Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 20.11.2003, Az.: S 3 KR 263/02

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
20.11.2003
Aktenzeichen
S 3 KR 263/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40227
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2003:1120.S3KR263.02.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat die 3. Kammer des Sozialgerichts Osnabrück - auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2003 in Osnabrück durch den Vorsitzenden,

den Richter am Sozialgericht Bley,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Finke,

die ehrenamtliche Richterin Frau Kleene

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Kostenzusage für den Umbau seines Rollstuhles zur Benutzung als Fahrradanhänger.

2

Der im Jahre 1997 geborene Kläger leidet an einer spinalen Muskelatrophie, einem angeborenen Fehlen des rechten Unterarmes, einer Dysplasie der Hüftgelenke sowie einer Spitzfußstellung, links mehr als rechts. Ihm ist die Pflegestufe II zuerkannt. Er ist von der Beklagten mit einem Aktivrollstuhl, einem Elektrorollstuhl und einem Therapiedreirad ausgestattet worden.

3

Im Jahre 2001 verordnete der Kinderarzt Dr. M.... auf Kassenrezept den Umbau des vorhandenen Rollstuhles zur Nutzung als Fahrradanhänger. Der Kostenvoranschlag des Sanitätshauses belief sich auf 2 436 DM. Mit Bescheid vom 18.12.2001 und Widerspruchsbescheid vom 17.10.2002 lehnte die Beklagte eine Kostenzusage ab. Das Fahrradfahren gehöre nicht zum Grundbedürfnis im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sei die Krankenkasse nicht verpflichtet, dem Versicherten das Fahrradfahren im weitesten Sinne zu ermöglichen.

4

Mit der am 18.11.2002 erhobenen Klage wird für den Kläger geltend gemacht, die Beklagte habe nicht genügend auf den konkreten Einzelfall abgestellt. Der Kläger wohne 4,5 km von der nächsten Ortschaft entfernt. Mit einem Aktivrollstuhl allein sei eine Kontaktaufnahme mit gleichaltrigen Kindern der Nachbarorte ausgeschlossen. Die Freunde der Familie führen Fahrrad. Erfühle sich hier weitgehend ausgeschlossen. Es drohe deshalb auch eine seelische Behinderung. Im übrigen leide seine Mutter auch an Knie- und Wirbelsäulenbeschwerden, so dass sie ihn kaum noch mit dem PKW transportieren könne. Durch den beantragten Umbau des Rollstuhles würde diese belastende Tätigkeit minimiert und durch das Fahrradfahren werde auch der Gesundheitszustand der Mutter stabilisiert.

5

Der Kläger beantragt,

  1. den Bescheid vom 18.12.2001 und den Widerspruchsbescheid vom 7.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Kostenzusage gemäß Kostenvoranschlag des Sanitätshauses R.... vom 17.12.2001 abzugeben.

6

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

7

Sie ist der Ansicht, durch die dem Kläger zur Verfügung gestellten Hilfsmittel sei die Fortbewegung im Nahbereich sichergestellt. Damit seien die Ansprüche gegen die Krankenkasse erschöpft.

8

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Kassenakte der Beklagten, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben, da dem Kläger kein Anspruch auf Umbau seines Rollstuhles zur Nutzung als Fahrradanhänger gegen die Beklagte zusteht.

10

Die Beklagte hat den Widerspruchsbescheid vom 17.10.2002 hierzu folgendes ausgeführt:

"Das Radfahren gehört grundsätzlich nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Dies hat das BSG mit Urteil vom 16.09.1999 - B 3 KR 9/98 - entschieden. In dem Urteil führt das BSG aus, unter der Erschließung eines "gewissen körperlichen Freiraums" sei lediglich ein Basisausgleich der Behinderung selbst zu verstehen und nicht das vollständige Gleichziehen mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten eines Gesunden. Die Leistungspflicht der Krankenversicherung könne nicht an der üblichen Nutzung eines Fahrrades anknüpfen und eine dem Radfahren vergleichbare Fortbewegungsmöglichkeit eröffnen. Der Wunsch, sich wie ein Radfahrer zu bewegen und Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen, die damit verbundene Raumerfahrung, das Umwelterlebnis, Geschwindigkeitsempfinden, Gleichgewichtsgefühl oder sonstige positive Erlebnisse, zähle jedoch nicht mehr zu den Grundbedürfnissen, wenn die Fortbewegung im Nahbereich anderweitig sichergestellt sei.

Ihr Sohn ist mit einem Aktivrollstuhl, einem Elektrorollstuhl und einem Therapiedreirad versorgt, so dass die Fortbewegung im Nahbereich sichergestellt und eine ausreichende Bewegungsfreiheit zur Erfüllung seiner Grundbedürfnisse möglich ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BSG das allgemeine Grundbedürfnis, selbständig zu gehen, lediglich die Fähigkeit umfasst, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung verlassen zu können, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen erreichen zu können, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind.

Im Hinblick auf die Grundbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen hat das BSG seine oben dargestellte Aussage allerdings eingeschränkt, soweit das die Funktionen eines Fahrrads ersetzende Hilfsmittel zur sozialen Einbindung in eine Gruppe gleichaltriger gesunder Kinder benötigt wird. Es ist jedoch zweifelhaft, ob das Ziel einer solchen sozialen Einbindung gerade mit einem Fahrradanhänger erreicht werden kann. Zu bedenken ist insoweit, dass die Benutzung des Anhängers stets die Anwesenheit einer fahrenden Person voraussetzt. Folglich ist der durch den Anhänger erzielte Effekt im Hinblick auf die Integration in den Kreis Gleichaltriger eher gering einzuschätzen. Des weiteren ist auch die Erfüllung des Grundbedürfnisses durch die bereits vorhandenen Hilfsmittel sichergestellt.

Soweit Sie in Ihrer Widerspruchsbegründung darauf hinweisen, der Anhänger werde für Familienausflüge benötigt, kann dies unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG keine andere Entscheidung herbeiführen. Zum einen ist eine Befriedigung aller konkret in Betracht kommenden Grundbedürfnisse durch die vorhandenen Hilfsmittel sichergestellt und zum anderen fällt es, soweit nicht Grundbedürfnisse betroffen sind, nicht in den Leistungsbereich der Krankenversicherung, eine optimale Ausstattung zum umfassenden Ausgleich in allen Lebenslagen zu schaffen. Es mag sein, dass sich Fahrradausflüge mit der Familie ebenso wie alle anderen gemeinsamen Unternehmungen oder wünschenswerte soziale Kontakte auch positiv auf die Entwicklung von M.... auswirken können, aber dies allein macht es ebenso wie bei allen anderen Freizeitaktivitäten nicht zur Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, die Ausstattung für die jeweils gewährte Aktivität zu finanzieren."

11

Die erkennende Kammer folgt diesen Ausführungen in vollem Umfang und macht sie sich zu eigen. Ergänzend sei noch auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes hingewiesen ( Urteil vom 16.09.1999 Az.: B 3 KR 9/98; Urteil vom 23.07.2002 Az.: B 3 KR 3/02; Urteil vom 21.11.2002 Az.: B 3 KR 8/02; Urteil vom 26.03.2003 Az.: B 3 KR 23/03 und B 3 KR 26/02. Das Bundessozialgericht hat hier in ständiger Rechtsprechung bestätigt, dass die gesetzliche Krankenkasse nicht verpflichtet ist, den Versicherten Fahrten außerhalb des Nahbereiches zu ermöglichen. Wenn für Jugendliche eine Ausnahme gemacht wurde, soweit sie dadurch mit Gleichaltrigen Fahrradausflüge unternehmen konnten, so liegen diese Voraussetzungen beim Kläger nicht vor. Ob das Bundessozialgericht nur das selbständige Radfahren mit gleichaltrigen Freunden als Grundbedürfnis ansieht oder auch das Mitfahren in einem Fahrradanhänger, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn die jüngere Schwester des Klägers ist nicht in der Lage, den Kläger mit einem Fahrradanhänger auf weitere Fahrten mitzunehmen. Familienausflüge dagegen werden vom Bundessozialgericht nicht als hinreichender Grund für die Bewilligung eines Behindertenfahrrades (z.B. Tandems) angesehen.

12

Nach allem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Bley
Herrn Finke
Frau Kleene