Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 29.10.1996, Az.: 9 U 41/96
Schadensersatzpflicht aus einem Verkehrsunfall; Auswirkung eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses auf die Verjährung des Anspruchs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 29.10.1996
- Aktenzeichen
- 9 U 41/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21436
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:1029.9U41.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Ziff. 3 PflVG
- § 7 Abs. 1 StVG
- § 225 BGB
Fundstellen
- MDR 1997, 351-352 (Volltext mit red. LS)
- NJW-RR 1997, 1181 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1997, 1543-1544 (Volltext mit amtl. LS)
- zfs 1997, 449-450 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
In einem Regulierungsvergleich mit dem Haftpflichtversicherer bedeutet die Klausel, dass Ansprüche wegen bestimmter künftiger Schäden ausgenommen bleiben, eine "konstitutive Befreiung" von der Verjährungseinrede, wenn der Geschädigte mit der Klausel zur Rücknahme einer anhängigen Klage bewegt werden soll (im Anschluss an BGH VersR 92, 1091).
Tatbestand
Der Kläger begehrt Feststellung der Schadensersatzpflicht aus dem Verkehrsunfall im Jahre 1982.
Der seinerzeit sieben Jahre alte Kläger wurde im Juli 1982 beim Überqueren einer Straße vom Auto eines Versicherungsnehmers des Beklagten erfasst und insbesondere im Schädelbereich schwer verletzt (ausgedehnte Impressionsfraktur mit Hirnkontusion und Hirngewebe- austritt, schädelbasisfraktur mit einer teilweise immer noch bestehen- den Hemiparese links).
Nach dem Unfall lehnte der beklagte Haftpflichtversicherer zunächst Schadensersatzleistungen ab. Im Juni 1985 beantragte der Kläger deshalb Prozesskostenhilfe und reichte gleichzeitig eine Klage ein, mit der er seine materiellen und immateriellen Schäden geltend machte und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden begehrte. Es kam daraufhin zu außergerichtlichen Regulierungsgesprächen, in denen sich der Beklagte bereit erklärte, auf der Basis eines 50 %igen Mitverschuldens die Schäden zu regulieren. Bei dem Gespräch zwischen den anwaltlich beratenen Eltern des Klägers und dem Regulierungsbeauftragten des Beklagten wurden zwei Lösungen diskutiert: Zahlung von 50.000,- DM für sämtliche, auch künftigen materiellen und immateriellen Schäden oder Zahlung von 30.000,- DM Schmerzensgeld und 2.075,- DM für seinerzeit bereits angefallene materielle Schäden, wobei der materielle Zukunftsschaden ausgenommen bleiben sollte.
Die Eltern des Klägers entschieden sich wegen der unklaren Entwicklungschancen für die zweite Lösung. Dementsprechend heißt es in der Abfindungserklärung vom 25.11.1985:
"Ausgenommen bleibt der materielle Zukunftsschaden, soweit kein Übergang auf SVT erfolgt bzw. erfolgt ist."
Klage und Prozesskostenhilfeantrag nahm der Kläger daraufhin zurück.
In der Folgezeit befand sich der Kläger wegen schulischer Probleme, die nach einem ärztlichen Gutachten unfallbedingt, teilweise aber auch anlagebedingt waren, mehrfach in einer Reha-Klinik in Süddeutschland und kam dann in ein behindertengerechtes Internat des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Die Unterbringungskosten zahlte zunächst die öffentliche Hand im Rahmen der Sozialhilfe, stellte dann aber die Leistungen ein. Für die Zeit von Januar bis August 1994 verlangt das DRK daher von den Eltern rund 51.000,- DM.
Als der Kläger 1994 Erstattung dieses Betrages von dem Beklagten ver- langte, berief sich dieser auf Verjährung.
...
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte könne auf Grund der Formulierung in der Abfindungserklärung nicht Verjährung einwenden. Im Übrigen seien sich sein damaliger Bevollmächtigter und der Regulierungsbeauftragte des Beklagten einig gewesen, dass der Beklagte auch für künftige materielle Schäden eintrittspflichtig sein sollte.
...
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Anspruch des Klägers sei verjährt.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Eine ausdrückliche Vereinbarung, dass der Beklagte auch künftige materielle Schäden ersetzen solle, habe der Kläger nicht bewiesen. Der von einer solchen Absprache unabhängige Schadensersatzanspruch sei verjährt. Der Beklagte habe weder den Anspruch mit konstitutiver Wirkung anerkannt, noch habe er auf die Einrede der Verjährung verzichtet noch sei die Berufung auf Verjährung rechtsmissbräuchlich.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung.
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Entscheidungsgründe
Die Berufung ist begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG, § 3 Ziffer 3 PflVG auf Ersatz der Hälfte seiner Schäden.
Zwischen den Parteien ist zu Recht nicht in Streit, dass der Beklagte dem Grunde nach haftet. Auch die von den Parteien in den früheren Verhandlungen zu Grunde gelegte Quote von 50 % ist sachgerecht.
Dieser Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt.
Dem Landgericht ist darin beizutreten, dass ein konstitutives Schuldanerkenntnis nicht vorliegt. Auch einen an sich nach § 225 BGB nicht möglichen "Verzicht" auf die Einrede der Verjährung kann man aus der genannten Klausel in der Abfindungserklärung nicht herleiten.
Es handelt sich vielmehr um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis. Der Beklagte hat sich auf den Vorbehalt in der Abfindungserklärung eingelassen bzw. ihn im Rahmen der beiden Alternativlösungen selbst vorgeschlagen. Dieses Verhalten kann man nach Treu und Glauben nur dahin auslegen, dass er seine Eintrittspflicht zumindest "deklaratorisch" anerkannt hat.
Die Wirkung des deklaratorischen Anerkenntnisses erschöpft sich hier jedoch nicht in der Bestätigung der ohnehin bestehenden Ersatzpflicht. Nach zutreffender Ansicht des Bundesgerichtshofs kann auch ein nur deklaratorisches Anerkenntnis unmittelbare Auswirkung auf die Verjährung des Anspruchs haben und den Gegner "konstitutiv" von der Verjährungseinrede befreien. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn es dem Schädiger bzw. seinem Versicherer darum geht, die Erhebung einer Feststellungsklage abzuwenden (BGH VersR 85, 62, 63; 86, 684, 685).
So ist die Sachlage hier: Der Versicherer hatte sich zunächst vollständig geweigert, Leistungen zu erbringen, und erst unter dem Druck der Klage bzw. des PKH-Verfahrens Verhandlungen aufgenommen. Dabei hatte er sich bereit erklärt, die Ansprüche des Klägers mit einer Quote von 50 % zu regulieren. Für die Vergangenheit geschah dies abschließend, für die Zukunft wurde der zitierte Vorbehalt aufgenommen. Ziel der Einigung war es aus Sicht des Versicherers, den Kläger zur Rücknahme des PKH-Antrags/der Klage zu bewegen. Offensichtlich rechnete sich der Beklagte für den Fall einer streitigen Auseinandersetzung keine Chance aus, vollständig zu obsiegen und u.a. dem Feststellungsausspruch zu entgehen.
Die auf Rücknahme des PKH-Antrages gerichtete Interessenlage des Beklagten rechtfertigt die Auslegung, dass der Beklagte mit dem Vorbehalt den Kläger wie bei einem (vermiedenen, bzw. verhinderten) Feststellungsurteil "konstitutiv" von der Verjährungseinrede befreien wollte und befreit hat (BGH a.a.O.).
Die gegenteilige Interpretation, der Beklagte habe den Kläger zwar zur Rücknahme des aus seiner Sicht erfolgsversprechenden PKH-Antrags/der Klage bewegen, gleichwohl ihn aber nicht konstitutiv von der Verjährungseinrede befreien wollen, liefe auf Arglist hinaus, die dem Beklagten nicht unterstellt werden kann und darf.
Der Beklagte kann sich gegen diese Auslegung nicht erfolgreich verteidigen. In seiner Berufungserwiderung macht der Beklagte geltend, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er mit dem Vorbehalt eine Feststellungsklage habe abwenden bzw. verhindern wollen. Im Vordergrund der Erörterung habe der damals bereits entstandene materielle Schaden gestanden, "weil der Beklagte dieses Rechtsstreits bis dahin jegliche Eintrittspflicht seinerseits überhaupt verneint hatte". Dem ist zweierlei entgegenzuhalten:
Zum einen ist nicht ersichtlich, warum der Feststellungsantrag im Vordergrund stehen müsste. Es reicht der Umstand, dass es dem Beklagten auch (oder nur nebenbei) darum ging, den Kläger zur Rücknahme des Feststellungsantrages zu bewegen. dass es dem Beklagten zumindest auch darum ging, kann nicht zweifelhaft sein; bei streitiger Auseinandersetzung wäre, was der Beklagte wusste, ein entsprechender Feststellungsantrag ohne jeden Zweifel erfolgreich gewesen.
Zum anderen ist es treuwidrig, dass der Beklagte seine unberechtigte Weigerung, überhaupt etwas zu leisten, nutzt, um berechtigte Ansprüche des Klägers zu unterlaufen.
Revision gegen das Urteil brauchte nicht zugelassen zu werden. Mit dem Urteil weicht der Senat nicht von tragenden Erwägungen einer BGH-Entscheidung (auch nicht von BGH VersR 92, 1091) ab, sondern führt nichttragende Überlegungen weiter.