Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 06.01.2003, Az.: S 3 KR 126/01

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
06.01.2003
Aktenzeichen
S 3 KR 126/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40223
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2003:0106.S3KR126.01.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat das Sozialgericht Osnabrück - 3. Kammer -

am 6. Januar 2003

gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

durch ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Kostenzusage für ein Therapiedreirad mit motorischer Tretunterstützung.

2

Die im Jahre 1975 geborene Klägerin leidet an einem Zustand nach Masernencephalitis und Radikulitis mit Tetraparese und schweren spastischen Zuständen an Armen und Beinen sowie anderen Folgeerscheinungen.

3

Am 01.02.2001 verordnete ihr der Hausarzt ... Therapiedreirad mit Tretunterstützung. Das Sanitätshaus ... erstellte am 27.02.2001 einen Kostenvoranschlag i. H. v. 6.488,00 DM.

4

Mit Bescheid vom 12.03.2001 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Versorgung mit einem Therapiefahrrad für Erwachsene falle nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handele sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.

5

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und fügte einen Arztbrief des Dr. ... Chefarzt der Neurologischen Abteilung des ...-stiftes M. vom 26.05.1999 bei. Hierin ist u.a. folgendes vermerkt:

6

"Anamese:

7

Die Vorgeschichte von Frau S. ist hinreichend bekannt, mir liegt jetzt ein ausführlicher Bericht der Neurologischen Klinik H. vor, wo die Pat. 1 Jahr lang stationär behandelt wurde. Die Behandlung hat sich offensichtlich gelohnt, denn Frau S. geht jetzt ohne Rollstuhl mit einer Gehhilfe, teilweise auch alleine, sie kann zum Teil schon einkaufen, zum Friseur gehen, versorgt sich selbst, unverändert noch die Schwierigkeiten sich zu waschen und die Haare zu kämmen, da sie Kontrakturen in bd. Ellenbogen bis zur Versteifung hat. Die Spastik hat sich deutlich gebessert, offensichtlich auch die Hirnleistung mit entsprechendem Training in der Reha-Klinik. Befund:

8

Untersuchung vom 25.05.1999: Pat. kommt einer 4-Punkt-Gehstütze, deutliche Spastik in den Beinen, kann sich aber selbst voranbewegen. Kontrakturen in den Ellenbogen bekannt, hirnorganisches Psychosyndrom mit Leistungsminderung ebenfalls bekannt."

9

Die Klägerin überreicht weiterhin eine ärztliche Bescheinigung des Dr. D vom 23.03.2001 mit folgendem Inhalt:

10

"Frau S. befindet sich seit vielen Jahren in unserer stationären und ambulanten Behandlung. Es handelt sich um den Z. n. Masernencephalitis und Radikulitis mit Tetraparese und schweren spastischen Zuständen an Armen und Beinen und auch anderen Folgeerscheinungen. Im Rahmen der Rehabilitation und Therapie halte ich die Anschaffung eines Fahrrades für erforderlich. Schon durch andere erfolgte Maßnahmen hat Frau S. in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte machen können. Durch die Anschaffung eines Fahrrades wird es auch weiter zu einer Besserung kommen."

11

Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2001 zurück. Es ergebe sich keine Notwendigkeit für die Versorgung mit einem Therapiedreirad zur Durchführung therapeutischer Übungsbehandlungen. Sicherlich sei das Dreirad dazu geeignet, den Gesundheitszustand der Klägerin zu stärken. Dies löse jedoch keinen Leistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Eine Maßnahme, die nicht primär auf die medizinische Bekämpfung der Krankheit abziele, sondern lediglich dazu diene, den allgemeinen körperlichen Zustand des Versicherten günstig zu beeinflussen, falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Krankenversicherung.

12

Mit der am 03.07.2001 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, das verordnete Therapiedreirad diene gerade dem körperlich-motorischen Bereich, insbesondere der Mobilisierung. Als Fortbewegungsmittel und damit Gebrauchsgegenstand sei das Therapierad für die Klägerin völlig bedeutungslos. Das Radfahren ziele bei der Klägerin speziell auf den Abbau der schweren spastischen Zustände an Armen und Beinen.

13

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12.03.2001 und den Widerspruchsbescheid vom 06.06.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ein Therapiedreirad zur Verfügung zu stellen.

14

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Sie verweist auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19.09.1999, Az.: B 3 KR 8/98, wonach die positiven gesundheitlichen Auswirkungen, die Radfahren mit sich bringe, durch weniger aufwendige Trainingsmaßnahmen zu erreichen seien.

16

Ferner überreicht die Beklagte eine erneute Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) vom 29.08.2001. Der Gutachter führt hier aus, mit den angeblich "hohen therapeutischen Anforderungen des Radfahrens" sei nicht zu erklären, warum das Therapiedreirad mit einem Elektromotor verordnet worden sei, der eindeutig nur der Fortbewegung dienen könne. Andererseits hätte der gleiche therapeutische Effekt auch durch ein Ergometertraining erreicht werden können. Ansonsten gebe es zu Lasten der Krankenkassen genügend andere Möglichkeiten einer Rehabilitation, z. B. krankengymnastische Übungsbehandlungen, Ergotherapie, Unterwasserbewegungsübungen, spezifische krankengymnastische Übungsbehandlungen nach Bobath und Rehabilitationssport und Funktionstraining.

17

Demgegenüber überreicht die Klägerin eine Stellungnahme des Neurologen Dr. D. vom 17.09.2001, in der u.a. folgendes ausgeführt wird:

18

"Allerdings stellt sich auch die Frage, ob ein Elektromotor sinnvoll ist. Ich glaube, daß der Elektromotor verhindert, daß sich Frau S. wieder besser bewegen kann. Hier ist ja nur eine passive Weiterbewegung gewährleistet. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, abgesehen davon, daß sich jede Maßnahme zur Rehabilitation von Frau S. bisher als positiv abgezeichnet hat und daß auch weiterhin alles Mögliche für Frau S. getan werden muß."

19

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Kassenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben, da der Klägerin kein Anspruch gegen die Beklagte auf das verordnete Therapiedreirad mit Tretunterstützung zusteht.

21

Nach § 33 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind.

22

Bei der Klägerin ist ein Therapiedreirad mit Tretunterstützung für diese Zwecke nicht erforderlich. Zum einen hat selbst Dr. D. im Schreiben vom 17.09.2001 ausgeführt, dass er das beantragte Therapiedreirad mit Tretunterstützung nicht für sinnvoll halte, weil durch den Motor eine passive Weiterbewegung gewährleistet sei und dadurch eigene Anstrengungen minimiert würden. Im übrigen folgt das Gericht der Ansicht der Beklagten, dass bei der Klägerin krankengymnastische Maßnahmen im weitesten Sinne zur Bekämpfung der Spastik wirkungsvoller sind als Radfahren. Denn diese anderen Maßnahmen können gezielt eingesetzt werden. Hierfür übernimmt die Beklagte regelmäßig die anfallenden Kosten.

23

Ferner sei darauf hingewiesen, dass es kein einziges Urteil des Bundessozialgerichtes gibt, in dem einem erwachsenen Versicherten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung die Anschaffung eines Behindertenfahrrades ermöglicht worden ist. Wäre die Auffassung der Klägerin zutreffend, so müßte die gesetzliche Krankenversicherung in großem Umfange ihre Versicherten mit behindertengerechten Rädern ausstatten, da das Radfahren sowohl für die Kniegelenke als auch für Herz-Kreislauftraining immer von Vorteil ist.

24

Nach allem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).