Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 26.06.2003, Az.: S 14 P 32/02
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 26.06.2003
- Aktenzeichen
- S 14 P 32/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40230
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOSNAB:2003:0626.S14P32.02.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat die 14. Kammer des Sozialgerichts Osnabrück - auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2003 in Osnabrück durch den Vorsitzenden,
den Richter am Sozialgericht Löhrmann,
die ehrenamtliche Richterin Frau Laugisch,
den ehrenamtlichen Richter Herr Finke
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu erstatten.
TATBESTAND
Zwischen den Beteiligten ist (nur noch) streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung eines Pflegegeldes gemäß den Vorschriften des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) nach Pflegestufe II auch im Zeitraum zwischen dem 01. Februar 2001 und dem 31. Dezember 2001 zustand.
Die im Jahre 1908 geborene Klägerin stellte bei der Beklagten im Februar 2001 erstmals einen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) - Beratungsstelle Osnabrück -, mit deren Durchführung die Pflegefachkraft ... K.... betraut wurde. In ihrem Gutachten vom 22. März 2001 kam Frau K.... zu dem Ergebnis, dass die Klägerin wegen Bewegungseinschränkungen im Bereich der unteren Extremitäten bei Zustand nach Oberschenkelamputation rechts einen Gesamtpflegeaufwand pro Tag von 140 Minuten aufweise, wobei auf grundpflegerische Verrichtungen im Tagesdurchschnitt ein Zeitanteil von 80 Minuten entfalle; deshalb sei eine Zuordnung zu der Pflegestufe I zu empfehlen.
Entsprechend dieser Beurteilung erteilte die Beklagte der Klägerin unter dem 05. April 2001 einen Bewilligungsbescheid, durch den sie dieser mit Wirkung ab 01. Februar 2001 wahlweise häusliche Pflegehilfe bis zu einem Höchstbetrag von 750,- DM respektive Pflegegeld in Höhe von 400,- DM monatlich gewährte.
Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch, zu dessen Begründung die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B.... M.... vom 14. Juni 2001 sowie eine Stellungnahme des Pflegedienstleiters ... S...., Caritas-Sozialstation M...., zu Art und Ausmaß ihrer Pflegebedürftigkeit vom 15. Juni 2001 vorlegte, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 2002 zurück, nachdem die Pflegefachkraft ... Sch.... aufgrund häuslicher Untersuchung vom 28. Mai 2001 sowie die Pflegefachkraft ... W.... aufgrund neuerlicher häuslicher Untersuchung vom 08. Januar 2002 namens des MDKN - Beratungsstelle Osnabrück - unter dem Datum des 31. Mai 2001 bzw. des 30. Januar 2002 weitere Gutachten erstattet hatten.
Gegen diese Bescheide richtet sich die am 06. Juni 2002 vor dem erkennenden Gericht erhobene Klage, mit der die Klägerin weiterhin geltend macht, die Beklagte verkenne das wahre Ausmaß der bei ihr bestehenden Hilfebedürftigkeit.
Das Gericht hat im vorbereitenden Verfahren zur zusätzlichen Aufklärung des medizinisch-pflegerischen Sachverhalts zunächst einen Befundbericht des Hausarztes der Klägerin. Dr. B...., angefordert. Danach hat es gemäß Beschluss vom 23. Oktober 2002 Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von der Fachärztin für Innere Medizin und Radiologie - Sozialmedizin - Dr. L.... Sozialmedizinischer Dienst der Bundesknappschaft, Untersuchungs- und Begutachtungsstelle Ibbenbüren. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Bericht vom 16. Oktober 2002 sowie auf das nach ambulanter Untersuchung im Rahmen eines Hausbesuchs erstattete Gutachten vom 24. November 2002 Bezug genommen.
Nach Auswertung des letztgenannten Gutachtens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2002 ein Vergleichsangebot unterbreitet, kraft dessen sie sich verpflichtet hat, der Klägerin Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung im Umfang der Pflegestufe II mit Wirkung ab 01. Januar 2002 zu erbringen.
Dieses Angebot hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2003 lediglich als Teilanerkenntnis unter Aufrechterhaltung der weiteren Klageforderung akzeptiert und beantragt demgemäß,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 05. April 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 2002 in der Gestalt des angenommenen Teilanerkenntnisses abzuändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe II anstelle der bewilligten Leistung nach Pflegestufe I auch für den Zeitraum vom 01. Februar 2001 bis zum 31. Dezember 2001 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass ein ihr Teilanerkenntnis übersteigender Klageerfolg nicht gerechtfertigt ist.
Außer den Gerichtsakten haben der Kammer die die Klägerin betreffenden Pflegeakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten verwiesen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die form- und fristgerecht erhobene und auch ansonsten zulässige Klage ist in dem Umfange, in welchem sie noch der Entscheidung des Gerichts unterlag, nicht begründet.
Sie hat sich in der Hauptsache mittels übereinstimmender prozessualer Willenserklärungen insoweit erledigt (§ 101 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG), als zwischen den Parteien nun nicht mehr streitig ist, dass im Falle der Klägerin aufgrund eines schleichenden Fortschreitens ihres Behinderten- und Pflegestatus die Voraussetzungen für eine Zuordnung zu der Pflegestufe II, welche im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 2002 umfassend und korrekt wiedergegeben worden sind, seit Januar 2002 erfüllt sind.
Für eine Vorverlagerung dieses Zeitpunktes und damit für einen weiteren Klageerfolg war zur Überzeugung der erkennenden Kammer kein Raum. Die Klägerin hat insoweit der sie treffenden Beweislast nicht Genüge getan, so dass ihrem Rechtsbehelf diesbezüglich nicht stattgegeben werden konnte und in Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme wohl der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 2002, nicht jedoch der Ausgangsbescheid vom 05. April 2001 hinsichtlich des Zeitpunktes seines Erlasses als rechtswidrig zu deklarieren war.
Entgegen dem klägerischen Vorbringen im Schriftsatz vom 20. Januar 2003 hat nämlich die gerichtliche Sachverständige Dr. L.... die im Antrags- und Vorverfahren erstatteten MDKN-Gutachten keineswegs sämtlich im Ergebnis als falsch angesehen, sondern speziell die im Zuge des Antrages vom 12. Februar 2001 sowie im Frühstadium des Widerspruchsverfahrens erstellten Beurteilungen der Pflegefachkraft ... K.... vom 22. März 2001 bzw. der Pflegefachkraft ... Sch.... vom 28./31. Mai 2001, in welchen ein tagesdurchschnittlicher Grundpflegebedarf der Klägerin von 80 respektive 79 Minuten attestiert worden war, in ihrer Epikrise ausdrücklich für in sich schlüssig und nachvollziehbar erachtet. Dabei hat sich die medizinische Sachverständige nach Ansicht des Gerichts sehr kritisch und sehr intensiv einerseits mit den vorliegenden MDKN-Äußerungen und andererseits mit dem Sachvortrag der Klägerin sowie deren Beweismitteln auseinandergesetzt und ist dabei unter Beachtung der Angaben der Pflegepersonen und nach Einsichtnahme in die klägerische Pflegedokumentation zu der plausiblen Feststellung gelangt, dass erst in der Spätphase des langwierigen Vorverfahrens eine nachhaltige Verschlechterung des Leidenszustandes der Klägerin mit wesentlicher Zunahme des Hilfebedarfs eingetreten ist. In diesem Zusammenhang werden von ihr - nach Auffassung der Kammer vollkommen zu Recht - zum einen die wertenden Äußerungen des Pflegedienstleiters ... S.... vom 15. Juni 2001, welche in unzulässiger Weise das tägliche Kochen als Maßnahme der hauswirtschaftlichen Versorgung im Sinne von § 14 Abs. 4 Ziffer 4 SGB XI mit den Verrichtungen der Grundpflege nach Maßgabe von § 14 Abs. 4 Ziffer 2 SGB XI vermengen, als unrealistisch und als mit den gültigen Begutachtungs-Richtlinien (BRi) unvereinbar deklariert und zum anderen die MDKN-Beurteilung der Pflegefachkraft ... W.... vom 08./30. Januar 2002 als zu restriktiv kritisiert. Bei verständiger Würdigung des streitbefangenen medizinisch-pflegerischen Sachverhalts steht deshalb als Fazit zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass die Voraussetzungen für eine Höherstufung der Klägerin in die Pflegestufe II mit einem Zeitaufwand für grundpflegerische Verrichtungen von 121 Minuten pro Tag - höchst grenzwertig - seit dem Jahreswechsel 2001/2002 erfüllt sind. Bezieht man in die Überlegungen den Umstand mit ein, dass der grundpflegerische Bedarf im Frühstadium des Vorverfahrens den für schlüssig erachteten MDKN-Einschätzungen des Herrn Sch.... vom 28./31. Mai 2001 zufolge noch deutlich (nämlich um gut 20 Minuten) unterhalb der Erheblichkeitsgrenze des § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI lag und der pflegerelevante Aufwand für Hilfeleistungen an der Person anhand der Angaben des Pflegedienstleiters ... S.... vom 15. Juni 2001 späterhin gemäß "bereinigter" retrospektiver Beurteilung von der gerichtlichen Sachverständigen Dr. L.... mit 96 Minuten im Tagesdurchschnitt bemessen worden ist, so fehlt es an geeigneten Anhaltspunkten, welche die klägerische These untermauern, dass die gesetzlichen Erfordernisse für eine Zuordnung zu der Pflegestufe II wenn nicht schon im Zeitpunkt der Antragstellung (2/2001), so doch spätestens im Juli 2001 erfüllt waren.
Der Klage - soweit darüber gerichtlicherseits überhaupt noch zu befinden war - konnte unter diesen Umständen nicht stattgegeben werden.
Die Kostenentscheidung, die beachtet, dass zwar der angefochtene Bescheid vom 05. April 2001 rechtmäßig war, nicht jedoch der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 2002, so dass die Beklagte in Gestalt ihres Widerspruchsausschusses Anlass zur Klageerhebung gegeben hat, basiert auf § 193 SGG.