinsen für das Streitjahr 2001 in Höhe von 1.452,48 EUR und für das Streitjahr 2002 in Höhe von 1.427,45 EUR als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen und die Einkommensteuer für die Streitjahre 2001 und 2002 entsprechend herabzusetzen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

10

Der Beklagte ist der Auffassung, die Zinsen für den Kredit zur Zahlung von strittigen Einkommensteuerschulden dienten nicht unmittelbar der Erzielung von Erstattungszinsen, sondern seien primär veranlasst durch die Festsetzung der Steuern. Abgesehen davon sei der Ausgang des für die Erstattungszinsen ursächlichen Rechtsbehelfsverfahrens nicht vorhersehbar gewesen.

Entscheidungsgründe

11

1.

Die Klage ist unbegründet.

12

Der Beklagte hat zu Recht die Berücksichtigung der streitbefangenen Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgelehnt.

13

a.

Zinsen zur Finanzierung einer Steuerschuld können grundsätzlich keine Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 EStG sein, sondern stellen nicht abzugsfähige Ausgaben im Sinne des § 12 Nr. 3 EStG dar.

14

aa.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen Werbungskosten. Nach dem Regelungsziel des Einkommensteuergesetzes sind Aufwendungen dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie hierzu in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.

15

Maßgeblich dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die - wertende - Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments, zum anderen die Zuweisung dieses maßgeblichen Bestimmungsgrundes zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (BFH-Beschluss vom 4. Juli 1990, GrS 2-3/88, BStBl II 1990, 817 unter C II.2.b.bb.).

16

bb.

Die Darlehensaufnahmen der Klägerin sind im Streitfall ausgelöst durch die sich aus den Einkommensteuerbescheiden 1996 bis 1998 ergebenden Nachzahlungen. Diese Einkommensteuern als maßgeblicher Bestimmungsgrund sind als eine nach den persönlichen Verhältnissen der Klägerin bemessene und den Vermögenszuwachs belastende Steuer nicht der Erwerbssphäre, sondern der einkommensteuerlich irrelevanten Privatsphäre der Klägerin zuzuordnen (BFH-Urteil vom 18. Juni 1998 - IV R 61/97, BStBl II 1998, 621). Kann die Einkommensteuer daher grundsätzlich nicht Werbungskosten oder Betriebsausgabe sein, so kann nichts anderes gelten für die in Zusammenhang mit der Finanzierung der Einkommensteuerschuld angefallenen Schuldzinsen. Diese teilen das rechtliche Schicksal des Einkommensteueranspruchs (ähnlich zur grundsätzlichen Verneinung der Abziehbarkeit von Nachzahlungszinsen: FG Köln, Urteil vom 14. November 2006 - 8 K 47/03, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 2/07).

17

b.

Selbst wenn man die Auffassung vertritt, Schuldzinsen zur Finanzierung einer Steuerschuld könnten grundsätzlich Werbungskosten oder Betriebsausgaben sein (so der BFH für Nachzahlungszinsen: Beschlüsse vom 10. August 2005 VIII B 324/04, BFH/NV 2006, 47 u. 13. Dezember 2005 - VIII B 74/05, BFH/NV 2006, 740), führt dies im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis.

18

aa.

Schuldzinsen und andere Kreditkosten sind Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn und soweit sie mit dieser Einkunftsart in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG). Der notwendige wirtschaftliche Zusammenhang von Schuldzinsen mit Einkünften aus Kapitalvermögen ist dann gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang dieser Aufwendungen mit der Überlassung von Kapital zur Nutzung besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung dieser Nutzungsüberlassung gemacht werden (BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 - VIII R 30/02, BFH/NV 2003, 1560). Werbungskosten sind danach insbesondere Kosten für Kredite, deren Valuta zum Erwerb einer Kapitalanlage i.S.v. § 20 EStG verwendet werden (FG Hamburg Urteil vom 4. September 2003 - VI 176/02, EFG 2004, 182). Die steuerrechtliche Qualifizierung von Schuldzinsen für ein Darlehen hängt danach entscheidend von der tatsächlichen Verwendung des Darlehensbetrages ab (BFH-Urteil vom 25. Juli 2000 VIII R 35/99, BFH/NV 2001, 242).

19

bb.

Als Kapitalanlage kann vorliegend nur der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Klägerin nach Änderung der Steuerbescheide 1996 - 1998 in Betracht kommen. Dieser Erstattungsanspruch ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine sonstige Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG mit der Folge, dass die Erstattungszinsen gemäß § 233a AO eine Gegenleistung für die erzwungene Kapitalüberlassung gegenüber dem Fiskus darstellen und somit als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern sind (so BFH-Urteil vom 8. November 2005 - VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527).

20

cc.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze kann der Senat einen erforderlichen Veranlassungszusammenhang zwischen der Darlehensaufnahme bzw. der tatsächlichen Verwendung der Darlehensvaluta und dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht feststellen.

21

Zunächst dient die Verwendung der Darlehensvaluten für die Entrichtung der nachzuzahlenden Einkommensteuern nicht unmittelbar dem "Erwerb" einer Kapitalforderung gegenüber dem Steuerfiskus. Der Steuerpflichtige muss im Zeitpunkt der Steuerzahlung davon ausgehen, dass diese keine Kapitalüberlassung auf Zeit darstellt, sondern eine endgültige Vermögenhingabe ist. Ob und in welcher Höhe sich aus einer Einkommensteuerzahlung später ein Erstattungsanspruch ergibt, ist völlig vage und ungewiss. Zu einem Anspruch auf Rückzahlung kann es dabei aus den verschiedensten Gründen kommen, z.B. wenn ein entsprechendes Rechtsmittel endgültig Erfolg hat und die betreffenden Steuerbescheide anschließend geändert werden oder ein bestandskräftiger Steuerbescheid nachträglich geändert wird. Auf jeden Fall ist ein Hinzutreten weiterer Umstände erforderlich, die der Steuerpflichtige, der die Steuerzahlung leistet, nicht allein beeinflussen kann. Er kann sich lediglich - wie im Streitfall geschehen - gegen einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und für eine sofortige Zahlung entscheiden. Ein erforderlicher Zusammenhang mit einer später möglichen Steuererstattung entsteht dadurch allein nicht.

22

dd.

Davon abgesehen bestand zum Zeitpunkt der Hingabe der Darlehen zur Finanzierung der Einkommensteuernachzahlung noch keine Einkunftserzielungsabsicht.

23

Zwar unterliegen Erstattungszinsen gemäß § 233 a AO der Steuerpflicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 8. November 2005 - VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527). In der vorgenannten Entscheidung hat der BFH jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Steuerpflichtige hinsichtlich der Erstattungszinsen nicht von vornherein mit konkreter Einkunftserzielungsabsicht gehandelt hat. Da der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen materiell-rechtlich erst in dem Augenblick entsteht, in dem eine Überzahlung erfolgt, könne erst bei Kenntnis der Überzahlung eine konkrete und auf den jeweiligen Erstattungsteil bezogene Einkunftserzielungsabsicht entstehen.

24

Bei Verwendung der Darlehensvaluten für die Einkommensteuernachzahlungen bestand demnach im Streitfall keine Einkünfteerzielungsabsicht. Diese ist zwar mit der Kenntnis der Klägerin von der bevorstehenden Änderung der Einkommensteuerbescheide 1996 - 1998 zu ihren Gunsten hinsichtlich der Erstattungszinsen entstanden. Diese später eintretende Einkünfteerzielungsabsicht kann aber nicht auf den Zeitpunkt der Verwendung der Darlehensvaluten für die Einkommensteuernachzahlungen zurück bezogen werden. Zu diesem Zeitpunkt war der erforderliche wirtschaftliche Veranlassungszusammenhang mit den später entstehenden Erstattungszinsen zu lose und vage, als dass er einkommensteuerlich relevant sein könnte. Zwar kann sich die Einkünfteerzielungsabsicht grundsätzlich ändern, z.B. bei Übergang von einem Gewerbebetrieb zur Liebhaberei. Ein derartiger Wechsel der Einkünfteerzielungsabsicht kann auch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen eintreten, z.B. bei Umwidmung eines Privatdarlehens. Durch eine bloße Willensentscheidung kann ein Darlehen dem Bereich der Einkunftserzielung jedoch nicht zugeordnet werden (BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 - VIII R 30/02, BFH/NV 2003, 1560). Eine solche erforderliche tatsächliche Umwidmung hat im Streitfall auch nicht stattgefunden. Die ursprünglichen, nicht von Einkünfteerzielung getragenen Zahlungen der Einkommensteuern mit Fremdmitteln können nicht gedanklich umgewandelt werden in eine von Einkünfteerzielungsabsicht getragene Kapitalüberlassung gegenüber dem Fiskus.

25

Damit konnten die Klagen keinen Erfolg haben.

26

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 137 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

27

3.

Die Revision war zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung und Fortbildung des Rechts (§§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO).